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Hätten Sie kurz Zeit?
Ich hatte mich gerade eben hingelegt und war kurz vor dem Eindösen, als urplötzlich das Telefon schellte. Jedes mal dieselbe Scheiße, dachte ich. Es kann seit drei Wochen niemand mehr angerufen haben. Vielleicht auch noch länger, doch just in diesem Moment der absoluten Ruhe, des wohlverdienten Nickerchens, just in diesem Moment klingelt das verdammte Telefon. Ich hätte es ja einfach schellen lassen können, aber da die Ruhe sowieso dahin war, konnte ich genauso gut abheben. Die Person, die zu solch einer ungünstigen Zeit anruft kann natürlich nicht mehr mit freundlichen Worten empfangen werden, das ist klar. Man zwingt sich eben zu einem meist sehr mürrisch geführten Telefonat. Meistens ist es ein Kumpel, ein Arbeitskollege oder vielleicht sogar die Schwiegermutter. Wenn man ganz viel Glück hat, ist Heidi Klum dran und fragt, ob man Lust auf spontanen Sex hätte. Schlimm wird es allerdings wenn Rainer Calmund dran ist und fragt, ob man Lust auf spontanen Sex hätte. Noch schlimmer erging es mir. Schlaftrunken wankte ich zum Telefon und nahm den Hörer ab.
Eine mir total unsympathische Stimme meldete sich.
„Guten Tag, meine Name ist Kärtner. Ich rufe im Name der Emnid Umfragegesellschaft an. Hätten Sie kurz Zeit?“
„Nein, und danke, an Staubsaugern bin ich auch nicht interessiert.“
„Sie erlauben, dass ich Ihnen ein paar kurze Fragen stelle?“
„Tut mir leid, aber ich hab jetzt absolut keine Zeit.“
„Es dauert auch nicht lange.“
Spätestens da hätte ich misstrauisch werden müssen. Da ich aber einfach ein herzensguter Mensch bin, konnte ich wieder nicht nein sagen und willigte ein. Vor meinem Gewissen hätte ich es sicher nicht verantworten können, wenn die Umfragegesellschaft Stellen abbauen würde und ich daran vielleicht sogar eine Teilschuld tragen würde. Bevor fragen kommen. Ja! So moralisch bin ich! Aber ich schweife schon wieder ab. Zurück zum Telefonat. Das ganze Horrorszenario begann mit dem Klassiker aller Fragen:
„Wenn morgen Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie wählen?“
„Morgen ist Bundestagswahl?“, erwiderte ich erstaunt.
„Nein, natürlich nicht. Aber wenn morgen Wahl wäre.“
„Ach so. Puh, wenn morgen Wahl wäre, hätte ich mir wahrscheinlich schon vorher Gedanken darüber gemacht, wen ich wählen würde. Das kann ich so aus dem Stegreif nicht beantworten.“
„Ist ja nur eine Umfrage. Geben Sie einfach irgendeine Partei an.“
„Ich wähle doch nicht irgendwen, am Ende kommen noch die Rechten an die Macht. Sind Sie verrückt?“
Der Herr am anderen Ende der Leitung antworte sichtlich genervt: „Aber es ist morgen doch gar keine Wahl. Das ist doch alles rein fiktiv.“
„Stimmt ja. Entschuldigung, das hatte ich vergessen.“
„Also?“
„Also was?“
„Also: Wen würden Sie wählen?“
„Also beginnen wir jetzt jeden Satz mit ‚also’?“ Über meinen tollen Witz musste ich einige Sekunden lachen. Er nicht.
Jetzt wurde mein Gesprächspartner langsam lauter.
„Wen würden Sie denn nun wählen?“
„Wen gibt es denn zur Auswahl?“
„Die üblichen Parteien halt.“
„Ja, dann würde ich vermutlich die üblichen Parteien wählen.“
„Aber sie können doch nicht alle Parteien wählen“
„Ja natürlich nicht.“
Er fragte erneut: „Welche Partei wählen Sie denn jetzt?“
„JETZT ist doch gar keine Wahl! Begreifen Sie das denn nicht. Ihre Frage ist doch rein fiktiv. Also wenn morgen Wahl wäre...“
Ich hörte ihn nur noch ein verzweifeltes ‚Arrggh’ knurren. Dann meinte er: „Vielleicht sollten wir einfach zur nächsten Frage übergehen.“
„Sie sind der Chef.“
„Welche dieser Tankstellen kennen Sie?“
„Ich tanke immer bei Agip.“
„Das will ich aber nicht wissen. Ich will wis...“ Da unterbrach ich ihn.
„Weswegen rufen Sie dann an, wenn Sie das gar nicht wissen wollen.“
Er wurde langsam immer aggressiver. „Lassen Sie mich doch bitte ausreden. Ich will nur wissen, welche dieser Tankstellen Sie kennen, nicht wo sie tanken.“
„Ist doch völlig egal, ob ich die anderen kenne. Ich tanke eh immer bei Agip.“
„Könnten Sie mir trotzdem bitte sagen, welche dieser Tankstellen Sie kennen?
„Freilich, dazu müssten Sie nur mal endlich die Tankstellen aufzählen.“
„Ja, das wollte ich ja, als Sie mich unterbrochen hatten.“
„Jetzt bin wieder schuld oder was?“
„Nein, natürlich nicht. Können wir fortfahren?“
„Bitte.“
„Welche dieser Tankstellen kennen Sie?“ Er wollte gerade anfangen die Tankstellen aufzuzählen, als ich ihn wieder unterbrach.
„Das fragten Sie bereits.“ Ihm schien schon fast der Kragen zu platzen.
„Dann lassen Sie mich sie doch mal aufzählen.“
„Machen Sie halt jetzt endlich.“
„BP, Agip, OMV, Shell, Aral.“
„Ja, die kenne ich alle.“
„Welche finden Sie am besten?“ Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Agip! Da tanke ich immer.“
„Das sagten Sie bereits.“
„Dann hätten wir uns das Ganze also doch schenken können.“
„Nein, ich musste ja wissen, ob Sie die anderen Tankstellen auch kennen.“
„Ich sagte doch schon, dass ich sie kenne.“
„Das habe ich ja auch registriert.“
„Dann ist ja gut. Darf ich Sie mal etwas fragen?“
Sichtlich überrascht entgegnete er: „Meinetwegen.“
„Wie oft am Tag machen Sie eine solche Umfrage?“
„Wieso wollen Sie das wissen?“
„Interessiert mich halt.“
„Na ja, circa 30 Umfragen am Tag. Vormittags bin ich ja studieren.“
„Echt. Was studieren Sie denn?“
„Volkswirtschaftslehre. Aber zurück zur Umfra...“
„Interessant?“
„Es geht so.“
„Ach, Sie sind mit ihrer Studienentscheidung also unzufrieden?“
„Nein natürlich nicht. Zurzeit ist es nur ziemlich stressig. Wer macht eigentlich hier die Umfrage Sie oder ich.“
„Sie! Sie haben ja angerufen.“
„Ich weiß. Also fahren wir fort.“
„Eine kurze Frage noch.“
Er willigte ein: „Also gut.“
„Wie viel verdienen Sie denn?“
„Das ist eine ziemlich private Frage. Finden Sie nicht?“
„Die Wahlentscheidung doch auch, oder etwa nicht? Ich habe einen gut bei Ihnen.“
„Ok. Monatlich bekomme ich 500 Euro.“
„Für wie viele Stunden?“
„Für 12 Stunden die Woche“
„Warten Sie mal.“
„Was ist denn jetzt?“ Ich tippte auf meinem Taschenrechner dann fuhr ich fort. „Das sind 10,40 Euro die Stunde. Nicht schlecht, nicht schlecht...
„Können wir jetzt bitte endlich weiter machen ich will fertig werden!“
„Sicher. Aber warum machen Sie denn nichts anderes, wenn Sie von ihrem Job so genervt sind?“
„Zur Zeit ist es leider nicht so leicht eine Stelle zu finden. Vor allem Teilzeitkräfte sind nicht so gefragt.“
„Ach so. Welche Partei würden Sie eigentlich wählen, wenn morgen Bundestagswahl wäre?“
„Weiß nicht. Aber ich glaube ich muss jetzt mal langsam auflegen. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für eine Umfrage.“
„Dauert auch wirklich nicht lange.“