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Gesundheitsreform
Mein letzter Arztbesuch seit den allerneuesten Vorschriften der Gesundheitsreform hat mich völlig verunsichert, so dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob es das Phänomen Krankheit überhaupt noch gibt, oder wir nur noch Leben in Gesundheit und Tod als einzige Seinsformen kennen.
Ich habe wohl eine Grippe, teilte ich dem Arzt mit, worauf dieser mir gleich ins Wort fiel, dass es an ihm sei, die Diagnosen zu stellen und es mich überfordere, irgendwelche diesbezüglichen Vermutungen anzustellen. Zuerst müsse er feststellen, wie viel Eigenanteil ich an seiner Untersuchung meiner Person zu zahlen habe.
Ob ich rauche?- Nein! - Das sei mein Glück! Raucher müssten 75 % Eigenanteil bezahlen. Natürlich müsse man meine Angaben überprüfen und meine Lungen einem Test unterziehen, der mich 25 Euro kosten würde.
„25 Euro!“ rief ich voller Entsetzen, worauf er indigniert die Augenbrauen hochzog und meinte, ich könne mich gerne weigern, aber wenn ich die Vorschriften der Krankenkassen ignoriere, dürfe mich kein Arzt behandeln.
Resignation meinerseits! – Ob ich Alkohol trinke? – Na ja, ab und zu ein Gläschen Wein am Wochenende. – „Das sagen alle!“ erwiderte er, man müsse meine Angaben mit einem Bluttest überprüfen. Mein Glück, dass die Praxis gerade Discountwochen für Bluttests habe. So würde die Sache mich nur 15 Euro kosten. – Na toll! Und wenn der Test positiv ausfiele? (man weiß ja nie) – nun, dann würde ich als Alkoholiker eingestuft und müsse 50 % der Kosten übernehmen. Aber ich müsse mir dann keine Sorgen machen, es gebe wunderbare neue Therapiemethoden für Alkoholismus. Arbeitstherapie! Er könne mir sofort einen Platz in der Schwipsvogelklinik besorgen, wo ich bei einer Aufbauernährung von Wasser und Brot 10 Stunden täglich den neuen Managertrakt der AOK bauen werde. Die Rückfallquote dort behandelter Alkoholiker sei enorm zurückgegangen, ein Teil allerdings habe sich gleich zu Tode getrunken, beides sei volkswirtschaftlich von großem Nutzen.
Ich betonte voller Überzeugungskraft, dass ich wirklich nicht trinke, worauf er mit einem trockenen „Abwarten!“ konterte und wissen wollte, ob ich Auto fahre. Harmlos bejahte ich
diese scheinbar unverfängliche Frage und hatte 20 % Eigenanteil am Hals, weil Zufußgehen gesünder und die Unfallgefahr beim Autofahren erhöht sei. – Ob ich mich gesund ernähre.- Aber ja! – Er brauche eine Aufstellung der Nahrungsmittel, die ich zu mir nehme, die man dann mit verschiedenen Proben meines Mageninhaltes vergleichen werde. 5 Magenspiegelungen à 10 Euro, ein supergünstiges Angebot. – Mein Gott, war mir schlecht! – Ob ich viel lache? – Mir sei das Lachen absolut vergangen, ließ ich ihn wissen. Diese Antwort brachte mir weitere 30 % Eigenanteil an den Kosten ein wegen eines Hanges zur Depression, der krankheitsanfällig mache. Daraufhin brach ich in haltloses Schluchzen aus, was Gott sei Dank keine weiteren finanziellen Folgen hatte.
Er reichte mir das Fieberthermometer, wollte allerdings 2 Euro Benutzungsgebühr dafür haben. Während ich an dem Thermometer lutschte, fragte er nach meinen Zähnen. Nach einigen Verständigungsschwierigkeiten kapierte er, dass ich kein Geld für eine Überkronung meiner Zähne habe, worauf sich mein Eigenanteil um weitere 20 % erhöhte. „Wissen Sie überhaupt, wie schädlich schlechte Zähne für die Gesundheit sind?“
Endlich überprüfte er das Thermometer und brach in Geschrei aus, ich habe Fieber, 39,5 Grad, und überlaste sein Thermometer. Machte 50 Cent Abnutzungsgebühr. Er tröstete mich, dass ich beim nächsten Mal mein eigenes Thermometer mitbringen könne, dann sei zumindest diese Untersuchung kostenlos. Ich fragte schüchtern, ob er mich bei so hohem Fieber krankschreiben könne. Mir sei schwindlig und schlecht. – Diese Frage kam nicht gut an. Er empörte sich, ich rede mir da etwas ein und sei ein Hypochonder. Krankschreibungen gebe es selbstverständlich erst bei richtigem Fieber, ab 41 Grad, und dann nur gegen 10 Euro Attestgebühr. Ich sei doch wohl kein Drückeberger, der die deutsche Wirtschaft noch mehr in die Misere treiben wolle. Schließlich sei ich doch erst siebzig Jahre alt und könne noch einige Zeit weiter arbeiten.
Ich traute mich kaum nach einem Rezept zu fragen. War auch sinnlos! Rezepte gebe es nur bei akuter Gefahr für Leib und Leben, und die sei bei mir nicht gegeben. Misstrauisch sah er mich an. Wozu ich überhaupt ein Rezept brauche, ob ich etwa drogensüchtig sei?! Das mache dann einen Eigenanteil von 100 %, aber er habe eine wunderbare Therapiestelle auf einer Großbaustelle der DAK ---- „Nein! Nein“ schrie ich entnervt. Ich sei nicht drogensüchtig, aber wenn das alles so sei, dann würde ich doch lieber sterben. – Er lachte nur kurz auf. Davon würde er mir dringend abraten. Die Friedhofsgebühren stiegen ins Unermessliche, das Sterbegeld sei gestrichen, und wenn ich mir nicht einmal eine läppische Krankheit leisten könne, wie wolle ich mir da meinen Tod leisten.
Während ich schreiend aus der Praxis rannte, hörte ich ihn noch triumphierend ausrufen: „Wieder ein Patient geheilt! Geht doch!“ – Recht hat er! Es geht!
Mirgeler