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Gott würfelt

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15.04.2002
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Gott würfelt

»Heute am Würfeltisch?«, fragte Pi.
Gott grunzte nur als Antwort, kratzte sich schabend irgendwo und nahm einen Schluck aus der Flasche. Seine Koordination reichte nicht aus, und er bekleckerte sich sowie den Spieltisch. Er griff nach den Würfeln und bekam sie im zweiten Versuch zu fassen, dann warf er sie.
»Sieben«, stellte Pi freundlicherweise fest. Gott hätte den Wert in seinem momentanen Zustand kaum ablesen können.
Luzifer grinste. »Rat mal«, sagte er.
Gott versuchte, Luzifer zu fixieren. Es klappte nicht so richtig, und auch die passende Antwort hatte er nicht parat. Pi seufzte. Natürlich würde Luzifer eine Acht würfeln.
Luzifer behielt Gott im Auge. Er genoß den Anblick eines ewigen Verlierers. Er warf das Spielgerät, ohne seinen Blick von seinem Gegner abzuwenden. Mehrere Sekunden vergingen, aber niemand sagte irgendetwas, was nicht ungewöhnlich war. Erst der Aufschrei des kleinen Kometenwerfers Gnubsch, der gewöhnlich nur den Dreck wegräumte, veranlasste Luzifer, nach den Würfeln zu sehen.
Gleich darauf sprang er auf, schleuderte seinen Stuhl fort, stieß sein Glas um, so dass sich sein Orangensaft auf Gottes fleckige Kutte ergoss und schrie: »Eine Sechs???«
Gott murmelte: »Verarsch mich nicht.«
»Das ist vollkommen unmöglich«, schrie Luzifer.
Pi trat einen Schritt zurück. Gerade rechtzeitig, denn eine ansehnliche Explosion sprengte den Spieltisch, die Würfel sowie den Croupier und Kometenwerfer Gnubsch in die Luft.
Als alle Trümmer zu Boden gesegelt waren und die Rauchschwaden samt Luzifer sich verzogen hatten, versuchten die Anwesenden, Gott zu erläutern, dass er zum ersten Mal im Spiel gegen Luzifer gewonnen hatte.
»Ihr wollt mich verarschen«, sagte Gott.
»Leider kann ich es dir nicht belegen, weil Luzifer das Beweismaterial vernichtet hat. Aber alle hier haben es gesehen. Es war eine Sechs. Du hast gewonnen«, erklärte Pi.
»Und es war Luzifer offenbar recht peinlich«, warf Chemie ein und kratzte sich an einem Stück verbrannter Haut. Er bemerkte, dass Stille eintrat und sah sich nervös um. Luzifer konnte ganz schön nachtragend sein. War er unbemerkt wieder aufgetaucht? Nein, es war nicht Luzifer. Es war eine Frau. Sie war außergewöhnlich klein, dunkelhaarig und irgendetwas an ihr schien nicht zu stimmen.
Chemie hatte sie noch nie gesehen. Die kleine Frau ging geradewegs auf Gott zu, der gerade vor sich hin murmelte: »Ich hasse es, immerzu verarscht zu werden.«
Die unbekannte Frau nahm ihm die Flasche aus der Hand und hob ihn leicht aus seinem Stuhl. Gott wehrte sich nicht und ließ sich davonführen. Die Zuschauer beobachteten, wie die Frau umsichtig Gott stützte, der jetzt nur noch zusammenhanglos lallte, und zum Ausgang führte.

*

Gott schneuzte sich ausführlich, steckte das Taschentuch in seine Hose und fuhr damit fort, zu warten. Die Umstehenden traten nervös von einem Fuß auf den anderen. Die kleine unbekannte Frau, die unmittelbar hinter Gott stand und ihm sanft den Nacken massierte, brachte sie aus dem Konzept.
Noch viel ungewohnter jedoch war, dass Gott eine frische weiße Kutte trug, frisch gebadet und rasiert war und – man stelle sich das vor! - den ganzen Abend noch keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte.
Pi malte mit dem Fuß imaginäre Kreise auf den Teppich.
Chemie knibbelte sich Arsen aus den Zahnzwischenräumen.
Übergangslos tauchte Luzifer auf und saß Gott gegenüber. Er räusperte sich und versuchte offenbar, die unbekannte Frau zu ignorieren. »Heute also Poker, gut«, sagte er als Begrüßung, nahm den Kartenstapel und teilte Gott und sich selbst je fünf Karten aus. Pi reckte den Hals, um Gottes Blatt zu sehen. Aber der nahm seinen Stapel gar nicht auf. Diese Tatsache hatte sich inzwischen zu den hintersten Reihen herumgesprochen, mit der Folge, dass ein Gemurmel aufbrandete. Obwohl er Gott nur von hinten sehen konnte, meinte Pi zu bemerken, dass er lächelte. Luzifer dagegen (der scheinbar seine Hörner poliert und angespitzt hatte) trommelte mit den Krallen auf dem Tisch herum.
»Wieviele Karten willst du tauschen?«, fragte Luzifer.
»Keine«, sagte Gott, der nach wie vor sein Blatt nicht angerührt hatte.
»Wie ... wie du willst«, entgegnete Luzifer und nahm sich zwei Karten vom Stapel, legte drei andere wieder weg und holte eine weitere Karte aus seinem Ärmel.
Die Zuschauer hatten das natürlich genau gesehen und hielten den Atem an.
Luzifer legte seine fünf Karten offen hin. »Ich habe vier Asse«, erklärte er überflüssigerweise.
»Das dachte ich mir«, sagte Gott leichthin. Dann deckte er langsam seine Karten auf. Luzifer scharrte mit den Hufen und schwitzte. Seine Augen huschten unruhig zwischen den Karten und der unbekannten Frau hin und her.
Gott hatte immerhin zwei Dreien. Als sich die Neuigkeit über diese Niederlage herumsprach, wurden die Zuschauer unruhig. Was war diese Frau? Gestern schien sie die Glücksbringerin gewesen zu sein, heute wirkungslos?
Luzifer zwinkerte und sah zwischen Gott, dessen Karten und der Unbekannten hin und her. »Nun. Ein ... ein gutes Spiel«, sagte Luzifer, »vielen Dank. Noch eins?«
»Sehr gerne. Morgen«, sagte Gott.
»Gut«, sagte Luzifer und verschwand. Er schien es irgendwie eilig zu haben und hatte den bereitstehenden Tomatensaft nicht angerührt.
Die kleine Frau an Gottes Seite wandte sich zum Gehen. In der Zuschauergruppe bildete sich eine Gasse, als sie das Casino verließ. Gott war aufgestanden und sah ihr nach. Dann war sie verschwunden, als hätte sie nie existiert.
Pi ging zu Gott und fragte ihn: »Was ist passiert? Wer war diese Frau?«
Gott bedachte Pi mit einem freundlichen, warmen Blick. »Hast Du sie nicht erkannt? Ihr Name ist Unmöglich.«

 

Nun, die Frau Unmöglich hat ja durchaus ihre Daseinsberechtigung. Sie symbolisiert natürlich das unmögliche, d.h. anfangs Gottes einen Sieg und hinterher die Wende in seinem Auftreten. Sie ist der Schlüssel zur Wende in der Geschichte, ohne sie würde Gott nur die ganze Zeit sabbern, und das war nicht das, was ich erzählen wollte.
Danke für Deine Anmerkungen!

 

Hallo Uwe,

die Geschichte finde ich top. Einzig das Ende lässt mich etwas nachdenklich zurück (Pedant, der ich bin).
Ich habe die Geschichte natürlich vor den Kommentaren gelesen, deshalb erst mal nur diese Gedanken:
Dass sie Unmöglich ist, passt irgendwie einfach nicht, besser gesagt, lässt zu viele Dinge offen. Es ist nicht unmöglich, ein Vierling As zu schlagen, deshalb hat Frau Unmöglich diesbezüglich ihre Hände nicht im Spiel. Aber es ist ebenso nicht unmöglich, gegen ein Vierling As zu verlieren. Das einzig Unmögliche wäre es, wenn Gott ebenfalls einen Vierling As hätte.
Dann jedenfalls habe ich deine Erklärung gelesen:

Unmöglich ist, dass es Gott *völlig egal* ist, dass er verliert
Ich verstehe nicht, wieso das unmöglich sein soll.

Aber nun ja, ich merke, ich rede diese tolle Geschichte tot, und deshalb schließe ich mit folgenden Smilie ab: :thumbsup:

Tserk

 

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