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Gutmann

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02.01.2004
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Gutmann

Josef Gutmann war ein anständiger Mitarbeiter seiner Firma, der sich niemals über irgendetwas beschwerte. Kein anderer Mitarbeiter erlebte ihn jemals unhöflich oder schlecht gelaunt. Er ging immer mit einem freundlichen und schüchternen Lächeln im Gesicht durch die Flure des Betriebs und grüßte jeden der ihm entgegen kam, egal ob er ihn kannte oder nicht. Seine einzige Schwäche war, das er niemals pünktlich zur Arbeit erschien. Zwar nur ein paar Minuten zu spät, dennoch immer deutlich nach sieben Uhr. Meist begründete er sein zu spät kommen damit, dass sein Fahrrad kaputt sei und das ständig seine Kette herunterspringe. Alle zwei Meter müsse er anhalten und die Kette wieder aufs Zahnrad legen. Dann, und das sahen nur sehr wenige, ausgewählte Personen fluchte er gegen sein Rad und besonders gegen die zu lockere Kette. Hin und wieder fluchte er auch gegen die Naturgewalten, die ihm die Fahrt zur Arbeit unnötig erschwerten, indem sie sich ihm mit voller Kraft entgegen stellten. Man müsse den Wind abschaffen, waren seine nicht ernstzunehmenden Worte. In jedem Falle war es nicht seine Schuld, das er zu spät kam.

Keiner seiner Mitarbeiter kannte Josef Gutmann privat und er verbat sich auch jeglichen Kontakt zu seinen Arbeitskollegen außerhalb der Arbeitszeit herzustellen. Wie Josef Gutmann seine Freizeit verbrachte lag völlig im Dunkeln.

An jenem Tag, es war Freitag der erste September entschloss sich Josef Gutmann sein Dasein aus jener Tristes zu zerren, in der es bis zu diesem Tag dahinvegetierte. Er entschloss sich das zutun was er schon solange zutun erwog, nämlich über sich hinaus zuwachsen und einen Anspruch auf ein freies und selbstbestimmtes Leben zu erheben. Ein ehrenvolles Vorhaben, dass, wenn nicht schon seit der Geburt ein jeder Mensch diesen Anspruch erfüllt sah, insofern er in einem freien Land geboren ist, schon längst erfüllt hätte sein können. Die Zwänge, in denen Josef Gutmann sich gefangen sah und die sein Leben in langweiliger Unspektakulärität stagnieren ließen, sollten ihn auch schließlich wieder in seinem Vorhaben bremsen.

So wollte er sein neugewonnenes, noch eher theoretisches Selbstbewusstsein gleich damit in die Tat umsetzen, in dem er in der Arbeit seine Mitarbeiter, und vor allen die er nicht leiden konnte wie zum Beispiel sein Vorgesetzte Maria, die immer besonders darauf bestand geduzt zu werden und alle Fäden ihrer Abteilung selbst in der Hand zuhalten, um so am Ende natürlich auch jeden Ruhm einstreichen zu können, so tief zu Beleidigen, mit den schrecklichsten Schimpfworten die ihm in diesem Moment einfielen würden, so tief, das sie alle schockiert aufschreien würden und vor Mitleid zerfließen würden, da ihnen endlich bewusst werden würde welches Leid sie ihm, Josef, doch die ganze Zeit angetan hätten. Wie sehr sie ihn ausgenutzt hätten, wobei er doch immer so nett war, und nie ein pieps sagte. Ja, hätte er doch nur schon vorher etwas gesagt, man hätte ihm geholfen.

Ja, so wollte er es machen. Und Josef Gutmann war so begeistert von seinem Plan, das er es nicht abwarten konnte und sich schon während der Fahrt zur Arbeit die schlimmsten Schimpfwörter ausdachte. Ach was, eine ganze rede überlegte er sich, mit der er sie bis ins bodenlose demütigen wollte. Seine Rede im Geiste immer wiederholend, damit er sie nicht vergisst stieg er von seinem Rad, wobei er es diesmal ganz versäumte gegen den Wind zu fluchen, wie er es sonst tat. So sehr war er in seinem Vorhaben vertieft. Also schritt er die Treppe hoch und nahm dabei manchmal zwei oder drei Stufen gleichzeitig. Oben, vor der Bürotür überkam ihn dann die Angst. Er könne doch nicht einfach in dieses Zimmer hineinspazieren und diesen Leuten, die völlig unvorbereitet sind und niemals etwas von seiner Unzufriedenheit spürten, weil er zu Schüchtern oder vielmehr sogar zu Feige war, einfach so aus heitern Himmel beleidigen. Und außerdem verbat ihm sein Name, Gutmann, schon eine solche Unhöflichkeit von Geburt an. Und damit war das Vorhaben Josef Gutmanns ein weiteres mal gescheitert.

Oh Gott, er hasste es seine Arbeit, er hasste sie so abgrundtief.

 

Hey Palamède

Der Stil ist gut zu lesen und die Story gefällt mir eigentlich auch gut, wenn auch sehr deprimierend.

"Seine Rede im Geiste immer wiederholend, damit er sie nicht vergisst stieg er von seinem Rad, wobei er es diesmal ganz versäumte gegen den Wind zu fluchen, wie er es sonst tat" das "vergisst" ist meines Erachtens in der falschen Zeit, der rest ist ja auch in Vergangenheit. Solltest du Spannung aufbauen wollen mit dem Wechsel in die Gegenwart, müsstest Du den ganzen Satz/Absatz in die Gegenwart setzen... auch ne möglichkeit.

Was man noch ändern könnte wäre vielleicht, das man seine plötzliche Angst noch ein wenig mehr beschreiben könnte, das er dort steht und plötzlich merkt, das ihn die Mitarbeiter anstarren oder so.. damit der Leser noch ein wenig direkter berührt von seiner "Not" ist und besser mitfühlen kann. Oder man könnte dem sogar noch einen drauf setzen, in dem diese Maria aus dem Büro kommt und ihn zur Schnecke macht, weil er schon wieder zu spät kam.

Also das ist nur ein Vorschlag, weil mir der letzte Absatz zu abrupt zu Ende ist und man bis dahin gut mitfühlen kann aber dann im letzten Absatz wie aus der Story geschmissen wird.

mfg Januley

 

Und was hat der Text, Uli? Könntest du deine Gedanken eventuell ein bißchen konkretisieren?

 

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