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Grün wie Jade
Chiang Mai im Norden von Thailand
13.April 2020: 13:22 GMT (20:22 Uhr Ortszeit)
Opa Kurt riecht nach verrottetem Fisch. Sein Schweiß setzt sich so tief im Bettlaken fest, dass ich es heiß waschen muss.
Als er zum ersten Mal bei mir war, gefiel er mir. Er war gut gekleidet, Chino-Hosen, Hemd. Nicht wie die Kerle, die Jogginghose tragen, Baseball-Caps und darunter die welke Haut, Altersflecken und Glatze verbergen. Opa Kurt trug Feinripp, aber sauber, frisch gewechselt, bevor er zu mir kam. Ein Herr, ein Gentleman. Wenn er mich berührte, waren seine Hände Schmetterlinge, seine Küsse Rosenblätter.
Zu viel ändert sich. Die gute Zeit geht vorüber. Opa Kurt hat kein Geld mehr. Wer weiß, wie lange er noch hierbleibt. Die anderen sind längst verschwunden. Eigentlich wär’s mir egal. Ich genieße die freie Zeit und habe ein wenig gespart. Aber ewig reicht’s nicht. Und meine Familie muss ich auch unterstützen. Vielleicht fahre ich nach Bangkok, um zu tanzen. Vielleicht wär’s auch besser, ich gehe wieder zur Schule, um zu lernen. Wann, wenn nicht jetzt! Schließlich bin ich jung, fünfzehn Jahre alt, habe das Leben vor mir.
„Ich war Bäcker, bevor ich in Rente gegangen bin.“
„Okay.“
„Ich könnte Brot backen, richtig knusprig, und auf dem Markt verkaufen.“
„Brot ist kein Reis.“
„Meine Rente habe ich auch noch, Suna.“
„Du kannst nicht mehr herkommen, wenn du nichts bezahlst, das musst du kapieren.“
„Weißt du, wie gutes Brot schmeckt?“
„Brot ist kein Reis, Kurt.“
Ich schicke ihn weg. Er schlurft über den Boden und dreht sich nicht um.
Nahm drängt sich an ihm vorbei. Sie stammt aus meinem Dorf. Die Straße endet dort, wo ich herkomme. Dahinter beginnt der Wald und die Schlucht mit den Abgründen und den wilden Tieren. Wenn ich an die Heimat denke, rieche ich Blätter, Moos und schwarze Erde.
Ich spiele mit der App. Im Zimmer blinken Lampen, führen ein Lichtspiel aus rot und gelb und grün im Takt zur Popmusik in der Geburtssprache, die mir das Herz wärmt, weil die Texte von Liebe und Sehnsucht, von Trauer und Hoffnung erzählen, die Beats aber nach Europa, Amerika und der ganzen Welt klingen. Nahm setzt sich ganz nahe neben mich. Ich zünde Räucherstäbchen an. Die Statue des Smaragdbuddhas habe ich in einer Bude neben dem Tempel gekauft. Das Grün strahlt so lebendig, wenn Licht auf die Jadefigur fällt. Meine Eltern und die Geschwister lachen in die Kamera. Jeder in unserer Familie, einfach jeder hat diese unscheinbare Furche am Kinn. Außer mir, vielleicht sollte ich deswegen weggehen. Das Foto steht neben dem Buddha, in der Mitte der Behälter mit den Räucherkerzen. Vielleicht wär’s klug, den Schrein anders aufzustellen, das Bild in den Hintergrund, den Duftbehälter ganz woanders hin.
Ich schaue Nahm an. Sie ist mir so vertraut. Ich mag es, sie zu berühren. Wir kämmen uns gegenseitig, flechten uns ineinander, summen Melodien. Ihr Seidenhaar fließt den Körper herab.
„Wird sich was ändern, Nahm.“
„Schlimme Zeiten, ich weiß“
„Das meine ich nicht. Da wächst was in mir.“
„Bist du sicher?“
„Seit drei Monaten warte ich.“
„Unregelmäßigkeiten, die soll’s ja geben.“
„Bei mir nicht.“
„Du kannst es wegmachen lassen. Kennst du den Vater?“
„Kurt, wer sonst.“
„Bist du sicher?“
„Er hat eine Gummiallergie und bezahlt mehr. Schon immer.“
„Der ist mir doch gerade entgegengekommen.“
„Na und.“
„Hast du’s ihm gesagt?“
„Nein!“
„Warum nicht?“
„Er muss es nicht wissen. Außerdem hustet er und hat Fieber.“
„Wirklich?"
Danach schweigen wir eine Weile, bis ich anfange, Nahm über die Wange zu streicheln. Wir schauen uns an - anders als wir Kunden, Fremde, selbst unsere Verwandten anschauen. Wir halten den Blick. Ich ziehe den Stecker. Die Lichterketten an den Wänden erlöschen. Nur die Glaskugel über uns bleibt hell. Die Konturen von Nahms Körper wirken so schmal.
„Wir gehen weg von hier, ja?“
„Wohin?“
„Wo wir leben können, wo wir glücklich sind.“
„Und das Baby?“
„Nehmen wir mit.“
Als ich gerade die Augen geschlossen habe, dem Traumgespinsten ganz nah komme, höre ich Männerstimmen im Flur. Fäuste donnern an die Tür. Nahm zittert und mir stellen sich die Haare auf. Ich schnappe mir die Buddhafigur. Das Familienfoto fällt um. Dann schultere ich den Rucksack, in dem ich alles verstaut habe, atme tief durch und öffne die Tür.