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Habit, Habitat und Habitäter
Habitat und Habitäter
oder
Die Geburt der Nibelungenstrophe
Jonathan Swift zum 350. Geburtstag!
wenn die Frau vollkommen verhüllt ist, dem Manne den Kopf verdrehen kann.“
Hamed Abdel-Samad: "Ein Abschied vom Himmel"
Geregt und schwärmt, ihr Tauben -
Wer von nichts weiß,
nix wissen will, muss glauben!
[...]
Der Falke fliegt
versetzt von hinten's Täubchen an,
im blinden Winkel
es nichts und niemand sehen kann.
..."
Aus dem Zyklus "Schwarmintelligenz", Verse 1 - 4 und 2.014 - 2.017,
des Vroidenreich Steinweg vom Weinsteg, ca. 21. Jh.
So also steht's ums Heilige Römische Reich!,
denkt inmitten des Stromes der Reisende, da der Ferge des Stiftes Mainz die Fähre anhält und abdriften lässt, abwärts gen Cuba und Katz und Maus, da, wo die Fähre keine Chance hätte, nicht zu zerschellen, "lauret doch dorten die Lay", wie Schiffer, Lotse und Fischer manchmal sagen.
Noch einmal verlangt der Fährmann den Preis, der bereits am Heimbacher Ufer für zwo Personen und vier Pferde samt Last für die einfache Überfahrt vom linken aufs rechte Ufer vereinbart, gezahlt, gewogen und für gut befunden wurde. Kurz:
Ein weiterer Höhepunkt einer Odyssee für den vom Kürenberg am Ende einer Reise nach Jerusalem.
Sechs Jahre zuvor geriet Antiochia an Byzanz und unter die orthodoxe Ketzerei.
Kurz darauf fiel die allerchristlichste Grafschaft Edessa durch den Emir von Mossul an die Heiden, weshalb vor nunmehr fünf Wintern jeder rechtgläubige und waffenfähige Mann zum Zug ins Heilige Land aufgefordert wurde. Zunächst kurz vor Weihnacht per Bulletin vom Papst und dann, als es wärmer wurde und der Bauer die Rosse - sofern er welche hatte - einspannte, persönlich durch den Heiligen Bernhard von Klärwo, auf dass der fränkische wie auch der römische König sich zunächst entrüstete, um dann aufzurüsten.
Der Ruf, abendländische Werte auch im Morgenland zu verteidigen, erreichte auch die Edlen des bairischen Markt- und Zollorts Linz. Und nicht nur dort folgte man dem Ruf freudig, sofern einem das väterliche Erbe durch ein älteres Familienmitglied gleichen Geschlechts verwehrt bliebe. Nicht jedermanns Sache ist eine Tonsur vor der natürlichen und hormongesteuerten Zeit des kreisrunden Haarausfalls und das eintönige Habit - gleich welchen Ordens - oder auch nur, weit vor dem ersten Hahnenschrei für ein Gebet aufstehen zu müssen.
Zudem versprachen die Namen der fernen Azagouk und Zazamank reiche Beute.
Also machte sich auch auf der vom Kürenberg.
Eigentlich wollte der sich allein der Minne und dem Sange hingeben, doch statt Frauen, Laute, Leier, Stift und Pergament nahm er nun Schild, Schwert, Lanze und Kreuz auf und Abschied von seinen geliebten Wäldern um den Kürenberg, dem Flecken Linz und der Ostmark, um sich bei Regensburg mit tausenden Befreiungskriegern unterm römischen König Konrad anzuschließen auf beschwerliche Kreuzfahrt über Land, vorbei an Linz, durch die Ostmark, Ungarn und den Balkan.
Valco, so wollen wir unseren Helden nennen, ist doch der von Kürenberg der Sänger des Federspiels und der edlen Damen - speziell des "valken" und der "frouwen" - freilich mit dem Makel des Stilbruchs, gelegentlich auch einer Frau die Worte in den Mund zu legen.
Valco wurde in den nach Alkohol und Schweiß stinkenden Zelten der Kreuzfahrer bekannt und beliebt - vor allem wegen seiner frivolen Verse, von denen vier hier wiedergegeben seien
als tuo dû, vrouwe schoene, sô du sehest mich,
sô lâ du dîniu ougen gên an einen andern man.
sôn weiz doch lützel ieman, wiez under uns zwein ist getân."
("So wie der Abendstern sich verbirgt,
so halt du es auch, schöne Frau, wenn du mich siehst,
und lass deine Augen zu einem andern gehn,
dass niemand weiß, wie es um uns beide steht."
Übersetzt und an die neuere deutsche Rechtschreibung
angepasst durch den von der Emscher)
+++
Nichts denn Prügel hatten sie bezogen, als sie Byzanz verließen, um dann nicht einmal Edessa zu erreichen, geschweige denn, die Reichtümer Azagouks oder Zazamanks je gesehen zu haben. Gesehen hatten sie vor allem auf dem Weg durchs Emirat auf dem Wege nach Damaskus das antike Beroia, das Halep der Turchia und's Helep der Kurden, das Halab der Armenier und Aramäer, deren Sprache die des Gekreuzigten war, dessen Name als Prophet und Menschensohn auf dem irrsinnigen west-östlichen Wahn noch mehrmals geopfert und missbraucht wurde und wird.
Viel zu unbeweglich waren die hochgerüsteten Panzerreiter auf ihren schweren Schlachtrossen gegen die flinken Araberhengste.
So blieb die Beute gering, sofern man überhaupt mit Beule und Schramme davonkam oder auch nur den einen oder andern Arm unter der reichen Ernte der großen Sicheln Seldschuks und seiner Söhne abgeben musste.
Allemal besser, als ein eingeschlagener Schädel oder den Kopf zu verlieren auf noch so geheiligtem Boden. Hat doch ein jeder ohne Zagen, Murren und Jammern sein Kreuz selbst zu tragen ohne irgendeine Garantie zur Auferstehung. Zudem schlug der Blitz im Kürenberger ein, als vor den geballten Pfunden potentiellen rheinischen Sauerbratens ein schlanker Araber scheute, stürzte und seinen Reiter unter sich begrub. Und während der Araber versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, erklang eine hohe und weiche, unerschrockene Stimme in der Sprache der Ostmark:
"Könnt's er mir bittschön aufhelfen, der edle Herr?!"
Verblüfft und doch galant, wie es nur ein Mann seines Standes heute noch sein kann, stieg Valco vom hohen Ross, half dem nervösen Gaul wieder auf die Beine, beruhigte ihn und erblickte auf dem Boden des Schlachtfestes eine in schwarz vermummte, schlanke Gestalt, die im heftigen Tone rief:
"Bittschön -
wenn's geht, heut noch ... Bitte!"
Und also zog er wohl ein halbes Dutzend schwarzer Tücher von dem Gestürzten und erschrak mit jedem Tuch um so mehr, als schon die alten Griechen Amazonen nur von ihrem Vasenschmuck her kannten und doch fürchteten. So hatte der Frivole noch nie ein weiblich' Wesen gesehen, keine Magd, kein Weib, keine Frau und Herrin ...
Und der Blitz schlug ein!
Da konnte der vom fernen Kürenberg nur noch die Leitkultur Baierns und Umgebung retten, indem er mit verdrehtem Kopf und weich werdenden Knien der Amazone wohl tat, indem er einfach nichts tat, nichts tun konnte, außer recht verlegen ihr zunächst aufzuhelfen und zu fragen, ob sie sich weh getan hätt' ...
Hätt's ihr natürlich nicht, hörte er aus der Antwort heraus, dass er gleich nachschob:
"Sag mir, woher kannstu so gut diutisc sprechen?"
Da lachte die Amazone laut:
"Haha! Diutschiu, das klingt komisch!
Fast chinesisch oder wie eine Kindersprache ... -
Nennt der Alman seine Sprache so? -
Bei uns wird's in den Schulen immer schon eure Sprache gelehrt, wenn wer sie lernen will - seit Harun al ... -
is' auch egal .
und Salman Alman ..."
Da staunte der Herr nicht schlecht: "Du bist eine" - schluckte er - "Nonne?"
Nun ziehen wir das Tuch der Diskretion übers Geschehen, denn zudem galt es, das Schlachtfeld aufzuräumen, bevor die Geier auf ihre Weise aufräumten und ihr Werk verrichten konnten. Allein Geier, die das Feld plünderten, machten fette Beute. Jene am Aas und diese an Metallen.
Ana Maria hieß das Mädchen und - da musste der Degen lachen, als es ihm seinen zweiten Namen nannte und in seiner Sprache als einen "guten Tag" deutete. Der gute Tag blieb die einzige Beute Valcos und gar bald stellte sich heraus, dass beide der schönen Literatur zugeneigt waren, was den kühnen Recken wieder zu einer gewagten und eigentlich frivolen Behauptung verführte:
swer sî ze rehte lucket, sô suochent sî den man.
als warb ein schoene ritter umbe eine vrouwen guot.
als ich dar an gedenke, sô stêt wol hôhe mîn muot."
("Frau und Federspiel sind leicht zu zähmen,
versteht einer, sie richtig zu locken, suchen sie den Mann.
So warb ein ansehnlicher Reiter um eine edle Dame.
Wenn ich nur dran denke, schlägt's Herz mir hoch."
Übers., a. a. O.)
Vor allem aber war Ana es leid, sich immer wieder und immer wieder ihres Wesens verstellen und den Leib hinter Tüchern verstecken zu müssen, dass sie das Schicksal als Beute gelassen hinnehmen konnte.
"Weg mit allem Fummel!", rief sie und dachte zugleich, wehe dem, der an mir herumfummelt! Denn sie versteht heute noch das krumme und zweischneidige Schwert zu führen wie das geradlinige und scharfe Wort, dass selbst die Amazonen auf den griechischen Vasen erblassen.
Mitsamt den gebeutelten Resten des römischen Heeres zogen beide nach Speier, genossen die freie Luft der Stadt und die Toleranz ihrer Bewohner gegeneinander, was nach einer Kreuzfahrt nicht selbstverständlich war und sein wird.
Nach dem Gottesdienst zur Heimkunft König Konrads aber drängte es Valco nach dem Klang der Heimat und bairischer Zunge, den Lederhosen und Bratwürsten nebst Knödeln und so brachen auf der von Kürenberg und Ana Maria Guten Tag.
Fünf Tage oder auch sieben dauere der Ritt nach Linz, immer stromabwärts - so hieß es zu Speier.
Es raunet der Rhein und es luret der Lei mit siebenfachem Echo dem Rufe der Vogelwelt, die im ersten Morgenrot über den dampfenden Wäldern erwachte am vierten Tage der Rheinfahrt und Valco sprach alsogleich einen Schiffer an bei dessen Boot, wie weit's noch sei zum Kürenberg.
Der Mann zuckte die Schultern: "Kenn ich net. Wo soll des sein?"
"Westlich von Linz", präzisierte Valco.
Da horchte der Mann auf: "Ja Linz, den Nam' kenn ich. -
Zwo, drei Taach noch all die Schleifen vom Strom runner auf'er annern Seit."
"Die Stelle hier sieht mir nach der schmalsten des Flusses aus, die wir bisher gesehen haben, guter Mann ..."
"Mach sing", bestätigte der Schiffer und lenkte sofort ein: "Alleweil isset zugleich de tiefste Stell und reißendste überhaupt. Meddenem schwer Schwall Wasser vorm Kopp taugt och keen Wahrschau ummet Eck. -
Da sollt' de Gäul schong schön als Flussperd nach Goar kumme und dat Frollein ohn Stobbesack wird Nix' und muss de Lore layern", und dann schaut der Mann aufs Boot und winkt der Frage ab, die da lauert: "Manno, nee, mit mein enkelt Boot müsst ich vierma' überfah'n und acht ma' hin und her - dat gibt nix und met nur enem schwer Schwall Wasser vorm Kopp heddet sich ausgegoart!"
Er warnte auch, im Angesichte Cubas die Falkenau im Fluss zu nutzen. Die Strömung sei die gleiche wie hier, als auch beim einen oder andren Wehr weiter nördlich. "De Nebenflüss' machen dat bis Niederlant, Nortmeer und Zuiderzee - bin'ch von überzeucht!"
Stattdessen riet der Schiffer, einen halben Tagesritt flussaufwärts gebe es am Heimbach einen Fergen in Diensten des Stiftes Määnz, der die Gebiete des Bischofs diesseits und jenseits des Flusses verbinde. "Uff de annern Seit find' sich dat Loch, dawo de olle Kanzler vonne Wurmser dat Vermögen von unser Siechfried undet Hildche versenkt hätt'.
Vielleicht findset ja ...
Wär schön, wenne an mich denkest, wenne wat finds'!"
Und also musst' und ist's gekommen.
Die kleine Karawane zog einen halben Tag wieder zurück bis Heimbach und kam mit dem Fergen ins Geschäft, nach Lorch übergesetzt zu werden.
18 Stück byzantinische Solidi zahlte Valco bar auf die Hand des Fergen.
So also steht's ums Heilige Römische Reich, denkt inmitten des Stromes Valco, da der Ferge des Stiftes Mainz die Fähre anhält und abdriften lässt, abwärts gen Cuba und Katz und Maus, da, wo die Fähre keine Chance hätte, nicht zu zerschellen, "l'uret doch dorten de Lay", wie Schiffer, Lots' und Fischer im künft'gen Weltkulturerbe manchmal sagen.
Noch einmal verlangt der Fährmann den Preis, der bereits am Heimbacher Ufer für zwo Personen und vier Pferde samt Last für die einfache Überfahrt vom linken aufs rechte Ufer vereinbart, gezahlt, gewogen und für gut befunden wurde.
Ana, verkleidet und vermummt wie am ersten Tag in einem schwarzen Tuch, regt heillos sich auf in ihrem Temperament, hat schon ihren Säbel bei der Hand, dass Valco zum ersten und letzten Male überhaupt ihr in die Hand fällt und ohne jede Metrik brüllt: "Lass es oder wir kentern und ersaufen elendig noch weit vor Goar!" und der grausame Name schüttelt ihn, bis er dem Fergen zugewandt sagt:
"Drei byzantinische Solidi oder vier Gulden oder elf Mark Silberkupfer je Kopf, alternativ vier Pfund Kupferpfennig und die Sache gilt!"
Und die Sache gilt als abgemacht.
Der Recke könnt' einfach Solidi in die Hand des Fergen zählen, wählt aber den aufwendigsten Weg überhaupt, fummelt in der Last eines Gaules herum, während der Ferge die Waage bereitet.
Eine Handvoll Pfennige wird in die Schale geschüttet und der Ferge setzt die kleinen Gewichte dagegen.
Aber während er gewissenhaft Pfennige wiegt - sofern von Gewissen an Bord überhaupt die Rede sein kann - und das Auge fest und konzentriert auf der Waage lastet, lässt Valco aus dem Ärmel seines Gewandes einen Dolch gleiten, will eigentlich zustechen und spürt sein Gewissen und den Blick von Ana, dass er den durch Gier abgelenkten Fährmann durch einen festen Tritt von der trocknen Ponte zu Wasser befördert.
Wie der wieder auftaucht, schlägt der Idiot hilflos und panisch mit den Armen aufs Wasser und schreit: "Gott, hilf mir armen Sünder!", und als nicht alsogleich der Herr eingreift, ans Publikum sich wendet: "So helft mir doch -
ich kann nicht schwimmen!"
Vom Kürenberger wissen wir nicht einmal, ob er die Ostmark je wiedersah. Aber wir haben ein Gedicht, dass eine stille Revolution bedeutete dreiundeinhalbes Jahrhundert, bevors Mönchlein Dr. Luther und sein Weib, die gewesene Nonne Katharina revoltierten gegen das Geschäft Kirche:
Das erste Mal wurde von einem Fron(herrn) die Minne einer Frouwe in den Mund gelegt:
dô ich in gezamete, als ich in wolte hân,
und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,
er huop sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant.
Sît sach ich den valken schône fliegen:
er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen,
und was im sîn gevidere alrôt guldîn.
got sende si zesamene, die geliep wellen gerne sîn!“
("Ich zog mir einen Falken
länger als ein Jahr,
Und da ich ihn gezähmet,
wie ich ihn wollte gar,
Und ich ihm sein Gefieder
mit Golde wohl umwand
Stieg hoch er in die Lüfte,
flog in ein anderes Land.
Seither sah ich den Falken
so schön und herrlich fliegen,
Auf goldrotem Gefieder
sah ich ihn sich wiegen,
Er führt’ an seinem Fuße
seidne Riemen fein:
Gott sende sie zusammen
die gerne treu sich möchten sein!“
Übersetzt von Gottfried Keller, aus dem "Hadlaub")
+++
Ein oder zwo Generationen später entstehen im Raume Passau diese Zeilen:
"In disen hôhen êren tróumte Kriemhíldè,
wie si züge einen valken, starc, scóen und wíldè,
den ir zwêne arn erkrummen. daz si daz muoste sehen,
ir enkúnde in dirre werlde leider nímmér gescehen."
("Im Glanze dieses Lebens träumte Kriemhild,
sie [er]zöge einen Falken, stark, schön und wild.
Den schlugen ihr zwo Adler und sie musst's mitansehn
dass ihr in dieser Welt kein größ'res Leid könnt' geschehn,"
Übers. mit freundlicher Unterstützung von Helmut de Boor)
Zu Heimbach in den Kneipen hocket seit ewigen Zeiten der Orden der Stammtischler beisammen und sehnt sich nach der starken Hand für des Reiches Heil. Früher, ja, da war alles besser. Da konnt' man sogar nächtens südlich des Lochs durchs Höllental ohne Gefahr schreiten und vom Teufelskadrich drohte nicht der Steinschlag, konnt' man friedlich den Stein ernten.
Zeit wäre, dass der Große Karl vom Unterberg wiederkäme, da herrschte Friede, Freude, Eierkuchen.
Einsam hocket abseits ein Schiffer aus Goar oder doch Cuba, um das Fährgeld mit dem Fergen des Mainzer Stiftes zu teilen.
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen.
Den Vorhang zu und alle Fragen offen!“
(Brecht)