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Grillen mit Ingeborg
Grillen mit Ingeborg
Vor mir lagen die Prospekte mit den Sonderangeboten für Grillfleisch. Sollte ich vielleicht eine Fertigpackung mit Bauchspeck, Würstchen und Hackröllchen nehmen, anstatt alles einzeln einzukaufen? Doch das Zeug ist so schrecklich fett und Lotte wird wieder nur rummäkeln. Günter bringt sich seinen Fisch selber mit, also bleiben Bernd, Lotte und ich und wir mögen es gerne kalorienarm.
Ich wollte mir gerade einen Kaffee kochen und dann die Entscheidung in Ruhe treffen, als die Küchentür aufflog und meine Tochter Pia hereinstürmte.
„Mein Gott, wie kann man so was hirnverknotetes nur lesen?“, rief sie und knallte ein Buch, das mir irgendwie bekannt vorkam, auf den Tisch.
Ich zog es vor, zunächst nichts zu sagen, denn Pia hatte sich schon auf die Eckbank fallen lassen und schien entschlossen, eine literarische Diskussion führen zu wollen. Dazu war ich nun gar nicht aufgelegt, die Grillfleischproblematik hatte oberste Priorität, denn wenn ich sie gelöst haben würde, stünde mir noch ein ausgiebiger Einkauf bevor, für den ich auf Pias Hilfe hoffte.
Jetzt wurde es kompliziert.
Meine sechzehnjährige Tochter ginge mit Sicherheit keinen Schritt aus dem Haus, bevor sie nicht über dieses Buch, (was war es bloß, trotz krampfhaften Schielens über die Schulter sah ich nur ein Stück blauen Leineneinband, es musste auf jeden Fall älter sein), alles gesagt hatte, was in ihrem Zimmer als Gedankenkonstrukt vorfabriziert worden war.
„Willst du auch einen Kaffee, Pia?“ Ein Irritationsversuch, der kläglich scheiterte.
„Nee, sag mal Mama, wie kannst du bloß behaupten, dass diese depressive Ösitante deine Lieblingsschriftstellerin ist?“
Nun hatte sie mich! Langsam griffen die Zahnräder in meinem Gehirn knirschend ineinander.
Dieses schnöselige Kind schwadronierte über Ingeborg, meine Ingeborg!
Und das Buch war der Band mit Erzählungen und Gedichten aus dem Jahr 1964, antiquarisch erstanden.
Ein Blick zur Uhr gewährte mir knapp eine Stunde, dann mussten wir einkaufen und Salat machen und den Garten vorbereiten. Ich eröffnete die erste Runde.
Betont lässig und mit gleichmütiger Stimme. „Du sprichst von Ingeborg Bachmann, nehme ich an?“ Ich lehnte mich lächelnd an den Küchenschrank, während die Kaffeemaschine ratterte.
Pia hob die Arme hoch. „Von wem denn sonst wohl? Hat etwa noch eine von deinen Literaturtanten so eine verwurstelte Schreibe?“ Sie war kein bisschen aggressiv, nur ehrlich erstaunt.
Ich wollte, zum Teufel noch mal, nicht ironisch klingen. „So, es freut mich, dass du dich mit ihr befasst hast.“ Ihre unverschämte Abwertung überging ich.
Pia schlug sich lachend auf die Schenkel. „Befasst? Eine Geschichte habe ich gelesen, und noch nicht einmal eine kurze! Von 'nem Typen, der dreißig wird und rumjammert, weil er nix auf die Kette gekriegt hat.“
Ganz ohne Belehrung würde es nicht gehen, also tief einatmen und ruhig bleiben.
„'Das dreißigste Jahr' ist keine Kurzgeschichte, sondern eine Erzählung, und das ist ein himmelweiter…“
„Boah Mama, nerv mich nicht! Deine Ingeborg kann doch gar nicht kurz, kriegt sie doch gar nicht hin, weil sie ellenlang ausholt, rumschwafelt und jede uninteressante Kleinigkeit ausrollt wie Pizzateig!“
Pia holte sich einen Kaffeebecher und knallte ihn vor sich auf den Tisch. Mein Kampfgeist erwachte. „Du wolltest doch keinen Kaffee!“
„Ja und? Ich sehe doch, wie viel du gemacht hast, viel zu viel für dich allein.“
Ich schenkte uns Kaffee ein. Die Zeit verging.
„Warum hast du die Geschichte denn gelesen, wenn sie dir nicht gefällt?“ Ich lächelte mein Kind freundlich an und zum ersten Mal bemerkte ich eine winzige Schwäche in der Abwehr.
„Na ja, weil ich erst dachte, es würde besser, doch es blieb so.“
„Was sollte denn besser werden?“
Sie hüstelte. „Na ja, der Typ hat ja alles mögliche gearbeitet, hat mit Mädels rumgemacht, eine war sogar schwanger, dann ist er immer wieder abgehauen, musste sich sogar von seinen Eltern Knete pumpen, stell dir das mal vor! Und immer hat er es mit dem komischen Wien, seiner Ösihauptstadt.“
Oh ja, mir fiel die wundervolle Stelle ein, in der Bachmann die Stadt mit einer schlampigen Fischerin vergleicht, die am Strom sitzt und die silbrige Angst und die verweste Hoffnung in ihr Netz zieht. Ich sollte es bald wieder einmal lesen.
„Mama, hörst du mir überhaupt zu?“ Pia stieß an meinen Arm.
„Natürlich, natürlich…“
Sie sah mich an. „Weißt du, ich finde einfach, dass der Regener das Gleiche erzählt, nur viel lustiger!“
Die Zahnräder stellten ihren Betrieb ein. „Wie bitte…?“
„Du stehst aber echt auf der Leitung! Ich meine „Herr Lehmann“. Der wird auch dreißig, kriegt nix gebacken und sumpft so rum, macht sich auch Gedanken über das Leben und nimmt Knete von zuhause. Ich finde das Thema ja auch ganz gut, wenn man es so wie der Regener erzählt.“
Ich trank zwei, drei Schlucke Kaffee, um Zeit zu gewinnen. Zeit, die ich schon nicht mehr hatte. Was sollte ich bloß sagen? Ich fand das Buch auch amüsant, doch ist ein Vergleich mit Ingeborg Bachmann nicht absolut unzulässig?
Sie, die universal gebildete Literatin und Regener, der Bremer Musikant aus der Neuen Vahr?
Pia klopfte mit dem Zeigefinger gegen ihre Oberlippe und dachte offensichtlich nach. Als sie damit fertig war, zog sie die Nase hoch und sagte: „Na ja, wahrscheinlich hat man damals so umständlich geschrieben, heute würde die Ingeborg das auch anders machen, denk ich mal. Der Goethe und der Schiller, das waren ja auch so Umstandskrämer.“ Sie lachte. „Wenn ihr heute Abend euer Lehrergrillen macht, könnt ihr ja darüber diskutieren.“
Bevor sie aus der Küche flitzen konnte, schluckte ich die Bissigkeit herunter, dass die Schreibe von Goethe und Schiller unerheblich älter war als die von Ingeborg, bei deren Tod ich immerhin schon sechs Lenze zählte, und bat sie, mit mir einkaufen zu gehen. „Okay", sagte meine Tochter und rutschte in ihre Flip-flops. Ich schloss gerade die Tür hinter uns, als sie sagte: „Ich glaube, ich bin sowieso eher der Typ für Gedichte. In dem einen Buch von dir, da sind ganz starke Dinger drin. Das mit dem Wolkenpelztier und so…Ach ja, Gedichte sind einfach besser.“
Genau in diesem Moment hätte ich sie gerne auf offener Strasse geknuddelt, ließ es aber wohlweislich bleiben und beschloss, richtig gute Steaks einzukaufen.
(25.6. happy birthday, Ingeborg!)