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Händel und Handel mit Organen

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25.05.2002
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Händel und Handel mit Organen

Boris dirigierte seine Augen weg von den ausgesprochen wohlproportionierten Kurven seiner Nachbarin gen Buffet und gewahrte Köstlichkeiten: Fleisch aller Provenienzen, Tiramisu, Nudeln, Soßen, Lachs, Baguette, Tomaten, Salate, Kuchen und andere Desserts. Alles völlig unsortiert auf dem Tisch angeordnet. "Das ist die Versuchung pur", ging ihm durch den Kopf, sein Magen knurrte seit langer Zeit vernehmlich laut. Aber Boris war Herr seiner Sinne.
"Knurr nicht, du abhängiger Körperteil! Vermittle mir Völlegefühl!"

Solcherart insistiert, ließ der Magen nicht lang mit einer Antwort auf sich warten.
"Du Foltersknecht. Deine Empfindungslosigkeit zwingt mich zum Lautgeben. Hättest du Gefühle wie ein Jeder, würde meine Befriedigung sofort nach Aussendung primitivster neuronaler Fressimpulse stattfinden können. So aber, zwingst du mich zu Aggressionen mittels Schallwellen. Befriedige mich!"

"Und dann? Du hast deinen Willen, verwertest, was dir richtig erscheint und der Darm wandelt deine Reste in Kalorien um, in überflüssige Kalorien. Und was tun überflüssige Kalorien? Da sie nicht benötigt werden, lassen sie sich nieder, siedeln sich an. Und wo? In meiner Lieblingsregion: der Hüfte. Was passiert dann? Ich werde fett und für Frauen uninteressant. Die stehen nämlich auf Sixpacks, die man sehen kann. Deine überflüssigen Kalorien verdecken sie jedoch. Und wenn da nichts mehr läuft bei den Frauen, - deinetwegen!-, frage mal deinen Kollegen weiter unten, König Klein Boris, was dann angesagt ist. Obendrein weißt du ja, dass Frust sich auf den Magen niederschlägt. Nein, keinen einzigen Bissen nehme ich. Gib endlich auf und verpass mir Völlegefühl!"

"Das verstehst du das also unter kollegialer Zusammenarbeit, Gesundheit, harmonisches Miteinander? Keine Diskussion, kein Abwägen unterschiedlichster Aspekte. Nein, dir genügen deine drei zusammenhängenden Gedankensplitter, um deinen ganz privaten Konsens zur allgemein gültigen Maxime zu erheben. Nicht mit mir! Du nennst mich abfällig ´abhängiger Körperteil´? Dabei weißt du nichts von mir. Weißt nichts von meinen Freunden, kennst meine Verbindungen nicht. Noch nie von Seilschaften gehört? Wie sagt man so schön: Studiere deine Feinde... Und zu einem solchen hast du mich nun gemacht. Knurren ist die mildeste meiner Möglichkeiten. Du wirst jetzt andere kennen lernen."

Boris war wie vor den Kopf geschlagen. So hatte noch nie ein Körperteil mit ihm gesprochen, genau genommen, eigentlich überhaupt noch nie. "Na, wenn schon. Das", so sagte er sich, "kann ich nicht durchgehen lassen. Jetzt werde ich erst Recht keinen Bissen zu mir nehmen."

In diesem Moment nahm die Speicheldrüse unter lautem, unterstützendem Grollen des Magens, ihre Tätigkeit auf. Mit einem lauten "Egalité, Fraternité und Drüsenté" begann sie ihre Produktion. Bei derartigen Mengen von Speichel hatte Boris sofort den Mund voll und musste anfangen zu schlucken. Mit der Speichelproduktion und dem schluckenden Eingeständnis seiner Ohnmacht wurden andere Mitstreiter-Organe animiert sich der Bewegung "Drüsenté" anzuschließen. Ohne Französischkenntnisse hatten sie zwar keine Ahnung, was die Speicheldrüse derart laut und fanatisch proklamierte, aber da die Anderen sich anschlossen oder schwiegen, würde es ja schon vernünftig sein. Letzten Endes wollte man einen potentiellen neuen Herrscher noch vor seinem Amtsantritt gnädig stimmen.
Boris fühlte ein allgemeines Unwohlsein, eine plötzliche Gliederschwäche gesellte sich dazu. Der Darm schloss sich lautstark den Protesten der Organgemeinschaft Drüsenté an. Der kleine Boris hingegen fühlte sich ob der Art und Weise, in welcher er vom großen Boris erwähnt worden war, äußerst geschmeichelt, richtete sich stolz zu voller Größe auf und versuchte über die Aktivierung großer Mengen Testosteron die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen.

Boris wand sich unter Krämpfen. Er bemühte sich vorrangig darum, den Darm unter Kontrolle zu bekommen, da die anderen Gäste, die sich hinter ihm in die Schlange fürs kalte Buffet eingereiht hatten, begannen, diskret die Nase rümpfend, mit der flachen Hand, mit Tellern, Handtaschen oder Tageszeitungen wedelnde Bewegungen auszuführen. Parallel dazu hob ein, wieder diskretes, Gemurmel der Entrüstung an, welches Boris galt. Der bemühte sich, seine Hinterbacken geräuschdämmend zusammen zu kneifen und vorne seine Männlichkeit unauffällig vor den Blicken der Schaulustigen abzudecken. Dafür nahm er einfach einen der Obstkörbe vom Tisch und hielt ihn sich dahin, wo er den gedachten Zweck am besten erfüllen konnte.

Die Nachbarin, eine knackige Blondine, die ihn untypischerweise mit wissendem Blick anschaute, lächelte er weltmännisch und hilflos zugleich an und erklärte salopp: "Kann ja mal passieren."
Die Blondine lächelte zurück und antwortete, wobei erkenntlich wurde, dass sie wusste, worüber sie redete: "Du solltest die Banane im Korb anders hinlegen." Dabei zeigte sie breit lächelnd auf den Obstkorb, auf dem sich durch die hektische Bewegung die anfängliche, optisch dekorative Anordnung in eine pornografische, sexistische Metapher verwandelt hatte. Die Banane ragte wie ein erigierter Stachel über den Rand des Korbes hinaus, zwei mittelgroße Orangen rundeten das Bild ab. Besser konnte Boris´ Zustand nicht dokumentiert werden. Schlagartig wanderte das Blut durch Boris Körper. Als gelte es, den Kopf zum Erigieren zu bringen, stauten sich im Sekundentakt einige Liter des Lebenselixiers vom Hals an aufwärts, während sein Unterkörperproblem zunehmend abnahm. Wenn es nicht gesellschaftlich eher verpönt wäre mit einem Obstkorb auf dem Kopf am Buffet zu stehen, er hätte es jetzt am Liebsten getan. So aber, stellte er den Korb zurück, ignorierte vornehm die vier herabfallenden Äpfel, die leise, aber gerade deshalb umso mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehend, langsam an der Menschenschlange vorbei kullerten und mit jeder stillen, torkelnden Umdrehung übertrug sich das Schweigen des Obstes auf die Zuschauer. Erst jetzt wurden Boris die Blicke der Wartenden bewusst. Einige Hundert warteten auf das Buffet, einige Hundert schauten zu ihm, gespannt, ob er nun das Buffet zu ihnen kullern würde.
Boris ignorierte die Neugier der Hungrigen und schluckte in vollen Zügen den weiterhin produzierten Speichel. Dann widmete er sich erneut dem Magen.
"Merkst du nicht, dass du dabei bist, im besten der Fälle, einen Pyrrhussieg zu erringen. Die Flüssigkeit, die du in allzu großen Mengen produzieren lässt, wird zu deiner Übersäuerung führen, das wiederum zu Sodbrennen, kennst du ja schon. Schließen wir einen Kompromiss: Tomaten, Salat und einen Apfel und wenn nötig, schiebe ich noch anderes Obst nach. Okay?"

Die Blondine fühlte sich zwar angesprochen, aber außer Schallwellen war nichts bei ihr angekommen. Sie drehte sich zu ihm herum und strahlte und versuchte einen zweistelligen IQ zu erreichen. Boris schaute sie kurz an, vermied dann aber sofort jeden weiteren Blickkontakt, um Klein Boris nicht erneut anzustacheln.

Der Magen knurrte, so einfach war es nicht, die vor so kurzer Zeit gegründete Organgemeinschaft plötzlich, kurz vor dem Sieg (der Darm sprach sogar von einem durchschlagenden Erfolg) zu einem Einlenken zu bewegen. Aber es gelang. Der Magen war nicht dumm, nein, im Gegenteil, er ging auf den Handel ein, benahm sich wie früher, demonstrierte Nachgiebigkeit und begann, mit Blick auf die Zukunft, mit dem Aufbau einer Resistence. Öffentlich grummelte er kurz, dann beruhigte er sich. Nun stimmte die Reihenfolge / die Perspektive: essen, Blondine, trinken, Blondine, essen, schlafen, essen. Die Schilddrüse senkte ihre Produktionsrate und klein Boris erhielt kein Adrenalin, brummelte etwas von wegen unnützer Rumsteherei und legte sich schmollend und faul auf den Sack.

 

Moin bigmica!

Also, deine Story fand ich recht interessant und einige Stellen waren echt gelungen, muss ich sagen. Die Idee von Organen, die gegen ihren "Besitzer" rebellieren fand ich gut.

Stilistisch gesehen habe ich persönlich nichts an der Geschichte zu meckern, auch sind mir leider keine Fehler aufgefallen ;)

Greetinx
Alisha

 

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