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Glasbruch
Glasbruch
Die viersitzige Maschine zog eine Runde über dem kleinen Flughafen von Neiva. Die linke Tragfläche senkte sich bedenklich herab, der Pilot musste nachtrimmen. Bruno spürte, wie sein Magen nach oben stieß. Er sah aus dem Seitenfenster. Die Piste des Flughafens und der Wellblechtower drehten sich unter ihm hinweg. An den Tower war ein Wellblechflachbau angeschlossen.
Schwankend setzten sie auf der rissigen und verschmutzten Piste auf. Außer Bruno befanden sich zwei mexikanische Geschäftsleute an Bord, und eine übergewichtige Schwarze, die heftig schwitzte und in ein rauschendes Kleid aus Kunstseide gehüllt war. Die beiden Mexikaner waren betrunken, ebenso der Pilot, der über Funk mit dem Tower verhandelte. Bruno konnte die beiden Lotsen sehen, die hinter einer im Halbrund verlaufenden Fensterfront standen.
Die kleine Maschine schwenkte ein und verließ die Landebahn, die einzige, über die der Flughafen verfügte. Vor dem Tower kam sie, zwischen zwei anderen Sportflugzeugen, zum Stehen. Als der Pilot den Motor abstellte, drangen schwarze und ölige Rauchwolken aus dem Aggregat. Knatternd und von Fehlzündungen unterbrochen, kam es zum Stillstand.
„Kommen Sie, meine Herrschaften.“ Das war der Pilot. Sein Gesicht war gerötet. Während des Fluges von Panama hatte er eine halbe Flasche Whisky geleert. Sein Ton duldete keinen Widerspruch. Bruno erhob sich folgsam, ließ jedoch der dicken Schwarzen den Vortritt. Er war darauf bedacht, nicht aufzufallen.
Es war früh am Nachmittag und heiß. Die Sonne knallte grell herab. Bruno kniff die Augen zusammen. Er trug einen hellen, leichten Anzug von Hugo Boss. Über der linken Schulter trug er einen Rucksack, in dem sich neben Wäsche, Kleidung und ein paar persönlichen Kleinigkeiten sein ganzes Vermögen, etwa fünfzehntausend Euro, befanden.
Die kleine Gruppe musste durch den Flachbau hindurch. Ein Drahtzaun verwehrte den Passagieren, den Flughafen über den Randstreifen zu verlassen. Im Innern des Baus herrschte ein angenehmes Halbdunkel, das es den Augen gestattete, sich zu erholen. Dafür war die Temperatur geradezu unerträglich, denn die Sonne heizte den Blechschuppen unerbittlich auf.
Vor dem Gebäude standen zwei oder drei alte amerikanische Limousinen, die als Taxis fungierten. Die Fahrer lehnten lässig in der Tür und betrachteten die Reisenden, die es in das Provinznest verschlagen hatte. Bruno gab einem der Fahrer ein Zeichen.
„Guten Tag, Senor“, sagte der. Er machte Anstalten, Bruno den Rucksack abzunehmen. Bruno wehrte ab. Er setzte sich auf den Beifahrersitz. Den Rucksack verstaute er in dem Leerraum zu seinen Füßen. Über ein Kühlaggregat verfügte der alte Wagen nicht, doch er hatte im Schatten des Towers gestanden. Die Temperatur im Wageninnern war erträglich.
Der Fahrer grinste seinem Kollegen zu. Dann setzte er sich auf den Fahrersitz, warf einen Blick in den Rückspiegel und knallte die Tür zu.
„Wohin darf ich Sie bringen, Senor?“ fragte er. Bruno überlegte. Wenn er sagte: „Bringen Sie mich in irgendein Hotel“, dann bewies er mangelnde Ortskenntnis. Der Fahrer würde ihn kilometerweit im Kreis herumfahren, und ihm dann einen horrenden Fahrpreis berechnen.
„Ins Hotel central“, sagte er. Das konnte alles bedeuten, und nichts. Der Fahrer schien zu verstehen. Er startete den Wagen und fuhr an.
Neiva war eine mittlere Stadt in den Kordilleren Kolumbiens. Sie besaß altspanisches Gepräge. Häuser mit überdachten Seitengängen und hohen, schießschartenähnlichen Fenstern beherrschten das Straßenbild. Überall gab es Parks mit einer verschwenderischen Pracht an Blüten. Zu sehen waren Bougainvilleen mit malvenfarbenen Hochblättern, weißer Oleander, dunkelroter Hibiskus und weiße, fleischfarben gesprenkelte Orchideen. Dazwischen standen die knorrigen Stämme der Palmen. Süßer Duft erfüllte die Luft. Ein steter, warmer Wind blies durch die Straßen.
Bruno lehnte sich zurück. Er hatte sich nicht getäuscht. In der kleinen Stadt interessierte es keinen Menschen, warum er in Kolumbien eingereist war, und was er dort wollte. Absichtlich hatte er nach seiner Flucht aus Frankfurt am Main eine Reihe von Zwischenstationen eingelegt. Mit dem Zug war er nach Paris gefahren. Von dort mit der Interkontinentalmaschine nach New York. Weitere Stationen waren Phoenix, Mexiko City und Panama City gewesen. Von einem winzigen Kaff in Panama war er dann nach Neiva geflogen.
Ein internationaler Haftbefehl lag gegen ihn vor. Mit seiner kleinen Firma, die Hochtemperaturkeramik herstellte, war er in Konkurs gegangen. Einige teure Maschinen, die zur Konkursmasse gehörten, hatte er verkauft. Weil er dadurch neben deutschen auch britische und US-amerikanische Geschäftsleute geschädigt hatte, suchte ihn jetzt Interpol. Überstürzt hatte er das Land verlassen müssen. Von seinem Geld hatte er nur die fünfzehntausend Euro retten können, die er bei sich hatte.
„ El mejor hotel posible“, sagte der Fahrer und hielt den Wagen an. Bruno sah aus dem Fenster. Das Hotel war ein imposanter, mehrstöckiger Bau, der die Form eines „H“ aufwies. Gepflegte Anlagen in dem zur Straße gelegenen Geviert, das von den Wänden eingefasst wurde, bewiesen, dass Bruno nicht in einem Elendsquartier gelandet war. Über dem Eingang stand „Ruiz“, in mächtigen Metalllettern.
„Ochenta pesos“, sagte der Fahrer. Bruno hatte keine Ahnung, wie viel Geld achtzig Pesos waren. Er zog seine Brieftasche aus dem Jackett und reichte dem Fahrer eine Zwanzig-Euro-Note. Der grinste, tippte an seine Basketballkappe und sagte: „Bueno“.
Eineinhalb Stunden später hatte Bruno geduscht und frische Wäsche angezogen. Er saß in der klimatisierten Hotelbar und nippte an einem eiskalten Longdrink. Gelangweilte Geschäftsleute, die meisten von ihnen Einheimische, standen oder saßen mit ebenso gelangweilten Frauen herum und unterhielten sich. Keiner beachtete ihn.
Bruno hätte gerne Evelyn angerufen. Sie machte sich bestimmt Sorgen. Doch ihr Telefon wurde ebenso bestimmt abgehört, und ihre Post kontrolliert. Sein Handy hatte er gar nicht erst mitgenommen, denn er wusste, wie leicht er darüber zu orten war. Bruno überlegte. Er musste einen Bekannten ausfindig machen, den die Polizei nicht kannte. Vor seinem geistigen Auge ließ er alle möglichen Leute Revue passieren, darunter ehemalige Lehrer und Dozenten. Noch fiel ihm niemand ein, der geeignet war.
Nach ein paar Tagen hatte Bruno sich akklimatisiert. Sein Spanisch wurde besser, seine Unsicherheit verschwand. Er bekam einen dunklen Teint, und er passte sich an die südamerikanische Lebensweise an. Wenn er durch die Straßen ging, war er von einem Einheimischen nicht mehr zu unterscheiden.
Wie es weitergehen sollte, davon hatte er noch keine konkrete Vorstellung. Sein Geld würde eine Weile reichen. Irgendwie musste er Evelyn eine Nachricht übermitteln. Sie war Gymnasiallehrerin in Frankfurt und hatte sich schon oft über ihr langweiliges Leben beklagt. Nun würde sie die Gelegenheit für einen Neubeginn erhalten. Warum sollte er nicht mit ihr irgendwo in Südamerika eine neue Existenz aufbauen?! In einem Vierteljahr war Gras über die Sache gewachsen, da konnte sie nachkommen, ohne aufzufallen.
Als er am Abend ins Hotel zurückkehrte, war sein Zimmer durchsucht worden. Das Bett war zerwühlt, der Kleiderschrank aufgebrochen. Sein Geld hatte er im Zimmer versteckt, denn er traute dem Schließfach nicht. Das Geld war verschwunden.
„Verdammt!“ Fluchend setzte er sich aufs Bett, zu aufgebracht, um in Ruhe nachzudenken. Nach und nach kehrte Ordnung in seine Gedanken ein. Eins war klar: zur Polizei konnte er nicht gehen. Und ebenso wenig konnte er sich bei der Hotelleitung beschweren, denn die würden im Zweifel ebenfalls die Polizei verständigen. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte: das Geld war fort.
In seiner Brieftasche befanden sich neben etwa zweitausend kolumbianischen Pesos noch rund vierhundert Euro. Das „Ruiz“ musste er verlassen, und zwar sofort.
„Die Rechnung, bitte“, sagte er zu dem Empfangschef am Tresen, der damit beschäftigt war, Namen und Daten von einem Zettel in den Computer zu übertragen. Der ließ sich nicht anmerken, ob ihm die überstürzte Abreise des Gastes absonderlich erschien, sondern fuhr ungerührt in seiner Beschäftigung fort. Nach einigen Minuten begann der Drucker zu arbeiten. Den Ausdruck präsentierte der Mann Bruno.
„Eintausendzweihundert Peso, Senor“, sagte der Mann. Bruno zahlte. Dann war er draußen auf der Straße, die abendlich belebt war. Ein paar hundert Meter weiter fand er eine Absteige, in der die Übernachtung für dreißig Peso zu haben war. Das Zimmer, in das ihn ein grinsender Junge führte, stank nach verschwitzter Bettwäsche und nach einer verdreckten Toilette. Bruno drückte dem Jungen ein Trinkgeld in die Hand und war einen Augenblick später allein.
Zwar trug er noch einen teuren Anzug, doch der war bereits schmutzig und zerknittert, und an einigen Stellen zerrissen. Wenn er mit seinem Rucksack durch die besseren Gegenden der Stadt ging, dann erntete er missbilligende Blicke. Von seiner Barschaft geblieben waren ihm noch fünfzig Peso. Wenn die verbraucht waren, dann war er mittellos.
Als er an einem Imbiss vorbeikam, an dem es appetitlich nach gebratenem Fleisch roch, spürte er nagenden Hunger. Seit zwei Tagen hatte er nichts mehr gegessen. Es war sinnlos, seine Flucht fortzusetzen. Selbst das Leben in einem deutschen Gefängnis war diesem Leben hier vorzuziehen.
Er trat an den Stand und wies auf die gebratenen Hähnchen, die sich im Grill drehten.
„Geben Sie mir eines davon, Senor.“
Der Inhaber sah ihn misstrauisch an. Bruno seufzte und warf einen Blick auf das Blechschild neben dem Imbiss. Dort stand zu lesen, dass ein Hähnchen dreißig Peso kostete. Bruno zog seine Brieftasche.
„Bitteschön, dreißig Peso“, sagte er in einem Ton, der zwischen übertriebener Ehrerbietung und Vorwurf schwankte. Der Inhaber steckte das Geld ein, ohne auf Brunos labile Stimmung einzugehen, und servierte ihm ein Hähnchen auf einem Pappteller.
Bruno hieb seine Zähne in das saftige Fleisch, wohl wissend, dass dies seine letzte Mahlzeit in Freiheit war. Er beschloss, den Rest seiner Barschaft zu vertrinken. Anschließend würde er sich der Polizei stellen. Seine fettigen Finger wischte er an einer Papierserviette ab, von denen ein Stapel auf dem Imbisstresen lag.
Eine kleine Bodega, die sich – es war Abend – gerade zu füllen begann, erschien ihm geeignet. Zwar stank es darin nach Rattendreck, und mit den schmierigen Typen, die an dem Tresen herumlungerten, war sicherlich nicht gut Kirschen essen. Doch ein Whisky kostete nur fünf Peso.
Eine Stunde und vier Whisky später stand Bruno wieder auf der Straße. Nun, da der Moment gekommen war, sich der Polizei zu stellen, zögerte er. Warum sollte er nicht noch einige Stunden seine Freiheit genießen?! Er war satt, er war betrunken, und vielleicht schenkte ihm ein gnädiges Schicksal noch an diesem Abend eine Million Peso.
Leicht schwankend ging er die abendliche Straße entlang. Er befand sich in einer ärmlichen Gegend und fiel in seiner Betrunkenheit und mit seiner abgerissenen Kleidung nicht auf. Als er müde wurde, setzte er sich auf den Rinnstein.
Es war Vollmond. Sein milchiges Licht beschien die ansonsten unbeleuchtete Gasse. Obstschalen, Papierknäuel und Unrat lagen in der Gosse. Bruno dachte an Evelyn.
„So weit ist es mit mir also gekommen“, lallte er. Dann legte er sich kurz entschlossen zu dem Unrat.
Etwas Hartes drückte sich in seinen Rücken, machte es ihm unmöglich, sich auszustrecken. Er tastete danach und hielt einen Augenblick später einen Würfel in der Hand. Der Würfel war völlig regelmäßig geformt. Die Oberfläche war glatt, doch es war etwas hineingraviert, das er in dem Halbdunkel nicht erkennen konnte. Der Würfel war schwer und schien aus einem Mineral zu bestehen.
„Ist das Edelstein?“, fragte Bruno und erhob sich. Suchend blickte er sich um. Weit und breit gab es keine Laterne und kein erleuchtetes Fenster. Er musste zurück auf die Hauptstraße.
Nach einem langen Weg fand er schließlich ein hell erleuchtetes Schaufenster. Der Würfel war dunkelgrün, mit abgerundeten Kanten. Auf jeder Seite war eine römische III hineingeschnitzt, die silbern ausgemalt war. Der Würfel konnte wertvoll sein.
Bruno warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war zehn Uhr abends. Ein kleiner Laden, nicht weit entfernt, hatte noch geöffnet. Die Tür stand weit offen. Bruno trat ein.
„Guten Abend“, grüßte er den Inhaber, der ihm aus dem Ladeninnern entgegenkam. Der Mann sah ihn verwundert und misstrauisch an.
Bruno legte den Würfel auf den Ladentisch. „Den möchte ich verkaufen“, sagte er.
Der Mann warf einen Blick auf den Würfel und lachte. „Dafür bekommen Sie nichts, Senor. Der ist wertlos.“
„Aber er ist aus Edelstein“, beharrte Bruno.
Wieder lachte der Mann. „Er ist aus Obsidian, Senor, aus vulkanischem Glas. Diese Würfel sind Touristenkitsch. Ich verkaufe sie selbst in meinem Laden.“
Damit wies er auf das Regal an der Wand. In einem der Fächer lagen einige Würfel, die dem von Bruno völlig glichen, mit dem einzigen Unterschied, daß zwei von ihnen schwarz waren.
„Ich bekomme jeden Monat einen ganzen Karton davon geliefert, Senor“, sagte der Mann. „Ins Regal stelle ich immer nur drei oder vier, damit die Touristen sie für wertvoll halten. – Schauen Sie einmal.“
Damit zog er einen Pappkarton unter dem Ladentisch hervor und gab Bruno ein Zeichen, um den Tisch herumzukommen. Offensichtlich hatte der Mann sich von Brunos Harmlosigkeit überzeugt.
In dem Karton befanden sich noch etwa zehn der Würfel. Eine Aufschrift auf dem Karton bewies, dass er ursprünglich einmal fünfhundert davon enthalten hatte.
„Der Lieferant kommt noch heute Abend, Senor“, sagte der Mann. „Die Fabrik ist ganz in der Nähe, etwa zwei Stunden mit dem Auto entfernt. Ich sag dem Fahrer, dass Sie sie sich anschauen wollen.“
Bruno setzte sich auf einen Hocker. Sein schmerzender Rücken entspannte sich. Plötzlich hatte Bruno seinen Frieden gefunden. Der Ladeninhaber brachte Kaffee. Um eine blakende Deckenlampe schwirrten Nachtfalter. Von draußen kam kühle Nachtluft herein.
Einige Minuten später hielt ein LKW vor der Haus, blieb mit laufendem Motor stehen. Ein junger Mann verließ das Führerhaus, hob grüßend die Hand, als er Bruno mit dem Ladeninhaber sah, und verschwand aus dem Blickfeld. Einige Augenblicke später kam er herein, in den Händen einen Karton mit fünfhundert Würfeln.
„Guten Abend, Juan“, grüßte der Ladeninhaber.
„Guten Abend“, grüßte Juan zurück, streifte Bruno mit einem Blick und sah den Ladeninhaber fragend an. Den Karton stellte er auf den Ladentisch.
„Der Herr möchte sich die Fabrik ansehen, Juan“, sagte der Ladeninhaber. „Ich habe ihm gesagt, dass er mit dir fahren kann.“
„Selbstverständlich nehme ich Sie mit, Senor“, sagte Juan zu Bruno. Er lächelte freundlich. „Für heute habe ich meine Tour beendet. Wir können sofort fahren.“
„Einen Moment“, sagte der Ladeninhaber. „Vergessen Sie nicht Ihr Eigentum.“ Damit reichte er Bruno den Würfel, den der auf der Straße gefunden hatte.
„Die Fabrik steht in Villa Nueva“, sagte Juan. „Das ist eine Stadt am Rande der Wüste.“
Sie fuhren über eine Landstraße. Zu beiden Seiten war Grasland, das hin und wieder durch Gestrüpp unterbrochen wurde. Immer wieder kamen ihnen Lastwagen entgegen, die beim Vorbeifahren grüßend hupten. Juan antwortete jedes Mal.
„Welche Wüste meinen Sie?“, fragte Bruno. Die Seitenscheiben des LKW waren geöffnet, der kühle Fahrtwind brauste durch das Führerhaus und ließ ihn frösteln.
„Ich meine die Tatacoa“, sagte Juan. „Diese Wüste erstreckt sich vom Fuße der Kordilleren bis Villa Nueva. Die Obsidianmine ist am Rande des Gebirges. Von dort bezieht die Fabrik ihren Rohstoff.“
Er griff in das Handschuhfach des Wagens und zog einen Aschenbecher aus schwarzem Obsidian hervor.
„Diese Aschenbecher werden in der Fabrik gefertigt. Die Touristen sind ganz wild darauf. Aber natürlich auch auf die Würfel, die ich heute Abend geliefert habe. Die Touristen glauben immer, die hätten etwas zu tun mit den Indianern, die hier früher gelebt haben.“ Er lachte. „Aber sie sind nur für die Touristen.“
Er schwieg eine Weile. „Früher habe ich einen der Lastwagen gefahren, die den Obsidian von der Mine in die Fabrik bringen“, fuhr er dann fort. „Das war ein harter Job. In der Wüste wird es heiß, sechzig Grad in der Sonne. Jeder Fahrer muss zehn Tonnen pro Tag anliefern, sonst bekommt er Abzüge vom Lohn. Das bedeutet oft, vor der Mine zu warten, bis genug Obsidian beisammen ist, und dann wie der Teufel durch die Wüste zu fahren. Die Piste ist schlecht in der Tatacoa, der feine Sand dringt in jede Öffnung. Manchmal bin ich mit einem Motorschaden liegen geblieben.“
Eine Weile schwieg er. Die Scheinwerfer des Lastwagens stachen grell in die unwirkliche Graslandschaft ringsherum. Ein paar Nachttiere, deren Augen im Widerschein der Scheinwerfer leuchteten, wurden aufgeschreckt.
„Aber dieser Job war nichts im Vergleich zum Job der Minenarbeiter“, fuhr Juan fort. „Die müssen wirklich schuften, und werden obendrein schlecht bezahlt. Sie werden krank in der Mine. Ich bin froh, dass ich diesen Lastwagen fahren darf.“ Damit klopfte er auf das Lenkrad.
Weit vorne waren die Lichter einer Stadt zu sehen.
„Das ist Villa Nueva“, sagte Juan. Einige Kilometer vor der Stadt bog er rechts ab. Ein Schild, das im Scheinwerferlicht aufleuchtete, verkündete, dass es hier zur Obsidianfabrik ging.
Bruno schaute auf die Uhr. Es war halb zwölf Uhr abends.
„Der Chef ist noch da“, sagte Juan, der Brunos Blick bemerkt hatte. „Es wird noch gearbeitet.“
Ein großer, frei geräumter Platz wurde sichtbar, auf dem einige LKWs standen. Am Rande des Platzes befanden sich mehrere Gebäude. Das Kreischen von Sägen war zu hören.
„Kommen Sie, Senor“, sagte Juan, der den Wagen abgestellt hatte und ausgestiegen war. Bruno folgte seinem Beispiel.
Einer der LKWs aus der Mine wurde soeben entladen. Ein Schaufelbagger packte große Bruchstücke und hob sie auf ein Förderband.
„Was nicht mindestens zwanzig Zentimeter Durchmesser hat, ist uninteressant für uns und wird gar nicht erst verladen“, sagte Juan. „Wir pressen ja keine Briketts, sondern wir schneiden Gegenstände aus dem Glas.“
Ein Mann in einem hellen Leinanzug trat aus der Dunkelheit. Juan grüßte ehrerbietig.
„Das ist Senor Villar“, sagte er erklärend zu Bruno. „Mein Chef. – Dieser Herr möchte sich einmal die Fabrik anschauen“, stellte er dann Bruno Herrn Villar vor.
„Kommen Sie“, sagte Villar und legte Bruno die Hand auf die Schulter. „Ich zeige Ihnen, was wir mit dem Glas machen.“
Das Förderband führte in eines der Gebäude. Dort stand ein mittelgroßer, vierschrötiger Mann, der es mit einer Handsteuerung Zentimeter weise fortbewegen und bei Bedarf anhalten konnte. Eben kamen die ersten Stücke aus dem LKW, der draußen entladen worden war. Der Lastwagen war jetzt leer. Der Fahrer fuhr ihn zur Seite und verschwand in einem der Gebäude.
„Er schläft bis morgen früh“, sagte Villar erklärend zu Bruno. „Dann fährt er die nächste Fuhre. Das geht so vier Tage lang. Dann hat er einen Tag frei und darf zu seiner Familie. – Aber schauen wir uns an, was mit dem Obsidian geschieht.“
Der Mann an der Handsteuerung schlug mit einem Spitzhammer vorstehende Ecken und brüchige Stellen vom vordersten Block ab. Dadurch reduzierte sich der Block auf weniger als die Hälfte.
„Diese Ecken sind für uns uninteressant“, sagte Villar. „Wir brauchen massive und feste Stücke. Doch schauen Sie weiter.“
Mit einem Greifarm, der dem Bagger draußen ähnelte, hob der Arbeiter den massiven Block in eine Säge. Eine Batterie von Kreissägeblättern, die zur Hälfte in Kühlflüssigkeit standen, zerlegte den Block in zwei Zentimeter starke Scheiben. Schrilles Kreischen erfüllte die Halle. Bruno hielt sich die Ohren zu. Der Arbeiter vorne ertrug den Lärm, ohne das Gesicht zu verziehen. Dabei trug er noch nicht einmal einen Ohrenschutz.
„Unsere Arbeiter leben für ihren Job“, sagte Villar auf Brunos fragendes Gesicht. „Wenn der Job sie ihr Gehör kostet, dann ist das eben so. Sie würden nie den Lauf der Dinge unterbrechen.“
Von den Sägeblättern stiegen dünne Faden von Dampf auf. Dann war die Säge hindurch. Der Block war zerlegt in ein Bündel von Scheiben.
„Diese Scheiben gehen jetzt wieder durch eine Säge“, sagte Villar. „Zum Schluss bleiben Würfel übrig, die exakt zwei Zentimeter Kantenlänge haben.“
Damit gab er Bruno ein Zeichen, ihm zu folgen. Er schritt durch die Halle, hob grüßend die Hand, als er an dem Arbeiter vorbeiging, und betrat eine neue Halle.
Hier saßen Frauen vor Schleifsteinen, von denen jede einen Korb mit Obsidianwürfeln neben sich stehen hatte. Die Frauen sahen Bruno aufmerksam an, als er eintrat, unterbrachen ihre Arbeit jedoch nicht. Bruno grüßte freundlich und ehrerbietig.
„Hier werden die Kanten der Würfel abgeschliffen“, sagte Villar. „Eine gute Arbeiterin schafft sechzig Würfel in einer Nacht.“
Bruno beobachtete eine der Frauen, die einen Würfel gegen den Schleifstein presste. Sie drehte den Würfel, so dass die Kante die richtige Rundung bekam. Dann kam die nächste Kante an die Reihe. Besondere Sorgfalt verwandte sie auf die Ecken. Nach zehn Minuten war der Würfel fertig.
„Kommen Sie“, sagte Villar und trat an den Korb mit den fertigen Würfeln. Bruno folgte ihm. Die Arbeiterin unterbrach ihre Arbeit nicht für einen Moment.
„Sehen Sie sich das an“, sagte Villar und hielt den Würfel an zwei gegenüberliegenden Ecken zwischen Daumen und Zeigefinger. Er drehte den Würfel in alle Richtungen. Der Würfel war völlig gleichmäßig.
„Bis wir eine Arbeiterin so weit haben, dauert es rund zwei Jahre“, sagte Villar. „Solange lassen wir sie üben an Glasbruch, damit es uns nicht soviel teure Stücke kostet. Das letzte halbe Jahr der Lehrzeit arbeitet sie dann bereits in der Produktion, und produziert natürlich noch viel Ausschuss. Dafür bleiben uns die Frauen aber auch fünfzehn bis zwanzig Jahre erhalten.“
Er legte den Würfel zurück und wies auf eine weiterführende Tür. „Da vorne kommt dann noch die Gravur hinein. Anschließend wird der Würfel poliert, und die Gravur wird silbern eingefärbt. In einem anderen Gebäude fertigen wir Aschenbecher und Schmuck. – Haben Sie Lust, sich einmal die Mine anzuschauen?“
In seinem Gesicht malten sich Abenteuerlust und Begeisterung. Bruno stimmte freudig zu. Längst hatte ihn der Enthusiasmus der Leute angesteckt. Deutschland mit seinen Strafgerichten war weit entfernt.
„Gut, Senor“, sagte Villar. „Ich muss sowieso morgen früh bei der Mine sein, da kann ich auch ein oder zwei Stunden früher abfahren. – Kommen Sie.“
Er verließ die Halle durch einen Seiteneingang. Bruno folgte ihm. Draußen stand, neben den gewaltigen, Staub bedeckten Lastwagen, ein alter Ford Mustang. Villar zog ein Schlüsselbund aus der Tasche, schloss auf und setzte sich in den Wagen. Von innen öffnete er die Beifahrertür. Bruno stieg ein.
„Ich habe Ihnen gar nichts angeboten, Senor“, sagte Villar, „und das ist eine sträfliche Nachlässigkeit. Aber wenn Sie unter den Sitz greifen, dann finden Sie eine Flasche Rotwein. Lassen Sie ihn sich schmecken.“
Bruno tat, wie ihm geheißen, und fand die Flasche. Es war billigster Landwein, gekauft für zwei Peso in einem Supermarkt, aber das spielte keine Rolle.
Villar startete den Wagen und legte den Rückwärtsgang ein. Vorsichtig und auf die LKWs achtend, stieß er zurück. Dann verließ er das Fabrikgelände auf der gleichen Straße, auf der Bruno mit Carlos gekommen war.
Von der Hauptstraße bog er jedoch bereits nach wenigen Kilometern links ab.
„Die Straße führt einige Kilometer in die Wüste hinein“, sagte er erklärend. „Dann endet sie plötzlich. Von da an haben wir nur noch eine Wagenspur. Aber solange das Wetter mitspielt, bedeutet das kein Problem für uns. Alle zehn Jahre regnet es hier, und dann verwandelt sich die Wagenspur in ein Morastloch. Aber da besteht jetzt keine Gefahr.“
Nach zwanzig Minuten tauchte im Scheinwerferlicht das Ende der asphaltierten Strecke auf. Der Wagen holperte über steinigen und unebenen Boden. Bruno hielt sich am Griff über dem Fenster fest. Villar lachte.
„Das ist etwas anderes als die Straßen, die Sie aus den Städten kennen, Senor“, sagte er. Aufgeschreckte Taranteln verschwanden im Dunkel der Nacht. Bruno sah ein oder zwei Sandvipern, die sich in der Form eines Fragezeichens über den Wüstenboden drehten. Kandelaberkakteen reckten ihre Arme in die Höhe.
Mitunter war die Spur kaum zu erkennen.
„Wie halten Sie die Orientierung, Senor?“ fragte er, als Villar urplötzlich in eine Kurve ging.
„Das ist jahrelange Übung“, sagte Villar. „Manchmal sind es nur kleine Verwerfungen, die uns den Verlauf der Spur zeigen. Aber meine Fahrer sind da genauso geübt wie ich. Außerdem kennen wir die Strecke wie unsere Hosentasche. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Nach etwa einer Stunde Fahrt hielt er plötzlich an und stellte den Motor ab. Die Scheinwerfer erloschen.
Bruno sah Villar fragend an.
„Steigen Sie einmal aus, Senor“, sagte Villar. „Die Wüste bei Nacht ist ein Erlebnis.“
Damit verließ er den Wagen, und Bruno stieg auf seiner Seite aus. Weil der Mustang ein wenig schief auf dem unebenen Boden stand, hatte er Mühe, herauszukommen. Er ließ die Tür ins Schloss fallen.
Dann befand er sich in der Stille der Wüste. Unzählige Sterne funkelten über ihnen. Der noch fast volle Mond hing groß und rund über dem östlichen Horizont. Er tauchte die Landschaft in ein unwirkliches, fahles Licht. Die Kakteen warfen schwarze, bedrohlich wirkende Schatten, die dem Verlauf der Unebenheiten im Sand folgten. In der Ferne war dunkel und verschwommen das Gebirge zu sehen. Am gegenüberliegenden Horizont leuchtete schwach der Widerschein der Stadt.
Bruno atmete tief. Die Luft war kühl und klar. Er machte ein paar Schritte in die Dunkelheit hinein und wandte sich um. Die Motorhaube des Wagens ragte in den Himmel.
„Passen Sie auf, dass Sie auf keine Viper treten“, rief Villar ihm halblaut zu. Seine Stimme trug weit und schien von überall herzukommen. Eine unbestimmte Zeit standen sie da und genossen den Frieden der Wüste.
„Wir kommen gerade zurecht, um die Einfahrt zur Morgenschicht zu erleben“, sagte Villar. „Fahren wir.“ Den Rest der Fahrt schwieg er.
Der Vorarbeiter hieß Carlos. Mit zehn seiner Leute würde er in einem Förderkorb einfahren. Carlos war, genau wie seine Leute, klein und dunkelhäutig. Die Arbeiter waren indianischer Abstammung.
„Dieser Herr interessiert sich für eure Arbeit“, sagte Villar. Sie standen vor dem Mineneingang, der durch Träger abgestützt war. Ein Gleis, auf dem die Loren liefen, führte zu einer Verladerampe. Hier wurden die LKWs beladen.
„Sie sind uns willkommen, Senor“, sagte Carlos zu Bruno. „Aber Sie müssen sich einen Helm aufsetzen, das ist Vorschrift.“
Damit verschwand er in einem Wellblechgebäude. „Dort ziehen sich die Minenarbeiter um“, sagte Villar erklärend. „Und dort befinden sich auch Duschen und Unterkünfte. In ein paar Kilometern Entfernung befindet sich ein See. Von dort pumpen wir das Wasser hierher. Wir befinden uns hier ja am Rande des Gebirges.“
Carlos kam zurück. In der Hand trug er einen Schutzhelm, an dessen Vorderseite eine Batterie gespeiste Lampe integriert war. Außerdem hatte er einen Schutzanzug dabei, der für Bruno gedacht war. Bruno zog sich in den Umkleideräumen der Arbeiter um. Seinen Anzug legte er sorgfältig zusammen.
Mit den Arbeitern betrat Bruno die Mine. Es war inzwischen vier Uhr am Morgen. Nach einer kurzen Wegstrecke erreichte die Gruppe den Förderkorb. Einer nach dem anderen betraten sie den Drahtkorb, der dann geschlossen wurde.
„Es geht über zweitausend Meter in die Tiefe, Senor“, sagte Carlos. Unter dem Förderkorb befand sich also ein bodenloses Loch. Doch Bruno spürte keine Angst.
Rasch ging es in die Tiefe. Die Gruppe schwieg. Nach einiger Zeit wurde es warm. Bruno begann zu schwitzen. Zur gleichen Zeit wurde die Luft schwer und staubig, und legte sich ihm auf die Lungen. Bruno hustete.
Carlos griff in die Tasche seiner Jacke und zog vier oder fünf dunkelgrüne, elliptische Pflanzenblätter hervor. Die rollte er zu einer festen Wurst zusammen und reichte sie Bruno.
„Stecken Sie das in Ihre Wange, Senor“, sagte er. „Beißen Sie ab und zu darauf, dass etwas Saft herauskommt. Behalten Sie die Blätter eine halbe Stunde im Mund. Dann fällt das Atmen leichter.“
Bruno tat, wie ihm geheißen. Sofort wurden seine Lungen frei, und er atmete mühelos. Auch die Hitze machte ihm nicht mehr zu schaffen.
„Wir leben hier im Glasstaub“, sagte Carlos. „Wenn man diese Arbeit zehn Jahre lang macht, Tag für Tag zehn Stunden, dann hat man eine Silikose. Die Lungen sind kaputt. Wir werden auch nicht alt. Aber wir beschweren uns nicht. Wir sind froh, dass wir Arbeit haben, und unsere Familien ernähren können.“
Der Förderkorb erreichte den Grund der Sohle. Mit einem leichten Poltern setzte er auf. Die Fahrt herunter hatte über zehn Minuten gedauert. Bruno wusste, dass er sich tief im Berg befand.
„Bis zu den Abbaustellen ist es noch ein gutes Stück“, sagte Carlos. „Kommen Sie mit, ich will Ihnen etwas zeigen.“
Auf dem Boden lag Glasbruch. Die spröden Stücke knirschten, als die Gruppe darüber schritt.
„Passen Sie auf, dass Sie nicht stürzen, Senor“, sagte Carlos. „Sie könnten sich an den scharfen Kanten verletzen.“
Weiter vorne weitete sich der Gang, bis eine hochhausgroße Öffnung entstand. Die Decke bildete eine gewaltige Kuppel.
„Hier trafen einst viele Gänge aufeinander“, sagte Carlos.
Die steil aufragenden Wände erinnerten an eine gotische Kathedrale. Bruno stand und schaute. Er sah den riesigen Dom aus vulkanischem Glas, das im Schein der Grubenlampen matt schimmerte, und spürte tiefen, inneren Frieden.
Carlos trat neben ihn. Die anderen standen in einiger Entfernung.
„Manchmal glaubt man, alles verloren zu haben“, sagte Bruno. „Und dann gibt es einen Augenblick, da ist man eins mit sich und der Welt.“
Carlos schwieg eine Weile. „Es gibt solche Augenblicke“, sagte er dann. „Wenn wir am Ende unseres Lebens Bilanz ziehen, dann sind es diese Augenblicke, die zählen. – Kommen Sie mit, und sehen Sie uns bei der Arbeit zu.“
Es ging einen beschwerlichen Weg bis zum Ende des Stollens. Das letzte Stück legte Bruno, der einen Kopf größer war als die Indianer, gebückt zurück. Dann stand er mit den anderen vor der grünlich glänzenden Wand.
„Sprengen können wir natürlich nicht“, sagte Carlos. „Wir sind ja interessiert an großen und intakten Stücken. Also müssen wir alles mühsam und vorsichtig mit der Hand herausbrechen. Alles, was nicht mindestens so groß ist wie ein Kinderkopf, bleibt gleich hier liegen. Der Transport würde sich nicht lohnen. Zu groß dürfen die Stücke aber auch nicht sein, weil sie dann nicht mehr verarbeitet werden können.“
Er wies auf das Gleis, auf dem die Lore fuhr. „Wir fahren den Wagen direkt an die Abbaustelle und arbeiten ein passendes Stück aus dem Berg heraus. Das fällt dann auf die Lore. Wenn sie voll ist, kommt die nächste dran. – Wollen Sie es einmal versuchen?“ Damit hielt er Bruno einladend seine Hacke hin.
Der trat zögernd an die Wand heran. Einer der Arbeiter, ein Mestize namens Fernando, wies auf eine Spalte im Glas.
„Dort können Sie ansetzen, Senor“, sagte er. „Ich arbeite auf der anderen Seite. Wenn wir uns geschickt anstellen, dann bekommen wir ein Stück von zwei Metern Breite frei.“
Bruno arbeitete eine Viertelstunde lang, bis er schweißüberströmt war. Schwer atmend legte er die Hacke zur Seite. Seine Hände brannten. Am Daumenballen der Linken hatte sich eine Blase gebildet, die aufgeplatzt war und nässte.
Carlos pfiff schrill auf zwei Fingern. „Das ist das Zeichen, den Bohrer herzubringen“, sagte er erklärend. „Mit den Hacken allein schaffen wir es nicht.“
Bruno stand mit dem Mestizen direkt an der Abbaustelle. Carlos und die übrigen befanden sich ein Stück weiter oben im Stollen. Den feinen Grus, der von oben auf seine Schulter rieselte, beachtete Bruno nicht, ebenso wenig wie das dumpfe, polternde Knirschen. Der Mestize warf einen Blick nach oben. Dann packte er Bruno am Arm und riss ihn fort.
Der Block, der herunterkam, wog über dreißig Tonnen. Krachend stürzte er herab, Staub wallte auf. Hustend und nach Atem ringend flohen Carlos und die übrigen den Stollen hinauf.
Als sich der Staub gelegt hatte und nichts Bedrohliches geschah, wagten sie sich wieder nach unten. Die schwarzgrüne Gesteinsmasse versperrte den Stollen. Von Bruno und dem Mestizen war nichts zu sehen. Nicht einmal ein Tropfen Blut trat unter dem Block hervor.
Carlos befand sich mit den übrigen im Büro Villars. Er erzählte den Hergang des Unglücks. Villar hörte schweigend zu. Er saß hinter seinem Schreibtisch.
„Der Stollen wird für Wochen versperrt sein“, sagte er, als Carlos seinen Bericht beendet hatte. „Wir werden besondere Vorkehrungen treffen müssen, damit sich das nicht wiederholt. Das wird Geld kosten, Sicherheit ist nicht umsonst zu haben. Außerdem werden wir für die Zeit der Aufräumungsarbeiten nichts produzieren, und das ist ein weiteres großes Ungemach. – Ich werde schweres Gerät herschaffen müssen.“
Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Die Indianer blickten einander betreten an. Das Unglück bedeutete Lohnausfall für eine längere Zeit.
„Ich werde Fernandos Familie benachrichtigen“, sagte Carlos. „Fernando ist gestorben wie ein aufrechter Mann.“
„Und der Fremde?“ fragte Villar.
Carlos zuckte mit den Achseln. „Wir wissen nichts über ihn. Aber er war glücklich, als er starb. Er hatte seinen Frieden gefunden.“
„Ich werde die persönlichen Sachen des Fremden eine Zeitlang aufbewahren“, sagte Villar. „Vielleicht meldet sich jemand.“
Carlos griff in die Tasche seiner Jacke und zog den Würfel hervor, den Bruno in den Straßen von Neiva gefunden hatte.
„Der lag im Stollen“, sagte Carlos. „Der Fremde hat ihn verloren.“
Er reichte den Würfel Villar. Der nahm ihn und betrachtete ihn.
„Ich glaube, er bringt Unglück“, sagte er. Der Reihe nach sah er die Indianer an. Dann trat er vor die Tür der Baracke, holte weit aus und schleuderte den Würfel in die Wüste.