Was ist neu

Gewitter

Mitglied
Beitritt
17.03.2003
Beiträge
4

Gewitter

Gewitter

Flora liebte Gewitter. Nicht die hässlichen, kalten Herbstgewitter. Die warmen, leisen der Sommerabende. Sie ging dann immer vor die Tür, stand im warmen Nieselregen und lachte, drehte sich. „Ach, komm doch“, rief sie mir zu, „komm doch zu mir!“ Ihr langes Haar wiegte sich leicht im Wind, flüsterte zu mir.
Über uns segelte eine Krähe im lauen Sommerwind, sie krächzte. Eine andere antwortete ihr, von hoch über den Wolken, verborgen. Leise brummte der Donner. „Nein“, sagte ich. Da wurde Flora immer sehr traurig und lachte weiter und drehte sich. Ich ging wieder ins Haus. Und sie lachte und drehte sich und schüttelte den Kopf. Wie immer.
Am Himmel zogen die Wolken vorbei, graue, warme, wallende Gebilde, immer neue Formen. Ich sah ihnen zu, wie sie sich am Himmel drehten und konnte nicht denken. Flora stand draußen, breitete die Arme aus, begrüßte den sachten, steten Regen. Sie liebte Gewitter.
Wenn der Regen zu stark wurde, kam sie wieder zurück ans Haus, stand wortlos in der Tür und sah dem Gras zu, den Bäumen und den Wolken, ließ sich das Gesicht vom leisen Wind streicheln. Lauschte den Krähen, hoch hinter den Wolken verborgen. Sie atmete tief ein und aus. „Ach, komm doch“, sagte sie. Ich sprach dann nicht mit ihr. Der ferne Donner dröhnte in meinen Ohren, sanft prasselten tausende Regentropfen gegen die Fensterscheiben.
Die Tropfen sträubten sich zu klatschen, ruhig und sanft fielen sie. Wie immer. Ein Gewitter war im Sommer nichts Besonderes. Es ging vorüber, zog vorbei, niemand dachte mehr daran. Nur Flora sehnte sich danach, es waren ihre Gewitter. Ihre sachten und sanften Gewitter, bei denen ich nie mit ihr sprach.
Hinter dem Horizont bebte der Donner ganz leise, ganz unwichtig. „Hör jetzt auf“, sagte ich dann, „es ist vorbei.“ Aber Flora stand in der Tür, betrachtete die trübe Abendsonne und träumte, vom Regen, dem sachten, sanften und vom Donner hinter dem Horizont. Lange stand sie noch so da, bis kein Grollen mehr in ihren Ohren war uns sich die letzten Wolken zerstreuten. Ich ließ sie in Ruhe stehen.
Bis das große Gewitter kam, es war schon spät im Sommer, und der Sturm, die Krähen verkrochen sich irgendwo. Ohne Vorwarnung, Windstärke sieben, hieß es im Radio. Flora schaltete ab, drückte die Finger auf die Ohren, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Vor dem Fenster, sie sah es nicht, wirbelten die Wolken, zogen sich zu dunkelgrauen, riesigen Ballen zusammen. Grelle Lichtfetzen zerrissen den Himmel. Ich glaube, sie wollte es nicht sehen. Der Donner bebte nicht mehr, er brüllte.
Die Bäume, das Gras begannen zu wanken, krümmten sich, schrieen vor Schmerz. Sie kämpften gegen den Wind, Flora wollte es nicht sehen. Ich stand am Fenster, weit entfernt, den Kopf zur Seite geneigt und ließ sie in Ruhe. Draußen wütete der Regen, klopfte gegen die Scheiben, gewaltig laut. Es war kalt geworden, unmerklich, unwirklich. Der Sommer war vorbei.
Da begann der Sturm noch wütender zu werden, zerrte an den Bäumen, warf Masten und Leitungen durch die Gegend. Glas zerbrach, nichts, was war, blieb heil. Der Himmel war ganz dunkel, ganz schwarz. Flora setzte sich auf das Bett, verbarg das Gesicht in ihren Händen, wippte langsam vor und zurück. Ich sprach nicht mit ihr.
Scharfe Linien durchzogen die Schwärze, entflammten Bäume und Häuser. Ein Gewitter war im Sommer nichts Besonderes. Es ging vorüber, zog vorbei, niemand dachte mehr daran. Der Sommer war vorbei. Ich sah, wie der Wind Ziegel mit sich riss und an Wänden zersplitterte. Und der Donner brüllte und der Wind weinte um die Häuser und der Regen begrub sie.
Flora fror, sie wiegte sich und fror und schluchzte unmerklich. Ich sah es und schwieg, ging zur Tür und öffnete sie. Der Wind schliff über mein Gesicht, der Regen klatschte mir in die Augen, der Wind bewarf mich mit Steinen und Splittern. Ich trat in den Sturm und blickte nicht zurück.
Flora sah auf, mit großen Augen, wischte sich das Harr aus dem Gesicht und stürzte mir nach. „Was tust du!“, rief sie dem tauben Gewitter entgegen. Der Wind zerriss mich, ich blickte zum Himmel, fiel zu Boden und lachte. Lachte dem Sturm entgegen, der brüllte zurück und schlug zu und warf mich auf die Straße. „Nein!“ rief Flora von der Tür aus. „Bitte!“ Ich lauschte dem Sturm, er flüsterte zu mir und brüllte.
Flora trat aus dem Haus, plötzlich. Sie weinte, der Wind riss die Tränen davon. Sie kämpfte gegen den Wind, ich merkte erst jetzt, wie zerbrechlich sie doch war, so dünn und schwach. Ich versuchte, mich umzudrehen zu ihr, aber ich konnte nicht, der Wind zwang mich zu Boden, der Donner tilgte alles Rufen. Als ich mich hoch zwang, war Flora verschwunden.
Ich blickte mich um. „Sprich mit mir!“ rief ich. Der Sturm schwieg, warf mich gegen die Hauswand, ich fühlte den Schmerz, kroch zur Tür zurück und rollte ins Haus. „Warum“, schrie ich. „Warum!“ Die Tür hing schief in den Angeln, alles im Haus flog durcheinander, zerbrach, überschüttete mich mit Fetzen und Scherben, die der Sturm verschluckte.
Die Nacht verbrachte ich in der offenen Tür, der Wind fraß an meinem Gesicht, meiner Kleidung, an mir. Der Teppich, die Wände, alles zerriss und weinte. Am Himmel, unsichtbar, verhöhnten mich die Wolken und wirbelten und drehten sich, als sei nichts gewesen. Und ich saß da und wiegte den Kopf in den Händen und konnte nicht weinen.
Am Morgen ließ der Sturm nach, es war nicht mehr kalt, der Regen nieselte sacht gegen die zersplitterten Fensterscheiben. Der Wind säuselte um die entwurzelten Bäume, die Reste der Häuser, die Narben der Nacht. Am Himmel segelten die Krähen, riefen sich gegenseitig zu und antworteten, von ganz weit oben, verborgen. Flora war fort.
Der Regen war warm, ich fühlte ihn auf meiner Haut, als ich ins Freie trat. So blickte ich zum Himmel empor, die grauen, warmen Wolken zogen ruhig dahin, lachten nicht mehr. Von Flora fand ich keine Spur, nirgendwo. Ich suchte auch nicht nach ihr, nicht wirklich.
Da begann ich zu lachen, drehte mich und rief: „Komm doch!“ Ich wusste, sie würde nicht kommen, nie mehr. Der Sturm hatte gefordert, mich oder sie, sie ist freiwillig gegangen. Jetzt weiß ich, wie sie sich fühlte. Sie liebte Gewitter.

 

Liest das hier eigentlich niemand oder seid ihr nur zu faul zu einem Kommentar?

 

Es ist auch gar nicht so einfach, einen Kommentar dazu zu schreiben!

Es ist ein Bild, das weiß ich auch, aber es richtig zu interpretieren ist schwer. Ich will hier auch nicht weiter auf Fehler und Wortwiederholungen eingehen, da sie den Fluss der Geschichte nicht wirklich stören. Die Bilder, die Du entwirfst, sind eindringlich, gehen unter die Haut, ebenso Flora. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie im Sommerregen steht und glücklich ist, und auf der anderen Seite ihre Fassungslosigkeit über das Wüten des Herbstgewitters, ihr Entsetzen über die Gewalt.

Es ist schön zu lesen, und solcherlei würde ich gerne mehr lesen!

 

Hallo Caliban!

Das ist eine interessante Geschichte, die du hier geschrieben hast!
Ich habe sie als "Beziehungsgeschichte" zwischen zwei Menschen gelesen, wobei ich das Gewitter eigentlich nur als eine Metapher gesehen hab:
Das "Gewitter" verkörpert für mich das Spannungsverhältnis in einer Beziehung - zuerst die leichten, warmen "Sommergewitter": das erotische Knistern am Anfang...
Dann die "Herbstgewitter": Sie verkörpern bereits die Spannung im Alltag - die sich manchmal sogar in Gewalt entläd. Eine Gewalt, vor der man am liebsten die Augen verschliessen will:

Flora schaltete ab, drückte die Finger auf die Ohren, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
Am Schluß geht das ganze Haus zu Bruch (das Haus steht für die Beziehung und gleichsam für alles, was miteinander aufgebaut worden ist...)
Einer von beiden geht schließlich. Und das war's dann, mit dem Rosenkrieg... :gunfire: :whip:

So, hoffentlich hab ich jetzt nicht zu viel interpretiert...(sag mir bitte, wenn ich mit meiner "Deutung" völlig daneben lag - ok?)

Liebe Grüße,
Wolf

 

Hmhm... normalerweise beteilige ich mich nur sehr ungern an Interpretationen zu meinen eigenen Werken...

Dennoch muss ich sagen - Respekt - deine Deutung kommt der Grundidee schon sehr nahe. Dass die Geschichte das Bild einer Beziehungs ist, stimmt natürlich.

Es ist wahnsinnig interessant zu sehen, was andere Leute aus meinen Geschichten machen. Danke, Wolf.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom