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handeln!?
Ich nannte den neuen Freund meiner Mum nie Papa, Dad, Vater oder sonst wie. Auch nicht als sie heirateten und Mum seinen Namen annahm.
Ich bestand darauf weiterhin den Namen meines Vaters beizubehalten.
Schließlich war ER meine Familie und nicht Stefan.
Ich konnte Stefan vom Ersten Tag an nicht leiden, als Mum ihn mir vorstellte. Zwischen Tür und Angel, noch mit meinem Schultornister auf dem Rücken, schob sie mich vom Flur in die Küche. „Hier ist er, Stefan, mein neuer Freund.“
„Super!“, dachte ich. Da sitzt er nun, isst, raucht und vögelt meine Mum.
Was sollte ich schon dazu sagen, schließlich war ich erst 14. Alt genug um zu entscheiden, ich mag den da nicht, aber leider zu jung und unerfahren und vor allem zu arm, um zu entscheiden, ich werde nicht mit Stefan unter einem Dach wohnen. Das nämlich war der nächste Schock, den Mum mir unter die Nase rieb. „Er wird von nun an hier wohnen. Platz genug haben wir ja und Stefans Arbeit ist auch ganz in der Nähe.“ - Was interessiert mich wo er arbeitet, Papa hat eh den cooleren Job -
Aber was nützte es zu widersprechen, was Mum sagte, war anscheinend schon beschlossene Sache. Ich musste mich wohl oder übel damit abfinden.
Als einzige Rückzugsmöglichkeit blieb mir nun also nur noch mein Zimmer. Es lag direkt unter dem Dach und trennte mich, durch eine schmale Wendeltreppe, von meiner Mum und Ihrem neuen Glück. Hier war ich allein und ungestört. Dachte ich zumindest immer…
Zwei Jahre hielt ich es nun schon mit ihm aus. Selbst die Hochzeit nach nur einem halben Jahr habe ich verkraftet. Dennoch konnte ich den Mann von Mum aus, mir bis dahin, unerklärlichen Gründen nicht leiden.
„Bastian, hör auf solchen Lärm zu machen! Ich will Fernsehen gucken!“ – Was du willst interessiert mich nicht –
Mum hatte Nachtschicht im Krankenhaus und würde somit erst morgen früh wieder zu Hause sein. Ich konnte Stefan also ungestört nerven, dachte ich.
Mit vollem Elan warf ich meinen Handball so, dass er vom Boden an die Dachschräge prallte und danach wieder zu mir zurück flog. Ich dachte nicht im Traum daran auf zu hören. Es machte mir sogar Spaß, weil ich wusste, dass es den da unten tierisch aufregte. Mit jedem Mal schreien, mit dem Stefan versuchte mich von meinem neuen Hobby abzuhalten, klang seine Stimme lauter und angespannter.
Plötzlich hörte ich, wie sich der von unten über die Wendeltreppe meinem Zimmer näherte.
Vorsichtig stand ich auf und schlich mich zur Tür. So leise wie möglich legte ich mein rechtes Ohr daran.
Die Schritte wurden von Stufe zu Stufe schwerer und lauter. Obwohl Stefan im letzten Jahr nur selten die Wendeltreppe zu meinem Zimmer hoch gekommen war, merkte ich, dass an seiner Gangart, irgendetwas nicht stimmte. Ich hatte ein ungutes Gefühl in mir, irgendetwas war seltsam. Ich fing an zu zittern, meine Hände wurden feucht und ich konnte kaum mehr Atmen. Ich hielt diese Ungewissheit nicht aus. Noch bevor er oben angekommen war, riss ich die Tür auf.
Ich sah wie sich Stefan total betrunken an meinem Geländer hochzog. Sein Kopf war knallrot und er schnaufte vor Wut. Sein Atem flog mir ins Gesicht und ich roch eine Mischung aus Whisky und Zigaretten. – Wie kann meine Mum nur so jemanden lieben –
Das war das Letzte was mir durch den Kopf ging. Ich wachte in meinem Bett auf, es war schon hell und meine Mum sah mich besorgt an.
Neben mir auf dem Nachtisch stand eine Schüssel mit Wasser, daneben lagen Tücher, voller Blut.
„Geht’s dir gut, mein Junge?“
„Ich habe tierische Kopfschmerzen und mein Rücken brennt wie Feuer. Was ist passiert, ich kann mich an nichts erinnern.“
„Du bist die Treppe runtergefallen, hast wohl zuviel Whisky getrunken“, sagte Mum hastig.
„Mum, ich habe nichts getrunken.“
„Bastian, sieh dich um, dein Zimmer ist vollkommen verwüstet, überall liegen Zigarettenstummel und diese hier habe ich unter deinem Bett gefunden.“
Mit einem enttäuschten, ja fast schon mitleidigen Blick, holte Mum eine leere Flasche Whisky hinterm Nachttischchen hervor.
„Zum Glück hat Stefan dich rechtzeitig gefunden. Er hat dich nach oben getragen und deine Wunden versorgt. Wer weiß was sonst mit dir passiert wäre.“
Ich schaute meine Mum verwirrt an. Ich konnte nicht glauben, was passiert war. Ich erinnerte, mich zwar an nichts, dennoch wusste ich, ich hatte diese Flasche Whisky nicht angerührt. Ich mochte dieses Gesöff nicht einmal und würde niemals auf die Idee kommen es zu trinken, geschweige denn, eine komplette Flasche.
„Jetzt schlaf erstmal weiter, ich komme später noch mal und wechsle deinen Verband.“
Noch ein wenig benommen schaute ich mich um. Mein Zimmer war ein einziges Schlachtfeld. Bücher, CDs, Videospiele, alles lag verstreut auf dem Boden. Mein Schreibtischstuhl war umgekippt selbst meine Gardinen waren herunter gerissen. Mein Blick fiel auf den Nachtisch. Waren die blutigen Tücher von mir?
Was war letzte Nacht nur passiert?
Als ich versuchte mich auf zu setzten, zog ein Schmerz durch meinen Rücken. Ich schaute an mir runter und erst jetzt bemerkte ich, dass mein Rumpf komplett verbunden war. So gut es mit den Schmerzen aus zu halten war, stand ich auf und ging zum Spiegel. Als ich mich anschaute erschrak ich. Meine Augen waren nicht blau, sie waren dunkel lila und an meiner Lippe war eine Platzwunde. Panisch zog ich mein T-Shirt aus und wickelte den Verband ab. So gut es ging betrachtete ich meinen Rücken im Spiegel. Er war ebenfalls mit dunklen Blutergüssen überseht und an einigen Stellen war er aufgeschürft.
Noch immer hatte ich keine Erinnerung. Vollkommen verwirrt lief ich durch mein Zimmer, einmal im Kreis, in der Hoffnung irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, der meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte. Wieder an meinem Bett angekommen setzte ich mich planlos hin.
Ich hatte mich doch nicht wirklich sinnlos betrunken? Hatte Mum vielleicht recht? Vielleicht hatte ich einen Blackout oder so was?
Möglicherweise war ich so betrunken gewesen, dass ich nicht mehr wusste was ich tat?
Ein zweites Mal sah ich mich in meinem Zimmer um, bis mein Blick auf die leere Flasche Whisky fiel.
Hatte ich wirklich etwas getrunken, obwohl ich es nicht mochte, nur um besoffen zu werden?
Ich griff nach der Flasche und als ich sie betrachtete stieg dieser ekelhafte Geruch in meine Nase.
Plötzlich sah ich es vor mir, alles, alles was heut Nacht geschehen war. Wie ein Film lief es vor meinen Augen ab.
Stefan, wie er sich mühevoll meine Treppe hoch angelte, seine großen Hände, wie sie auf mich einprügelten, seine schwankenden Bewegungen, wie er mich durchs Zimmer schuppste. Wie er mich gegen das Regal warf und ich zu Boden ging und wie er mit seinen schweren Arbeitsstiefeln auf mich eintrat.
Mein Rücken durchfuhr ein unglaublicher Schmerz und ich stöhnte laut auf.
„Bastian, was ist passiert?“ Meine Mum stand in der Tür und schaute mich erschrocken an. „Du hast ja deinen Verband abgewickelt.“
Ich blickte in Mums große runde Augen. Sie waren voller Schmerz, Trauer und Angst. Und plötzlich wurde es mir klar.
Jetzt erst, nachdem ich diese schreckliche Erfahrung gemacht hatte, begriff ich, was meine Mum schon seit Jahren ertragen musste. Warum habe ich nicht eher gemerkt was los war. Ständig hatte Mum blaue Flecken an den Armen, oder Kratzer im Gesicht. In den letzten 2 Jahren hatte sie mindestens drei Knochenbrüche. Ständig hatte sie Rücken- oder Bauchschmerzen. „Das kommt von der Arbeit, wenn ich die Patienten aus den Betten hebe um sie zu waschen“, sagte sie immer.
Und die Fehlgeburt letztes Jahr, an all diesen Dingen war Stefan schuld. Ich fühlte mich so elend. Meine Schmerzen im Rücken, waren jetzt Nebensache, vielmehr schmerzte mein Herz. Ich war so blind, niemals hatte ich in all den Vorkommnissen einen Zusammenhang gesehen.
Tränen schossen mir in die Augen und ich begann laut zu weinen. Aus dem lauten Weinen wurde ein lautes Schreien und mein Schmerz verwandelte sich allmählich in Wut, in Hass. Meine Mum hielt mich fest im Arm. Ihr war bewusst, dass ich nicht mehr der kleine Junge war, dem sie etwas vormachen konnte, vor dem sie die schrecklichen Ereignisse verheimlichen konnte. Sie wusste, sie musste handeln um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
„Wir werden das nicht länger mitmachen“, schluchste sie. „Wir müssen uns das nicht bieten lassen, wir schaffen das auch ohne Ihn. Du bist mein Sohn, ich muss dich beschützen." Mums Stimme klang von Wort zu Wort stärker und überzeugender. "Ich werde meinen Mann verlassen, lange genug habe ich gelitten und das was heute Nacht passiert ist, hat mir die Augen geöffnet."
Ich wusste nicht was ich sagen sollte, so lange hat Mum gelitten und endlich, nach mehr als zwei Jahren ergreift sie die Flucht. Auch wenn es sarkastisch klingt, hatte mein Erlebnis heute Nacht trotz der Schmerzen, trotz des Leid, dennoch etwas Gutes. Es hat meiner Mum den Anstoß gegeben zu handeln.
Aber würde er uns einfach tatenlos gehen lassen? Mum war jahrelang sein Sündenbock, an dem er all seinen Frust, all seine Launen ablassen konnte. Er brauchte jemanden den er runtermachen, den er kommandieren und rumschupsen konnte.
„Morgen werden wir diesen Ort verlassen, Bastian.“ All das, was uns wirklich wichtig ist, packen wir ein und verschwinden einfach.“
Mum rannte nach unten und kam mit einem Messer in der Hand zurück. „Und wenn er uns aufhalten will, habe ich das hier.“
In Mums Augen sah ich keine Angst, keine Trauer mehr. Ich sah Hass, Wut und Entschlossenheit. Und genau das machte mir Angst.
Mum hielt das Messer vor Ihr Gesicht und sah es an.
„Aber für heute erstmal ab in den Schrank, mein Mann kommt“.