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Goldener Schein - Eine Liebesfantasie

Beitritt
22.08.2020
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Goldener Schein - Eine Liebesfantasie

Ein Sonnenstrahl traf sein Gesicht und die zarten Haare über seiner Oberlippe begannen zu funkeln. Sie war gebannt, auch wenn das Licht sie zwang, die Augen zusammenzukneifen und sie nur verschwommen sah. Sogar seine blasse Haut schien ihr zu glitzern wie Perlmutt.
Ihr Blick wanderte verstohlen hoch, zur gebogenen Nase, deren Nasenflügel sich sanft bewegten, wenn er ein und ausatmete. Dann zu den Augen, die ihr so klar und blau erschienen und zum struppigen Haar, das bestimmt sehr weich war.
Und schließlich zurück zu dem, was erst ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, zu den Händen, die versträumt übers Papier fuhren und unter denen eine Tuscheskizze entstand. Sie erinnerte sich, dass Frau Hirschfeld, die Kunstlehrerin, ihn immer lobte. Das gefiel ihr.
Er war ruhig und daraus schloss sie, dass er schüchtern sein musste. Er zeichnete, also musste er sensibel und kreativ sein.
„Was soll denn: ‚Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung nennen wollen‘, bedeuten?“, fragte Miram.
„Ich denke, dass bezieht sich auf das ‚Man‘ und die ‚uneigentliche‘ von Konventionalität bestimmte Lebensweise“, antwortete sie, ihr Geist war in diesem Moment sehr klar.
Gleichzeitig wurde sie unruhig und spürte das Verlangen sich zu präsentieren, als witzig, intelligent, stark und normal.
Sie begann Witze über Heideggers verquere Sprache zu machen und in ihrer Nervosität wandte sie sich nur an Miram und überhaupt nicht an ihn. Er zeichnete einfach weiter.
Scham stieg in ihr auf und sie war froh, als die Gruppenarbeit zu Ende war. Aber als die Deutsch Stunde vorbei war, wünschte sie sich, dass sich wieder eine Gelegenheit ergeben würde, ihm nahe zu sein.


Von da an begann sie ihn zu beobachten, nicht immer, wochenlang konnte sie das Interesse fast völlig verlieren, aber immer wieder.
Sie begann ihn zu skizzieren, in dem Notizbuch, das sie immer mit sich herumschleppte. Sie fing seinen Hinterkopf ein, als er vor ihr in Kunst saß und Frau Hirschfeld über Abstraktion monologisierte. Sie zeichnete seine Wangen, die so leicht rot wurden, als er im Hof saß und in einer Zeitschrift blätterte.
Und während sie seine Konturen abzubilden suchte, suchte ihre Fantasie ihn zu begreifen. Sie hatten zusammen Deutsch und Kunst, in Deutsch saß er allein und in Kunst kam es ihr so vor, als wäre er nicht sehr eng mit seinem Sitznachbarn.
Sie dachte sich Szenarien aus, einmal malten sie gemeinsam eine Wandmalerei, die eine exaltierte Frau darstellte, die nackt tanzte. Das Bild hatte sie irgendwo einmal gesehen und es faszinierte sie sehr. Über die Malerei würden sie einander näherkommen. Beide wären sie unbeholfen, aber doch bestimmt. Ein anderes Mal, waren sie beide traurig und allein und trösteten sich.
All das floss in die Skizzen ein, die sie machte und die sie versteckte, wie eine geliebte Sucht.
Oft konnte sei ihn nicht zeichnen, nur wenn sie sich sicher sein konnte, dass niemand sie sehen würde. Ihr war klar, dass was sie tat, verquer und sinnlos war, aber ein Teil ihres Selbst hing doch daran fest. Und auch wenn sie versuchte, zu begreifen, warum das so war, konnte sie es sich nicht erklären. Irgendwas an ihr, musste falsch sein, nicht normal, beschloss sie. Das beschloss sie oft und es erfüllte sie jedes Mal mit tiefer Melancholie und irrem Stolz.
Sie wollte nicht mehr zeichnen, es war so auslaugend. Mit niemandem konnte sie darüber reden und die Skizzen waren schlecht, aber selbst, wenn sie herausragend wären, dachte sie, wären sie doch nur für sie selbst und das war nutzlos.
Sie kam ins Grübeln. Wie schafften es die Künstler ihre Seele offenzulegen, ohne im Boden zu versinken? Warum war sie unglücklich, wenn sie nicht zeichnete und beschämt nachdem sie es getan hatte?


Es war Deutsch-Stunde. Sie mochte Deutsch, über Literatur reden, über die Seelenzustände fiktiver Charaktere, das war unverfänglich. Sie konnte sich frei entfalten.
Mit Sally lachte sie über ein besonders kryptisches Liebesbekenntnis in Goethes Lyrik. Sie fühlte sich erleichtert, zu lange hatte sie nur über das Leben nachgedacht und nicht gelebt.
Gerade war wieder die Zeit, in der sie sich nicht für ihn interessierte und ihr lächerlich vorkam, was sie in der Vergangenheit getan und gedacht hatte.
„Leben nun auf ihre Weise/ Die Veränderung ach wie groß / Liebe lass mich los. Ist das ein Jambus?“, fragte sie skeptisch. Gut tat es eine Beschäftigung zu haben, etwas worüber man nachdenken musste. Denn wenn sie selbst beschloss, wohin ihre Gedanken gingen, kam selten etwas Gutes dabei heraus, dachte sie.
Jetzt waren ihre Gedanken in normalen Bahnen: Schule, die Arbeiten, die sie überrollen würden, Freunde und Klatsch, den sie im Oberstufenraum mitangehört hatte. Es kam ihr lächerlich vor, dass sie sich so in ihren Gedanken über Kunst und ihn hatte einnisten können.
„So den nächsten Schritt organisieren wir etwas anders“, sagte Herr Gold, ihr Deutsch Lehrer, „Anstatt das wir alle Epochen einfach als Lehrer-Monolog abarbeiten, erarbeitet ihr es euch selbst in Kleingruppen und weil ich euch immer noch in den alten sozialen Gruppen sehe, ist es meine Pflicht euch als Tutor einzuteilen. Ihr lernt neue Menschen kennen und ich habe weniger Arbeit. Win, win würde ich sagen.“. Er lächelte.
Und weil er ein kreativer Lehrer mit zu viel Energie war, verteilte er Buchtitel und Epochen und ließ die Paare sich finden. Eine schöne Idee, aber sie überschätzte die literarische Allgemeinbildung der Schüler. Nach minutenlangem suchen und heimlichen googeln hatte man sich schließlich gefunden.
Sie konnte den Zufall gar nicht fassen, ausgerechnet mit ihm bildete sie eine Gruppe. Biedermeier, keine sehr anzügliche Thematik und trotzdem war sie gleich wieder in alte Denkmuster verfallen.
Ihre Fantasie spielte verrückt und fabrizierte tausend spannungsgeladene Szenarien, während sie sich mit spießbürgerlicher Literatur beschäftigen würden. Sie spürte, dass ihre Ohren heiß wurden.
„Also, wollen wir uns die Arbeit aufteilen oder uns irgendwann mal treffen und es gemeinsam machen?“, fragte sie.
„Aufteilen klingt gut.“
„Oh ok“, es fühlte sich an, wie ein Stich in den Ballon ihrer Träume.
„Und kurz vor der Präsentation sprechen wir uns dann ab“, meinte er.
„Ja klar. Ergibt Sinn“, sie konnte ihre Augen nicht von der Tischplatte heben.


Sie dachte mal wieder über sich selbst nach. Warum verletzte es sie so, dass er sich nicht mit ihr treffen wollte. Schließlich war sie ihm doch fremd. Ihre Gedanken waren lächerlich, völlig absurd und doch war da in ihr ein Funke, der sich nicht von dem Glauben abbringen lies, dass er heimlich von ihr träumte und dass seine Abneigung nur Verklemmtheit war.
Sie holte das Notizbuch mit den geheimen Skizzen hervor und ihre Gedanken schweiften ab. Warum viel ihr das Zeichnen so schwer? Warum brach sie immer wieder ab? Eigentlich erschien es ihr leicht. Im Geiste wusste sie genau, wie sie den Stift führen müsste, um beispielsweise die Zartheit seiner Haut darzustellen, aber wenn sie es dann tatsächlich zeichnete, verkrampfte ihre Hand sofort und sie fand keinen Zugang mehr zu der Stelle in ihrem Gehirn, der das Zeichnen so leicht erschien.
Stattdessen fluteten tausende andere Gedanken ihr Bewusstsein. Sie beschäftigten sich mit der Zukunft und damit, wie ihre Freunde oder ihre Eltern oder völlig fremde Menschen reagieren würden, wenn sie ihre Arbeit sähen. Fremde Menschen waren ihr da noch die liebsten. Was würden sie sagen? Sie begann sich die Worte zurechtzulegen, mit denen sie sich rechtfertigen würde.
Sowieso es passte nicht zu ihr, sie war kein Künstler. Wenn sie ihr zukünftiges Ich heraufbeschwor, dann konnte es kein Künstler sein. Allerdings fiel es ihr allgemein schwer, irgendeine erwachsene Version ihrer selbst zu sehen. Es gab doch immer etwas wodurch ein Charakter sich festlegen ließ, ganz instinktiv erkannte man: ‚Das ist ein [Berufsbezeichnung einfügen]‘. Aber für sich konnte sie das nicht finden. Sie konnte sich nirgendwo zuordnen. Zu keiner Gruppe wollte sie passen.
‚Vielleicht‘, dachte sie, ‚vielleicht funktioniert mein Charakter nur während der Schulzeit. Was wenn das Schicksal für mich vorsieht, dass ich danach sterbe. Ich sollte mich umbringen.‘
Sie war müde, aber ihre Körper fühlte sich an, als wolle er sich selbst wie Altmetall zusammenpressen bis so wenig wie möglich von ihr üblich blieb.
Mühevoll versuchte sie ihren Geist auf gewöhnliche Bahnen zu lenken, damit sie einschlafen konnte.


Ein Lichtstrahl erschuf ihn. Aber so sehr sie es auch versuchte, sie konnte ihn nicht wirklich erkennen. Sie kam nicht an ihn heran. Sie wollte ihre Beine doch bewegen, aber sie bewegten sich nicht.
Warum musste alles so verschwommen sein? Warum konnte sie nicht sehen? Alles war getaucht in goldenen Schein, aber sie fühlte sich elend.
Endlich fand sie eine Tür, doch sie bekam sie lange nicht auf.
Sie stand jetzt in einer Umgebung, die sie kannte. Sie konnte die Menschen um sich herum ansehen, sich auch bewegen, aber es war ihr unheimlich und weil es ihr unheimlich war, ging sie zusammengekauert und ihr Weg war eng, hart und ermüdend. Sie wollte nicht erkannt werden. Aber wenn sie sich hier aufrichten würde, dann wäre sie im Ganzen entblößt.
Nun wollte sie zurück, zurück zu ihm, zum Raum der unendlichen Sinneseindrücke, in dem alles so schön im Unklaren blieb.
Wieder war es schwer die Tür zu öffnen und wieder wurde ihr beklemmend zumute, als sie zu lange dort gewesen war. Sie wurde schier wahnsinnig, weil ihr alles entwich, bevor es sich materialisieren konnte.
Immer wieder stemmte sie also die Tür auf und flüchtete von einem Raum in den anderen und wieder zurück.
Aber sie hörte nicht auf sich unwohl und unvollständig zu fühlen.


Als sie am Morgen aufwachte, konnte sie sich nur teilweise an ihren Traum erinnern und bald hatte sie ihn ganz vergessen.
Im Geschichtsunterricht sprachen sie über das Leben der Menschen während des ersten Weltkriegs, über die traumatisierten Kriegsheimkehrer, über ihr Leben in den Schützengräben umgeben vom Gewehrfeuer und Giftgas und auch über die ‚Heimatfront‘, die Hunger litt und die Frauen, die sich in den Fabriken zugrunde richteten.
Der Vergleich mit diesen Leiden, zeigte ihr kristallklar die Kleinlichkeit ihrer eigenen Gedanken. Wie privilegiert sie doch war, ein weißes, gesundes Mädchen aus einer wohlhabenden Familie. Sie lächelte, der Himmel war aufgeklart und die drohenden dunklen Wolken hatten sich verzogen, ohne vorher abzuregnen.
In nächster Zeit war sie wieder voll und ganz beschäftigt mit Lernen und den Vorbereitungen für die Deutsch-Präsentation. Sie überlegte, dass es gar nicht gut war keine Probleme zu haben, denn das bedeutete, zumindest für sie, nicht das Glück, sondern das Nichts und das war sehr bedrohlich. Besser war es, sich die richtigen Probleme zu suchen. Probleme, die man bewältigen konnte, die einen forderten, aber nicht überforderten, Probleme, die sich um Themen drehten, von denen man etwas verstand. Und anderen Problemen musste man ausweichen, nur wie wusste sie nicht.
Jedenfalls war ihr Leben schön, sie war von Menschen umgeben, die sie nicht verdient hatte und wurde für intellektuelle Leistungen gelobt, die kein Lob verdienten.
‚Ich bin vom Glück gesegnet‘, dachte sie.


Sie saß dicht vor ihm und versuchte verzweifelt an etwas anderes zu denken, als daran, wie es wäre, ihn zu küssen und wie sich sein Haar anfühlte und seine Haut.
Es war ihr unangenehm so etwas zu denken. Sexuelle Begierde und dann noch so eine abstruse Form, darüber konnte sie mit niemandem reden. Ihre Freunde würden sie mitleidig oder verwirrt ansehen. Vielleicht würden sie ja sogar zurückweichen. Sie sah Miram und wie sie ‚okay…‘, sagte und nervös lachte. Nein das ging nicht. Sie musste diesen Teil unterdrücken und einfach hoffen, dass er irgendwann gar nicht mehr auftauchen würde.
„Sollen wir auch den Vormärz erwähnen?“, fragte er.
„Keine Ahnung. Ich meine, die meisten hingen ja wohl diesem konservativen Gedanken der Sicherheit an. Ich denke das ist wichtiger.“
„Ok, wenn du meinst, mir egal“, er zeichnete schon wieder.
Ihre Hände waren zittrig, hoffentlich hatte sie keine roten Flecken am Hals. Die bekam sie manchmal, wenn sie nervös war. Ihr Brustkörper zog sich zusammen, als wollte er sie daran hindern, auszusprechen, worüber sie so gerne reden wollte.
„Aber wir können ihn auch reinmachen.“
„Nein lassen wir es. Ich bin nicht gut in sowas.“
„Ok“, sie schwiegen. Fahrig spielte sie mit einem Druckbleistift, bis sie sich erinnerte, dass so ein Druckbleistift ein Phallus-Symbol im "Zauberberg" gewesen war. Das Blut schoss ihr ins Gesicht und sie legte den Bleistift schnell beiseite.
„Und zum Beispielgedicht ‚Er ist’s‘: Es hat ein starres Reimschema, ist formal simpel aufgebaut. Das zusammengenommen mit dem Inhalt drückt ganz klar den Wunsch nach Harmonie aus. Die Lyrik erschafft also eine Welt, die es so eigentlich nicht gibt. Hinter der einfachen Beschreibung des Frühlings steckt ja auch Melancholie, denn es steckt voller Sehnsucht und Sehnsucht impliziert doch, dass der derzeitige Zustand nicht zu ertragen ist. Er ist unvollkommen und funktioniert nur durch die Hoffnung auf etwas anderes. Der Frühling ist zwar durchaus real, aber in diesem Gedicht ist er bis zu einem Grad stilisiert, dass es sich doch eigentlich um einen Locus amoenus handelt. Im geschichtlichen Kontext ist die Lyrik jener Zeit also nur indirekt an reale Geschehnisse geknüpft. Ich meine nicht so wie im Realismus, sondern irgendwie als gewollter Kontrast zur Realität, Lyrik als reine Fluchtmöglichkeit und nicht in dualistischer Beziehung mit der Welt. Ein autarker Raum für sich“, sie stoppte, weil sie merkte, dass sie schwafelte und weit vom Thema abgekommen war. Es war ihr sehr peinlich.
„Ich finde, dass was du sagst, ist eher Decadence. Wir sollten bei den Basics bleiben, sonst ruiniert es uns die Note“, sagte er.
„Ja klar, natürlich.“


Nach der Präsentation spürte sie den starken Drang allein zu sein. Mit einem Buch und Kopfhörern verzog sie sich in den Oberstufenraum.
Erwartungen und Tatsachen klafften auf frustrierende Art und Weise auseinander.
Außer ihr waren noch Nadine und Elena im Zimmer. Die beiden redeten, lachten und schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie über ihn redeten. Es war das erste Mal, dass sie jemanden über ihn sprechen hörte.
Es durchbrach das Gedankenkonstrukt, in dem er alleinig ein Teil ihrer Welt war.
„Hast du seine Wangen gesehen? Ich könnte sie abschlecken.“
„Süß ist er schon. Weil er immer so geil traurig in der Gegend rumschaut.“
„Er tut mir voll leid. Ich glaube er hat Kendall richtig geliebt.“
„Ja, ich finde, sie hat ihn echt mies behandelt. Ist er wirklich depressiv?“
„Kein Plan, hast du gehört, dass er mit dieser Xenia geschlafen hat?“
„Nein, du denkst das stimmt?“
Nadine und Elena sahen sich vieldeutig an und lachten. Sie fühlte wie eine unsichtbare innere Kraft alles an ihrem Körper nach unten zog.
Es schmerzte sie auf zweierlei Weise. Da war ihre Fantasie, die nicht zuhören wollte und dann wurde ihrem die Oberhand gewinnenden Verstand schlagartig bewusst, wie einsam sie in Wirklichkeit war.


Fluchtartig öffnete sie die Tür, aber dieses Mal kam ihr ein Einfall. Sie nahm einen gewöhnlichen Stein und platzierte ihn so, dass die Tür offen stehen blieb.


Sie zeichnete und lächelte.
Heute morgen hatte sie ihn gesehen, wie er Elena geküsst hatte und ein paar Stunden später, im Deutsch-Unterricht waren ihr seine ungeraden Zähne aufgefallen.
Es kam ihr so vor als hätte sich der Nebel vor ihren Augen verzogen und sie fühlte sich sehr wohl.
Sie zeichnete auf der letzten Seite des Notizbuchs. Das Bild unterschied sich von den Vorherigen, obwohl sie wieder ihn portraitierte.
Die Vorherigen waren schwungvoll, aus dem Handgelenk und mehr auf ein Gesamtgefühl ausgerichtet, dieses aber war präzise und genau beobachtet. Sie brauchte zehnmal länger als für die anderen.
Zu sehen war er über ein Blatt Papier gebeugt, das blonde Haar fiel lose ins Gesicht. Es sah immer noch sehr schön und weich aus, aber es war doch reales Haar mit all seinen kleinen Mängeln. Seine Haut wirkte ein bisschen zu durchscheinend und die Augen erstrahlten in unschuldigem, jugendlichem Egoismus. Immer noch war da ein fantastischer Zug, der das Bild der Gewöhnlichkeit enthob, aber nicht zu weit.
Als sie die fertige Skizze betrachtete, konnte sie ihn deutlich sehen, aber auch sich und ihre übertriebenen jugendlichen Gefühle. Aber sie schämte sich nicht. Einmal hatte sie gelesen, dass Freud den Humor als eine Art innere elterliche Instanz beschrieben hatte und jetzt lachte sie über sich selbst und dieses Lachen war auch gleichzeitig tröstlich.
Häufig führte man große Veränderungen auf diesen einen besonderen Moment zurück, eine Revolution, die zur Demokratie führte oder ein wundervolles Liebesbekenntnis in einer RomCom, dass eine lebenslange glückerfüllte Ehe sicherte. Doch oft war großer Wandel das Ergebnis tausender kleiner Ereignisse und er vollstreckte sich auch nicht auf einmal, sondern in tausend kleinen Momenten, nicht linear, sondern fast sinusförmig.
Sie war sich sicher, dass sie allen von ihrer Liebesfantasie erzählen würde, sie legte sich die Worte zurecht, ‚ein Nerd auf Abwegen, der sich nicht allein auf seinen Intellekt reduzieren lassen wollte‘. Es erschien ihr witzig. Sie wollte es ihren Freunden sagen, Stück für Stück. Anfangen würde sie bei Sally, Sally war verschwiegen und wenn es bei ihr scheitern würde, würde es nur bei ihr scheitern.
Und sie würde ihn abpassen und ihn mit einem einstudiert verschämten Lächeln das Büchlein überreichen. Er würde verwirrt dreinschauen und das wäre dann das Ende.
Es wäre ein amüsantes Bild, eine gute Geschichte.
Sie würde es machen. Sicher. Sie war sich nicht ganz sicher. Wie würden die Anderen reagieren?

 

Herzlich Willkommen im Forum, @Alicia Greiffenberg,

du hast ein starkes Debut hier eingestellt, schreibst mit sicherer Hand, das liest sich sehr gut. Du vermittelst den Eindruck, du weißt, was du tust, der Text ist angereichert mit vielen gut eingebetteten Gedanken. Dadurch gelingt es dir, dem Leser deine Prota nahezubringen. Die Art, das zu präsentieren, wirkt souverän, variierende Satzkonstruktionen, Rhythmuswechsel, guter Flow. Das lässt für Zukünftiges einiges erhoffen.
Da sind einige Stellen, die sind richtig schön, du hast den Zauberberg erwähnt, so ein Klassiker-der-Moderne-Stil, der einerseits dem Text was gibt aber an anderen Stellen auch was Künstliches verleiht, indem er gewollt literarisch klingt. Da würde ich an deiner Stelle aufpassen, etwas vom Gas gehen und mich zurücknehmen, damit die schönen Stellen glänzen können und die Autorin dem Text nicht im Weg steht. Einige Highlights:

All das floss in die Skizzen ein, die sie machte und die sie versteckte, wie eine geliebte Sucht.
Es gab doch immer etwas wodurch ein Charakter sich festlegen ließ, ganz instinktiv erkannte man: ‚Das ist ein [Berufsbezeichnung einfügen]‘. Aber für sich konnte sie das nicht finden. Sie konnte sich nirgendwo zuordnen. Zu keiner Gruppe wollte sie passen.
‚Vielleicht‘, dachte sie, ‚vielleicht funktioniert mein Charakter nur während der Schulzeit. Was wenn das Schicksal für mich vorsieht, dass ich danach sterbe. Ich sollte mich umbringen.‘
Sie war müde, aber ihre Körper fühlte sich an, als wolle er sich selbst wie Altmetall zusammenpressen bis so wenig wie möglich von ihr üblich blieb.
Häufig führte man große Veränderungen auf diesen einen besonderen Moment zurück, eine Revolution, die zur Demokratie führte oder ein wundervolles Liebesbekenntnis in einer RomCom, dass eine lebenslange glückerfüllte Ehe sicherte. Doch oft war großer Wandel das Ergebnis tausender kleiner Ereignisse und er vollstreckte sich auch nicht auf einmal, sondern in tausend kleinen Momenten, nicht linear, sondern fast sinusförmig.

Noch ein wenig ins Detail, da du ja Feedback zu deinen Geschichten erhalten möchtest:

Sie überlegte, dass es gar nicht gut war keine Probleme zu haben, denn das bedeutete, zumindest für sie, nicht das Glück, sondern das Nichts und das war sehr bedrohlich.
Mir persönlich ist es in der Summe zu viel des Kreisens um sich selbst, des Horchens nach innen, des Auslotens aller inneren Untiefen. Das geht mMn ein wenig auf Kosten des Plots, denn abgesehen von dem Sturm, der in der inneren Welt tobt, passiert in der äußeren recht wenig. Der Blondschopf ohne Namen bleibt als Figur blass, ist nur die Projektionsfläche für ihre Mädchenfantasien.
Was der Geschichte fehlt, ist ein glaubhafter Twist, etwas, das mich nachhaltig beschäftigt. Du schreibst:
Es war das erste Mal, dass sie jemanden über ihn sprechen hörte.
Es durchbrach das Gedankenkonstrukt, in dem er alleinig ein Teil ihrer Welt war.
Salopp gesagt: Die beiden Mädels labern ein wenig Gossip und schwupps ist alles anders. Obwohl du schreibst "Es durchbrach" fehlt mir da der Bruch, das wirklich kränkende, hässliche Element, das es erklären würde.
Aber vielleicht läuft das ja auch so unspektakulär, sinusförmig als Kurve, wie du schreibst und nicht als Knall. Zugegeben, Schwärmereien einer Schülerin sind auch nicht mein bevorzugtes Sujet, dazu bin ich zu weit davon entfernt und somit wahrscheinlich auch nicht Angehöriger der Zielgruppe. Also was weiß ich schon.
Schön hingegen finde ich den Sidekick Notizbuch, vor allem wie sich das von unbeholfenem Kritzeln zu sezierendem Realismus wandelt, so als Pegelstandsanzeiger.

Textkram:

Sogar seine blasse Haut schien ihr zu glitzern wie Perlmutt.
Das ihr kann weg, durch das schien sagst du schon, dass es ihr Eindruck ist.

Aber als die Deutsch Stunde vorbei war
Deutschstunde.

Sie begann ihn zu skizzieren, in dem Notizbuch, das sie immer mit sich herumschleppte.
Ist das Buch so schwer oder warum muss die Prota es schleppen?

Und während sie seine Konturen abzubilden suchte, suchte ihre Fantasie ihn zu begreifen.
Ist mir zu altbacken prosaisch.

Irgendwas an ihr, musste falsch sein
Komma weg.

All das floss in die Skizzen ein, die sie machte und die sie versteckte, wie eine geliebte Sucht.
Kann weg.

Warum war sie unglücklich, wenn sie nicht zeichnete und beschämt(Komma) nachdem sie es getan hatte?

Gut tat es(Komma) eine Beschäftigung zu haben

Anstatt das wir alle Epochen einfach als Lehrer-Monolog abarbeiten
dass.

Win, win würde ich sagen.
Win-win

Und weil er ein kreativer Lehrer mit zu viel Energie war
Da schwenkst du vom personalen zum auktorialen Erzählstil.

Nach minutenlangem suchen und heimlichen googeln hatte man sich schließlich gefunden.
Das minutenlange Suchen, das heimliche Googeln.

„Oh(Komma) ok
immer okay schreiben.

Warum viel ihr das Zeichnen so schwer?
fiel.

und sie fand keinen Zugang mehr zu der Stelle in ihrem Gehirn, der das Zeichnen so leicht erschien.
irgendwas fehlt da.

Sie begann(Komma) sich die Worte zurechtzulegen, mit denen sie sich rechtfertigen würde.

Sowieso es passte nicht zu ihr, sie war kein Künstler.
Entweder Komma nach Sowieso oder umstellen. Künstlerin?

Es gab doch immer etwas(Komma) wodurch ein Charakter sich festlegen ließ

als wolle er sich selbst wie Altmetall zusammenpressen(Komma) bis so wenig wie möglich von ihr üblich blieb.

Wieder war es schwer(Komma) die Tür zu öffnen

Aber sie hörte nicht auf(Komma) sich unwohl und unvollständig zu fühlen.

Der Vergleich mit diesen Leiden, zeigte ihr kristallklar die Kleinlichkeit ihrer eigenen Gedanken
Komma weg.

Sie lächelte, der Himmel war aufgeklart und die drohenden dunklen Wolken hatten sich verzogen, ohne vorher abzuregnen.
Schön, gut geschrieben.

dass es gar nicht gut war(Komma) keine Probleme zu haben

Sie saß dicht vor ihm und versuchte verzweifelt(Komma) an etwas anderes zu denken

Es war ihr unangenehm(Komma) so etwas zu denken.

Ihr Brustkörper zog sich zusammen
Meinst du den Brustkorb?

„Und zum Beispielgedicht ‚Er ist’s‘: Es hat ein starres Reimschema, ist formal simpel aufgebaut. Das zusammengenommen mit dem Inhalt drückt ganz klar den Wunsch nach Harmonie aus. Die Lyrik erschafft also eine Welt, die es so eigentlich nicht gibt. Hinter der einfachen Beschreibung des Frühlings steckt ja auch Melancholie, denn es steckt voller Sehnsucht und Sehnsucht impliziert doch, dass der derzeitige Zustand nicht zu ertragen ist. Er ist unvollkommen und funktioniert nur durch die Hoffnung auf etwas anderes. Der Frühling ist zwar durchaus real, aber in diesem Gedicht ist er bis zu einem Grad stilisiert, dass es sich doch eigentlich um einen Locus amoenus handelt. Im geschichtlichen Kontext ist die Lyrik jener Zeit also nur indirekt an reale Geschehnisse geknüpft. Ich meine nicht so wie im Realismus, sondern irgendwie als gewollter Kontrast zur Realität, Lyrik als reine Fluchtmöglichkeit und nicht in dualistischer Beziehung mit der Welt. Ein autarker Raum für sich“, sie stoppte, weil sie merkte, dass sie schwafelte und weit vom Thema abgekommen war. Es war ihr sehr peinlich.
Too much, das bringt mich komplett aus dem Text. Was willst du zeigen? Doch nur, dass sie abschweift, dafür reichen zwei Zeilen.

Es kam ihr so vor(Komma) als hätte sich der Nebel vor ihren Augen verzogen

Das Bild unterschied sich von den Vorherigen, obwohl sie wieder ihn portraitierte.
Die Vorherigen waren schwungvoll, aus dem Handgelenk und mehr auf ein Gesamtgefühl ausgerichtet
Da sich Vorherigen auf Bild bezieht, gehören beide klein geschrieben.

Ich bin sehr gespannt auf weitere Texte von dir.

Peace, linktofink

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @ linktofink
Vielen Dank für dein Feedback, es hilft mir sehr weiter.
Ich denke auch, der Wendepunkt meiner Geschichte ist ein wenig fad und mir wäre gar nicht aufgefallen, dass ich an dieser einen Stelle in die auktorialen Erzählperspektive gewechselt bin. ?
Und an meiner Kommasetzung muss ich wirklich noch arbeiten.

 

Hallo @Alicia Greiffenberg,

dein Text hat mir in seiner variationsreichen Sprache einerseits gut gefallen. Andrerseits fiel es mir ein bisschen schwer, bei der Stange zu bleiben und ich habe manchmal den Faden verloren. Die literarisch-philosophischen Zitate und Anspielungen wie z.B. auf Heidegger, auf Thomas Mann oder später auf Freud schienen mir eher ein bisschen aufgesetzt, als dass sie sich organisch in den Text eingefügt hätten.
Der für mich nicht immer nachvollziehbare Fluss der Geschichte könnte natürlich genauso gut stilistisches Mittel sein, die Verwirrung der jugendlichen Schwärmerei der Protagonistin darzustellen. Und genau diesen Zustand der Protagonistin im Kreisen um sich selbst, aber auch im Abwägen der Außenwirkung, in der Verwirrung, immer zwischen Zweifeln und Hoffen, den transportiert dein Text in meinen Augen sehr gut. Das Ende der Geschichte habe ich allerdings nicht verstanden.

Ich bin kurz darüber gestolpert, dass die Literatur und Deutsch interessierte Protagonistin selbst auch im Zeichnen ihre Ausdrucksform findet, genau wie ihr Schwarm.
Da hätte ich im Notizbuch, das sie immer dabei hat, vielleicht eher Gedichte erwartet.

Einige Zeichen- und Rechtschreibfehler waren dabei, die hat @linktofink schon erwähnt. Sie haben mich aber nie im Lesefluss gestört.

Insgesamt habe ich deine Geschichte gerne gelesen.

Viele Grüße
Traumtänzer

 

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