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Haben oder Sein
Endlich Licht! Florian warf den Rucksack ab und riss die Kameratasche heraus. Verdammt, zu dunkel! Also auch noch das Stativ, warum müssen diese elende Verschraubungen immer klemmen? Als er endlich alles aufgebaut hatte, war es zu spät. Die Wolkenlücke hatte sich geschlossen und wieder lag breiartiges Grau über der Landschaft. Öde, fade, kontrastlos. Er atmete tief durch, packte ein. An den Füßen des Stativs klebte brauner Schleim. Diese verdammten Sumpflöcher. Wieviele Landschaftsfotografen wohl an diesem Ort schon an Suizid gedacht hatten?
Ein letzter, sehnsuchtsvoller Blick auf die halb in den Wolken steckende Berggestalt, dann marschierte er weiter. Während der letzten Nacht hatte es Frost gehabt, der Boden war bedeckt mit einer dünnen gefrorenen Schicht, welche den Eindruck von Festigkeit vermittelte. Leider trügt der Schein manchmal, sodass er durchgebrochen und bis über den Knöchel im Morast versunken war. Die Schuhe, die teuren, neuen Trekking-Stiefel, würde er sie jemals wieder sauber bekommen? Füße, Socken, Zehen: Alles schien sich in eine kalte, nasse, schmierige Masse verwandelt zu haben.
Kjell Högberg stellte die Akte zurück in den Schrank.
"Es ist nun fast genau ein Jahr her. Und wir haben ihn immer noch nicht." Sein Kollege Rasmussen antwortete mit der Gleichgültigkeit eines Aktenvernichters: "Ja und?"
Kjell hakte nach: "Wie kann ein Mensch spurlos verschwinden?"
"Wenn er in eine Gletscherspalte gefallen ist." Kjell nickte.
"Du hast Recht, Hakan. Es muss so etwas sein."
Es waren die schönsten Stunden des Tages: Der Ofen brannte, Florian hatte seine Ausrüstung auf dem Tisch ausgebreitet. Links die Objektive, daneben die Kamera mit den Speicherkarten, Ersatzakkus, die Schächtelchen mit den Filtern. Er würde nun in aller Ruhe den Kampf gegen den Dreck aufnehmen können, Staub entfernen, alles wieder gründlich säubern. Die ganze Hütte gehörte ihm alleine. Nebensaison hatte eben doch ihre Vorteile, dachte er sich und bewegte seine nackten Zehen, in die wieder Blut und Gefühl zurückgekehrt waren. Der kalte Fußboden, welchen er nur mit seinen Fersen berührte, fühlte sich dreckig an.
Er holte optisches Papier und das Pinselchen hervor, klopfte die leere Fototasche aus und machte sich ans Werk. Wind war aufgekommen, er konnte hören, wie er am Kamin vorbeipfiff und den Rauch des Ofens mitriss. Dann ein anderes Geräusch, Schritte. Noch bevor er sich ob des Gehörten vollständig sicher war, hatte sich die Türe geöffnet. Ein Mann stand im Raum und grüßte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn auf Schwedisch anzureden, sondern gleich Englisch gesprochen: "Guten Abend."
Er mochte um die 60 Jahre alt sein, trug eine Fellmütze, eine olivgrüne Jacke, Gummistiefel. Draußen hatte es offensichtlich begonnen zu regnen denn seine Kleidung war nass. Er ging zum Ofen, dorthin wo Florian Schuhe und Socken zum Trocknen drapiert hatte. Er warf einen halb mitleidigen, halb schadenfrohen Blick auf das vollgesogenene Leder und meinte zu Florian:
"Das wird eine Weile dauern, bis die trocken sind." Er hatte ohne erkennbaren Akzent gesprochen. Florian begann, seine ausgebreitete Ausrüstung ungereinigt in die Fototasche zurückzupacken. Hatte der Alte gerade jetzt auftauchen müssen?
"Ich habe deine Fußspuren gesehen und dann den Rauch gerochen. Und da dachte ich mir, es wäre nett herauszufinden, wer uns um diese Jahreszeit hier besucht." Die Stimme des Alten hatte einen sonderbaren Klang, etwas zu scharf und heiser. Er begann sich auszuziehen und die abgelegten Kleidungsstücke in der Nähe des Ofens aufzuhängen.
Florian hatte alle Ausrüstung verstaut und deutete auf den abgeräumten Tisch:
"Bitte." Der Alte lächelte und gab zur Antwort:
"Das wäre nicht nötig gewesen. Ich brauche nicht viel Platz."
Im Setzen fragte er: "Du bist Fotograf?" Florian nickte.
"Und wie ist die Beute?" Florian hatte keine wirkliche Lust, auf diese Frage wahrheitsgemäß zu antworten: "Es geht so. Bisher nicht so besonders."
Das Lächeln des Alten hatte etwas Eisiges. Sprach Überheblichkeit aus seiner Geste?
"So geht es vielen, die das erste Mal hierher kommen. Sie nehmen die Natur nicht ernst."
"Woher wissen sie, dass ich das erste Mal hier bin?" Nun war sich Florian endgültig sicher, das Lächeln des Alten hatte etwas von Überheblichkeit. Dieser zeigte auf die am Ofen stehenden Schuhe: "Deshalb."
Högberg ließ nicht locker:
"Wir haben sie doch alle irgendwann wieder gefunden. Den holländischen Motorradfahrer, die Japanerin aus dem See. Warum ihn nicht?"
"Kjell, gib doch endlich Ruhe. Du darfst das nicht persönlich nehmen. Außerdem, wer hätte denn etwas davon, wenn wir ihn jetzt finden? Es ist bald Winter, das Jahr ist gelaufen." Kjell schüttelte den Kopf. Es machte einen Unterschied. Für die Angehörigen und für die Frage, ob er als vermisst oder als tot gemeldet war.
"Diese Landschaft lässt sich nicht erobern, nicht besitzen. Was gibt es auch zu wollen hier während des Winters? Die Menschen zogen mit ihren Tieren in das Tiefland, sobald der Sommer vorbei war." Der Alte hatte mit sichtlichem Pathos gesprochen. Florian fühlte sich unwohl, ihm unterlegen aus der Distanz der Jahre heraus. Ja, er musste zugeben, sich mit der Geschichte, Siedlungsstruktur Lapplands nicht befasst zu haben. Der Alte mochte Recht haben, aber dennoch empfand Florian sein Auftreten als unsympathisch. War es, weil er hier einfach aufgetaucht war? Nein, es war die Belehrung gewesen. Der Alte strahlte etwas von Besserwisserei aus.
Florian war aufgestanden, zu dem Regal gegangen, wo einige wenige Bücher, Brettspiele und das Hüttenbuch standen. Gleich nach seiner Ankunft hatte er sich brav darin eingetragen und dabei entdeckt, dass eine Frau vor wenigen Tagen hier gewesen war, Karin Veiler war ihr Name. Sie hatte nicht angegeben, in welche Richtung sie weiter gezogen war. Florian schob das Hüttenbuch zur Seite und zog aus dem letzten Eck des Faches einen Würfelbecher. Er brachte ihn mit zum Tisch, stellte ihn dort ab und schob ihn hinüber zu dem Alten. "Können Sie mir bitte sagen, was das ist?"
Der Alte sah ihm in die Augen, sein Lächeln war verschwunden. Hatte Florian ihm eine Frage gestellt, die er nicht beantworten konnte? Ohne in den Würfelbecher zu sehen, meinte dieser jedoch nur trocken: "Das hast du also auch schon gefunden."
Doch Florian ließ nicht locker: "Und was ist das?"
Der Alte nahm den Würfelbecher und verstreute den Inhalt auf den Tisch. Er kniff die Augen zusammen und betrachtete das Muster, das sich ergeben hatte. Auf dem Tisch lagen kleine ovale Holzplättchen, offenbar abgesägte Scheiben eines Astes.
"Das sind die Schriftzeichen unserer germanischen Eroberer", meinte der Alte schließlich, "das Alphabet der Wikinger: die Runen."
"Und warum hat sie jemand auf diese Holzstückchen gemalt?", wollte Florian wissen.
"Mit ihnen verbindet uns nicht wirklich viel, aber dazu gehören das Heidentum und eine mündliche Wissensübermittlung. Diese Buchstaben haben eher symbolische Bedeutung als dass sie zum Schreiben benutzt werden. Was das hier betrifft", erklärte der Alte und deutete auf den Tisch, "so ist wohl eher die Verwendung als Orakel vorgesehen."
Er begann, die ausgestreuten Holzstücke einzusammeln. Florian fiel auf, dass an der linken Hand des Alten der kleine und der Ringfinger verkürzt waren und die vordersten Fingerglieder fehlten. Der Alte war mit dem Aufräumen fast fertig, ein letztes Holzstück lag noch auf dem Tisch. Florian hob es auf, um es in den Becher zurückzuwerfen. Ein senkrechter Strich, schräg gekreuzt von einem zweiten.
"Du hast sie nicht gesehen, weil du letzte Woche in Urlaub warst!" Hakan Rasmussen ging zur Kaffeemaschine, ohne zu antworten. In seinem Cappuccino rührend hob er die Schultern: "Wen?"
"Na seine Freundin."
"War die hier?" Hakans Stimme hatte tatsächlich einen Hauch von Lebendigkeit bekommen.
"Viel besser noch", antwortete Kjell, "sie ist noch hier."
"Wo?"
"Läuft alleine durch die Berge. Will wohl irgendwie Abschied nehmen von ihm."
"Hoffentlich kommt sie wieder."
"Das hat sie hoch und heilig versprochen", knurrte Kjell, "ich habe keine Lust auf die nächste Suchaktion."
"Und wie konntest du sie einfach so ziehen lassen?"
"Warum nicht? Vielleicht hilft es ja. Und sie hat brav ihre geplante Route hier hinterlassen und versprochen, in den Hütten zu bleiben."
"Wie sah sie aus? Hübsch, dunkelhaarig?" Hakan kam offensichtlich immer mehr in Fahrt.
"Weißt du, was es bedeutet, etwas zu opfern?" Florian schüttelte den Kopf.
"Das dachte ich mir", erwidert der Alte. "Aber vielleicht lernst du es ja noch."
Er nahm den Würfelbecher und stellte ihn zurück an seinen Platz. Dann ging er hinüber zum Ofen und wendete seine Kleidung.
"Jetzt nimm dich mal zusammen, Hakan! Das Mädel war in Trauer, du hättest sie sehen sollen. Außerdem lässt man die Finger von seiner Kundschaft, so kenne ich dich gar nicht!" Kjell war sichtlich gereizt.
"Ist ja schon gut. Fragen wird man ja noch wohl dürfen", beschwichtigte Hakan.
Florian schlief schlecht. Das mochte an dem Wind liegen, welcher gegen die Hütte anrannte und an ihren Wänden rüttelte. Oder an den Ereignissen des Abends, welche ihre Spur durch sein Unterbewusstsein zogen. Er dachte wiederholt an den Alten; so schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Wo er wohl hingegangen war im Dämmerlicht des Abends? Aber er musste offensichtlich wissen, was er tat, schließlich war er in dieser Gegend zu Hause. Zu allem Überfluss war Florian noch am Abend in den Holzschuppen gegangen, um neues Brennholz kleinzumachen, was im Licht der Taschenlampe ein elendes Unterfangen gewesen war. Ein Schlag war daneben gegangen und um ein Haar war das Beil in seinen Fuß gefahren. Er musste an die linke Hand des Alten denken, die fehlenden Fingerglieder.
Wieder und wieder wachte er auf, Traumfetzen blieben als Erinnerung zurück. Die Frau aus dem Hüttenbuch, die er um zwei Tage verpasst hatte, war auf einmal da. Wie war ihr Name gewesen? Sie saßen zu dritt am Tisch, hatten die Holzplättchen aus dem Würfelbecher ausgebreitet, um mit ihnen zu spielen. Der Alte lächelte, nahm einen der Steine, schob ihn in die Mitte, zwei Dreiecke, die sich an der Spitze berührten, waren darauf zu sehen. Florian durchsuchte seine Steine, um etwas zu finden, was dem entgegenzusetzen war, aber sie waren alle unbeschriftet. Lauter leere fransige Abschnitte eines Birkenastes, angefertigt draußen im Holzschuppen. Wer sie wohl hergestellt hatte?
"Das heidnische Erbe der Samen", meinte der Alte. Die Frau - wie war doch noch ihr Name gewesen - lachte.
"Leben bedeutet, Opfer zu bringen", erwiderte der Alte. Florian durchsuchte verzweifelt seine blanken Spielsteine, irgendwo musste doch einer sein, ein Zeichen, es waren doch genügend vorhanden. Er suchte und suchte.
"Verlieren. Das Leben bedeutet, zu verlieren", meinte die Frau und griff nach dem Spielstein des Alten. Der Alte lachte:
"Eiswüste. Sie gingen weg, sobald der Winter kam. Hinunter ins sichere Tiefland."
"Kommt sie noch einmal hier vorbei?", fragte Hakan vorsichtig. Kjell warf ihm einen prüfenden Blick zu, die implizite Aufforderung, nun endlich Ruhe zu geben.
"Ich gehe davon aus", antwortete er. Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen, das Telefon läutete.
"Polizeistation Kiruna Zentrum", meldete sich Hakan.
"Wie viele sind es?" Kjell horchte auf.
"Sind sie betrunken? Alles klar, wir schicken jemanden vorbei." Er legte auf und grummelte:
"Scheiße!"
Es waren zwei glückliche Tage für Florian vergangen. Er war beschenkt worden mit trockenem Wetter, Licht, traumhaften Wolkenstimmungen. In seinem Brustbeutel trug er eine volle Speicherkarte mit den zugehörigen Aufnahmen, die kostbarste Jagdtrophäe dieser Reise. Es war kälter geworden, die Sumpflöcher waren kein Problem mehr und der Tiefausläufer hatte die Gipfel der Berge weiß überzuckert. Er wunderte über sich selbst, wie glücklich er über ein wenig Sonnenschein sein konnte. Das Elend der vorangegangenen Tage war wie weggeblasen.
Er stellte den Rucksack ab, wollte Kamera und Stativ aufbauen. Das Weglein, dem er gefolgt war, führte am Fuß einer senkrechten Felswand vorbei. Aus dieser waren riesige Granitblöcke abgebrochen, ins Tal gefallen und hatten sich dort übereinander getürmt. Sie formten ein bizarres, wildes Durcheinander, welches zum Teil von einem Arm des Flusses berührt wurde. Er warf einen Blick in seine Landkarte. Dort wo er annahm, sich zu befinden, war ein Kreuz eingetragen, daneben die Bezeichnung Offerplats. Er versuchte, den Ort zu fotografieren. Die Felswand war zu hoch, auch mit dem Weitwinkelobjektiv war es unmöglich, Felsblöcke, Fluss und Wand auf ein aussagekräftiges Bild zu bringen. Er ärgerte sich. Wieder einer dieser Orte, der trotz perfekten Lichtes unfototgrafierbar blieb, sich nicht einfangen ließ, einen Zauber ausstrahlte, welchen er nur in seiner Erinnerung mit nach Hause nehmen konnte. Zum Trotz machte er dennoch einige Aufnahmen.
Ich muss eben den idealen Standpunkt suchen, dachte er sich. Er drehte mehrere Runden, wechselte das Objektiv, packte wieder ein. Ihm fiel ein Fußabdruck auf, vom Frost konserviert, eine eingefrorene Momentaufnahme im Morast eingefangen für die Ewigkeit eines Winters. Der Fuß war klein im Vergleich zu den Spuren, die er selbst im Schlamm hinterließ. Ein Frauenschuh? Von wann wohl dieser Abdruck stammte? Einen Moment lang bedauerte er es, im Spurenlesen komplett untalentiert zu sein. Wenn er Rentierhufe im Schnee sah, wusste er nicht einmal, in welche Richtung die Tiere gelaufen waren. Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinem Projekt zu. Der Standpunkt, wo war der ideale Standpunkt?
Dann entdeckte er es. Er musste sich wundern, dass es ihm noch nicht früher aufgefallen war, vielleicht lag es aber auch daran, dass das Holz zwischen den Felsen farblich nicht herausstach. Zwei Felsblöcke lagen so nebeneinander, dass ein senkrechter Spalt sie voneinander trennte und sich nach unten hin verjüngte. In ungefähr zwei Meter Höhe über dem Boden klemmte ein Wurzelstock, offensichtlich hohl, mit einem zur Vorderseite hin gewandten Loch. Er war in einer Höhe angebracht, dass man mit ausgestrecktem Arm gerade das Loch erreichen konnte, um etwas hineinzuwerfen, es aber unmöglich war, in den Wurzelstock hineinzusehen, oder etwas herauszuholen. Dass das Gebilde Menschenwerk war, erkannte Florian an dem neu wirkenden Draht, mit welchem es nach unten verspannt war, als Diebstahlsicherung? Offerplats, nun hatte er verstanden.
Knappe zwei Stunden war er nun weitergelaufen. Die Felswand sah aus dieser Richtung aus wie ein spitziger Zacken, der das Tal flankierte. Ein traumhaftes Bild, das sich jedoch der Kamera dadurch entzog, dass Wolken aufgekommen waren. Zeit umzukehren, dachte sich Florian. Das Weglein, welchem er gefolgt war, führte in die unberührte Wildnis, in eine Sackgasse der Zivilisation. Wind hatte angefangen zu wehen, Florian packte die Kamera weg und machte sich auf den Rückweg.
Es dauerte nicht lange, dann begann es zu schneien. Dicke, windgetriebene, nasse Flocken, aus der Richtung, in welcher der Ausgang des Tales lag. Florian begann zu laufen. Wie schnell doch so ein Weg unter dem frisch gefallenen Schnee verschwinden kann? Er versuchte, sich zu beruhigen. Ich kann mich nicht verlaufen. Rechter Hand der Fluss, links die Berge. Ich muss einfach zwischen beiden bleiben, es ist idiotensicher. Nun müsste doch nun endlich der verdammte Opferplatz kommen, die Felsen sind doch nicht zu übersehen. Und von dort aus sind es dann noch lächerliche anderthalb Stunden. Wenn ich die Hütte erreicht habe, kann ich alles wieder trocknen. Ich werde in den Holzschuppen gehen, Kleinholz machen und ordentlich einheizen. Vielleicht ist ja auch schon der Alte wieder da und hat Feuer gemacht. Es ist ganz einfach, ich muss nur die Hütte finden, bevor es dunkel wird.
Er stolperte vorwärts, die Steine waren durch die Auflage des frisch gefallenen Schnees rutschig geworden. Unverändert klemmte die hohle Wurzel im Spalt. Florian hielt für einen Moment inne und sah den Schneeflocken zu. Sie schienen kleiner geworden zu sein, trockener, schneller. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, um festzustellen, dass es schon vier Uhr war. In unerbittlichem Gleichschritt trieb der Wind das Heer der Schneeflocken vor sich her. Diesem Heer würde er sich entgegenwerfen müssen. Die Dunkelheit würde ihn unausweichlich überkommen.
Wie sollte er im Dunkeln die Hütte wiederfinden? Die nächsten Kilometer konnte er sich noch am Fluss orientieren, musste dann aber an der richtigen Stelle eine Abzweigung in den Wald finden. Wenn er diese Kreuzung nicht finden sollte? Ein Alptraum. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er mit seinem Leben gespielt hatte.
"Weißt du, was es bedeutet, etwas zu opfern?" Das waren die Worte des Alten gewesen. Er griff sich an die Brust. In dem Gummibeutel, in der trockenen warmen Sicherheit in der Nähe seines Herzens waren die beschriebenen Speicherkarten untergebracht. Er öffnete den Beutel, fasste hinein. Sie würde genau durch das Loch passen, dachte er sich. In seinen Händen hielt er eine kleine Plastikhülle, reine Information und das Zeugnis dessen, was er in den letzten Tagen hier erlebt hatte. Was diese Reise betrifft, war das sein wertvollster Besitz.
Die rationale Hälfte seines Gehirns gewann schließlich die Oberhand. Ist doch alles Schwachsinn, dachte er sich. Es gibt nichts und niemanden der mir jetzt helfen könnte. Links die Berge und rechts der Fluss und irgendwo da vorne in der konturlosen Weite die Hütte. Er packte die Speicherkarte zurück in ihre herzenswarme Sicherheit und machte sich auf den Weg. Während er gegen den Wind und seine tödliche weiße Fracht ankämpfte, musste er manchmal an die Fußabdrücke und wiederholt an den kostbaren Besitz denken, den er unbedingt nach Hause bringen wollte.