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Haarscharf
Haarscharf
Ich sitze beim Friseur. Strähnchen. Ich lasse Strähnchen machen. Strähnchen sind immer gut. Außerdem bauen sie einen auf. Und sie trösten. Ja, ich bin stolz auf mich und meinen Entschluss. Zwar bin ich hundemüde und würde auf der Stelle wieder einschlafen, doch habe ich Angst, dass ich mir dann die kunstvoll drapierten Strähnchen versaue und einen Luftklaps mit dem Handtuch von meinem etwas launischen und äußerst empfindlichen Friseur bekomme. Strähnchen sind immer gut. Vor allem dann, wenn sie Ablenkung und Erneuerung zugleich sind.
Denn vorher hatte ich eine kleine Theorie aufgestellt. Sollte es mit den Karten aus irgendeinem Grund nicht klappen, so wäre es nicht so schmerzhaft, wenn meine Haare wenigstens gut dabei aussähen. Und sollte es mit den Karten klappen, na umso besser. Die Karten waren übrigens auch der Grund, weshalb ich so müde war. Ich meine, nur ein Vollidiot stellt sich am Samstag auf 8 Uhr 30 den Wecker, nur um bis neun regungslos im Bett darauf zu warten, dass es 9 wird. Nein, ich bin nicht verheiratet und habe auch keine Kinder. Noch nicht. Und bald auch nicht. Jedenfalls glaube ich das. Wie denn auch ohne einen Freund?
Aber das mit dem Freund das kann sich ja schnell ändern. Denn als ich mit meiner wilden Ich-habe-Alufolie-auf-dem-Kopf-und-finde-mich-wahnsinnig-attraktiv-Frisur darauf wartete, dass die tolle Farbe, die ich mir ausgesucht hatte, ihre Wirkung tat, schlenderte ein fantastisch aussehender Mann in den Laden. Zugegeben, einige Minuten zuvor hatte mich mein launischer und äußerst empfindlicher Friseur etwas deprimiert. „Wie hast du es nur geschafft, deine Haare so stumpf werden zu lassen?“ fragte er mich doch tatsächlich.
Warum müssen neurotische Friseurtypen immer so ehrlich sein? Seit Wochen stellte ich mir dieselbe Frage und ich kam nicht dahinter, warum ich so aussah und mich fühlte wie ein gerupfter Vogel, der bestimmt nicht mehr aus dem Mausern herauskommen würde. Sofort begann ich auf die unpraktische Frisur zu schimpfen und auf meine Haare, die es immer wieder schafften, mich so aussehen zu lassen, als sei ich gerade an dem Wirbelsturm Katrina vorbeigeschlittert.
Und wohlgemerkt: meine Haare waren sturzgerade und ich hatte so gar keinen Lockenansatz. In Kitschromanen werden die Frauen immer wegen ihrer „wilden Lockenpracht“ und ihrer kleinen Stupsnase geliebt. Mich dagegen konnte man eigentlich nur mit der Fülle meines Haares gekoppelt mit seiner Eigensinnigkeit (sich nämlich in Sturmformation zu legen) beschreiben. Von Stupsnase keine Spur. Aber wenigstens habe ich Sommersprossen. Im Winter zwar wenige (sie heißen ja nicht umsonst Sommer-Sprossen), aber wenn man ganz nah an mein Gesicht herankommt, dann kann man zwei oder drei erkennen. Und das ist doch schon mal etwas.
Mein neurotischer Friseur hörte sich meinen Haarfrust kritisch an und erkannte schließlich ganz lapidar: „Stufenschnitte sind eben eigensinnig. Sie lassen sich nicht bändigen. Da kann ich jetzt auch nicht machen. Ich könnte es höchstens etwas ausfransen.“ Meine Alarmglocke schrillte. „Ausfransen? Oh Gott, siehst du nicht den Wirbel am Hinterkopf? Wenn du dem mehr Freiraum gewährst, dann ist der noch mehr in seinem Element und legt sich noch platter um den Hinterkopf.“ Das tat er wirklich. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich sei ein aufgeklapptes Schulheft, so flach legte er sich nach beiden Seiten -rechts und links- hin.
Während ich also Grimassen im Spiegel schneide (vom Schmollmund bis zum hysterischen Monster) und mir immer wieder sage, dass mir die Alufolie auf dem Kopf einfach fantastisch steht (Silber ist eben eine gute Farbe für den Kopf), kommt dieser umwerfende Typ herein. Sofort übe ich den erotischen und sexy Augenaufschlag. Allerdings muss ich dazu den Stuhl zum Fenster drehen und kann mich dabei nicht mehr im Spiegel sehen. Er schüttelt verwirrt den Kopf und dreht sich um, weil er glaubt, hinter ihm steht ein weiteres Opfer meiner Begierde. Doch da hupen nur Autos.
Ich gebe zu, ich habe ein wenig mit meinen Übungen übertrieben und beschließe, einen auf Scarlett O’Hara zu machen. Der sehnsuchtsvolle letzte Blick mit einer winzigen Träne im Auge, wenn Red Butler in seiner Kutsche davonfährt. Der Typ grinst mich etwas dämlich an. Aber jetzt mache ich einen auf unnahbar und cool: Marlene Dietrich.
Ich drehe meinen Stuhl zurück und warte. Fast zeitgleich werden wir zum Waschbecken zitiert. Wenn das kein Schicksal ist. Elegant stolziere ich zum Sessel und werfe mein wallendes Haar ins Waschbecken. Es knistert ganz schön. Vielleicht ist es aber auch die Alufolie, die sich gerade mit meinem Resthaar widerspenstig angelegt hat. „Ich habe deine Freundin schon lange nicht mehr gesehen.“ (Ja ist doch super, dann hat er sie vielleicht gar nicht mehr.) „Das kannst du auch nicht.“ (Sage ich doch.) „Sie ist nach München gegangen.“ (Wer will das denn wissen?) Schlagartig wird mir klar, dass der Typ ziemlich arm dran ist. Auch wenn er nicht so aussieht. Aber seine Wirkung auf mich verpufft. Er ist auch viel zu schlaksig. Überhaupt nicht mein Typ.
Ich schwebe geradezu zum Fön und trockne mein unglaublich reflektierendes Haar. Mein neurotischer Friseur kommt zur Begutachtung und nickt zufrieden. „Na, das haben wir aber toll hingekriegt. Und keine Sorge, deine Haare sind eben launisch - steh’ doch einfach zu ihnen.“ Arrogant mache ich eine kleine Drehung auf dem Absatz und rausche hinaus.
Jetzt bin ich gewappnet für die nächsten zwei Tage.
Seit Wochen fiebere ich dem Tag entgegen, an dem ich eine Karte für Robbie Williams ersteigern kann. Ich denke an nicht anderes mehr, mache all meine Freunde verrückt, weil ich nicht genau weiß, wie viel Karten ich bekommen werde und wer dann in meiner Gunst stehen wird, mit mir auf dieses fantastische Konzert zu gehen.
Dass ich eine Karte ergattere steht außer Frage. Und dass ich mich dafür natürlich nicht am Stadion anstellen werde, ist ebenso klar. Nadine kommt natürlich mit zum Konzert. Und wenn sie dafür aus Ecuador eingeflogen werden muss. Das ist es auf jeden Fall wert.
Vor einigen Tagen entschieden Olli und ich bereits in einer Telefonkonferenz, dass wir gemeinsam versuchen wollten, soviel Karten wie möglich zu bekommen. Samstagmorgen um halb neun rief er an. „Und bist du bereit?“ „Ja klar, aber die Hotline ist noch gesperrt.“ Klar, es war ja erst 8.30 Uhr. Wir gingen noch einmal unser Konzept durch. Auf keinen Fall die billigen Stehplätze und schon gar nicht teuersten Karten. Denn da würde man nur von den hysterisch kreischenden Weibsen erdrückt, die nach vorne drängten, um mit Robbie auf der Bühne zu stehen.
Die Vorstellung auf die Bühne gezogen zu werden, fand ich zwar ungemein spannend, aber erstrebenswerter erschien es mir, mich im VIP-Bereich aufzuhalten. Wie ich das erreichen wollte? Keine Ahnung, aber das Konzert sollte erst im August sein und bis dahin wäre mir längst etwas eingefallen. Eine Security-Anstellung vielleicht? Irgendeinen Kampfsport kann man ja schnell lernen. Und mit meiner Größe war ich klar im Vorteil. Denn mit meinen 1,55 m (1,60 m mit Absätzen) würde es keiner wagen, sich an mir vorbeizuschmuggeln. Vor allem dann nicht, wenn ich diesen oder jenen mit einem gezielten Tritt oder Handschlag in die letzte Reihe befördern würde. Vor allem sollte man nicht den Überraschungseffekt meiner Größe unterschätzen: bei meiner zierlichen Größe würde doch keiner erwarten, dass ich zierlich aber bestimmt zuschlagen könnte - und würde. Viel eher würde man mich doch charmant belächeln. Kleine Menschen sind eben klar im Vorteil.
8.57 Uhr. Das Telefon klingelt. „Planänderung. Wir müssen die erste Kategorie nehmen. Miri hat sich im Vorfeld für eine Karte registrieren lassen.“ Registrieren lassen???? „Sie weiß nur noch nicht, wie viel Karten sie bekommt. Wie war die Internet-Adresse noch mal?“ „Irgendwas mit Ticket. Tickethotline, ticket.de, Ticket Koeln.de vielleicht?“ 9.00 Uhr!!!!! „Olli, ich muss auflegen. Viel Glück.“
Zitternd aber bestimmt drückte ich die Wahlwiederholungstaste. Mist. Besetzt. Da war einer schneller als ich. 9.02 Ich drücke die Wahlwiederholungstaste. Mist. Besetzt. Das kann doch nicht wahr sein! Jetzt kommt Trick 17. Wahlwiederholung – auf das Rufzeichen warten- tuttuttut. Mist. Wahlwiederholung, so schnell wie möglich –tuttuttut. Mist. Noch mal Wahlwiederholung – tuttuttut. Mist. Wer zum Himmel versucht denn noch, eine Karte zu bekommen? 9.07 Wahlwiederholung, die 35. Und bitte! Tuuuuuuut. Yes strike! „Vielen Dank für Ihren Anruf. Sie sind bei der Robbie Williams Hotline gelandet.“ (Ach was) „Bitte halten Sie Ihre Kreditkarte bereit.“ Jajajajajajajajajajaja. Im Geiste sehe ich mich schon jauchzen und springen.
Realistisch gesehen tue ich das gerade und mein Fuß verheddert sich dummerweise mit der Telefonschnur. Mein Gott, was reden die da soviel an der Hotline? Sie sollen mir endlich eine Karte geben und gut is. „Leider stehen uns keine Karten mehr zur Verfügung. Vielen Dank für Ihren Anruf.“ Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaas? Wollen die mich auf den Arm nehmen? Hektisch wähle ich mich ins Internet ein.
Scheiße, seit Monaten wollte ich mich um eine Flatrate kümmern, aber mit solchen organisatorischen, technischen Feinheiten bin ich maßlos überfordert. Woher soll ich denn auch wissen, welche Flat gerade die günstigste ist? Internet by call ging ja bis jetzt auch. Na ja, zumindest wenn der Computer nicht wieder einmal abgestürzt ist. Für das richtige Notebook, das ich mir seit über einem Jahr zulegen wollte, hatte ich mich auch noch nicht entscheiden können. Typisch.
Unter ticket.de fand ich nichts. Also musste ich zu Google: Tickets Robbie Williams Köln. Na endlich. Ein Klick und ich kam meinen Karten verdammt nah. Dachte ich. „Aufgrund des erhöhten Andrangs kann es zu längeren Wartezeiten kommen. Wir bitten um Geduld. Oder versuchen Sie es später noch einmal.“ Ja, sicher. Damit irgendein anderer meine Karten ergattern konnte. Nichts da.
Ich brauchte Nervennahrung. Nein, diesmal keine Schokolade sondern richtig würzige Chips. In Nullkommanichts riss ich die Tüte auf, stopfte mir die ganzen Chips quer in den Mund, konnte zwar nicht mehr sprechen, aber was das machte das schon?
Hektisch kaute und klickte ich weiter und wählte gleichzeitig mit dem Handy Ollis Nummer. „Unmaojph? Wiemhmmppsk mhpgseenm Stamppf?“ „Wie bitte?“ „Unmph wwiw if fein Pfand?“ „Waaas?“ „Wie dein Stand ist?“ „Ich komme nicht durch. Ständig besetzt oder überlastet. Mist.“ Wenigstens einer von uns sollte es schaffen. „Ich habe gerade überlegt, ob ich zu der Vorverkaufsstelle am Neumarkt gehen soll.“ „Klar, super Idee, dann nehme ich die am Rudolfplatz. Die haben zwar nur die billigen Karten, aber besser als gar nichts.“
Ich schmiss meine Jacke über und wollte gerade in meinem blauweiß gestreiften Satin-Pyjama Größe 44 (meine Mutter hatte sich leider etwas in der Größe verschätzt oder es gab diesen Pyjama in Größe 36 nicht mehr) nach draußen stürzen, als ich doch noch einmal kehrtmachte. Ein letzter Anruf. Nur einer. Wenn ich durchkommen sollte, so wäre das eine Fügung des Schicksals. Bitte, bitte, bitte. „Vielen Dank. Sie sind bei der Robbie Williams Hotline gelandet. Bitte halten Sie Ihre Kreditkarte bereit.“
Yeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeees! Der nette Telefonmann mit der sympathischen Stimme erklärte mir die ganze Prozedur. Ich hatte es geschafft. Hektisch fuchtelte ich mit meiner Karte am Telefon herum und konnte mich vor Aufregung nicht konzentrieren. „Nun geben Sie bitte an, wie viel Karten Sie bestellen möchten.“ „Vier.“ „Wir haben Sie leider nicht verstanden.“ „Vieeer.“ „Wir haben Sie leider nicht verstanden.“ „Viiiiiiiieeeeeeer.“ „Wir haben Sie leider nicht verstanden.“ Himmelherrgottnochmal! Wie deutlich sollte ich denn noch sprechen? V I E R. „Wir haben Sie leider nicht verstanden.“ „V wie Vogel I wie Igel E wie Elefant und R wie Rübe.“ „Wir haben Sie leider nicht verstanden.“
Langsam dämmerte mir, weshalb der nicht mehr ganz so nette sympathische Telefonmann bereits im Vorfeld nach einem Tastentelefon gefragt hatte. „Bitte geben Sie die Anzahl der Karten ein.“ Ein! Er sagte ein und nicht an! Ich rückte auf Taste 4. „Vielen Dank. Jetzt geben Sie in Viererblöcken Ihre Kreditkartennummer an.“ Mit der 4 hatten sie es aber. „Nun geben Sie die letzten drei Ziffern auf der Rückseite an.“ Was? Die Drei passt aber jetzt nicht ins System. „Die Angabe war nicht korrekt.“ Wie? Ist das meine Karte oder seine? „Vielen Dank. Nun geben Sie Ihre Adresse an.“ Blablabla. „Herzlichen Glückwunsch. Sie haben soeben für 327 € vier Karten für das Robbie Williams Konzert am 9.8.2006 gekauft.“ Yippieeeeeeehhhh! Ich hatte es geschafft.
Freudestrahlend rief ich Olli an und sagte ihm, dass ich 4 Karten gekauft hätte. Glücklicherweise war er noch nicht auf dem Weg zum Vorverkauf. „Ok. Ich probiere es auch noch einmal.“ Während ich überglücklich herum sprang, jauchzte und schrie, telefonierte Olli auch mit dem sympathischen Telefonmann. Ringring. „Claudi, ich habe auch vier Karten.“ „Yippieeeeeh. Das wird gefeiert!“ „Ja klar. Aber wieso verkaufen die uns eine Karte für den 9.8.2006, wenn das Konzert doch am 8.8.2006 ist?“ -------- Stille.
„Keine Ahnung. Aber wenn das eine Finte ist, dann stürme ich das Büro und dann müssen die uns Karten für den 8.8. geben.“ „Meinst Du?“ „Ja klar. Ansonsten mobilisiere ich den Express und meine Kontakte bei RTL. Ich wollte mich da eh mal wieder blicken lassen. Und für eine neue Karriere als Journalistin ist das ein guter Einstieg.“ „Du hast Recht.“
Fünf Minuten später kamen mir Bedenken. Was, wenn Robbie wirklich kein zweites Konzert geben würde? Doch schnell verbannte ich diesen Gedanken. Denn ich hatte noch eine weitere Idee.
Ich habe es mir nämlich so gedacht: Wenn Robbie Williams doch kein Zusatzkonzert in Köln gibt, dann habe ich 327 € umsonst aus dem Fenster geschmissen. Aber immerhin habe ich dann eine hübsche, reflektierende Sturmfrisur und nichts, aber auch gar nichts kann mich aus der Bahn werfen. Dann sitze ich zwar auf vier Karten, die ich unnötigerweise gekauft habe, weil ich davon ausgegangen bin, dass Robbie garantiert ein zweites Konzert gibt, bin völlig pleite und werde die nächsten Monate nicht mehr zum Friseur gehen können, aber was macht das schon? Hauptsache, ich sehe gut dabei aus, wenn ich meinem Untergang entgegentrete. Und sollte dem so sein, dass Robbie tatsächlich kein zweites Konzert in Köln gibt, dann würde ich gegen die Tickethotline und gegen Robbie Williams klagen. Und zwar mit dem Anwalt von Robbie.