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Gestrandete
Hier sind wir nun wieder. Wir beide. Ertrinkende? Gestrandete! Nichtschwimmer, die ans Ufer gespült wurden wie Treibgut. Die Oberfläche blank poliert und ohne Kanten, glatt geschliffen und schutzlos.
Sie sieht aus dem Fenster, raucht, zittert. Das tut sie manchmal. Ihr ist schnell kalt. Ihr Atem macht kleine Wölkchen. Wölkchen, die verweht werden. Vom Winde verweht. Im Zimmer nebenan kann man sie schon gar nicht mehr sehen, wenn sie vorüberziehen. Vergangen bereits im Moment ihrer Geburt.
Ich sitze hier und sehe ihr zu, sehe ihr einfach zu. Sie ist ich, ich bin sie. Das denke ich manchmal, hab es ihr einmal gesagt. Da hat sie gelacht und gesagt: „Du spinnst.“ Ich hatte gesagt: „Ja, tue ich.“ Dann lachten wir. Heute lachen wir nicht. Nicht mehr? Heute sind wir bloß hier.
Sie schaut immer noch nach draußen. Sie sieht nichts, nichts Neues und was sie sucht wird sie nicht finden. Hier nicht. Anderswo? Die Hoffnung stirbt zuletzt, erzählt man sich.
Ich habe ihr mal gesagt, dass suchen gemeinhin ohnehin überschätzt wird. Finden sei das, wonach man streben sollte. Weil ich betrunken war, glaubte sie mir nicht. Aber es war die Wahrheit, ist es noch.
Irgendwann einmal werde ich sie heiraten, denke ich, als sie sich umdreht und die Zigarette auf den Gehsteig schnippt. Wenn sie müde ist und ich auch, werden wir einfach zusammen einschlafen und wenn wir aufwachen sind wir verheiratet. Dann ist Schluss mit der Suche und auch das Finden wäre dann vorbei, hätte gar nicht stattgefunden. Wenn etwas einfach da ist, dann ist es aufgetaucht ohne gefunden und erst recht ohne gesucht worden zu sein.
„Ich habe Angst“, sagt sie und setzt sich neben mich auf das Bett. Sie zittert. Vor Kälte? Vor Angst?
„Ich auch“, sage ich und meine doch etwas ganz anderes als sie.
„Warum kann ich das, was gut für mich ist, nicht lieben, sondern liebe das, was nicht gut für mich ist?“, fragt sie die Welt und nicht mich. Darum sage ich auch nichts. Die Welt aber schweigt, sie bleibt still für den Moment, dreht sich nur ganz langsam und die Geduld auf eine Antwort von ihr zu warten kann wohl niemand aufbringen.
Sie hat ganz kalte Hände. Ihre Haut ist so weiß, dass die blauen Äderchen durchscheinen. Ich nehme sie in meine. Halt für den Moment, Wärme für den Moment.
„Was kann eine Sonne zum erlöschen bringen?“, fragt sie und ich weiß nicht, was sie damit sagen will.
„Die Zeit“, antworte ich.
„Früher habe ich geglaubt, dass irgendwann alles leichter wird. Das die Unsicherheit schwindet, dass das Verletztsein weniger weh tut, dass man lernt damit umzugehen. Ich habe wirklich geglaubt, dass später alles besser wird. Aber jetzt war dieses Später gestern und nichts ist besser geworden, nichts hat sich verändert“, sagte sie, ihre Stimme ist ruhig dabei und ich nicke bloß.
Sie hat Recht. Natürlich. Aber sie wird es nicht immer sagen, morgen noch, übermorgen sicherlich und dann wird sie es vergessen, wie sie es stets vergisst. Wie wir alle es stets vergessen. Dann beginnt es von neuem. Für sie, für mich. Die Hoffnung stirbt zuletzt, erzählt man sich.
„Es ist gut, dass du jetzt da bist und nicht er“, sagt sie und schaut auf das Bild. Zwei Menschen im Regen, wirre Haare, nasse Kleidung, verwischte Schminke, ein Kuss, zwei Menschen, die vereint waren. Sie will etwas anderes. Dass er da ist und nicht ich. Ich höre das, so wie man Dinge nun einmal manchmal hört, obwohl sie zwischen den Zeilen versteckt sind und sie weiß, dass ich es verstehe.
Vor Wochen war ich es. Heute ist sie es. Zwei Gestrandete, die stets wieder an denselben Strand zurückgespült werden. Vielleicht bleiben wir eines Tages einfach liegen. Aber bis dahin kriechen wir immer wieder zurück in ein Meer, das uns nicht haben will. Werfen uns in die Wellen, treiben, trudeln, strudeln dahin. Schutzlos Treibgut im Ozean.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, erzählt man sich.
Manchmal frage mich, warum man sie nicht einfach sterben lässt.