Was ist neu

Gieriger Schatten

vio

Mitglied
Beitritt
12.07.2003
Beiträge
297
Zuletzt bearbeitet:

Gieriger Schatten

Der Park vor meinem Fenster war im Novemberlicht ergraut. Wenn es draußen stürmte, fühlte ich mich in der Dachkammer geborgen. Ich hasste den Frühling und den Sommer mit ihren Pärchen und lachenden Kindern. Sie gaben mir immer das Gefühl, eingesperrt zu sein und durch ein geschlossenes Fenster ins Leben zu schauen, ohne je die Tür zu finden. Jetzt war es still draußen, nur ab und zu ein vereinzelter Spaziergänger oder die Gärtner, die das Laub einsammelten.

Ich hatte gerade den "Friedrich" vollendet, da kündigte mir Guntram schon wieder einen neuen Auftrag an. Das Kunstfälschergeschäft blühte, seit die Japaner richtig eingestiegen waren. Ich kam kaum hinterher, all die Van Goghs, Rembrandts und Monets anzufertigen. Das waren die Maler, die derzeit am besten gingen.
Meist dauerte es sehr lange, bis ich mit einem Bild zufrieden war. Es musste ja auch vor den Kunstprüfern bestehen. Seit Wochen war ich nicht mehr unter die Leute gekommen, höchstens mal zum Markt oder zum Bäcker. Vermutlich hatte Guntram deshalb darauf bestanden, dass wir uns in einem Café trafen.
Jedes Mal, wenn ich längere Zeit nicht draußen war, bekam ich Herzklopfen, wenn ich meine Wohnung verließ. Es dauerte lange, bis ich mich für ein dunkles Kleid entschieden hatte.

Guntram war schon dort. Er küsste mich auf die Wange. Ein junger Kellner sah zu uns herüber.
"Was möchtest du trinken?"
Ich sah mir die Karte an. "Einen schwarzen Tee."
"Und, geht es dir gut?" fragte er. Der Kellner trat an unseren Tisch, und Guntram bestellte Tee.
"Es geht so.", sagte ich und zog mein Kleid mehr über die Knie. Es war mir unbehaglich, wie der Kellner mich anstarrte. "Was für ein Auftrag ist es denn? Wieder Lilien von Vincent?"
"Nein. Diesmal sollst du etwas restaurieren."
"Restaurieren? Welcher Maler?"
"Du kennst ihn nicht."
"Ein Maler, den ich nicht kenne?" Ich runzelte die Stirn. "Welches Jahrhundert?"
"Zwanziger Jahre, zwanzigstes Jahrhundert."
"Wer sollte das sein?"
"Der Maler heißt Vartán. Schon mal gehört?"
Der Kellner brachte den Tee.
"Vielen Dank ..." Guntram zahlte gleich. Ich blickte in meine Tasse, bis der Kellner gegangen war.
"Vartán? ... Nein, den kenne ich wirklich nicht."
"Er hinterließ nur wenige Bilder, wurde Ende der Zwanziger hingerichtet. Man hatte ihn des Mordes an zwei Frauen überführt."
"Mord?"
"Das Bild bringe ich dir morgen vorbei. Übrigens hat die Kunstkommission deine Lilien für echt befunden."
"Ich hab ja auch einen phantastischen Malgrund gehabt."
Man malte solche Aufträge auf wertlosen alten Ölbildern, die möglichst viel Weiß im Motiv hatten. Das ließ man dann stehen, weil fast immer an dem Schwermetall in der Farbe die Altersbestimmung vorgenommen wurde.
"Nun sei nicht so bescheiden!" sagte Guntram. "Geht es dir wirklich gut? Du bist so blass."
"Ja, ja ... "
"Du müsstest mal rauskommen aus deinem Kämmerlein."
"Vielleicht will ich aber gar nicht aus meinem Kämmerlein. Außerdem - wer malt dir dann deine alten Meister?"
Er lächelte. Ich sah ihn an, die blonden, lockigen Haare, das freundliche Gesicht, die hellen Augen, fast wie bei einem Huskey. Wäre er nicht zwölf Jahre älter, hätten wir ein Paar sein können. Er war der einzige Mensch, mit dem ich darüber reden konnte, was ich beruflich tat. Diese Geheimniskrämerei machte jede Beziehung kaputt. Früher oder später glaubten die Männer immer, ich würde sie mit einem Liebhaber hintergehen. Mehr als einmal hatte ich überlegt, die Fälscherei aufzugeben. Aber mit meinen eigenen Bildern verdiente ich nicht einen Bruchteil dessen, was ich für meine Van Goghs und Friedrichs bekam.

Das Bild war irgendwie seltsam. Ich konnte noch nicht sagen, was es war, aber es hatte einen eigenartigen Schimmer. Das Motiv an sich war belanglos, eine Szene in einer schummrigen Bar. Es war kein Wunder, dass man von diesem Maler noch nichts gehört hatte. Eigentlich trug ein Skandal ja immer dazu bei, dass die Leute sich um die Werke rissen.
An einer Ecke befanden sich ein paar helle Flecken, wo die Farbe abblätterte.
"Wem gehört dieses Bild?" fragte ich Guntram.
"Einem Engländer. Sein Großvater hat wohl das Bild damals gekauft und mit rübergenommen. Er hat noch ein anderes von Vartáns Ehefrau."
"Vartán war verheiratet?"
"Anscheinend. Ich hab keine Ahnung ... Ich habe gesagt, dass du damit in zwei Monaten fertig bist."
"Ja, das reicht. Aber ich muss mir erst neue Pigmente besorgen, ich hab kaum noch Brauntöne."
"Ich fahre morgen nach Amsterdam. Schreib auf, was du brauchst."
Ich gab Guntram eine Liste. Er legte mir noch eine Tafel meiner Lieblingsschokolade auf das Bett.
"Ich hol dich nachher ab, dann gehen wir ins 'Paradise Lost'."
"Ich will nicht."
"Du musst hier mal raus, glaub mir!"
"Ich hab keine Lust, mich in eine Bar zu setzen."
"Na, ich klopfe nachher einfach, dann werde ich ja sehen, ob du dein schwarzes Kleid anhast." Er zwinkerte mir zu, dann ging er. Das schwarze Kleid. Er hatte es mir zu meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Es war das Schönste, was mir überhaupt je ein Mann geschenkt hatte.

Ich stellte das Bild auf die Staffelei und setzte mich davor. Woher kam nur dieser Schimmer? Es war ein bräunlicher Ton, der aber das Bild eher kalt als warm erscheinen ließ. Vorsichtig berührte ich die Oberfläche mit den Fingerspitzen. Diese achtzig Jahre alten Pinselstriche. Was mochte Vartán empfunden haben, als er die Gesichter malte? Manche waren zart, andere nur mit drei Strichen grob hingeworfen. Er hatte keinen einheitlichen Stil, nicht einmal in einem Bild. Ich fuhr mit dem Zeigefinger die Linien der Barhocker ab, dann die Gläser auf den Tischen. Eine junge Frau im Vordergrund mit der damals typischen Pagenfrisur zog sich gerade die Lippen nach, ein Mann starrte lustvoll zu ihr herüber.

Eigentlich konnte ich auch mitgehen in die Bar. Meine Brauntöne reichten sowieso nicht aus, um die erforderliche Farbe zu mischen, also konnte ich noch nicht mit meiner Arbeit anfangen. Ich duschte und legte mich auf das Bett. Wenn der Abend heute etwas länger werden sollte, musste ich mich noch ausruhen.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich mit meinem Haar zufrieden war. Mir fehlte einfach die Übung. Das Kleid verwandelte mich völlig. Ich fühlte mich schön und begehrenswert. In irgendeiner Schachtel fand ich auch die passenden Schuhe.
Zum Glück kam Guntram ein bisschen zu spät. Ich mochte es nicht, wenn Leute auf mich warten mussten, aber heute hatte ich mich einfach in der Zeit vertan.

Die Bar war nicht sehr voll. Wir setzten uns, und Guntram bestellte zwei Gin-Tonic.
"Fühlst du dich wohl hier?" fragte er mich.
"Es geht." Ich zupfte an einer Haarsträhne, die sich gelöst hatte.
"Du siehst bezaubernd aus."
Ich lächelte verlegen. Es war mir selten möglich zu unterscheiden, ob jemand mir ein ernstgemeintes Kompliment machte oder nur nett sein wollte. Selbst bei Guntram war ich mir manchmal nicht sicher.
Wir plauderten ein bisschen über einen Kunden, der gern einen Gauguin wollte. Manchen Leuten war es einfach nicht möglich, ihre Gelüste gänzlich unter dem Deckmantel der Kunst zu verbergen. Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, wie er seiner aufgebrachten Frau beteuerte, dass dies ein Kunstwerk von hohem Wert darstellte und nicht etwa nur eine schlüpfrige Szene an einem Nudistenstrand.
Dann sah ich diesen Mann. Er saß weiter hinten an einem Tisch im Dunkeln und starrte mich an. Sein Haar war schwarz und lang, sein Blick stechend, trotz der Dunkelheit konnte ich das wahrnehmen. Ich wandte mich schnell ab. Guntram sah mich verwundert an.
"Was ist mit dir? Eben lachst du noch, und jetzt?"
"Es ist nichts. Wollen wir gehen?"
"Was, jetzt? Es ist erst halb eins ..."
"Ich bin müde."
"Also, ich finde, es ist noch viel zu früh. Aber wenn du willst. Warte hier, ich bin gleich wieder da."
Guntram stieg von seinem Hocker und verschwand hinten im Raum. Unruhig blickte ich vom Tresen auf die Gläser in den Regalen und von den Gläsern wieder zurück auf das Holz. Ich konnte fühlen, dass der Typ mich noch anstarrte. Ich kramte in meiner Tasche, um doch nichts zu suchen. Das war doch lächerlich. Abrupt wandte ich mich zu ihm um, aber er saß nicht mehr dort. Erleichtert atmete ich auf.
"Guten Abend." Eine fremde, tiefe Stimme neben mir.
"Guten Abend." sagte ich, ohne mich ihm zuzuwenden.
"Würden Sie mich bitte ansehen, wenn Sie mich begrüßen?"
So eine Frechheit! Was bildete sich dieser Kerl ein? Ich zog die Luft hörbar ein, wartete eine Sekunde und blickte ihm direkt in die Augen. Er lächelte unverschämt.
"Möchten Sie sich mit an meinen Tisch setzen?"
Ich lachte kurz auf. "Nein. Ich möchte jetzt gehen." Ich sprang von meinem Hocker und ließ ihn stehen. Endlich kam auch Guntram, ich winkte ihm vom Eingang aus zu, als er mich an der Bar suchte. Der Unbekannte stand noch immer an der Bar und sah mich an. Es schien ihn nicht zu stören, dass ich ihm eine Abfuhr erteilt hatte. Im Gegenteil, es amüsierte ihn anscheinend auch noch. Vermutlich sprach er jeden Abend hier Frauen an, die dann mit ihm erst den Tisch und dann das Bett teilten.
"Da bist du ja endlich." fuhr ich Guntram an.
"Ja ... Entschuldige." Er war verwirrt.
"Tut mir leid. Ich ... bin nur so schrecklich müde. Ich will nur noch raus hier."

Es klopfte. Ich brauchte eine Weile, um mich wach zu kriegen.
"Hallo, bist du da?"
Guntram.
"Ja, ich komme gleich ..." Es war kurz vor Mitternacht, wie ich benommen feststellte. Ich stand auf, zog meinen Bademantel zusammen und öffnete die Tür.
"Was denn? Ich dachte, du bist fertig." Guntram setzte sich. "Oder willst du doch nicht mitkommen?"
"Mitkommen?" Ich rieb mir die Stirn. Mein Haar war noch feucht.
"Ins 'Paradise'."
"Ach ... Nein, ich will mich lieber wieder hinlegen." Was war das für ein verrückter Traum?
Guntram seufzte. "Du wirst hier noch versauern. Du musst mal unter Leute."
"Nicht heute abend."
"Na schön. Dann eben ein anderes Mal ... Soll ich dir noch ein bisschen Gesellschaft leisten?"
"Das ist lieb, aber ich würde jetzt gern allein sein."
Guntram seufzte wieder. Dann stand er auf.
"Tut mir leid. Aber ich bin wirklich müde."
"Schon gut. Also dann. Ich komme morgen abend vorbei, sobald ich wieder aus Amsterdam zurück bin, okay?"
"Ja. Gute Reise."
"Danke ... Auf Wiedersehen." Guntram küsste mich auf die Wange und ging hinaus.
Ich sah auf die Schokolade. Es tat mir leid, ihn zu enttäuschen, zum Glück hatte er immer Verständnis. Vermutlich ging er jetzt allein noch auf einen Drink.

Auch ich konnte jetzt etwas zu trinken gebrauchen und machte mich auf die Suche.
In der Küche fand ich noch eine halbe Flasche Cognac. Ich nahm sie mit zur Staffelei und setzte mich wieder vor das Gemälde. In einem Lichtschein entdeckte ich ein Haar von einem Pinsel. Behutsam strich ich über die Stelle. Die Lampe war die einzige Lichtquelle auf dem Bild. Nur die Frau mit dem Pagenkopf konnte man deutlich erkennen. Die anderen Personen verschwanden mehr oder weniger im Dunkeln. Ich suchte nach Gesichtern. Ein alter Mann, eine Frau mit verlebtem Gesicht ... Es traf mich fast ein Schlag, als ich den Fremden aus meinem Traum wiedererkannte. Er war die einzige Person, die den Betrachter ansah. Derselbe stechende Blick, dasselbe unverschämte Grinsen. Ich stürzte zum Telefon.
"Guntram? ... Nein, ich will dich nur etwas fragen. Gibt es ein Foto von Vartán?"
Guntram überlegte. Dann sagte er mir, dass er sich umschauen und seinen englischen Kunden fragen würde.

Auch ohne ein Foto war mir klar, dass sich Vartán dort selbst porträtiert hatte. Das hatten schon bedeutendere Maler vor ihm gemacht. Ich legte mich wieder hin. Wer war dieser Mensch? Ein Mörder mit finsterem Aussehen und ein bisschen Talent zur Malerei ...
Der Cognac zusammen mit dem leisen Trommeln des Novemberregens verfehlte seine Wirkung nicht. Es dauerte nicht lange, und ich versank wieder in die seltsame Szene.
Vartán saß an seinem Tisch und starrte zu mir herüber. Langsam ging ich zu den Barhockern und setzte mich.
'Na komm schon', dachte ich. 'Frag mich, ob ich mich zu dir setzen will.'
Nicht zu ihm hinüber sehen, nachher machte er sich noch über mich lustig.
Der Kellner brachte mir einen Gin-Tonic. Hastig trank ich einen Schluck. Warum kam Vartán nicht? Ich trank mein Glas aus und bestellte noch einen Drink.
Was wollte ich eigentlich hier, der Kerl konnte mir doch gestohlen bleiben. Ein zweitklassiger Maler und ... Ich stand auf.
"Sie vergessen zu zahlen, Fräulein!" sagte der Kellner. Genervt suchte ich nach meiner Tasche.
"Tut mir leid, ohne Geld lasse ich Sie nicht gehen!" meinte der Kellner bestimmt.
"Ich habe ja Geld!" sagte ich ungehalten. Die Tasche musste heruntergefallen sein, ich suchte den Boden unter den Hockern ab.
"Gibt es ein Problem?" hörte ich.
"Diese junge Frau kann nicht zahlen."
Ich stand auf und blickte in Vartáns überlegenes Lächeln. Er strich sich mit dem Finger über die Unterlippe.
"Möchten Sie eingeladen werden?" fragte er leicht spöttisch.
Ich biss mir auf die Lippe. Der Kellner blickte gespannt zu mir, dann zu Vartán.
"Ja", stieß ich endlich hervor.
Vartán zog einen Geldschein hervor und reichte ihn dem Kellner. "Bringen Sie uns noch zweimal das, was die Dame gerade hatte."
Leicht umfasste er mich und schob mich in Richtung seines Tisches. Er setzte sich mir gegenüber und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Mein Name ist Vartán. Ich bin Maler."
Erwartungsvoll sah er mich an. Vermutlich hatte er Angst, in meinem Gesicht Missbilligung zu lesen. Viele Maler jeglicher Epochen hatten keinen Erfolg und kein Geld.
"Ein Künstler." sagte ich bemüht freundlich und sah ihm in die Augen. Ich wusste selber aus meinem eigenen Leben, wie überflüssig man sich vorkam, wenn niemand die eigenen Werke beachtete. Außerdem fühlte ich mich ihm ein bisschen verpflichtet.
"Ich würde Sie gern malen."
"Mich? Ach nein, das möchte ich nicht." Ich lachte verlegen.
"Warum nicht?"
"Weil ... " Ich suchte nach einer passenden Ausrede.
"Möchten Sie meine Bilder sehen?"
Froh darüber, das Thema wechseln zu können, stimmte ich zu. Er stand auf und nahm meine Hand. Ich fühlte die Wärme, die Kraft in dieser Berührung. Seine Hände waren nicht schmal und zartgliedrig, wie man es von einem Künstler erwartete. Überrascht bemerkte ich einige feine Narben an seinem Handgelenk.

Wir gingen ganz nach hinten in die dunkelste Ecke der Bar. Hinter einem Samtvorhang befand sich eine Tür. Er hielt mich noch immer an der Hand, als er nach dem Schlüssel suchte. Ich spürte seinen Atem an meinem Hals. Sein Haar roch so vertraut. Und ich wünschte, er würde den Schlüssel nicht finden, dass wir noch ewig so dicht beieinander stehen konnten.
"Ich male vorwiegend Porträts." sagte er und schloss auf.

Sein Atelier war winzig. An den Wänden hingen unzählige Skizzen. Ein paar Leinwände lehnten an einer alten Staffelei. Neben dem Fenster stand ein Bett.
Vartán holte zwei Gemälde aus einem halb zerfallenen Schrank. Es waren Porträts von jungen Frauen. Die eine hatte er offensichtlich auf seinem Bett gemalt, die andere saß auf dem verschnörkelten, alten Stuhl vor der Staffelei. Vermutlich hatte er mit ihnen ein Verhältnis, bevor er sie malte, sozusagen zur besseren Inspiration.
"Sehr nett." sagte ich schroff und sah auf seine leeren Leinwände an der Staffelei.
"Womit malst du?" fragte ich. "Mit Leinöl?" Er blickte mich verwirrt an.
"Unter anderem ... Ich hab auch die Skulpturen von Sanssouci gemalt." Er lief wieder zum Schrank, zog hastig ein kleineres Bild hervor und reichte es mir. Das gefiel mir schon besser.
"War es Frühling oder Sommer, als du es maltest?"
Mir fiel plötzlich auf, dass ich "du" zu ihm sagte.
"Frühling", sagte er. "Es war furchtbar heiß, und Marthe war krank und hatte Fieber."
Ich schluckte. "Wer ist Marthe?"
"Meine Frau." Er lächelte unsicher. "Das Bild ist noch nicht fertig."
"Ich muss jetzt gehen", sagte ich und reichte ihm sein Gemälde.
"Schon?" War das etwa Bedauern in seiner Stimme?
"Ja. Gute Nacht." Mit eiligen Schritten verließ ich den Raum.

Ein Unwetter weckte mich gegen Mittag. Ich versuchte, noch einmal einzuschlafen, aber es gelang mir nicht. Es war schwer für mich, Arbeit liegen zu sehen und nichts tun zu können, aber ohne die Pigmente aus Amsterdam brauchte ich nicht anzufangen. Schließlich raffte ich mich auf, ein paar Lebensmittel einzukaufen.

Auf dem Weg musste ich an der Bibliothek vorbei. Vielleicht gab es Unterlagen aus den Zwanzigern, außerdem konnte ich mich hier gut ein bisschen aufwärmen.
In den Büchern wurde Vartán nicht einmal namentlich erwähnt. Es dauerte Stunden, bis ich einen
winzigen Artikel in einer alten Zeitung fand. Er hatte seiner Frau mit einem Messer die Kehle aufgeschlitzt. Seine Geliebte war anscheinend dabei und verstarb ebenfalls an Schnittverletzungen. Man hatte ihn verhaftet, noch bevor sie tot gewesen war.

Es war schon dunkel, als ich wieder nach Hause kam. Die Laterne vor meinem Fenster warf eigenartiges Licht auf das Bild, so dass ich die Lampen aus ließ und mich wieder vor meine Staffelei setzte. Ich starrte auf den Schatten, der Vartáns Porträt war, ein Mann, der eiskalt seine Frau und seine Geliebte umgebracht hatte. Ich drehte die Staffelei so, dass ich das Bild vom Bett aus sehen konnte. Dann machte ich es mir mit einem Glas Cognac und der Schokolade bequem.

Ich weiß nicht, wie lange ich so gesessen hatte. Endlich betrat ich die Bar. Vartán schien schon auf mich gewartet zu haben, er kam gleich zur Tür, um mich in sein kleines Atelier zu geleiten.
"Ich habe das Bild vollendet." Er zog mich zur Staffelei.
Es war wirklich schön geworden. Die Skulpturen hatten wie die Szene in der Bar diesen eigenartigen braunen Schimmer.
Ich betrachtet sein scharf geschnittenes Gesicht, die hohen Wangenknochen. Seine Augenbrauen waren schwarz wie sein Haar und fast gerade. Er hatte sich nicht rasiert. Mein Blick blieb an seinen für einen Mann erstaunlich vollen Lippen hängen. Er erzählte irgendwas von dem Licht im Park, wie lange er auf die Sonne gewartet hatte, wie schnell die Skulpturen wieder im Schatten des Schlosses verschwunden waren. Ich versank in seiner Stimme, ohne die Worte in mich aufzunehmen.
Er stellte mir irgendeine Frage, und ich lächelte einfach als Antwort. Aufmerksam studierte er mein Gesicht, so dass ich mich ertappt fühlte.
"Wie schaffst du diesen bräunlichen Schimmer in deinen Bildern?" fragte ich schnell. "Mit Sienna?"
"Nein ..." Er fuhr sich durch das Haar und ging zum Fenster. Dann wandte er sich zu mir um. Er trat zu einem kleinen Tisch und öffnete seinen Malkasten. Zwischen den Pinseln blitzte ein Skalpell. Jeder Restaurateur hatte auch so eins zum Entfernen alter Farbreste.
Sein Blick wurde seltsam fremd. "Willst du sehen, wie ich es mache?"
Ehe ich etwas antworten konnte, setzte er das Skalpell an sein linkes Handgelenk und machte einen kleinen Schnitt. Blut quoll hervor. Er ließ es auf die Palette tropfen. Entsetzt und gleichzeitig fasziniert starrte ich auf die hypnotische Farbe.
"Wenn es eingetrocknet ist, löse ich es mit Leinöl an. Damit lasiere ich dann das Bild."
Die Quelle versiegte, die Wunde schloss sich wieder. Langsam kam er zu mir. Ich ergriff sein Handgelenk und suchte den Schnitt, aber ich konnte ihn nicht mehr ausmachen zwischen den Narben. Vorsichtig strich ich über die Verletzungen und sah zu ihm auf.
Sein Blick traf mich heiß, wie ich es schon lange nicht mehr gespürt hatte. Sanft entwand er mir sein Handgelenk, seine Finger strichen meine Handfläche hinauf und schoben sich zwischen meine. Ich sah nur diese wunderbaren, leicht geöffneten Lippen, fühlte den Atem auf meinem Gesicht.
Ein paar schnelle Schritte, die Tür wurde aufgerissen. Ehe ich begriff, hatte er mich losgelassen. Eine junge Frau mit kurzem Haar stand aufgebracht in der Tür. Sie hielt eine kleine Schachtel in der Hand.
"Malst du schon wieder eines von deinen Flittchen?" schrie sie.
"Marthe ..." Vartán ging auf sie zu.
"Verdammter Dreckskerl! Hier, ich hab dir deine Tonsteine gekauft!" Wütend warf sie das Päckchen nach mir. Ich versuchte auszuweichen, aber es traf mich mitten ins Gesicht.

Ich spürte einen dumpfen Schmerz an der linken Wange. Irgendwie musste ich das Gleichgewicht verloren haben und auf die Ecke meines Nachtschranks gefallen sein. Benommen quälte ich mich aus dem Bett, um im Bad ein Handtuch mit kaltem Wasser zu tränken. Tatsächlich hatte ich einen roten Fleck unter dem Auge.
Die Kühlung konnte die Schmerzen kaum lindern. Mit der Cognacflasche legte ich mich wieder auf mein Bett. Vartán sah mich aus der Dunkelheit des Bildes an. Die junge Frau vorn mit dem Lippenstift war Marthe. Er hatte sie direkt ins Zentrum der Leinwand gesetzt, sie war die hellste Gestalt auf seinem Bild. Außerdem hatte er sie schöner gemalt, als sie eigentlich war.
Es war mein Traum, warum war sie darin? Ich nahm einen großen Schluck. Vartáns Bild gehörte im Moment mir. Er gehörte mir, verflucht.

Vartán lag auf seinem Bett, als ich in sein Atelier trat. Erfreut sprang er auf.
"Ich dachte, du kommst nicht mehr." Er nahm meine Hände und zog mich zum Bett.
"Lass mich dich zeichnen. Bitte!"
Ich wollte protestieren, aber er drückte mich sanft auf sein Bett. Behutsam begann er, mein Kleid aufzuknöpfen. Er streifte langsam den Stoff ab. Seine Hände strichen über meine Haut und hinterließen eine brennende Spur von Sehnsucht. Er umfasste meinen Fußknöchel, um mich in die richtige Position zu bringen. Sein Haar kitzelte mich auf der Schulter, sein warmer Atem in meinem Nacken zauberte mir am ganzen Körper eine Gänsehaut.
Er setzte sich auf den Stuhl und begann mit der Zeichnung. Die Kohle kratzte über das Papier, sein Blick erforschte meinen Körper. Im Gegenzug studierte ich sein Gesicht, nahm jede seiner Bewegungen wahr, wie er sein Haar zurück strich oder die Ärmel seines Hemdes hochschob.
Endlich legte er die Kohle fort und kam mit dem Blatt zu mir. Er setzte sich neben mich, ich fühlte den weichen Stoff seines Hemdes auf meiner Haut.
"Wie findest du es?" fragte er. Ich nahm die Zeichnung und legte sie, ohne einen Blick darauf zu werfen, auf den Boden.
Er sah mich an. Vorsichtig ließ ich meine Hand an seinem Bein hinaufgleiten. Ich merkte, wie sich seine Muskeln unter der Berührung anspannten. Zaghaft rieb ich mein Gesicht an seiner unrasierten Haut, bis ich endlich seine Lippen schmeckte. Ich rutschte weiter auf das Bett und zog ihn zu mir. Er ließ es einfach geschehen. Ließ mich gewähren, als meine Zunge seinen Hals hinunter wanderte. Langsam schob ich meine Hand zwischen seine Beine, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ich setzte mich auf ihn und begann, seine Hose aufzuknöpfen, konnte es nicht erwarten, ihn in mir zu spüren. Er atmete tief und schloss die Augen.
Vor dem Fenster hörte man eine Frauenstimme.
"Marthe ... Schnell, dein Kleid." Vartán stieß mich von sich und sprang auf.
"Warum?" Ich schluckte schwer.
"Ich habe ihr versprochen, nur noch sie zu malen."
"Aber du bist der Künstler! Du kannst dein Motiv doch selbst auswählen." Verletzt versuchte ich, mein Kleid wieder über die Schultern zu ziehen.
Er lächelte unsicher, während er sein Hemd hastig zurecht rückte.
"Sie sucht es aus. Sie bezahlt ja auch die Farben und die Leinwand."
Marthe kam ins Zimmer. In der Hand hielt sie eine große Flasche Lösungsmittel. Vartán trat schnell zu ihr. Ihre Augen verengten sich zu zwei funkelnden Schlitzen, während sie mich voller Abscheu musterte. Ich hatte mein Kleid wieder übergezogen und stand auf. Sie stellte die Flasche auf den Tisch.
"Danke." sagte er leise und suchte in ihrem Gesicht nach einer freundlichen Regung.
Marthe hatte mich nicht aus den Augen gelassen. Aber ihr Ausdruck hatte sich völlig gewandelt. Statt Zorn sah ich nun ein überlegenes Lächeln. Sie strich Vartán nachlässig über die Wange. Dann packte sie ihn im Genick und zog ihn zu sich herunter, um ihn zu küssen, Vartán zögerte noch, dann umarmte er sie.
Ich konnte mich nicht bewegen. Fassungslos starrte ich auf das Paar. Marthe schob ihn zu dem Bett, das noch warm von meinem Körper war. Sie riss ihm das Hemd herunter. Anscheinend ohne einen weiteren Gedanken an mich zu verschwenden, gab sich Vartán ihren Umarmungen hin.
Ihr Blick brannte sich in mein Gehirn. Diese Arroganz, dieses Lächeln, das sagte "du willst es, und ich werde es haben". Ab und zu schloss sie genüsslich die Augen, um mich danach erneut mit ihren Blicken zu quälen. Irgendwann stöhnte sie leise und rhythmisch zu Vartáns Bewegungen.
Als ich sein tiefes, stoßweises Atmen vernahm, schoss mir das Blut in den Kopf. Ich spürte meinen Herzschlag in den Schläfen. Auf dem Tisch stand der Malkasten offen. Hell glänzte das Skalpell zwischen den Pinseln.
Es war ganz kalt. Ich presste meinen Zeigefinger auf den Rücken der Klinge.
Seltsam leicht glitt das Metall durch ihre weiße Haut. Vartán schrie auf und sprang zur Seite. Sein Körper war über und über mit Blut bedeckt. Es stieß mit unglaublichem Druck aus ihrem Hals. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
"Was hast du getan?!" schrie Vartán. Er packte meine Hand mit dem Skalpell. Ich zerrte, um mich loszureißen. Nichts als Lügen waren seine Blicke, seine Berührungen. Geliebt hatte er immer nur die andere. Ich begann, ihn zu schlagen. Er umklammerte noch immer meine rechte Hand mit der Klinge und versuchte, den Hieben auszuweichen. Wir stießen gegen den Tisch. Die Flasche fiel herunter und zerbrach. Er hatte mir das Skalpell entwendet und schleuderte mich zu Boden. Tausend Spitzen durchbohrten mich. Das Lösungsmittel brannte furchtbar. Ich ertastete mehrere große Scherben in meinem Hals. Warm und feucht spürte ich den Boden unter meinem Gesicht. Jemand hämmerte draußen an die Tür.
"Mach auf!" schrie eine Männerstimme.
Das Hämmern wurde lauter, es klang, als wollte der Mann die Tür eintreten. Wie Feuer fraß sich die Lösung in meine Haut. Ich stöhnte laut, als ich versuchte, mir eine Scherbe aus dem Hals zu ziehen.
Holz splitterte, Schritte kamen näher. Ein Fremder beugte sich über mich. Weiche blonde Locken umrahmten sein Gesicht. Das war sicher der Kommissar, um Vartán zu verhaften. Bevor es um mich dunkel wurde, blickte ich in seine Augen. Sie waren hell, fast wie von einem Huskey ...

 

Vielen Dank an Somebody. Ich hab fast alle Deiner Vorschläge übernommen. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Vio,

na endlich! Die Reifezeit dieser Geschichte hat ja schon was von einem Schweizer Käse, aber sie mundet wie eisgekühlte Pfefferminztaler.
Mir gefällt sie nach wie vor ausgezeichnet.

Zum Stil: ist wie auch in deinen anderen Stories wirklich gut. Kurz, präzise, dennoch wird alles gesagt. Ich krieg sowas nicht hin, gerate immer wieder ins Schwallern.
Beispiel:

Ich hasste den Frühling und den Sommer mit ihren Pärchen und lachenden Kindern. Sie gaben mir immer das Gefühl, eingesperrt zu sein und durch ein geschlossenes Fenster ins Leben zu schauen, ohne je die Tür zu finden.
Der gesamte erste Absatz, so kurz er auch ist, führt dem Leser (jedenfalls mir) das melancholische Bild einer zurückgezogen lebenden Person vor Augen. Die zitierte Passage finde darüber hinaus ausgezeichnet formuliert.

Dialoge: astrein! Sehr realitätsnah. Beispiel:

"Wer sollte das sein?"
"Der Maler heißt Vartán. Schon mal gehört?"
Der Kellner brachte den Tee.
"Vielen Dank ..." Guntram zahlte gleich. Ich blickte in meine Tasse, bis der Kellner gegangen war.
"Vartán? ... Nein, den kenne ich wirklich nicht."
Diese Unterbrechung durch den Kellner ist „wie aus dem Leben“, macht den Dialog lebendig. Und das gilt generell für deine Dialoggestaltung – „natürliche“ Wortwahl, Gedankensprünge, Wendungen und Unterbrechungen, wie sie in einem Gespräch häufig vorkommen... genau mein Ding.

Die Handlung selbst ist sehr glaubwürdig im Malermilieu angesiedelt, man merkt, daß du nicht „fachfremd“ bist. Da ich mich in diesem Bereich nicht gerade sehr gut auskenne (der einzige Friedrich, den ich aus der „Kultur“ kenne, ist das animierte Knetmännchen, das mit seinem Zwilling als Friedrich & Friedrich in der ARD-Vormittagsserie „Luzie, der Schrecken der Straße“ für so manche Dönekes gut war – die älteren unter uns werden sich erinnern :D), war es für mich eine wohltuende inhaltliche Abwechslung im Vergleich zu den gehäuften Gedärmeeruptionen in dunklen Hinterhöfen etc.
Kein Horror, dafür surrealer Grusel, dem eine wunderbare melancholische Grundstimmung anhaftet – da bin ich immer gern dabei :)

Zu dem einen Punkt, der dir soviel Sorge bereitet hat, kann ich nur sagen:
Papperlapapp, wohldosiert umgesetzt, nicht im geringsten lächerlich.

Eine Frage habe ich aber: durchlebt die Prot. noch einmal die damalige Mordnacht in ihren Gedanken oder stirbt sie tatsächlich zum Schluß? Vielleicht habe ich etwas übersehen, aber das wurde mir jetzt nicht so deutlich.

Krimskrams:

Meistens dauerte es sehr lange, bis ich mit einem Bild zufrieden war.
Meist dauerte es sehr lange...?

Der Kellner trat an unseren Tisch, und Guntram bestellte Tee.
Hm, ohne und gefiele es mir besser.

Es war mir unbehaglich, wie der Kellner mich anstarrte.
Sagt man das so? Bin mir jetzt selbst nicht sicher.
Evtl.: Es war mir unangenehm...?

Man hatte ihn wegen Mordes an zwei Frauen überführt.
„Man hatte ihn des Mordes an zwei Frauen überführt.“?

Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, wie er seiner aufgebrachten Frau beteuerte, dass dies ein Kunstwerk von hohem Wert darstellte und nicht etwa nur eine schlüpfrige Szene an einem Nudistenstrand.
:D
Es lebe die Kunst!

Soll dir noch ein bisschen Gesellschaft leisten?
Soll ich dir noch...

Sodale, das war´s von mir.

Fazit: klasse Geschichte, angenehm unblutig und melancholisch, töfte Stil, astreine Dialoge, erfrischend anderes Ambiente.

Viele Grüße,
Some

 

Hi Vio,

auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen.

Deine Prot ist fassziniert von dem Maler Vartan.
Ihre Gedanken kreisen nur noch um ihn. In ihren Träumen wird sie von ihm besessen. Sie weiß von seiner Frau, von der Geliebten, die beide von ihm ermordet wurden.
Das verarbeitet sie in ihrem Traum.
Das Erlebte ist für sie wie Realität.
Nicht nur ihr Geist, sondern auch ihr Körper, sind mitten im Geschehen.
Während Vartan sie, im Traum, zu Boden reißt, fällt dein Prot wirklich aus dem Bett. Oder ist vorher schon als Schlafwandlerin aufgestanden.

Der Körper kämpft mit dem imaginären Maler. Sie reißt die Flasche vom Tisch.
Der Malkasten fällt ebenfalls. Die Flasche geht zu Bruch, Scherben bohren sich in ihren Hals. Die Flüssigkeit brennt in den Wunden. (real)
Traum und Realität vermischen sich. Es klopft an der Tür (real).
Guntram findet sie.
Noch halb im Traum gefangen, erkennt deine Prot ihn nicht.
Ihr fallen nur seine Blauen Augen auf.

Nun könnte man meinen, das Vartans Blick aus dem Bild, seine Betrachterinnen
verhext. Das er sich in ihren Geist schleicht und das Drama seines Lebens, sich immer wiederholt, so bald ein weiblicher Geist, offen dafür ist.
Das würde bedeuten, dass es in Zukunft nicht nur bei einem Opfer bleiben wird. :hmm:

Ein schöner, leiser Grusel, der mir auch mehr liegt, als blutiges Gemetzel.
Nun würde es mich doch interessieren, ob ich mit meiner Interpretation richtig liege. :)

Lieben Gruß,
coleratio

 
Zuletzt bearbeitet:

Caspar David Friedrich? (Prahl… )
:bonk:

Jetzt, wo du es sagst, fällt er mir wieder ein. Modernes Banausentum... shame on me.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Somebody,

stimmt schon, die Geschichte hing etwas lange auf der Festplatte rum. Wenn sie Dir immer noch gefällt, habe ich sie ja nicht verschlimmbessert.
Freut mich echt, dass Du die melancholische Stimmung gut findest, wo Du doch so einfühlsam schreibst.

<< Zu dem einen Punkt, der dir soviel Sorge bereitet hat, kann ich nur sagen:
Papperlapapp, wohldosiert umgesetzt, nicht im geringsten lächerlich.>>

Gut, da fällt mir ein Klumpen von der Schreiberseele.

<< Eine Frage habe ich aber: durchlebt die Prot. noch einmal die damalige Mordnacht in ihren Gedanken oder stirbt sie tatsächlich zum Schluß?>>

Sie stirbt tatsächlich, es ist so, wie coleratio schrieb.

Hehe, den Knetfriedrich kenne ich natürlich auch. Aber sie ist ja Malerin ...

Nochmals vielen lieben Dank für Deine Hilfe und die Kritik, bei einigen Punkten schwanke ich noch, andere werde ich sofort ändern.

vio


Hallo coleratio,

das freut mich sehr, dass Du die Geschichte mochtest. Du hast eine Menge erkannt, in der Tat:

<<Deine Prot ist fassziniert von dem Maler Vartan.
Ihre Gedanken kreisen nur noch um ihn. In ihren Träumen wird sie von ihm besessen. Sie weiß von seiner Frau, von der Geliebten, die beide von ihm ermordet wurden.
Das verarbeitet sie in ihrem Traum.
Das Erlebte ist für sie wie Realität.
Nicht nur ihr Geist, sondern auch ihr Körper, sind mitten im Geschehen.
Während Vartan sie, im Traum, zu Boden reißt, fällt dein Prot wirklich aus dem Bett. Oder ist vorher schon als Schlafwandlerin aufgestanden.

Der Körper kämpft mit dem imaginären Maler. Sie reißt die Flasche vom Tisch.
Der Malkasten fällt ebenfalls. Die Flasche geht zu Bruch, Scherben bohren sich in ihren Hals. Die Flüssigkeit brennt in den Wunden. (real)
Traum und Realität vermischen sich. Es klopft an der Tür (real).
Guntram findet sie.
Noch halb im Traum gefangen, erkennt deine Prot ihn nicht.
Ihr fallen nur seine Blauen Augen auf.>>

Das stimmt alles. Durch Deine Interpretation hast Du noch eine ganz andere Sichtweise in die Geschichte eingebracht, nämlich:

<<Nun könnte man meinen, das Vartans Blick aus dem Bild, seine Betrachterinnen
verhext. Das er sich in ihren Geist schleicht und das Drama seines Lebens, sich immer wiederholt, so bald ein weiblicher Geist, offen dafür ist.
Das würde bedeuten, dass es in Zukunft nicht nur bei einem Opfer bleiben wird.>>

Darüber habe ich ehrlich noch gar nicht nachgedacht, aber es stimmt, sobald ein weiblicher Geist dafür offen ist, könnte sich die Geschichte wiederholen. Eigentlich ist ja die Protagonistin die Mörderin, aber wiederum auch nicht, wenn man den Maler als Verursacher ansieht. Der eigentlich gierige Schatten liegt jedoch für mich in der Protagonistin. Sie ist unfähig, das Leben zu genießen und drückt ihren Neid aus, indem sie die lachenden Menschen und Liebespärchen hasst. Sie könnte einen Mann haben, der aufmerksam ist zu ihr, der ihr zuhört und sich um sie sorgt. Aber sie findet einen fadenscheinigen Grund - das Alter - um Nähe nicht zuzulassen bzw. es zumindest mal zu versuchen. Sie verliebt sich lieber in eine unrealistische Person, auf die sie ihre eigenen Begierden projizieren will. Das ist für sie viel ungefährlicher, denn sie muss sich ja nicht wirklich auf eine Beziehung einlassen. Sie gibt sich unnahbar und wünscht sich, Vartán würde auf sie zugehen. Eigentlich nur, um ihn wieder abzuweisen. Als er sich ihr dennoch nähert, vermutet sie, dass sie nun am Ziel ihrer Wünsche ist. Er jedoch bleibt passiv. Er ist unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen, lässt mit sich machen. Seine Entscheidungen trifft seine Frau Marthe, von der er finanziell abhängig ist. Sie weiß das und benutzt ihre Macht. Seine einzige Möglichkeit zu rebellieren, sofern man das so nennen kann, ist, die Gelegenheiten wahrzunehmen, sie vielleicht zu betrügen. Erst als die Situation eskaliert handelt er, dann ist es jedoch zu spät für ihn, es passiert das Unglück und er wird für schuldig gehalten.

Deine Interpretation passt völlig, sobald ein weiblicher Geist so ist wie die Protagonistin, wird sich die Geschichte wiederholen. Vielen Dank für's Lesen und für Deine Gedanken und neuen Aspekte. :)

vio


Hallo schwarze Quanten-Durchlaucht (auch ein Insider ...),

toll, dass Dir die Geschichte gefällt. Zumal ich mich auf unbekanntem Terrain bewege. Dass Du frische Ideen als mein Markenzeichen siehst, ist ein sehr großes Kompliment.

Ich vermute mal, dass Dich der Titel stört, weil er so plump daherkommt. Mit dem gierigen Schatten ist aber nicht Vartán gemeint, sondern das Unbewusste der Protagonistin, die Gier nach Leben, die sie nicht bewusst zulassen will (Licht = Bewusstsein, Schatten = Unbewusstes). Ich hab oben ein bisschen Deutung hingeschrieben.

<< Sicherlich Caspar David Friedrich?>>

Hehe, na klar.

<< Klar – wer zuvor einen Friedrich fälschte, verbraucht Braun en masse – das war nämlich seine bevorzugte Farbe… PRAHL!!! (Okay, okay, ich gestehe: ohne Brockhaus wäre ich aufgeschmissen)>>

Das war mir gar nicht bewusst, aber Du hast absolut recht (also jetzt nicht, dass Du ohne den Brockhaus aufgeschmissen wärst).

Du hast recht, ich drücke mich manchmal etwas kompliziert aus. Deine Kritikpunkte lasse ich mir noch durch den Kopf gehen, bei einigen sehe ich sofort, dass Du recht hast.

<< „Möchten Sie meine Bilder sehen? Mein Atelier ist gleich hier im Hinterzimmer.“>>

Hehehe, entschuldige, aber das klingt für mich wie "Darf ich dir mal meine Briefmarkensammlung zeigen". Vielleicht fällt mir noch was ein, dass es nicht so verwunderlich wirkt. Aber eigentlich will sie ja und ziert sich nur so, unter dem Vorwand die Bilder zu betrachten, kann sie ohne Probleme zusagen. Dass er ihr eigentlich wirklich nur die Bilder zeigen will, enttäuscht sie dann und daher ist sie so versessen, wieder in den Traum zu gelangen und wird dann endlich selber aktiv.

Hmm, ich dachte immer, Pagenschnitt wäre kurzes Haar. Ich hatte sogar im Internet Bilder gesucht. Muss ich nochmal checken. Aber Längen sind ja auch relativ ...

Der Punkt, der mir Kopfzerbrechen bereitete, war die Verführungsszene. Ich finde es schwierig, es sollte ja nicht unfreiwillig komisch wirken. Aber da Dir keine solchen Sorgenpunkte aufgefallen sind, bin ich beruhigt.
Vielen Dank für's Lesen und Deine Anmerkungen!

vio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo vio!

Tja, was soll ich sagen: Nachdem meine Vorredner so gut wie alles gesagt haben, droht dieses hier eine berüchtigte "Alles prima"-Kritik zu werden.

Ich habe die Story auf Anraten eines Mitglieds dieses Zirkels hier gelesen und ich möchte ihm zurufen: Nur zu, unbekannter Freund, weiter so mit diesen Tipps! :D

Hat mir sehr gut gefallen, das Teil, ehrlich. Ich war nicht drauf gefasst, soviel Abgeklärtheit und Souverenität hier in diesem Forum anzutreffen. Wie Somebody schon sagte, du weißt, wovon du schreibst und das macht sich bemerkbar.
Auch dein Stil gefällt mir ausgezeichnet, du traust dem Leser was zu, gibst nicht alles vor, lässt Raum für die Fantasie. Kurze Beschreibungen, die meist nur andeuten - sehr schön.

"Ein Maler, den ich nicht kenne?" Eigentlich kannte ich mich sehr gut aus. "Welches Jahrhundert?"

Das ist das einzige, das ich mir anstrich (wahrscheinlich auch, weil du die Tipps meiner Vorredner schon beherzigt hast). Ich würde den Mittelteil (Eigentlich...) umändern in eine Beschreibung à la Ich zog die Stirn in Falten oder etwas weniger abgedroschenes. Denn die Charakterisierung findet tatsächlich woanders und mit anderen Mitteln statt. Aber auch hier gilt wie immer: Rein subjektiv.

Was wollte ich sonst noch sagen? Ach ja, irgendwie war ich an Munch erinnert, teilweise auch an den Amerikaner, der diese trüben Großstadtszenen malte, wie hieß er nur? Hopper natürlich.

Nebenbei: Ein Grund, warum ich die Story nicht eher las, lag in dem Titel. Ich möchte mich da fast Blackwood anschließen; gierig ist ein scharfes Wort, das m. M. nach nichts in einer Überschrift verloren hat. (Subjektiv :D )

Bis dahin, ich glaube ich werde mal aus diesem Gefängnis hier (dem Horror-Forum) ausbrechen und mich auf andere deiner Stories einlassen. Aber natürlich erst, wenn ich meine Aufgaben erfüllt habe.

Viele Grüße von hier!

 

Hallo Hanniball,

die Worte "Abgeklärtheit" und "Souveränität" habe ich mir jetzt ein paar Mal auf der Zungen zergehen lassen. Freut mich echt, dass Dich die Geschichte so positiv überrascht hat und dass sie Dich an Stimmungen in Gemälden erinnerte.

Seit Blackwood seine Anmerkung zu dem Titel gemacht hat, überlege ich schon, ob ich nicht einen weniger banalen finde. Bis jetzt ist mir nichts eingefallen, vermutlich, weil ich den richtigen Abstand noch nicht habe, aber er scheint echt abschreckend zu sein.
(Komischerweise habe ich schon wieder einen Titel mit dem Wort "gierig" fabriziert.)

Das ist das einzige, das ich mir anstrich (wahrscheinlich auch, weil du die Tipps meiner Vorredner schon beherzigt hast). Ich würde den Mittelteil (Eigentlich...) umändern in eine Beschreibung à la Ich zog die Stirn in Falten oder etwas weniger abgedroschenes. Denn die Charakterisierung findet tatsächlich woanders und mit anderen Mitteln statt.

Damit hast Du recht, ich werde das ändern.

Vielen Dank für die Anmerkungen, für's Lesen und die positive Kritik!

Und natürlich auch vielen Dank an den unbekannten Freund für den Hinweis.

vio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo vio,
Da deine Geschichte (fast) perfekt ist, möchte ich sie noch einmal nach vorne stellen.
Nach dem Lesen dachte ich: Perfekt. Ein Stein sitzt nahtlos auf dem anderen:
Die einsame Malerin, der Auftrag, der ihr zufällig das Bild bringt. Der dezente Hinweis und dann ein schönes offenes Ende. Großes Lob auch für die Sachkentniss im bezug auf die weißen Pigmente. Da bist du in einer Liga mit Donna L.

Erster und vordergründig einziger Schwachpunkt ist der Titel: Er wirkt reißerisch und hätte mich nicht zum Lesen animiert.
Dann sind mir nach "krampfhafter Fehlersuche" noch folgende Kleinigkeiten eingefellen:

Zuerst dachte ich, dass es ein männlicher Protagonist ist und dass er älter ist, weil "er" den Frühling haßt.
Später wird klar, dass sie noch ziemlich jung ist.

Wäre er nicht zwölf Jahre älter, hätten wir ein Paar sein können.
Er will ja anscheinend gerne... Sie ist ca. 28, er 40. Das sollte doch kein Hinderniss sein?

L.G.
Bernhard

 

Hallo Bernhard,

vielen Dank für Deine außerordentlich positive Kritik. :)
Der Titel behagt mir selber nicht wirklich, aber mir fällt in dieser Hinsicht selten was Passendes ein. Damit gemeint ist auch die Schattenseite der Protagonistin, die ja eigentlich nach Leben und Liebe giert, aber mit ihren Illusionen („Bildern“) so behaftet ist, dass sie die Liebe in ihrer näheren Umgebung nicht erkennen kann, sondern sich in ein Trugbild verliebt, auf den sie ihre dunkle Seite und die Vorstellungen des Prototyps ihres Traummannes projiziert. Das ist die Sache, die sie hätte vom Leben lernen müssen: Sie erwartet den Mann, den sie sich in ihren Träumen vorstellt, den es niemals geben kann, weil er einfach unmenschlich wäre, perfekt auf sie und vor allem ihre Bedürfnisse und Vorstellungen zugeschnitten. Jedoch wird sie auf die Tatsache zurückgeworfen, dass sie einen Menschen als Partner haben wird, so wie auch sie „nur ein Mensch“ ist. Daher entpuppt sich auch das Traumbild als Mann, der menschlich ist, der Schwächen hat, und in der Tat ist ja jemand, der sich von einer Frau aushalten lässt, obwohl er eigentlich längst gemerkt hat, dass er unheimlich abhängig ist, dass er die Ehefrau vielleicht gar nicht liebt bzw. es nicht mehr merken kann, weil alles überlagert ist durch die Abhängigkeit, in der Tat ist so jemand sehr entfernt von dem heißen Liebhaber, der die Protagonistin von ihrem einsamen Leben erlösen hätte können. (Das passiert im wirklichen Leben auch so, wenn der klassische Liebhaber mit den roten Rosen plötzlich gar nicht mehr romantisch ist, wenn die Beziehung in die Alltäglichkeit eingeht und jeder seine eigene Interessen wieder verfolgt und plötzlich nichts mehr zusammen geht). Sie schafft es nicht, den Mann in ihrer Umgebung zu erkennen, der sie vielleicht glücklich machen könnte. Daher findet sie auch diese fadenscheinigen Argumente, er wäre zu alt. Seine Schwächen kennt sie. Bei dem anderen kann sie sie zunächst nicht sehen, er scheint zunächst perfekt zu sein.

Warum Du zuerst gedacht hattest, es wäre eine männliche Hauptperson, habe ich anhand der Sätze noch nicht herausgefunden. Vielleicht erwartet man als Leser/Leserin das eigene Geschlecht in einem Ich-Erzähler? Ich weiß es nicht, vielleicht komme ich noch drauf, was so männlich an den ersten Sätzen ist, bisher habe ich es nicht gesehen.

Vielen Dank nochmal für`s Lesen und die Kritik,

vio

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom