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Hände

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22.10.2020
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Hände

Heute träume ich von Begegnungen.


Schwitzend, laut atmend und hobeld steht der alte Mann in seiner Werkstatt und arbeitet. Diese fast antike Werkstatt voller Holz, Werkzeug und vergangener Tage; voller Staub, Sägespäne und Charakter ist sein kleines Reich. Wir befinden uns im Speckgürtel Münchens; als er die Werkstatt damals kaufte, stand sie in wohlig menschenleerer Kulisse, heute wäre sie ein Vermögen wert. Die Menschen wollen in die Stadt. So wie er arbeitet, läuft sein tragbares Mini Radio im Hintergrund. Paradox, wie oft der Sender ‘Radio Ga Ga’ von Queen spielt.
‘Tote gibt es immer’ entgegnet er stets mit einem beherzten Schulterzucken wenn ihn jemand auf seinen Beruf anspricht und auf das angebliche Sterben seines Handwerks, dabei werden Lachfalten hinter seinem Dreitagebart sichtbar.
Heute ist ein besonderer Tag. Fast will er es nicht zugeben, doch die Särge, die er am liebsten anfertigt, sind die der ganz Kleinen; Särge für Kinder und Babys, wobei der Sarg wohl eher für die trauernde Mutter bestimmt ist, die sich von einem Menschen zu verabschieden hat, der nie existieren durfte.
An dem kleinen, fast schon entzückenden Särglein, welches vor ihm auf einem Tisch steht, arbeitet er seit gestern Abend. Auf einem Holzbrett zeichnet er mit einer Schablone Linien. Sie sollen den Umriss des Deckels bilden. Die linke Hand legt die Schablone mit gekonnter Vorsicht zurecht, die Rechte zieht den dicken Bleistift der Schablone entlang, als wären es nicht die Augen die der Hand den Weg weisen, sondern die Hand selbst. Routinierte Bewegungen, die er als Lehrling lernte und welche sich über die Jahrzehnte seiner Schreinerarbeit zu unfehlbaren Griffen verwandelten. Hände, die wissen wohin sie müssen. Der Mann hat den Umriss seines kleinen Sargdeckels auf Holz gezeichnet, ein ach so kleines Stück für einen ach so kleinen Menschen mit einem ach so kurzen Leben. Er schwingt das Holz auf die Kreissäge, weiß genau wo es für den Schnitt zu liegen hat. Man könnte meinen, er mache seine Arbeit achtlos, ja fast unkonzentriert, so schnell wandert das Holz zwischen seinen adrigen Fingern durch die tödliche Säge. In ihm wacht jedoch die Vorsicht. Er sieht das Holz durch seine acht Finger gleiten, er sieht den Dreck, der unter jedem Fingernagel lauert; zwei seiner Finger hat er an genau dieser Maschine verloren, durch Unachtsamkeit, durch Ungeduld. Auch mit acht Fingern lassen sich Särge bauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, da wird er seinen eigenen Sarg schreinern.


In Berlin Charlottenburg sitzt meine zweite Begegnung. Die dunkelroten, schweren Vorhänge ihrer barocken Villa lassen die orangene Abendsonne in das prächtige Wohnzimmer spicken. Bald wird die Sonne vollends untergegangen sein. Die Dame erhebt sich aus ihrem ledernen Chesterfield, legt im Aufstehen die ,schöne Welt´, auf den runden Glastisch neben sich. Ihr Mann sollte jede Sekunde von der Arbeit kommen, Kinder gibt es keine auf die man warten könnte. Der Holzboden knarrt angenehm nostalgisch als sie in die Küche läuft um das Stabfeuerzeug aus der Besteckschublade zu holen, sonst ist es ganz still. Mit ihm in der Hand geht sie zurück ins Wohnzimmer, die Schritte langsam und bedacht, sie will nicht stürzen. Angekommen an einem der fünf Kerzenleuchter, will sie nun die erste Kerze erleuchten lassen. Erst nach dem dritten Versuch das Feuerzeug zu entflammen, gelingt ihr dieses Vorhaben. Ihre Hände sind mit den Jahren schwach geworden.
Ihr Mann ist noch immer nicht da, als alle 25 Kerzen brennen. Sie begibt sich zurück auf den Chesterfield. Auf einmal ist es ihr, als habe sie in ihrem Leben nicht viel mehr gemacht, als auf ihn zu warten, während er ein Leben unabhängig von ihr führte. Nach 19 Jahren Ehe weiß sie immernoch nicht, was ihr Mann eigentlich den ganzen Tag macht, während sie nur damit beschäftigt ist, seinem Leben Komfort zu schenken, ein wohliges Heim zu bieten und auf ihn zu warten. So wie sie an diesem immergleichen Ort sitzt, die immergleichen Möbel sieht und die immergleichen Bilder in Bilderrahmen, von Menschen, mit denen sie längst nicht mehr spricht, so fühlt sie sich als würde sie die Träume ihres jungen Ichs betrügen, mit einem Dasein ohne Tatendrang mit viel zu viel Zeit. Ihr Blick wandert nun in ihren Schoß, in dem ihre eine Hand die andere streichelt. Sie kehrt und wendet beide Hände vor ihrem Auge; Hände, die nie gelernt haben zu arbeiten, die nie erschaffen durften. Sie hasst ihre schönen Hände. Gepflegte, lackierte, einbalsamierte, manikürte und geschmückte Hände. Ringe von höchstem Geldwert, aus wertvollsten Materialien, und doch sind sie wertlos. An ihren Händen trägt sie seit Jahren dieselben sechs Ringe. Und doch hat nur einer von ihnen eine Geschichte zu erzählen; eine Geschichte, die keiner kennt. Direkt neben ihrem goldenen Ehering trägt sie einen unscheinbaren und doch so liebgewordenen Ring. Er stammt aus einer anderen Zeit, wurde ihr von einem Liebhaber geschenkt; bis heute ihr einziges Geheimnis auf dieser Welt. Gleich kommt ihr Mann nach Hause und bald wird er von ihren schönen, faltigen Händen Unanständiges verlangen.


Meine dritte Begegnung finde ich in frischen, warmen Tüchern eingewickelt in einem Kinderwagen liegen. Sie ist vor sieben Monaten geboren worden, muss die Regeln vom Spiel des Lebens erst noch lernen. Das Baby wird von seiner liebevollen Mutter durch einen Park geschoben. Bald, liebes Baby, wirst du lesen und schreiben lernen; wirst du denken lernen; doch jetzt genieße erst einmal das Schlafen, das Trinken und das Schreien. Das Leben wird früh genug zu dir kommen. Das Baby will nicht passiv sein, es gluckst und wirbelt mit seinen Händchen herum. Die Holzraupe, welches seine Mutter ihm in die Hände legt, wirft es kurzerhand an das Ende des Kinderwagens. Niemand kann es verstehen, das Baby wirkt frustriert. Wie, wenn nicht durch die Hände, soll es sich verständigen? Jede Emotion dieses kleinen Geschöpfes wird es durch Handbewegungen versuchen seiner Mutter zu verstehen zu geben. Das Baby ballt seine Hände zu Fäusten wenn es schreit und weint, zeigt auf alles, was es haben möchte; winkt seiner Mutter lächelnd zurück wenn sie es tut.
Oh liebes Baby, welche Geschichten werden deine Hände zu erzählen haben?

 

Hallo @Luisagreif

willkommen bei den Wortkriegern.

Dann wollen wir mal:

Schwitzend, laut atmend und hobeld steht der alte Mann in seiner Werkstatt und arbeitet.

hobelnd, und da die Arbeit die er verrichtet, momentan im Hobeln besteht, würde ich das arbeiten weglassen: Schwitzend und laut atmend steht der alte Mann in seiner Werkstatt und hobelt.

Wir befinden uns im Speckgürtel Münchens; als er die Werkstatt damals kaufte, stand sie in wohlig menschenleerer Kulisse, heute wäre sie ein Vermögen wert.

Den Begriff 'menschenleere Kulisse' finde ich nicht so passend, es darf ruhig prosaischer sein. Meines Erachtens.

So wie er arbeitet, läuft sein tragbares Mini Radio im Hintergrund.

Bin mir nicht sicher, wie du das meinst: Während er arbeitet ODER Die Art, wie er arbeitet. Vielleicht ein Regiolekt?

‘Tote gibt es immer’ entgegnet er stets mit einem beherzten Schulterzucken wenn ihn jemand auf seinen Beruf anspricht und auf das angebliche Sterben seines Handwerks, dabei werden Lachfalten hinter seinem Dreitagebart sichtbar.

Der Satzbau ist unglücklich. Ich würde zwei Sätze daraus machen. In etwa so: 'Tote gibt es immer' entgegnet er stets mit einem beherzten Schulterzucken wenn ihn jemand auf das angebliche Sterben seines Handwerks anspricht. Dabei werden Lachfalten hinter seinem Dreitagebart sichtbar.

Inhaltlich: Ich denke eher, dass das eigentliche Problem von Beerdigungsunternehmen ein anderes ist. Evtl. das kleine Unternehmen sich gegen große nicht behaupten können.

Fast will er es nicht zugeben,

Vor wem will er es nicht zugeben? Vor sich selbst? Es gibt an dieser Stelle keine Bezugspersonen, denen er sich mitteilen könnte. Wenn er sich selbst meint: das Verb 'sich etwas eingestehen' passt dann besser.

die Rechte zieht den dicken Bleistift der Schablone entlang

an der Schablone entlang

als wären es nicht die Augen die der Hand den Weg weisen

Komma nach Augen, meine ich

Der Mann hat den Umriss seines kleinen Sargdeckels auf Holz gezeichnet, ein ach so kleines Stück für einen ach so kleinen Menschen mit einem ach so kurzen Leben.

Ich frage mich, was hier die Funktion des 'ach so' sein soll. Auf mich wirkt es herablassend und despektierlich. Ist das deine Intention?

so schnell wandert das Holz zwischen seinen adrigen Fingern durch die tödliche Säge.

Das klingt nach Unfall, und wieso tödliche Säge? Ja, die Säge kann töten, aber in dieser Situation ist es zunächst eine Säge, die zerteilt.

Er sieht das Holz durch seine acht Finger gleiten, er sieht den Dreck, der unter jedem Fingernagel lauert; zwei seiner Finger hat er an genau dieser Maschine verloren, durch Unachtsamkeit, durch Ungeduld.

Dieser Satz steht für mich in direktem Kontrast zu diesem Satz weiter oben:

Routinierte Bewegungen, die er als Lehrling lernte und welche sich über die Jahrzehnte seiner Schreinerarbeit zu unfehlbaren Griffen verwandelten.

Wenn man bedenkt, dass er bei seiner Arbeit zwei Finger verloren hat, finde ich den Ausdruck 'unfehlbare Griffe' zu stark. ich würde das abschwächen.

legt im Aufstehen die ,schöne Welt´, auf den runden Glastisch neben sich.

Komma kann weg.

Ihr Mann sollte jede Sekunde von der Arbeit kommen, Kinder gibt es keine auf die man warten könnte.

Auch hier ein ungelenker Satzbau, wie ich finde.

Der Holzboden knarrt angenehm nostalgisch

Ein Holzboden, der nostalgisch knarrt. Ich weiß nicht.

Erst nach dem dritten Versuch das Feuerzeug zu entflammen, gelingt ihr dieses Vorhaben.

Wieder Satzbau. Einfacher: Zweimal drückt sie vergeblich, beim dritten Versuch entzündet sich die Flamme.

Nach 19 Jahren Ehe weiß sie immernoch nicht, was ihr Mann eigentlich den ganzen Tag macht, während sie nur damit beschäftigt ist, seinem Leben Komfort zu schenken, ein wohliges Heim zu bieten und auf ihn zu warten. So wie sie an diesem immergleichen Ort sitzt, die immergleichen Möbel sieht und die immergleichen Bilder in Bilderrahmen, von Menschen, mit denen sie längst nicht mehr spricht, so fühlt sie sich als würde sie die Träume ihres jungen Ichs betrügen, mit einem Dasein ohne Tatendrang mit viel zu viel Zeit.

Weiter oben schreibst du Zahlen aus, hier nicht. Ich würde sie grundsätzlich ausschreiben. Auch diese beiden Sätze sind ungelenk strukturiert.

Gleich kommt ihr Mann nach Hause und bald wird er von ihren schönen, faltigen Händen Unanständiges verlangen.

Dieser Satz gefällt mir. Es unterstreicht eindrucksvoll, dass es ihrem Mann nicht um sie als Person geht, sondern um die Hände, mit denen (so verstehe ich es) sexuelle Gefälligkeiten im Gegenzug für ein angenehmes Leben eingefordert werden.

Bald, liebes Baby, wirst du lesen und schreiben lernen;

Naja, als Lehrer darf ich sagen: so schnell geht das nicht.

doch jetzt genieße erst einmal das Schlafen, das Trinken und das Schreien.

Das Schreien genießen? Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass niemand das genießt.

Gut, sprachlich waren da noch ein paar kleine Unebenheiten, die ich jetzt nicht angesprochen habe.

Zum Inhalt: das Thema sind die Hände. Der eine ist produktiv damit (allerdings nicht ohne Risiko), die andere pflegt sie und benutzt sie nur gelegentlich für Unanständiges, beim Baby weiß man noch nicht, was er mit den Händen dereinst vollbringen oder eben nicht volbringen wird.

Die Idee gefällt mir, wobei ich meine, dass du dich noch stärker auf die Hände konzentrieren müsstest. So schweifst du gelegentlich ab und man merkt erst nach und nach, worum es dir bei den Händen genau geht. Die Dame wirkt auf mich leicht klischeehaft, der Schreiner auch. Warum nennst du die Wohnorte? Sie haben meines Erachtens keine Bedeutung für deinen Text und können daher weggelassen werden. Und so ganz ist mir die Intention deines Textes noch nicht klar. Der Schreibstil ist für mein Empfinden gelegentlich noch etwas unbeholfen.

Dafür aber, dass das hier dein erster Text ist (nicht wissend, wie alt oder wie erfahren du im Schreiben bist) ist das schon recht ordentlich.

LG,

HL

 

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