- Beitritt
- 02.06.2001
- Beiträge
- 3.655
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Guck mal, wer da liegt
„Frank! Fraaank! Komm sofort her, oder ich hacke dir den Penis noch einmal ab!“
Da er es nicht darauf ankommen lassen wollte und die Wunden gerade erst zu heilen begannen, sprang Frank sofort von der Couch hoch. „Ich eile! Wo bist du denn, geliebtes Weib?“
„Das hier ist nicht die Ponderosa, sondern eine Vierzimmerwohnung mit neunzig Quadratmetern“, keifte Hilde zurück.
Frank versuchte scharf nachzudenken, musste sich jedoch eingestehen, in geistigen Belangen eher zu den Kurzsichtigen zu gehören. Vielleicht würde ihm das Ausschlussverfahren helfen. Er hatte sich im Wohnzimmer befunden. Hilde nicht. Das bedeutete, dass er …
„Wo bleibst du denn?“
„Gib mir doch wenigstens einen Tipp!“
„Das darf ja wohl nicht … also gut: Es ist jenes Zimmer, in welchem du deinen abartigen Trieben Befriedigung verschaffen durftest, ehe ich dir deinen Lümmel versehentlich beim Rübenhacken abgeschnitten habe.“
„Das Schlafzimmer der Müllers? Was machst du denn bei Müllers?“
„Nein!“, rief Hilde und stöhnte laut auf. „Unser eigenes Schlafzimmer! Du meine Güte – ich habe tatsächlich den dümmsten Ehemann der Welt.“
Erleichtert schlenderte Frank Richtung Wohnzimmer. „Immerhin habe ich es auf diese Weise ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Aber sag mal, warum liegst du denn in verkrümmter Stellung auf dem Boden und trägst einen Zweireiher?“
„Ich liege nicht auf dem Boden, sondern stehe neben dem Bett.“
Frank blickte hoch und starrte in die funkelnden Augen seiner Frau. Nun war er ehrlich verwirrt und wandte sich zur Gestalt unter ihm. „Und wer sind Sie?“
„Du redest mit einer Leiche, Frank. Der sagt nix mehr.“
„Oh. Etwa eine tote Leiche?“
Hilde klatschte mit einer Hand an die Stirn. „Du machst mich noch wahnsinnig! Natürlich eine tote Leiche! Hast du schon einmal eine lebendige Leiche gesehen?“
„Klar. Die Zombies gegenüber, bei denen wir letztes Silvester feierten.“
„Stimmt“, gab Hilde zu. „Was für eine steife Gesellschaft. Mit denen konnte man auch nur über Gehirne reden.“
„Wer ist dann das da?“
„Eben dies wollte ich dich fragen.“
Frank kratzte sich am Hinterkopf. Der Filzlausbefall hatte wieder zugenommen, seit er sich das Schamhaar am Hinterkopf hatte implantieren lassen. „Kommt mir nicht bekannt vor. Vielleicht hat er einen Führerschein oder ähnliches bei sich.“
„Gute Idee!“, lobte ihn seine Frau.
Frank konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Wann hatte sie ihn das letzte Mal gelobt? Wenn er sich recht entsann, war dies wohl beim Unterschreiben der Lebensversicherung samt jener Klausel, die einen völlig unerklärlichen Todesfall inkludierte, gewesen.
Die Geldbörse steckte im grauen Sakko und er öffnete sie neugierig. „Organspenderausweis eines Swinger-Klubs, zwei Kinokarten … he! Ein Fünfundsechzig-Euroschein!“
„Zeig her.“
Devot reichte er ihr den Geldschein. „Der ist gefälscht.“
„Oh. Woran erkennst du das?“
„Weil er rosa ist, statt blau, du Dummkopf.“
„Ich habe noch eine Idee.“
Überrascht zog Hilde die Augenbrauen hoch. „Schon wieder? Wenn das bloß mal nicht zur Gewohnheit wird.“
„Pass auf: Er wollte seine Schmutzwäsche waschen und packte versehentlich den rosa Schlüpfer seiner Freundin mit rein. Und da er nicht schwimmen konnte, ertrank er.“
„Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?“
„Nein. Sieh dir mal seine rosige Haut an. Vielleicht war er ja vorher ein Indianer oder Chinese und bekam erst durch das Missgeschick in der Waschmaschine diesen rosigen Teint. Jemand zog ihn aus der Trommel heraus, geriet in Panik, zog ihm Kleidung an und legte ihn in unser Schlafzimmer, um den Verdacht auf uns zu lenken.“
Entschlossen schüttelte Hilde den Kopf. „Das ist unlogisch: Wenn es so war, wie du sagst, handelte es sich um einen ganz gewöhnlichen Haushaltsunfall. Tragisch, aber nicht weiter verdächtig. Denk nur an Frau Schmitz, die den Fön mit unter die Dusche nahm. Woher hätte sie wissen sollen, dass man dies nicht tun sollte?“
„Hm“, brummte Frank. „Dann bin ich mit meiner Weisheit am Ende. Hast du schon Janine gefragt, ob sie eine Ahnung hat, wer dies sein könnte?“
„Janine? Die vom Schuhgeschäft? Wieso sollte die –“
„Nein, unsere Tochter.“
„Ach, diese Janine! Warte, ich rufe sie mal: Janine! Komm doch mal her, oder ich muss deinem Vater den Penis erneut abhacken!“
Frank hörte, wie sich hinter ihm eine Tür öffnete.
„Was ist denn?“
„Wir möchten dich was fragen“, erläuterte Hilde.
Janine nestelte unsicher an ihrem Ponyschwanz, ehe sie den Reißverschluss nach oben zog. „Ist was?“
„Allerdings“, merkte ihr Vater an. „Sehr geehrtes Liebesprodukt der Wollust: Weißt du, wer diese Leiche ist?“
Janine schluckte und ihre Wangen liefen rot an. „Das ist Malte.“
Frank und Hilde tauschten Blicke aus.
„Wer ist dieser Malte und was macht er hier?“, wollte Hilde wissen.
„Er … er ist der Mann, in den ich verliebt bin. Ich dachte, ihr solltet ihn euch einfach mal ein wenig anschauen und kennenlernen, bevor ich es euch gestehe.“
„Aber das ist ja wunderbar!“, platzte es stolz aus Frank heraus. „Wir dachten schon, du wärst eine Lesbe.“
„Das war ich auch. Doch dann sah ich Malte an der Haltestelle auf den Bus warten und wusste, dass er der Mann meiner Träume ist. Wir quatschten eine Viertelstunde lang über alles Mögliche.“
„Schön“, warf Hilde ein. „Aber das erklärt nicht, wieso er tot ist.“
„Nun ja. Er wollte nach Hause fahren, anstatt mich zum Essen einzuladen, und das eine ergab das andere …“
„Hast du ihn ermordet?“
Janine zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Er hätte ja dem Hammer ausweichen können.“
„Aber Kindchen! Wie hast du dir das vorgestellt? Wenn du zwanzig bist, besteht er nur noch aus Knochen. Selbst jetzt stinkt er bereits erbärmlich.“
„Nein, das bin ich. Ich habe gefurzt“, erklärte Frank.
„Egal. Jedenfalls ist ein Toter kein Umgang für dich.“
„Typisch!“, plärrte Janine und schlug die Hände vors Gesicht. „Ihr seid konservative Knacker und wollt mich beschützen, indem ihr mich gefangen haltet.“
„Nun wein doch nicht, Liebes! Das stimmt überhaupt nicht. Wenn wir dich gefangen halten wollten, würden wir dir die Beine brechen, dich ans Bett ketten und das Fenster zumauern.“
„Du musst zugeben, dass diese Beziehung auf Dauer nur scheitern kann“, wiederholte Frank eine hohle Phrase, die er vor wenigen Minuten im Fernsehen aufgeschnappt hatte.
„Na ja, vielleicht habt ihr ja Recht.“
„Natürlich haben wir Recht! Komm, jetzt trockne deine Tränen und ich koch dir was Feines, ja? Der Hund ist ohnehin schlachtreif.“
„Und was machen wir mit dem hier?“
Frank deutete auf die Leiche.
„Keine Ahnung. Lass dir was einfallen.“
Als er den Toten schulterte rief ihm Hilde nach: „Aber komm ja nicht auf die dumme Idee, ihn in die Kühltruhe zu legen!“
„Mist“, dachte Frank. „Der Telepathiekurs an der Volkshochschule hatte sich für sie also doch bezahlt gemacht.“
„He! Sie da, Herr Nachbar!“
Frank tat so, als wäre er überrascht. „Ja, bitte?“
„Meinen Sie, ich hätte nicht gesehen, wie Sie eine Leiche über den Zaun warfen? Mein Grundstück ist doch kein Friedhof!“
„Ist es doch“, entgegnete Frank und wies auf die Gräber.
Darauf wusste sein Nachbar nichts zu erwidern. Frohgemut stapfte Frank zurück in die Wohnung und wälzte die dritte Idee dieses Tages: Hilde jammerte doch ständig, dass sie eine lange Reise machen wollte …