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Großer Bruder
Und er lief und lief und lief, ohne genau zu wissen wovor er eigentlich wegrannte. Er tat das öfter. Immer wieder hatte er diese schrecklich Angst. Keiner konnte ihm helfen. Es war immer wieder erschreckend für uns, ihn so zu sehen. Keiner kannte dieses Phänomen. Keiner der Ärzte, die wir bisher befragt hatten, konnte uns helfen. Er war ein ganz normaler, durchschnittlicher Junge im Alter von 16 Jahren. Ihn unterschied nur eines von all den anderen. Seine Angstzustände. Immer wieder mussten wir ihn so sehen. Mit vierzehn hatte es angefangen. Er fing an vor irgendetwas Angst zu bekommen und wegzulaufen. Niemand hatte bisher erforschen können, was es war. Er wachte immer ohne Bewusstsein auf und fragte was er diesmal getan hätte. Jedesmal wenn wir es ihm sagten erschrak er wieder.
Auch an diesem Abend fanden wir in wieder, in einer Ecke liegend. Ohne zu wissen was geschehen war kauerte er in der Ecke und weinte. Wir konnten ihm nicht helfen. Es waren nur irgendwelche Träume von welchen er danach immer zu erzählen pflegte. Er erzählte von wirren Geschehnissen mit einem alten Mann, die er erlebt haben wollte. Wir konnten und wollten ihm aber nicht glauben, was er da erzählte. Es konnte einfach nicht wahr sein. So leid es uns tat.
Eines Tages aber nahm er mich, schaute mir tief in die Augen und sagte: "Sie werden kommen um mich zu holen."Ich lachte, sichtbar eingeschüchtert von meinem großen Bruder und stieß ihn weg. Ich lief zu Mutter, um ihr davon zu erzählen. Sie hatte sich schon oft mit meinem Vater darüber unterhalten, ob sie ihn in eine Besserungsanstalt stecken sollten. Jedesmal war dieser Gedanke aber verworfen worden, da er ja keine Gefahr für andere dargestellt hatte. Mit diesem Tag kam aber die endgültige Entscheidung. Die Angst meiner Eltern, er würde irgendwann ausrasten, brachte sie dazu den Entschluss zu fassen, ihn abzugeben. Ich weinte und versuchte, es zu verhindern. Das hatte ich so nicht gewollt, aber sie waren davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie gingen zu ihm und erzählten ihm von ihrem Entschluss. Er nahm es aber gefasst auf und sagte nur: "Ihr habt es so gewollt. Ich werde mich beugen." Diese Antwort hatten sie nicht erwartet. Diese Antwort hatte niemand erwartet.
Am Abend bevor meine Eltern ihn wegbringen wollten, hörten wir einen lauten, langgezogenen Schrei. Wir alle wussten, woher dieser Schrei gekommen war. Ich rannten zum Zimmer meines Bruders. Die Tür aufreißend, wurde mir klar, mein Bruder würde sich nicht mehr dahinter befinden. So war es auch. Er war weg. Es gab keinen Hinweis auf irgendein Leben in diesem Zimmer.
Von nun an stand das Zimmer leer. Aber nicht nur das. Seine Abwesenheit, machte das Leben fortan für alle schwer. Die Stimmung besserte sich zwar nach und nach, aber es war nicht annähernd wie zuvor. Irgendwas war anders. Es war nicht das bloße Wissen den eigenen Bruder nie wieder zu sehen.
Plötzlich begann aber ich, immer wieder Blackouts zu haben, die von den anderen als die gleichen Zustände, wie die meines Bruders beschrieben wurden. Ich konnte es nicht fassen. Wie mein Bruder? Ich hatte doch gar keine Angst. Wovor auch. Als sich diese Blackouts aber häuften, begannen meine Eltern wieder zu reden. Nur war ich dieses Mal der Leidtragende. Ich fühlte mich so schrecklich. Warum ich? Warum? Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich jetzt plötzlich an die Stelle meines Bruders getreten sein sollte. Aber ich musste meinem Schicksal ins Auge sehen. Es gab nicht, was ich dagegen hätte tun können.
Eines Nachts träumte ich von meinem Bruder. Er sagte, es gäbe nichts, wovor ich mich ängstigen müsste. Ich würde bald in eine andere, bessere Welt kommen und all das hinter mir lassen können. Schweißgebadet wachte ich auf. Stimmte das? Oder war es einfach nur ein Schutzdenken. Aber es war so real gewesen. Ich hätte ihn anfassen können. Hätte ich mich getraut.
War es das, wenn man sagte, er lebt in uns weiter? Nein, mein Bruder lebte nicht nur in uns, er lebte wirklich. Ich glaubte an ihn. Als sich auch meine Aussetzer häuften, sahen mich meine Eltern immer öfter traurig an. Ich wollte das nicht. Ich wollte kein Mitleid. Sie waren entsetzt, so ihre einzigen Kinder verlieren zu müssen. Aber ich hatte keine Angst vor dem, was mir bevorstehen sollte. Ich war mir sicher keinen Schaden davontragen zu müssen.
Eines Nachts passierte es.
Ich wachte auf und mein ganzer Körper bebte. Alle Gliedmaßen schüttelten sich. Auf einmal war ich weg. Aber ich war auch noch da. Es war verrückt. Mein Körper war verschwunden, aber ich befand mich noch in meinem Zimmer.
Da hörte ich plötzlich eine Stimme, die ich zweifellos als die meines Bruders erkannte: "Hör auf, dich an dein Sein zu klammern. Wenn du nicht loslässt, wirst du für immer zwischen den Welten umherirren." Ich bekam Panik. Mit zitternder Stimme rief ich zurück: "Ich will es doch. Ich will es doch. Ich kann nichts dafür."
Dann war nichts mehr. Es war wie bei einer Narkose. Ich schlief. So scheinte es zumindest. Ich war wach, aber nicht bei Bewusstsein. Was war das? Wo war ich hier? Mir schossen so viele Fragen durch den Kopf, ohne, dass ich eine davon im entferntesten hätte beantworten können.
Auf einmal tat es einen riesigen Schlag und mein Bruder stand vor mir. Aber nicht in seinen gewöhnlichen Kleidern. Er war festlich geschmückt und hatte ein Gewand das bis auf den Boden reichte. Ich war sprachlos. Da fiel mir auf, dass wir uns in einem riesigen Gemach befanden. Lauter Leute, die ich noch nie gesehen hatte, standen um uns herum. "Was ist das hier?", fragte ich meinen Bruder ängstlich. Aber er antwortete nur: "Du wirst es mit mir vollbringen. Bringt ihn in seine Gemächer." Darauf packten mich zwei ärmlich bekleidete Untergebe und brachten mich weg. Ich kam in einen Raum der haargenau meinem Zimmer glich. Ich öffnete die Tür und sah den Palast. Ich war in meinem Zimmer, aber irgendwie auch nicht. Ich wusste, dass dies nicht mein Zimmer war. Aber sein Ebenbild.
Ich war hundemüde und beschloss daher, mich erstmal schlafen zu legen.
Als ich aufwacht herrschte großer trubel um mich herum. Ich hörte viele Stimmen, die sich gegenseitig die verschiedensten Anweisungen zuriefen. Da öffnete sich die Türe und mein Bruder trat ein. Er fragte mich, ob alles zu meiner Zufriedenheiteingerichtet worden wäre. Natürlichist es das antwortete er gleich selber. Schließlich unterscheidet es sich nicht im Gewringsten von deinem alten. " Was ist das hier? Was machst du? Und vor allem was hast du da an?", fragte ich noch leicht benommen von meinem Schläfchen. "Dies hier ist mein Reich im Parallelen Universum Alpha Zwo. Ich bin der Auserwählte. Mich hat der Meister vor seinem Tode herbeordert und zu seinem Nachfolger bestimmt. Diese Kleider sind die Seinen die er mir hinterließ." "Aber was soll ich hier? Was ist mit dem Zimmer? Wieso hat er dich ausgewählt?" "Nun ich habe meinen Bediensteten den Befehl erteilt es so einzurichten. Warum er mich ausgewählt hat weiß ich selber nicht. Er sagte nur ich wäre der Auserwählte und müsste das Reich regieren. Deine Aufgabe ist es, mit mir die andere Welt mit all ihren Mängeln und Fehlern zu vernichten und hier eine funktionierende und richtige Welt aufzubauen. Er hat mich nicht persönlich ausgewählt. Ich war von Anfang an dafür bestimmt. Ohne, dass es unsere Eltern wissen, haben sie nur dem Zweck gedient uns zu gebären." "Warum aber willst du die andere Welt zerstören?" "Sie haben es nicht anders verdient. Sie haben sich die Erde zu eigen gemacht und nur ausgenutzt, ohne auch nur einmal etwas davon zurückzugeben."
Mit diesen Worten verließ er mein Zimmer.
Er war hypnotisiert. So hatte er zwar auch gedacht, aber er war nie der Typ gewesen, der sich das Recht genommen hatte über andere zu richten. Ich musste das verhindern. Er durfte das nicht. Das war nicht mein Bruder. Da sprach ein Hass auf die Menschheit aus ihm, den ich nie für möglich gehalten hätte. Schon gar nicht von ihm. Aber er hatte Recht. Sie hatten es nun einmal nicht anders verdient. Was? Was war das. Das bin nicht ich. So denke ich nicht. Ich bin das nicht gewesen. Wer schleußt diese Gedanken bei mir ein? Eben habe ich einen solchen Hass empfunden wie ich ihn noch nie an mir gesehen habe. Ich fühlte mich scheußlich. Ich hatte eben etwas wider meiner Natur gedacht.
Die nächsten Tage wurde es immer schlimmer. Besonders schlimm war es, nach einer Diskussion über Selbstjustiz mit meinem Bruder. Ich dachte Sachen die ich nicht denken wollte. Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen und meinem Bruder nachzugehen. Oder, der Hülle in der etwas steckte, was sich mein Bruder nannte. Mein Bruder ginng in einen Raum in dem ein riesiger Computer stand. Er unterhielt sich mit einer Person die ich noch nie zuvor gesehen hatte. "Wie lange dauert es noch, bis WIR für ihn das Handeln übernehmen können?" "Schätzungsweise noch zwei höchstens drei Tage. Er hat einen starken Willen." "Wie kann das sein? Die Bekehrung geht doch sonst nur eine Woche." " Euer Bruder macht da nunmal eine Ausnahme. Er will sich nicht bekehren lassen." Da öffnete sich plötzlich die Türe und mein Bruder stand vor mir. Er sagte mit einer eiskalten Stimme: "Du hast richtig gehört. Bald wirst du aus dieser Welt verschwunden sein. Dein Widerwille hat dir dies beschert." Ich drehte mich um und lief weg. Aber wohin? Wohin sollte ich laufen? Die Frage stellte sich gar nicht erst, da plötzlich zwei Wachen vor mir standen und mich aufhielten." Jetzt war es um mich geschehen. Dessen war ich mir nun sicher. Ich wurde in mein Zimmer gebracht. Nur war es nicht länger mein Zimmer, sondern vielmehr ein goldenes Gefängnis. Zwei Tage wurde ich festgehalten. Dann kam mein Bruder herein und fragte, ob ich meine Lektion gelernt habe. Ich antwortete: "ja Herr" und verbeugte mich. Ich konnte nichts dagegen tun. Es war wie ein Zwang von innen. Wieder war da diese Leere, die ich jedesmal empfand wenn ich etwas gegen meinen Willen tat. Ich hätte heulen können, wenn ich ich es zugelassen hätte. Aber es war zwecklos. Er führte mich zu dem Computer an dem sich das Gespräch abgespielt hatte und erklärte mir mit einem schämischen Grinsen im Gesicht die Funktionen. Er wusste also nicht, dass ich mir über den Nutzen der Maschine schon im Klaren war. Ich hörte ihm aber widerwillig zu und nickte manchmal sogar dazu. Ich wusste nur eines: All diese Leute wurden auf Grund dieser Maschine hier zum Gehorsam gezwungen und ihrer Freiheit beraubt. Sollte es mir auch so gehen? Plötzlich empfand ich einen solchen Hass auf meinen eigenen Bruder, dass ich ausrastete und auf ihn losging. Ich schlug in blinder Wut auf ihn ein und heulte dabei schrecklich.
Das muss etwas in ihm gelöst haben. Er stieß mich weg, stand auf und schaltete den Computer aus. Ich lag auf dem Boden und spürte wie sich auch in mir etwas löste. Ich war frei. Meine Gedanken wurden endlich wieder von mir gesteuert. Ich war so unglaublich erleichtert, dass er sich doch noch gefangen hatte. Auch die Wachen ließen von mir ab.
Mein Bruder entschuldigte sich öffentlich bei ihnen. Durch ein Portaltor verließen wir für immer Alpha Zwo. Unsere Eltern glaubten uns zwar kein Wort davon aber sie wollten uns trotzdem nnie wieder aus den Augen lassen.
So hatte doch alles ein gutes Ende genommen.