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Grübchen

Monster-WG
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10.09.2014
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Grübchen

Dann sollen sie mich am Arsch lecken, auch wenn es die Herren des „Gundel“ sind. Lassen mich nach Budapest kommen, nur um mir zu sagen, dass sie mich in diesem Jahr nicht mehr gebrauchen können.
Haben es aber eleganter ausgedrückt und mir für nächstes Jahr Hoffnung gemacht.
Ja, ich will ins „Gundel“ – unbedingt. Kennt man auch in New York, und wenn die mir ein gutes Zeugnis geben, hab ich eine echte Chance in Amerika. Nur muss ich die Wartezeit leider in dieser Galeere abarbeiten, auf keinen Fall geh ich zurück in die Provinz.
Die Küche ist im Keller, und András, der Küchenchef, führt mich herum und stellt mich der Mannschaft vor.
Máté, ein verdrießlich wirkender Mensch, ist für die Fleischtöpfe zuständig, Vencel mit Kugelbauch und Riesenschnauz kommandiert die Frauen, die flink und unermüdlich den Ruhm der ungarischen Küche verteidigen. Schließlich noch Ödön, der Metzger mit einem ziemlich versoffenen Gesicht und Gyöngyi, die Hauptfrau der Kartoffel- und Gemüseküche.
Sie gibt mir die Hand und sagt: “Wenn dir mal ’n Messer im Bauch steckt“, dabei zeigt sie auf den Sanitätsschrank, „dann komm zu mir. Ich zieh’s wieder raus.“ Ihr Lächeln hat was, so was Spitzbübisches, kommt von den hübschen Grübchen. Sympathische Frau, muss ich sagen. Könnte meine Mutter sein. Aber die hatte keinen Dutt.
Ja, gut. Morgen geht’s los – von Zehn bis halb Drei und von Sechs bis halb Elf.


Hab mich schnell eingearbeitet. Die Kollegen flachsen, wie kühl es im Sommer hier unten wäre – und andrerseits so mollig warm im Winter, dass man hier bestens aufgehoben sei.
Das kann nichts Gutes bedeuten.
Ich find’s bald selbst heraus. Sie haben die Fettfilter ausgebaut, in der Hoffnung, der Küchenmief würde besser abziehen. Aber nein – er bleibt.
Uns tränen die Augen und wir stürzen das Bier nur so in uns hinein.
Nachmittags komme ich schniefend ans Licht der Welt. Muss nur einige Blocks weitergehen und schon bin ich auf den breiten Treppen an der Donau. Endlich frische Luft!
Die Zigarette ist blöd, aber ich häng dran. Zuerst schau ich nach Frauen, bin schon länger solo. Schöne Exemplare laufen herum, leider mit Begleitung. Von Studentinnen halte ich nicht viel, mag nicht deren Hochnäsigkeit und kluges Geschwafel. Aber die Zugänglichen will ich auch nicht, schlimmer noch: Vor denen habe ich Schiss.
Wenn du mit denen quatschst, geben sie dir andauernd recht, egal, was für einen Stuss du erzählst. Die wollen dich einwickeln, suchen einen Blöden, meist haben sie ein oder zwei Blagen am Hals und hätten gerne einen Ernährer, weil ihr Kerl über alle Berge ist.

Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Bin total unzufrieden, immer müde, zu nichts Lust. Und wenn mich „Gundel“ auch nächstes Jahr nicht nimmt? Soll ich in der Galeere weiterschuften, an schönen Nachmittagen den Verliebten beim Küssen und alten Männern beim Angeln zuschauen – bis mal eine der Zugänglichen ihr Netz über mich wirft?
Was mach ich in dieser tollen Stadt, nach Feierabend, wenn sich die beleuchtete Pracht in der Donau spiegelt, alles so großartig wirkt, wie ein Versprechen: Wer es bis Budapest geschafft hat, schafft’s auch nach Amerika.

Allerdings muss ich beim Alkohol aufpassen. Aber was zur Hölle soll ich machen?
Komm ich nachts aus der Tretmühle, bin ich zu aufgedreht, um ‚nach Hause’ zu gehen. In diesem Zimmerchen kann man nur schlafen, mehr nicht. Meist lande ich, schon mit schwerer Schlagseite, in einer Tanzbar. Die gibt’s wie Sand am Meer; Bass, Gitarre, Schlagzeug, schwaches Licht, Knistern in der Luft.
Das kommt von den Frauen, von ihren Blicken, wie sie sich bewegen.
Das sind keine leichten Mädchen, die arbeiten in allen erdenklichen Berufen, tanzen gern, lieben gern – aber natürlich wären sie nicht hier, wenn sie glücklich wären.
Irgendwann lässt der Schlagzeuger erkennen, dass dies der letzte Tanz war. Überrascht oder benommen reiße ich die Augen auf: Sie ist weg, und ich dachte .... War ein Konkurrent schneller, war sein Vorteil meine Langsamkeit? Bin ich verzagt und gehemmt? Egal, es ist ihre Entscheidung.
Nur die Notbeleuchtung brennt noch, die Musiker verstauen ihre Instrumente, die Kellner sammeln Gläser und Aschenbecher ein. Ich ziehe noch Zigaretten und stehe wackelig in der milden Nachtluft. Nach Hause schaff ich es nicht mehr, die Bank an der Haltestelle tut es auch. Mir wird sauübel. Ich fantasiere vom Waldorf Astoria, dessen Küchenchef ich am Ende meines Lebens sein möchte.

Jemand rüttelt mich. „Ja, was?“ – mehr krieg ich nicht raus.
„Kannst nich hierbleibn“, sagt sie und zieht mich langsam hoch. Grübchen? Ich halluziniere, aber sie sagt: „Ich mach dir ’n Tee, hak dich bei mir ein.“
Völlig im Tran schlurfe ich neben ihr her. „Kannst froh sein, dass ich noch so spät unterwegs bin“, sagt sie, „unser Chor hat den ersten Platz gemacht und wir konnten gar nicht genug feiern.“ Wir durchqueren Hinterhöfe und ich bin froh, als sie eine vergitterte Tür aufschließt und mich die Treppen hochschiebt. Da hänge ich in einem harten Sessel und muss Tee trinken. Ein böser Husten schüttelt mich, fast bekomme ich keine Luft. Sie gibt mir ein Dragee, pult mich aus meinen Klamotten und schon liege ich im Bett. Ich rolle auf die Seite und spüre, wie sie mich zudeckt.

Wonach riecht es? Sie hat Kaffee gemacht; prima Idee, noch besser mit Zigarette.
Langsam komme ich zu mir, nehme den Regenhimmel wahr, die unsägliche Lampe über uns, das verdrehte Laken, das aufgeschüttelte Kissen. Sie bringt mir eine Tasse, setzt sich im Morgenrock an meine Seite und sagt: „War ziemlich spät geworden.“
„Hör mal, Grübchen“, druckse ich herum, „ich muss mich bei dir sehr bedanken. War total neben der Spur, weiß auch nicht, wie das gekommen ist.“
Sie streicht mir übers Haar, nein, nicht wie meine Mutter. Die kannte das gar nicht.
„Ach, Ákos, ihr Kerle seid so verrückt wie die Weiber. Ich kenn’ das. Wir wollen alle bisschen was vom Leben, aber man kann’s nicht erzwingen.“
Mit dem Kaffee im Leib fühle ich mich etwas besser, kann die Hand heben und ihre Schulter berühren. Diese Nähe tut mir gut, so möchte ich es immer haben.
Dann geh ich höher und massiere ihren Nacken. Sie hält nicht nur still, sie stemmt sich ein wenig dagegen. So richte ich mich auf und massiere ihre Schultern mit beiden Händen ganz gleichmäßig, gerade so, wie ich mir das bei einem Masseur vorstelle.
Dieser zarte Rhythmus überkommt uns beide, auch sie legt ihre Hände um meinen Hals, knetet und streichelt. Dabei haben sich unsere Gesichter genähert und streifen die Haut des anderen mit halboffenen Lippen. Wir rücken näher, genießen die Wärme, werden hektisch. Grübchen hat einen wunderbaren Busen, die Kartoffelschürze hatte ihn verborgen.
Ihre Augen sind wirklich schön. Graublau und ganz klar, die Brauen wie mit dem Lineal gezogen. Die Haut spannt sich glatt über das hübsche Gesicht. Sie macht die Augen zu – ein Signal? Wir küssen uns, zaghaft und unsicher.
Es ist fantastisch, wir sind völlig übergeschnappt. Es ist so unglaublich, dass es mich ernüchtert.
Ich hab mir so oft gewünscht, nach dem Höhepunkt weiterzumachen, mehr aus Zärtlichkeit, der Frau zuliebe – aber nein, schon hab ich irgendeinen Scheiß im Ohr, der nichts zu tun hat mit dem wundervollen Erlebnis vor wenigen Momenten.


Ein Riesenberg Kartoffeln will geschält, zu Püree, Kroketten, zu was weiß ich verarbeitet werden. Sie ist schon da, neugierig schaut sie mich an. Ich hebe die Hand, nicke ihr zu, aber wegen der misstrauischen Blicke der anderen Frauen verdrücke ich mich.
Ich sehe sie erst zum Feierabend, als sie die Schälmaschine saubermacht. „War viel los heute, oder?“
„Kann man sagen“, erwidert sie.
Warum wird sie nicht deutlicher? Ich frage fast wie in Not: „Morgen ist Ruhetag. Haste was vor?“
„Ich werd’ viel schlafen, letzte Nacht war ziemlich kurz“, antwortet sie, „aber wunderbar.“
Ich muss etwas sagen, weiß aber nicht was. Da frag ich zögernd: „Darf ich dich besuchen?“
„Meinst du das wirklich?“
„Aber ja! Welche Frage!“, entrüste ich mich, obwohl ich merke, wie ich herumscharwenzle.
„Dann komm“, sagt sie, „egal wann.“

Auf dem Weg zu ihr kaufe ich Veilchen. Je näher ich ihrer Tür komme, desto langsamer werden meine Schritte, dann bleib ich stehen. Ich betrachte die zarten Blumen in meiner Hand, drehe sie hin und her, soll ich sie wegwerfen und nach Hause gehen? Aber ein gegebenes Wort muss man halten.

Die Tür ist unverschlossen, ich gehe nach oben, räuspere mich.
„Komm nur rein, hab dich schon gehört.“
Sie trägt das Haar offen. Ich weiß nicht so recht, so wirkt es fast grau. Sie zeigt auf zwei altmodische Gläser. „Tokajer magst du doch?“
Ja, dann ... Wir kommen direkt zur Sache. Und wie auch nicht? Zweimal war sie verheiratet, und dazwischen hat sie auch nicht nur im Beichtstuhl gesessen.


Der Rausch ist vorbei, wir rauchen. Sie lässt nur ein Lämpchen brennen. Meine Eltern taten es in völliger Dunkelheit. Das hat mich erstaunt, weil Geräusch und Finsternis nicht zusammenpassen.
Ich studiere die Linien in ihrem Gesicht, beim ersten Mal hatte ich sie nicht wahrgenommen. Ganz fein, wie mit der Klinge gezogen, überziehen sie die Stirn, umsäumen die Augen und markieren Mund und Kinn. Sie dreht sich hinüber zum Nachttisch, um die Zigarette auszudrücken. Der Rücken ist ein bisschen rundlich geworden, aber sie ist ein netter Kerl. Und mit den Grübchen einmalig.

Ich kann sie wirklich gut leiden, aber ich hätte nicht herkommen sollen. „Ich hab Durst“, sage ich verlegen.
„In der Küche steht der Siphon. Bedien dich.“
„Möchtest du auch?“
„Nein, hab kein' Durst“, antwortet sie.
Das Wasser schäumt ins Glas, schmeckt aber nicht. Abgestanden, fad. Ich spüle mir nur den Mund und spucke es aus.
In der Tür zwischen Küche und Schlafzimmer bleibe ich stehen. „Ich lass dich jetzt in Ruhe schlafen ...“, sage ich zögerlich. Eine Sekunde schaut sie mich überrascht an – dann antwortet sie gedehnt, als ob sie furchtbar müde wäre: „Ach ja, das ist lieb. Bist ein Schatz.“
„Tja dann ...“, sage ich konfus, „schlaf schön.“ Ich will ihr einen flüchtigen Kuss geben, um meine Unbeholfenheit zu überspielen, doch als ich den ersten Schritt zu ihr mache, wehrt sie ab:
„Nein, nein, lass nur ...“
Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und gehe fast auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, weiß auch nicht warum.

 

Hola @linktofink,

danke bestens für den kurzen, aber knackigen Komm. Du bringst es hervorragend auf den Punkt:

Ein abgeklärter Prot, ... dem das Leben so passiert

Ja, genau. Für so etwas finde ich das Beispiel der Kugel im Flipper treffend – die weiß nicht, wie ihr geschieht, kriegt immer neue Stöße in neue Richtungen, hin und wieder macht es bling! – zur Hochzeit und zum 50. Geburtstag, und dann verschwindet sie im Loch.

Aber bleiben wir heiter!
José

PS: Deine Erwähnung Djians find ich ebenfalls heiter – der offshore fühlte sich bei einer anderen KG von mir ebenfalls an ihn erinnert. Aber keine Sorge, ich werde nicht größenwahnsinnig.


[QUOTElinktofink:]Mal ganz off-topic: Woher kommt deine Ungarn-Affinität?
[/QUOTE]

Ich schicke Dir eine PM.

 

Dann sollen sie mich am Arsch lecken
... halte ich für einen sehr gelungenen Einstieg.
Und das denke ich dann auch ziemlich schnell, während ich mit Ákos auf der breiten Treppe an der Donau sitze und überlege, wie wir verdammt nochmal nach Amerika kommen.

@josefelipe: eine wunderbar sehnsüchtige Geschichte ist dir da gelungen. Ich bin sofort drin, falle kein einziges mal raus und am Schluss

Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und gehe fast auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, weiß auch nicht warum.
halte ich dazu noch die Luft an, weiß auch nicht warum.

Mein Lieblingssatz:

Wir wollen alle bisschen was vom Leben, aber man kann’s nicht erzwingen.“
So schön.

Ein bisschen schwer tue ich mir damit, dass Grübchen so sehr mütterlich charakterisiert ist. Sowohl optisch, als auch in ihren Gesten. Da muss ich mir bei den intimen Stellen die Hände vor die Augen halten (aber nur so halb), weil es mir dann ein bisschen unangenehm ist.
Aber wahrscheinlich muss das auch so :)

Ich mag deine Geschichte jedenfalls sehr gern.
Liebe Grüße vom Lotterlieschen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @Kanji,

besten Dank für Deinen Kommentar!

ich bin schon im ersten Absatz schwer angespannt. ... ... schon fordernd das Ganze.

Unglaublich diplomatisch formuliert, und lehrreich, wenn es um den schonenden Umgang miteinander geht. Und es stimmt – der Anfang konnte nicht alle überzeugen. Ich weiß nicht mehr, die wievielte Variante es war, die ich ausprobiert hatte, vielleicht war’s die falsche.

... bis mal eine der Zugänglichen ihr Netz über mich wirft?

Muss er halt immer ein Taschenmesser dabei haben.

Das hat er nur zur Melonenzeit bei sich (Honig- oder Wassermelonen, nicht die paarweise oben herausgedrückten:Pfeif:.

Dein Protagonist ist schon ziemlich abgeklärt ...

Eher im Gegenteil – er hat als Landei so gar keine Ahnung von den meisten Dingen ... und ziemlich jung ist er auch noch.

Och, wie schade. Er ist nicht verliebt.

Wäre auch nicht zu erwarten, Grübchen ist ein ganzes Stück älter. Beim ersten Mal ergab es sich durch Zufall, bei zweiten und letzten Mal hat er sich selbst in diese Peinlichkeit hineinmanövriert.

... weil Geräusch und Finsternis nicht zusammenpassen.

Ach so? Muss ich mal drüber nachdenken.

Nein, unnötig. Er ist dabei, die Welt in griffige Formeln zu packen, glaubt schon, über einige Weisheiten zu verfügen.

Der Rücken ist ein bisschen rundlich geworden, aber sie ist ein netter Kerl. Und mit den Grübchen einmalig.

Aber der ist nicht seit der letzten Nacht rundlicher geworden, oder?

Nein, das passiert beim Altern.

Der war wohl genauso schon da, wie die Linien und das Grübchen.

Ganz bestimmt. Beim zweiten Mal ist sein Blick klarer (Grübchen verschenkt der liebe Gott meist im Zweierpack).

Und ich hab gar nicht mitgekriegt, dass er eine spezielle im Auge hatte. Schade.

Er ist neu im Milljöh, und zum Draufgänger fehlt ihm (noch?) einiges. Außerdem hat er zu viel gesoffen.

... mir hätte es gut gefallen, wenn Grübchen gefeiert hätte, obwohl sie letzte geworden sind, weil sie doch auch so ein ... kleines Schäfchen ist und ihr Weg auch nicht vergoldet zu sein scheint.

Seh ich auch so. Hab sie tatsächlich 1964 / 65 im Restaurant Berlin kennengelernt, weil ich dort gearbeitet habe – aber ohne Intimitäten! Die hatte nicht viel Glück im Leben, zwei versoffene Ehemänner, hin und wieder Prügel – da gehen die besten Jahre dahin ...

Eine Liebesszene der anderen Art und herrlich natürlich und ganz bei dem Protagonisten, er wird und wird kein heißer Casanova.
Dieser Prognose schließe ich mich an. Hoffen wir, dass er wenigstens ein ordentlicher Koch wird.

Liebe Kanji, hat mich – wie immer – sehr gefreut,

und so verbleibe ich mit den besten Empfehlungen auch für weitere Texte

und guten Wünschen

in vorzüglicher Hochachtung
José

 

So, jetzt mach ich mich auch nochmal über deinen Text her, lieber @josefelipe, vielleicht finde ich ja noch was, das noch nicht gesagt wurde.

Da ist zunächst mal der Anfang, der ja von einigen hier als zu hart empfunden wurde. Damit gehe ich schon mal nicht konform, denn ich fand den Einstieg in seiner Derbheit sehr gelungen.
Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich selbst aus der Gastronomie komme und weiß, was man Köchen allgemein nachsagt. Sie sind - oder wirken - oft nicht besonders zart beseitet, rasten öfter mal aus, was bei Dauerstress und bei im Sommer gefühlten hundert Grad in der Küche nachvollziehbar ist. Habe sogar mal von einem gehört, der den Kellnern Gabeln hinterhergeschmissen hat, die dann in der Tür steckengeblieben sind. In einem Gourmet-Restaurant!
Ja, ich weiß, das hört sich nach Kochmannsgarn an, aber es würde mich nicht überraschen, wenn es stimmte.
Also lange Rede, kurzer Sinn: Klischee hin oder her, gerade am Anfang vermittelst du ein realistisches Bild davon, wo wir uns hier befinden. Sehnsucht - obwohl es um die ja eigentlich geht - wäre hier fehl am Platz gewesen, da geht's um knallharte Realität bei der Arbeit inner Großküche.

Dass ich nicht weiß, was das "Gundel" ist, hat mich ebenfalls nicht gestört, denn es geht ja aus dem Text hervor, was das sein soll.

Nur die ganzen Namen scheinen mir auch überflüssig, aber das wurde dir ja schon öfter gesagt, und du möchtest es so lassen.

Inhaltlich hat mich die Geschichte sehr berührt, ich finde, du hast die Unsicherheit deines Erzählers in Bezug auf das Stelldichein mit Grübchen subtil und authentisch geschildert. Für mich geht es hier weder um Mütterlichkeit - obwohl das bei dem Altersunterschied naheliegend ist - noch Liebe, sondern erstmal nur um die Begegnung zweier Menschen, die im richtigen Moment einander guttun. Es ist ja ei tolles Erlebnis, die Zweifel kommen ja erst später. Erst später fallen ihm die Fältchen auf, das (fast) graue Haar, und plötzlich schaltet sich der Verstand ein und er fragt sich:Geht das überhaupt? Obwohl ja nie von einer Beziehung die Rede war.

Aber seine Verwirrung lässt ihn kritischer hinsehen, und er schwankt zwischen: Warum nicht und: Nee, geht gar nicht.
Umgekehrt wird sie sich wohl an seinem Milchgesicht gestört haben.

Du sagst, die Geschichte spiele 1964/65. Ungefähr in der Zeit habe ich sie auch verortet, noch vor der sexuellen Revolution, ( und vor dem Film "Die Reifeprüfung" mit Dustin Hofman&Anne Bancroft) wo gesellschaftliche Zwänge noch eine viel größere Rolle spielten, sie ist ja kein "leichtes Mädchen", er mag sie, und er wird sie immer wiedersehen, weil er mit ihr zusammen arbeitet. Auch so eine Sache, nicht nur zur damaligen Zeit.

Schön fand ich auch das Bild mit den Veilchen. Er ist auf dem Weg zu ihr, freut sich (noch) und bringt Veilchen mit als ginge er zu seinem " Mädchen", stehen Veilchen doch unter anderem für Bescheidenheit, Frühling und vor allem: Jungfräulichkeit. Da fällt ihm zum ersten Mal auf, dass die Schwärmerei für Grübchen nichts mit den Gefühlen zu tun hat, die er einem jungen Mädchen entgegenbringen würde und das verwirrt ihn gehörig.
Grübchens Gedanken scheinen in eine ähnliche - wenn auch gegengesetzte - Richtung zu gehen, und so bleibt es bei diesem zweimaligen Erlebnis, einer schönen Erinnerung, die man wohl nie vergisst, weil sie so besonders war. Von daher finde ich das Ganze auch nicht wirklich traurig, eher romantisch. Doch, hat mir gut gefallen.

Zwei Sachen noch:

"Mir wird sauübel. Ich fantasiere vom Waldorf Astoria ..."
Das passt für mich nicht. Erstmal frage ich mich, wie man so besoffen noch fantasieren kann, eigentlich denkt man da doch gar nicht mehr klar, und wenn einem sauübel ist schon gar nicht. Das hört sich an, als ob er beim Kotzen ans Waldorf Astoria denkt, und das kommt mir dann doch ein bisschen schräg vor. Deshalb - und damit komme ich zum zweiten Punkt - habe ich auch nicht begriffen, warum er sich dann im Sessel "nochmals übergeben" muss, denn, dass er es zuvor schon getan hat, ist mir nicht klar geworden. Vielleicht kannst du das ja noch ein wenig deutlicher machen.

Das war's mal wieder von mir.

Viele Grüße von Chai

 

Hola @Lotterlieschen,

besten Dank für Deinen wohlgesonnenen Kommentar; ist doch immer wieder schön, wenn die Leser nicht allzu viel zu kritisieren haben.

In diesem einen Punkt kann ich Dein Empfinden verstehen:

Ein bisschen schwer tue ich mir damit, dass Grübchen so sehr mütterlich charakterisiert ist. Sowohl optisch, als auch in ihren Gesten.
Ein rundes Bild, leider unvermeidbar. Sie ist deutlich älter und die beiden hätten nie miteinander geflirtet, geschweige denn wären sie ins Bett gestiegen. Ganz bestimmt nicht.
Es ist so, wie @Raindog schrieb:
Diese beiden verlorenen Seelen ...
Natürlich hoffe ich, die auch so geschildert zu haben – es ist den beiden widerfahren.

Okay, beim ersten Mal war er schon im Bett und sie saß auf der Kante. Dann haben sie das beste draus gemacht, ein Mann und eine Frau eben, oder wie Du sagen würdest ‚der Mann’ und ‚die Frau’. Ein paar Milliarden Leute würden sich nach meinen Berechnungen Vorstellungen ebenso verhalten:schiel:.

Da muss ich mir bei den intimen Stellen die Hände vor die Augen halten (aber nur so halb), ...
Iwo, ich hab’s doch Dir und den anderen Lesern erspart.
... weil es mir dann ein bisschen unangenehm ist.
Mir auch, und Àkos auch. Das zweite Mal verlief ja auch ziemlich halbherzig. Eigentlich ganz ohne Herz, nur mit freundlichen Gefühlen füreinander. Aber das Wasser aus dem Siphon war vom Autor gewollt so fade.

Deine Vermutung will ich nicht als Vorlage für eine Ausrede benutzen:

Aber wahrscheinlich muss das auch so
doch es stimmt – so wie die Dinge liegen, geht es mMn nicht anders. Sollte ja auch keine Liebesgeschichte sein.


LLL (liebes Lotterlieschen), nochmals bedankt
und viel Spaß bei Deiner neuen Geschichte!
José

 

Lieber @josefelipe ,
Eine schöne Geschichte, sensibel geschrieben. Akos, der so sehr versucht, nach oben zu gelangen, erfolgreich zu sein, seine Träume verwirklichen will. Amerika, das gelobte Land. Und wieder an der Realität, den "Herren des 'Gundel'", scheitert. Trost sucht, aber keinen findet. Schließlich, zu einem großen Teil wohl der Verzweiflung geschuldet, in dem Armen von "Grübchen" landet. Einer Frau, die er nicht zwingend den Mädchen an der Uferpromenade vorgezogen hätte, kann man wohl annehmen. Allein, für den Moment war sie alles, was er brauchte. Nach zwei Momenten sieht er ein, dass sie es doch nicht ist, nicht sein kann. Und Grübchen scheint letztendlich, nach der Sekunde der Überraschung, routiniert darin, nichts Besonderes in Akos' Abkehr zu sehen. Diese Erkenntnis macht traurig.
Du schreibst hier in einem Stil, der für mich gut passt zu Akos, dem Erzähler. Dieses leicht Gehetzte, Verwirrte, Zerrissene. Man merkt, dass er so durchs Leben taumelt. Und diese feine Melancholie, die über allem liegt (Budapest ist auch die richtige Stadt dafür ;-), unterstreicht das noch.
Eine kleine, feine Geschichte. Hat mir gefallen.

Beste Grüße,
Fraser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @Chai,

Chai schrieb:
... vielleicht finde ich ja noch was, das noch nicht gesagt wurde.

Als ich das lese, bin ich noch guten Mutes, doch als ich dann sehe, dass Dein Komm recht umfangreich ausgefallen ist, lege ich die Ohren an. Gleich gibt’s Prügel.
Doch es beginnt zart:
Chai schrieb:
... ich fand den Einstieg in seiner Derbheit sehr gelungen.
Dass ich nicht weiß, was das "Gundel" ist, hat mich ebenfalls nicht gestört, denn es geht ja aus dem Text hervor, was das sein soll.
Schön, dass Du so unkompliziert bist.
Ich freue mich zu lesen
Chai schrieb:
... dass ich selbst aus der Gastronomie komme
Prima, dann bist Du ja im Bilde. Kochsprech ist wesentlich unfeiner als die Sachen, die an die Tische geschickt werden.
Chai schrieb:
Habe sogar mal von einem gehört, der den Kellnern Gabeln hinterhergeschmissen hat, ...
Das ist völlig in Ordnung – Kellner sind aber auch zu blöd. Und teilen ihr Trinkgeld nicht mit den Köchen.

Nur die ganzen Namen scheinen mir auch überflüssig, ...
Da hast Du selbstverständlich recht, es wäre ein Klacks, sie zu streichen.
Anfangs hatte ich putzige Namen rausgesucht, das schien mir dann aber nicht so superoriginell. Ich hab schließlich unspektakuläre Namen gewählt, sie sollen den Leser auf Ungarn einstimmen.

Chai schrieb:
Inhaltlich hat mich die Geschichte sehr berührt, ich finde, du hast die Unsicherheit deines Erzählers in Bezug auf das Stelldichein mit Grübchen subtil und authentisch geschildert. Für mich geht es hier weder um Mütterlichkeit - obwohl das bei dem Altersunterschied naheliegend ist - noch Liebe, sondern erstmal nur um die Begegnung zweier Menschen, die im richtigen Moment einander guttun.

Du sagst das treffend, genau auf den Punkt! Fabelhaft präzise – so war’s gedacht.
Das find ich großartig, dass Du das genau so empfunden hast.

... die Zweifel kommen ja erst später. Erst später fallen ihm die Fältchen auf, das (fast) graue Haar, und plötzlich schaltet sich der Verstand ein ...

Kann man so sagen. Eigentlich wäre er nie auf die Idee gekommen, mit Grübchen ...
Die Frau in der Bar, die mit einem anderen abgezogen ist, wäre eher seine Kragenweite gewesen. Aber wenn einem die Umstände eine sympathische Krankenschwester ans Bett setzen, tjaaa dann ... Flipper.

Chai schrieb:
... er schwankt zwischen: Warum nicht und: Nee, geht gar nicht.

So ist es.
‚Warum nicht?’ – verständlich, er ist ja schon einige Zeit solo.
‚Nee, geht gar nicht.’ – da lässt sich nichts schminken.

Chai schrieb:
Umgekehrt wird sie sich wohl an seinem Milchgesicht gestört haben.
Woher weißt Du? Aber es stimmt: Es wollte ihm fürs Verrecken kein ordentlicher Männerbart wachsen.

Deine Gedanken zur Veilchen-Szene finde ich scharfsinnig und gescheit. Und ich schließe mich auch hier Deiner Meinung an:

Von daher finde ich das Ganze auch nicht wirklich traurig, eher romantisch.

Die Unberechenbarkeit des Lebens halt. Er denkt doch sowieso nur an Amerika (vermute ich).

Und ich denke: Oh, ist der befürchtete Verriss-Fetz jetzt doch an mir vorbeigegangen oder kommt noch was? Meine Ohren kommen wieder zum Vorschein.

Aber dann kommt noch was:

José schrieb:
"Mir wird sauübel. Ich fantasiere vom Waldorf Astoria ..."
Chai schrieb:
Das passt für mich nicht. Erstmal frage ich mich, wie man so besoffen noch fantasieren kann, ...

„Stimmt, das ändere ich, danke. So wie Du werden es die meisten Leser empfinden und da muss ich reagieren.“*)

Chai schrieb:
... eigentlich denkt man da doch gar nicht mehr klar, und wenn einem sauübel ist schon gar nicht. Das hört sich an, als ob er beim Kotzen ans Waldorf Astoria denkt, und das kommt mir dann doch ein bisschen schräg vor.

*) Das hatte ich geschrieben, weil Du recht hast. Beim Ändern bin ich dann wankelmütig geworden, weil ich den Kontrast von ‚sauübel’ und ‚Waldorf Astoria’ gut fand. Und weil ich denke – durch eigene Erfahrung unterlegt:shy: – dass er ‚so besoffen’ nicht war, dass er nicht mehr fantasieren kann ( Ich jedenfalls konnte das damals – entweder von einer Schwarzgelockten oder von meiner dringenden Ausreise in den Westen). Außerdem zieht er Zigaretten und ‚bettet’ sich aus eigener Kraft auf die Bank.

Chai schrieb:
... habe ich auch nicht begriffen, warum er sich dann im Sessel "nochmals übergeben" muss, denn, dass er es zuvor schon getan hat, ist mir nicht klar geworden. Vielleicht kannst du das ja noch ein wenig deutlicher machen.

Ungern, denn vorher hat er es nicht getan, ihm wurde nur sauübel – laut Text, obwohl der Leser später durch „das zweiter Mal“ annehmen muss, dass das erste Mal mit dem ‚sauübel’ einherging. Das Fette ist gestrichen – jetzt wird ihm die Luft knapp. Und somit gibt’s auch kein ‚erstes Mal’.

Dieses viele Gerede über Kleinigkeiten im Text**) kann hakelig sein, weil ein Autor mehr als der Leser weiß, möglicherweise hat er Figur oder Szene anders im Sinn als jener. Bei Deinem „Hirnstoffwechsel“ habe ich auch einige Punkte angemerkt, die Du als Autorin vermutlich anders siehst als ich (Konnte ich in einigen Deiner Antworten auf die Komms entnehmen) – nur: Ist es eigentlich sinnvoll, das alles durchzuackern?

Prinzipiell ja, grad hier in der Schreibschule. Aber bei wie vielen Stellen nach dem Komma ist Schluss?
Charaktersache, Geschmackssache – so was in der Art würde ich sagen, lapidar wie immer. Aber neben dem Text gibt’s noch unsere Emotionen. Wir stellen unsere Texte ein in der Hoffnung / Absicht, dass man uns lobt. Alles andere stört; wenigstens gefühlsmäßig:hmm:. Auch vom Autor gewollte, aber für den Leser ungewohnte Formulierungen stoßen ev. auf Unverständnis und Kritik. Zwickmühle.

Das ist auch der Grund, weswegen ich nicht mit meinem Komm zu Deinem Text vorankomme. Ich liebe große Gesten, hab’s aber oft schwer mit den Korinthen. Schrecklich.

Denke manchmal daran, mich umzubringen – dann aber fällt mir mein Versprechen ein, meinem Zechbruder Győző bei der Weinlese zu helfen und ich muss das verschieben.
Allerdings möchte man dann auch die Entwicklung der selbst geernteten Trauben verfolgen, jeden Monat schaut’s anders aus – und so geraten sich literarische Verzweiflung, Freundestreue und die Liebe zum Wein ins Gehege und man weiß nicht mehr, wo einem der Kopf steht. Nur eines weiß ich sicher: ‚Hirnstoffwechsel’ ist für mich ein zu harter Brocken.

Liebe Chai, bitte sieh’s mir nach – ich pack das nicht. Aber bei Deiner nächsten Geschichte bin ich gerne wieder mit dabei.

Allerbeste Grüße und weiterhin einen schönen Monsun!
José
Bah, bin ich fies. Jetzt merke ich’s selbst.


PS:**)

Chai schrieb:
Das hört sich an, als ob er beim Kotzen ans Waldorf Astoria denkt, und das kommt mir dann doch ein bisschen schräg vor.

Du meinst, er kotzt – ohne dass es im Text steht.

Chai schrieb:
... habe ich auch nicht begriffen, warum er sich dann im Sessel "nochmals übergeben" muss, denn, dass er es zuvor schon getan hat, ist mir nicht klar geworden.

Hier sagst Du, dass es Dir nicht klar war. Merkste was? Wir könnten uns verhakeln.
Aber nein, wir bleiben locker und umschiffen weiträumig die Klippen von Korinthanien:)

 

Hola @Fraser,

über Deinen Kommentar habe ich mich gefreut. Aber was soll ich sagen? Du hast den Inhalt der Geschichte so perfekt zusammengefasst, dass mir nicht mehr übrig bleibt, als mich zu bedanken.

Wenn ich den Inhalt der Geschichte jemandem erklären sollte, dann würde ich Dich fragen, ob ich Deinen Text verwenden darf – auf keinen Fall hätte ich es besser auf den Punkt gebracht.

Fraser schrieb:
Und diese feine Melancholie, die über allem liegt (Budapest ist auch die richtige Stadt dafür), unterstreicht das noch.

Du scheinst die Stadt zu kennen und bist der ideale Leser für diesen Text. Ideal (für mich) ist auch, dass Du mit dem Text gut zurechtgekommen bist und nichts kritisiert hast – das hat man nicht allzu oft:).

Alles Gute und ein schöner Gruß!

José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola @josefelipe,

josefelipe schrieb:

Kellner sind aber auch zu blöd. Und teilen ihr Trinkgeld nicht mit den Köchen.

Mist, da hab ich wohl in den falschen Läden gearbeitet. Ich musste mein Trinkgeld immer mit diesen Cholerikern teilen. :gelb:

josefelipe schrieb:

... und weil ich denke, dass er so besoffen nicht war, dass er nicht mehr fantasieten kann.

Ich seh schon, du bist sehr viel trinkfester als ich.

josefelipe schrieb:

Das ist auch der Grund, weswegen ich nicht mit meinem Komm zu deinem Text vorankomme.

Bloß kein Stress!

josefelipe schrieb:

Denke manchmal daran, mich umzubringen -

Nicht doch, José. Es sei denn, du kannst es nicht ertragen, dass:
josefelipe schrieb:

Du meinst, er kotzt - ohne,dass es im Text steht ... Hier sagst du, dass es dir nicht klar war.

Nee, war mir nicht klar, weil es nicht gesagt wurde. Ist mir dann später durch das "nochmal" erst gekommen, der Gedanke. Aber genug der Hakelei. Du sagst:

josefelipe schrieb:
Aber bei deiner nächsten Geschichte bin ich gerne wieder mit dabei.
Nichts voreilig versprechen! Wer weiß, welchen Brocken ich dir nächstes Mal serviere ...:D

Viel Spaß bei der Weinlese! Und fantasier nicht zuviel.

Viele Grüße,
Chai

 

Lieber @josefelipe

Wenn ich den Inhalt der Geschichte jemandem erklären sollte, dann würde ich Dich fragen, ob ich Deinen Text verwenden darf
Nur zu, Erlaubnis erteilt ;-)

Du scheinst die Stadt zu kennen und bist der ideale Leser für diesen Text.
Kennen ist übertrieben. Ich war vor einigen Jahren mal für zwei Tage beruflich dort. Sicher nicht lang genug, um die Stadt intensiv zu entdecken. Bei einem Streifzug durch die Innenstadt war da aber schon dieses Gefühl der Melancholie. Diese wuchtigen Gründerzeithäuser, vielfach marode und grau, schienen einer vergangenen Zeit nachzutrauern. Die Hinterhöfe im Dronröschenschlaf. Sehnsucht, erweckt zu werden. Auf meinem Rückweg zum Hotel war dann eine der Brücken gesperrt, weil da ein Selbstmörder (?) hochgeklettert war. Passte auch irgendwie ;-)

Bis bald dann.
Beste Grüße,
Fraser

 

Hola @josefelipe,

in Zukunft werde ich das immer so handhaben: Den anderen lass ich die „Arbeit“ machen und ich komm zur „Nachlese“ vorbei und sondere noch ein paar „gscheite Gedanken“ ab. Aber Ernst beiseite, ich hab in meinem persönlichen Friedhof der unvollendeten Komms noch ein Blatt mit „Grübchen“ gefunden. Warum sollte ich dir die Einschätzung vorenthalten, wenn du mich doch so charmant bittest:

So lustig kann’s gerne weitergehen.

Lustig kann ich nicht versprechen. Auf alle Fälle probier ich ernsthaft.
Die Geschichte kann ich gut leiden. In erster Linie mag das an den Personen aus Fleisch und Blut liegen. Allerdings nehme ich Ákos nicht als abgeklärt wahr. Mehr als verunsicherten (schüchternen), frustrierten, wütenden jungen Mann, der auf der Suche nach Geborgenheit (die er schon bei seiner Mutter nicht fand) sehr verloren auf mich wirkt. Obwohl er ein klar umrissenes Ziel hat: übern großen Teich machen und dort Karriere. Vorerst schnappt er sich das kleine Zipfelchen Glück, das Grübchen heißt. Und sie als lebenskluge Frau weiß ihrer beider Begegnung richtig zu werten.

Zwei Dinge sind mir besonders bewusst geworden:
Erstens, navigierst du sicher und steuerst zielstrebig auf das Ende zu. Will sagen, es gibt keine Verzweigungen und Nebenbaustellen, schweifst gedanklich kein bisschen ab. Eine feinfühlig und stringent erzählte Geschichte, die das Thema Illusionen und unerfüllte Sehnsüchte aufgreift und konsequent abarbeitet.

Zweitens, und das ist eine Empfindung, die ich noch mal überprüft habe, schimmert hier (im Vergleich mit deinen anderen Geschichten, die ich kenne) nicht dein Humor, deine Selbstironie durch die Zeilen. Weißt ja, dass ich das mag, wenn bei aller Trostlosigkeit im größten Übel, der Held über sich selber lachen kann. Dieser Text funktioniert für mich auch ohne humoristische Untermalung. Vielleicht kannst du gerade deshalb seine melancholische Grundstimmung erhalten.
Ich möchte dich gerne fragen, ob dies bewusste Entscheidungen von dir waren?

Bei der „Nachlese“ hab ich wirklich nur unbedeutenden Pipifax gefunden, ich erwähnte ihn nur, weil ich schon mal da bin und damit du erfährst, wie ich das eine oder das andere interpretiere. Wir wissen ja, da gehen wir nicht in jedem Fall konform, :lol: vorsichtig ausgedrückt.

Ach ja, der berühmt-berüchtigte erste ach so wichtige Satz:

Dann sollen sie mich am Arsch lecken, auch wenn es die Herren des „Gundel“ sind.
gute Entscheidung, gibt mir vom Protagonisten einen Eindruck, der in der Geschichte
bekräftigt wird

Ja, ich will ins „Gundel“ – unbedingt. Kennt man auch in New York, und wenn die mir ein gutes Zeugnis geben, hab ich eine echte Chance in Amerika.
das Ziel steht fest, wieder Amerika, aber diesmal keine Pizzabäckerei :)

…kommandiert die Frauen, die zäh und flink den Ruhm der ungarischen Küche verteidigen.
Beim ersten Lesen fragte ich mich, wie etwas gleichzeitig zäh und flink sein kann.
Ich hab zäh im Sinne von zähflüssig, träge gelesen und nicht im Sinne von eisern durchhalten, nur damit du weißt, dass das auch möglich ist.

Sie gibt mir die Hand und sagt: “Wenn dir mal ’n Messer im Bauch steckt“, dabei zeigt sie auf den Sanitätsschrank, „dann komm zu mir. Ich zieh’s wieder raus.“
Schön, eine Frau mit Humor (vielleicht irre ich mich doch und der Schalk des Autors
schlägt sich nieder).

Ihre Augen sind wirklich schön. Graublau und ganz klar, die Brauen wie mit dem Lineal gezogen.
Muss an meinen Wanderweg denken, der war auch mit dem Lineal gezogen, wobei doch angeblich die Schönheit der Augenbrauen in ihrem Schwung liegen soll.

Es wird fantastisch, wir sind völlig übergeschnappt. Es ist so unglaublich, dass es mich ernüchtert.
jetzt bin ich sehr pingelich, aber warum: es wird fantastisch? Du erinnerst dich? Dein Protagonist erzählt genau in dem Moment, in dem er etwas erlebt (praktisch gar nicht möglich, wie kann der küssen und erzählen bzw. schreiben?), doch du hast dich nun mal für die Erzählzeit Präsens entschieden, korrekt wäre: Es ist fantastisch. Es sei denn, er würde eine Vermutung äußern.

Meine Eltern taten es in völliger Dunkelheit. Das hat mich erstaunt, weil Geräusch und Finsternis nicht zusammenpassen.
Zu meiner Schande gebe ich zu, dass ich nicht begreife, was du damit meinst: Geräusch und Finsternis passen nicht zusammen.
Willst du sagen, dass die Geräusche ohnehin verraten, was die Dunkelheit verbergen soll? Und woher weiß der junge Mann, dass die Eltern die Dunkelheit bevorzugten? Interessiert mich persönlich. :idee:

Hat Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und zu kommentieren.
Bis später, ein herrliches Wochenende wünscht dir und allen, die das lesen peregrina

Eine Frage hab ich dennoch: Wer hat denn das lustige Schiffchen für dein Profilbild gezeichnet?

 

Hola @peregrina,

Du bist ebenfalls charmant, weil Du meine Bitte erhörst:

Warum sollte ich dir die Einschätzung vorenthalten, wenn du mich doch so charmant bittest

Die Geschichte kann ich gut leiden.
Dein Resümee kann ich auch gut leiden. Und weil das gleich am Anfang kommt, verfliegen Angst und Bange vor einem möglichen Verriss. Ich komme aus der Deckung.

Allerdings nehme ich Ákos nicht als abgeklärt wahr.
Hat auch keiner behauptet. Der kommt aus der Provinz und hat von nix ’ne Ahnung.
Aber Du sagst ja auch:
Mehr als verunsicherten (schüchternen), frustrierten, wütenden jungen Mann, ...
Genau.

Vorerst schnappt er sich das kleine Zipfelchen Glück, das Grübchen heißt.
Hat er das? Ich mein, die haben sich per Zufall getroffen.

Und sie als lebenskluge Frau weiß ihrer beider Begegnung richtig zu werten.
Oh ja.

... navigierst du sicher und steuerst zielstrebig auf das Ende zu.
Ist einer der wenigen Fälle, wo ich einen festen Ablauf im Kopf hatte – und Happy End war sowieso tabu.

Eine feinfühlig und stringent erzählte Geschichte, die das Thema Illusionen und unerfüllte Sehnsüchte aufgreift und konsequent abarbeitet.

Toll gesagt! Beim Schreiben waren Erinnerungen dabei.

... schimmert hier (im Vergleich mit deinen anderen Geschichten, die ich kenne) nicht dein Humor, deine Selbstironie durch die Zeilen.

Ich staune, wie treffend Du mein(e) „Werk(e)“ analysierst. Und Du hast selbstverständlich Recht!

Dieser Text funktioniert für mich auch ohne humoristische Untermalung. Vielleicht kannst du gerade deshalb seine melancholische Grundstimmung erhalten.

Ja, das war mir in diesem Fall wichtig. Grübchen war eine dieser stillen Heldinnen, die den ganzen Schlamassel zusammenhalten.

Ich möchte dich gerne fragen, ob dies bewusste Entscheidungen von dir waren?

Absolut. Das ist meine ernsteste Geschichte bisher. Das scheint nur zu funktionieren, wenn etwas Persönliches mit reinspielt.

Wir wissen ja, da gehen wir nicht in jedem Fall konform, vorsichtig ausgedrückt.

Oh – staun! Ist es so schlimm mit uns beiden?

das Ziel steht fest, wieder Amerika, aber diesmal keine Pizzabäckerei

Deine Registratur arbeitet einwandfrei. Bin beeindruckt.

... fragte ich mich, wie etwas gleichzeitig zäh und flink sein kann.
Ich hab zäh im Sinne von zähflüssig, träge gelesen

Ich hoffe, das geklärt zu haben mit ‚unermüdlich’.

die Brauen wie mit dem Lineal gezogen.

... wobei doch angeblich die Schönheit der Augenbrauen in ihrem Schwung liegen soll.

Ich liebe beides:cool:. Es gibt eine (pseudo)wissenschaftliche Studie: Die ‚Lineal-Brauen’ genießen einen höheren Sympathiefaktor.

jetzt bin ich sehr pingelich, aber warum: es wird fantastisch?

Ja warum?

korrekt wäre: Es ist fantastisch.

Selbstverständlich! Was habe ich denn geschrieben?
Aber ernsthaft: Ist geändert, danke.

Zu meiner Schande gebe ich zu, dass ich nicht begreife, was du damit meinst: Geräusch und Finsternis passen nicht zusammen.
Willst du sagen, dass die Geräusche ohnehin verraten, was die Dunkelheit verbergen soll? Und woher weiß der junge Mann, dass die Eltern die Dunkelheit bevorzugten? Interessiert mich persönlich.

Woher weiß er das? Also – ich weiß es nicht. Vielleicht denkt er sich das so: Wenn es finster ist, passiert nichts, es sei denn, die Katze fällt vom Klavier. Macht Moll und Plumps, aber dann ist es wieder still:sconf:. Obwohl – das ist doch Quatsch, oder?

Wer hat denn das lustige Schiffchen für dein Profilbild gezeichnet?

Na icke! Wollte damit kundtun, dass ich in meinen wilden Jahren ein unerschrockener Seemann war, mit reichlich Haaren auf der Brust. Wenn ich Segel setzte, war mir die Windrichtung egal.
Lange her – die Tattoos sind unscharf geworden:shy:.

Liebe peregrina, unser kleiner Austausch hat mich wieder einmal gefreut. Ich danke Dir fürs aufmerksame Lesen und das Ziehen der richtigen Register.

Übrigens – mit der verdammten Overlock habe ich meine gesamte Kleidung selbst genäht. Das ist für mich völlig normal, hier auf dem Dorf. Ich werde oft fotografiert.

Viele Grüße!
José

 

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