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Gestrandet im Jahr 4021
Benedikt Kotner war Wissenschaftler. Oder genauer gesagt Hobby-Wissenschaftler. Sein Alltagsjob am Postschalter forderte ihn nur geringfügig, so dass er manchmal das Gefühl hatte, während der Arbeit dümmer zu werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich die Autoren vom Klischee, Postangestellte seien dumme, unfähige Idioten, ausdrücklich distanzieren!
Jedenfalls hatte sich Benedikt im Keller seines kleinen Hauses ein Hobby-Labor gebaut. Was niemand wusste: Das Labor war geheim, denn die Experimente, die er dort unten durchführte, waren nicht immer im Bereich des Legalen. So war auch der Zugang zum Labor durch ein Bücherregal getarnt, das er mit wenigen Handgriffen verschieben konnte. Simpel aber effektiv.
Aktuell arbeitete er an einer kryonischen Kammer, da er kürzlich eine geniale Business-Idee hatte: Er wollte eine Firma gründen, die Menschen anbietet, sie einzufrieren, um in ferner Zukunft wieder aufgetaut zu werden.
An einem Sonntagnachmittag war es soweit und sein erster Prototyp war fertiggestellt.
Am Montag Vormittag begann er auf der Poststelle bereits top motiviert mit der Rekrutierung von Testpersonen. Nachdem er gelangweilt ein paar Luftpostbriefe abgestempelt hatte, kam die erste Kundin an den Schalter. Beni setzte ein freundliches Lächeln auf. "Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"
"Ich möchte gerne diese DM-Scheine umtauschen", sagte die ältere Dame.
"Du meine Güte, da sind Sie aber ganz schön spät dran", antwortete Beni süffisant, "aber vermissen Sie nicht auch die gute alte Zeit, als wir noch die Deutsche Mark hatten?" Sein Plan war genial, er wollte die Kundschaft in ein Gespräch verwickeln.
"Doch, ich finde auch, dass die Reichsmark noch eine richtige Währung war, nicht so wie dieser neumodische schwule Euro", gab die Dame zurück.
"Da muss ich Ihnen absolut Recht geben. Ich will Sie ja nicht mit meinem Privatleben langweilen, aber ich besitze eine beachtliche Sammlung an alten Reichsmark-Scheinen."
"Im Ernst? Ich besitze selbst auch noch Erinnerungsstücke aus dieser guten alten Zeit"
"Na so ein Zufall, da scheinen sich ja zwei Sammelwütige gefunden zu haben!", lachte Benedikt laut los.
"Haha, Sie sind ein Goldschatz!", fiepte die alte Dame.
"Ich... ich will ja nicht aufdringlich sein", sagte Benedikt künstlich verlegen. "Aber es würde mir eine grosse Freude machen, Ihnen meine Sammlung zu zeigen. Hätten Sie am Sonntag Lust auf Kaffee, Braunies und das Schwelgen in Erinnerungen?"
Die beiden verabredeten sich und tauschten die Kontakte aus.
Der Sonntag stand an und Benedikts Plan war es, zuerst noch etwas mehr das Vertrauen der gnädigen Frau zu gewinnen. Er hatte den Eindruck gewonnen, dass die empfindliche alte Frau eventuell der sozialnationalistischen Zeit nachtrauerte. Deshalb ging er ins Bad und rassierte sich kurzerhand eine Glatze. Danach ging er auf den Dachboden und kramte etwas herum, bis er fand, was er gesucht hatte: In einer Trick- und Spielkiste hatte er noch einen aufklebbaren Schnauz. Sofort pappte er sich diesen unter die Nase und bereits klingelte es an der Türe. Benedikt rannte in das Erdgeschoss und öffnete.
Die Dame erschrak, als sie Benedikt erblickte: "Beni? Sind Sie es?"
"Ja ganz gewiss, wertes Fräulein, haha!", sagte Benedikt gut gelaunt. "Nur herein in die gute Stube!"
Etwas verwirrt betrat Helmine, wie sie hiess, das Haus. "Sie sehen so... anders aus?"
"Oh, ja... ich dachte, jetzt wo der Frühling vor der Tür steht, würde mir eine kleine Veränderung auch wieder mal gut tun! Gefällt es Ihnen nicht?"
"Nun ja, Sie sehen aus wie eine Mischung aus Adolf Hitler und Uncle Ben!"
Was niemand wusste: Benedikt war schwarz. Natürlich nicht im wörtlichen Sinne, sondern im Sinne von dunkelhäutig. Er war damals in Uganda als Waisenkind geboren und von deutschen Urlaubern adoptiert worden.
Dass seine Erscheinung etwas absurd wirken könnte, leuchtete ihm jetzt auch ein. Sofort riss er den künstlichen Schnurrbart los und rief "Tada! Reingelegt! Haha, ich wollte doch nur schauen, ob Sie nicht an Demenz leiden und Ihnen überhaupt auffällt, dass ich anders aussehe!"
"Aha... Nun ja, wie Sie sehen bin ich geistig noch in gutem Zustand, besten Dank", erwiderte Helmine etwas säuerlich. "Und dazu haben Sie sich auch noch eine Glatze rasiert? Hätte der Schnurrbart nicht gereicht?"
Auch hier reagierte Benedikt gekonnt: "Natürlich ist die Glatze nicht echt, haha! Auch das nur ein gelungener Trick! Ich... ich bin gleich zurück!" Er hastete die Treppe hinauf und verschwand im Badezimmer. In der Ecke lagen noch die Haare, die er sich zuvor abrasiert und mit dem Besen zusammengekehrt hatte. Gottseidank hatte er die Haare noch nicht entsorgt! Schnell packte er den extra strongen Haarwachs aus dem Spiegelschrank und rieb sich damit die Birne ein. Dann klaubte er die Haarbüschel zusammen und drückte sie sich auf den klebrigen Head. Natürlich sah es scheisse aus, aber es musste reichen. Sogleich begab er sich wieder nach unten zu Helmine, die ungeduldig wartete.
"Jetzt sieht das aber wieder etwas netter aus, würde ich denken. So junger Mann, wollen sie mir nun Ihre Sammlung zeigen?", fragte Helmine, deren Stimme nun wieder zuckersüss klang.
"Selbstverständlich! Gerne helfe ich Ihnen die Treppe hinunter, im Keller habe ich meinen Hobby-Raum eingerichtet"
Als Helmine unten angekommen war, staunte sie nicht schlecht. An der Wand hing eine alte Fahne, die sie an die Jugend erinnert. Sofort fragte sie Benedikt: "Wie sind Sie denn an dieses Prachtexemplar gekommen? Bei mir kommt da immer etwas Nostalgie auf. Bei Ihnen auch?"
"Durchaus, durchaus", sagte Benedikt nun leicht gestresst.
"Was ist mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut? Sie sind so bleich? Ich meine hellbraun."
"Alles in Ordnung, Henriette. Ich, ähm, will Ihnen noch etwas anderes zeigen", sagte Benedikt und deutete auf ein grosses Etwas, das vor ihnen lag und mit einem Tuch bedeckt war. "Das wird Sie umhauen!"
Theatralisch zog er das Tuch zur Seite, worauf eine Badewanne mit einem Plexiglas-Deckel zum Vorschein kam. An der Seite waren einige Schläuche angebracht, und das Innere der Wanne war mit blauem Schaumstoff ausgepolstert.
"Haben Sie sich auch schon gefragt, ob es möglich wäre, in der Zeit zurückzureisen, um alle diese schönen Dinge der Vergangenheit wieder anzutreffen?", preiste Beni seine modifizierte Badewanne als Zeitmaschine an. Dabei trat er mit seiner rechten Fusssohle auf einen Schalter am Boden, welcher eine Nebelmaschine in Betrieb setzte, die er geschickt hinter der Wanne positioniert hatte, um mittels des Rauches einen zusätzlichen WOW-Effekt zu erzeugen. Unmittelbar danach drückte er auf einen Knopf, der ein kleines Stroboskop aktivierte, welches den Qualm visuell noch berauschender wirken liess.
Helmine stand nun vor dieser weissen Wanne, es rauchte und blitzte und die Wanne zog sie hypnotisch in ihren Bann. Ohne zu zögern zog sie ihre Kleider aus, sodass sie nackt und wortlos eine kleine Hilfstreppe hinaufstieg, um sich in die Wanne zu legen.
Benedikt konnte nicht glauben, was sich in den letzten Minuten abspielte. Sein Plan war genial eingefädelt und ausgeführt. Es konnte also losgehen! Er sah Helmine tief in die Augen und sagte bedeutungsvoll: "Wir sehen uns"
Dann schloss er den Deckel. Als nächstes drehte er den flüssigen Stickstoff auf, worauf ein lautes Zischen ertönte. Innert wenigen Sekunden war das Innere der Wanne auf minus 195 Grad Celsius heruntergekühlt. Nachdem sich der Stickstoffnebel etwas gelegt hatte, wagte Benedikt einen Blick durch die Sichtscheibe in die Wanne. Dort lag Helmine mit verzerrtem Gesicht und den Händen schützend über sich. Ihre Fratze erinnerte Benedikt an den in Karbonit eingefrorenen Han Solo aus Star Wars. Kein schöner Anblick, doch Beni wusste: Sein Experiment war geglückt! Sogleich hastete er die Treppe hinauf, um mit sich selbst auf diesen Meilenstein in seiner Forschung anzustossen. Er holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank sowie zwei Gläser, denn eins davon wollte er auf dem Wannendeckel platzieren, um auch mit Helmine symbolisch anstossen zu können. Damit sie auch schön ungestört waren, schloss Benedikt hinter sich den Zugang zum Labor, indem er das Bücherregal von hinten schön dicht an den Durchgang heranzog. So würde von aussen niemand auf die Idee kommen, dass hinter dem Regal noch eine Treppe in den Keller führte. "Nun aber nichts wie runter, bevor der Sekt noch warm wird!", rief Benedikt aufgeregt. In seinem Enthusiasmus aber strauchelte er und fiel die Treppe hinunter. Er landete hart auf dem Boden, wobei er noch ein lautes Knacken und einen stechenden Schmerz in der Genickgegend wahrnahm. Dann war er tot.
2000 Jahre später wurde sein Haus bei einem Erdbeben so stark beschädigt, dass die Zukunftsmenschen beschlossen, das in zwischen denkmalgeschützte Gebäude abzureissen. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Sie fanden einen Keller und darin Überreste einer männlichen Person, vermutlich um die 2000 Jahre alt. Und in der Ecke einen wannenartigen Behälter, in dem eine zweite Person tiefgefroren war. Diese Person stellte sich als weiblich und in fortgeschrittenem Alter heraus. Sie konnte dank der genialen Tiefkühltechnik erfolgreich wiederbelebt werden. Helmine galt in dieser fernen Zukunft lustigerweise als das absolute Schönheitsideal, da die Menschen inzwischen eine Lebenserwartung von 300 Jahren hatten und man mit 80 Jahren noch so richtig im Saft des Lebens war. So hatte sie in ihrem restlichen Leben sehr viele Liebhaber. Dank der extrem modernen Medizin im Jahre 4021 konnte sie sogar nochmals schwanger werden und gebar einen Sohn, den sie in Andenken an ihren Retter Benedikt Benedikt nannte. Dieser rutschte in der extrem liberalen Gesellschaft allerdings bereits mit 3 Jahren in die Drogenszene ab und verstarb schliesslich 5-jährig bei einem Verkehrsunfall mit einem Hoverbike. Helmine war mit ihren bald 90 Jahren nicht in der Lage, diesen Verlust zu verkraften, und liess sich wieder einfrieren. Um ihre Person entstand kurz darauf ein religiöser Kult, der sich regelmässig um ihre Gefrierwanne versammelte und diese anbetete. Bei einem Stromausfall taute Helmine jedoch auf, was vom Kult als der absolute Gottesbeweis angeführt wurde. Es kam zu Massenprotesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen, so dass ab 4038 wieder eine Diktatur eingeführt wurde mit Helmine als Führerin. Von diesem Tag an herrschte wieder Recht und Ordnung auf der Welt.
Damit hatte Benedikt den Beweis erbracht, dass selbst Postangestellte zu Grossem fähig sind.
Ende