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Handlungsstrang

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Handlungsstrang

Handlungsstrang

Ich verbreite meinen Sturztrunk in die ganze Landschaft, gebe ihn jedem weiter, den ich treffe, da ich fähig bin, einen Menschen niederer Gesinnung, mit einem schlichten Handlungsstrang, zu kontrollieren, und meiner Macht einen neuen Schub geben kann. Außer er ist höheren Handlungsstrangs. Dann bin ich in einem blauen Fuß gefangen, und kann nicht mehr weiterlaufen. Ich schwebe in der Luft und nachdem der mit dem höheren Handlungsstrang verschwunden ist, gleite ich zu Boden wie eine Schnapsflasche. Dann breche ich ein paar mal in meine Einzelteile hinein, reiße mir ein paar nicht mehr wichtige Körperteile heraus, und stecke sie in meine weiße Westentasche. Wer braucht schon ein Herz? Längst hat sich die Bedeutung der Symbolik aufgelöst. Und so was wie ein Gehirn, das mischt man doch unter das ganze Informationsfutter, wo es hirnlos untergeht, ohne auch nur eine Chance zu sehen, zu überleben. Die höherer Handlungsstränge werden irgendwann an- und ausgezogen.

Ich gehe weiter, bis ich einen Weg gefunden habe, meine Existenz zu befriedigen, in der Welt voller nackter Leiber, und liege unter ihnen, springe mit ihnen herz- und gehirnlos um, bis ich ihnen mein Lebenselixier weitergegeben habe. So ist die Lebensaufgabe. Ich fasse meinen verschlissenen Leib an, und merke wie viel ihm der Organismus und Orgasmus des Lebens geschadet hat. Das Leben des Konsums. Dieser ganze Alkohol, das Nikotin, und der Sex. Ich kann nicht kürzer treten. Das ist mein Handlungsstrang.

Ich bin gefangen in diesem orangefarbenen Körper. Ich handle nicht aus Intelligenz oder aus dem Herzen. Ich lasse mich einfach treiben von dem ganzen Schutt und der Asche, die mich umgeben und einhüllen. Alles strömt in meinen Körper und lässt ihn zu einer klapprigen Maschine werden. Ich lüfte mein nacktes Gewand von Tag zu Tag immer mehr und ziehe weiter, behaue meinen eigenen Grabstein, und senke mich selbst langsam aber stetig in die Erde hinein. Ich konsumiere die Einöde immer morgens, mittags und bevor ich ins Bett gehe. Ich weiß, dass sie schadet. Dieser ganz komische Geschmack, wie er unter die Haut des Lebens zieht.

Ich rauche den Smog der grauen Einöde und verbreite meinen Sturztrunk, bis nicht mehr ich eine treibende Kraft bin. Ich verliere mich, verknappe meine restlichen Organe, meine Haut und mein Fleisch, und verstecke mich hinter harten Knochen.

 

Hi Mantox,

seltsam, ohne Frage.

Ich verbreite meinen Sturztrunk in die ganze Landschaft, gebe ihn jedem weiter, den ich treffe, da ich fähig bin, einen Menschen niederer Gesinnung (niederen Handlungsstrangs) zu kontrollieren (Macht).
Das Bild des verbreiteten Sturztrunks ist ja noch ganz griffig: geht wohl vielen Leuten so, dass sie nach "starker Alkoholaufnahme in sehr kurzer Zeit" (so die Definition des Sturztrunks) das eben Konsumierte wieder in die Landschaft verteilen. Ich gehe mal von einer Metapher aus: Zu viel von diesem vergifteten Leben in zu kurzer Zeit. Und bei denjenigen, die niederer Gesinnung sind, kotzt du dich dann aus. So wie hier.

Dass du definierst, was du mit "niederem Handlungsstrang" meinst, ist hilfreich, weil du von diesem Handlungsstrang im Text ja noch mehrfach redest. Allerdings bleibt die Frage, warum du dann nicht gleich beim allgemein-verständlichen "niederer Gesinnung" bleibst. Auch warum du die Kontrolle noch einmal mit einer Klammer näher erklärst, erschließt sich mir nicht. Natürlich hat Kontrolle mit Macht zu tun. Was folgt, klingt dann allerdings endgültig nach Trip. Bilder, die im Rausch (oder im Schlaf) absolut logisch wirken, in der Realität aber an Brillanz verlieren. Natürlich ein blauer Fuß, denn blau bist du nach dem Sturztrunk allemal, und mit der Bewegung, dem Gehen, ist es auch nicht mehr weit her. Absolut folgerichtig, genau wie der Absturz danach.

Ob so ein Sturztrunk aber sein muss, wenn das Leben wirklich so orgiastisch ist, wie du im zweiten Absatz behauptest? All die "nackten Leiber" und der "Orgasmus des Lebens" klingen doch erst einmal vielversprechend, bedeutend besser jedenfalls als all die Menschen, die sich hinter ihren Klamotten verstecken und tun, als wären sie etwas anderes. Und einen Orgasmus ziehe ich dem allgegenwärtigen Wachkoma allemal vor. Allerdings triffst du am Ende einen Allgemeinplatz: die wenigsten Leute finden ihren Körper attraktiv. Das erklärt vielleicht den Ekel vor den Leibern.

Ich bin gefangen in diesem orangefarbenen Körper.
Selbst schuld, kann ich nur sagen. Diese Selbstbräuner machen einfach keinen natürlichen Farbton. Dann doch lieber unter die Höhensonne, die schafft zumindest einen leichten Bronzeton. Oder du bleibst halt beim Schweinchenrosa, mit dem du geboren wurdest (falls du das Los des normalen Europäers teilst).

Ob du mit dem vorletzten Absatz nicht zu tief ins Selbstmitleid abdriftest? Während du am Anfang des Textes noch meinst, mit deinem Handlungsstrang irgendwo im Mittelfeld zwischen ganz oben und ganz unten zu sein und deinen Platz in der Hackordnung des Lebens gefunden zu haben, behauptest du unten dann, nun gar keinem eigenen Handlungsstrang mehr zu folgen, sondern dich nur noch treiben zu lassen:

Ich lasse mich einfach treiben von dem ganzen Schutt und der Asche, die mich umgeben und einhüllen.
(Wohlgemerkt, der Text hat ja keine chronologische Erzählfolge, sondern ist eine Zustandsbeschreibung. Sonst könnte ich eine Entwicklung als Erklärung nutzen. Die ist aber hier nicht gegeben.)

So wirkt dein Text auf mich wie ein Kaddisch auf das Leben, larmoyant, bestenfalls desillusioniert, aber eigentlich nicht stringent. "Hab mich lieb" auf höherem Niveau.

Gruß,
Ennka

 

vielen Dank für das Lesen

Hallo Ennka,

vielen Dank für die Kritik und das Auseinandersetzen mit dem Text.

Das Bild des verbreiteten Sturztrunks ist ja noch ganz griffig: geht wohl vielen Leuten so, dass sie nach "starker Alkoholaufnahme in sehr kurzer Zeit" (so die Definition des Sturztrunks) das eben Konsumierte wieder in die Landschaft verteilen. Ich gehe mal von einer Metapher aus: Zu viel von diesem vergifteten Leben in zu kurzer Zeit. Und bei denjenigen, die niederer Gesinnung sind, kotzt du dich dann aus. So wie hier.

hier darf man selber interpretieren, was damit gemeint ist.

Es kann auch so ausgelegt werden, dass man das Leben trinkt, höhere und niedere Menschen (besser oder schlechter mit Handlungsstrang ausgestattet)
trifft, und ihnen zeigt wie das Leben schmeckt, wenn man es kann (ob man diese jemals trifft oder nie trifft).

//Der Text ist übervoll interpretierbar. Er soll ein etwas abfälliger Blick auf das Leben sein, dass man nur ein kleines Licht ist. Man trifft die Menschen (mit den Handlungssträngen) und hat mit ihnen Kontakte (trinken, rauchen, reden, verkehren).

Und einen Orgasmus ziehe ich dem allgegenwärtigen Wachkoma allemal vor.

Insgesamt soll es das Leben beschreiben. Wachkoma ist ein Teil des (Lebens)-orgasmus. Das Leben ist so diffizil, dass ich alles in einen Topf werfe, und von Org.... spreche. Der Körper nimmt zuviel auf, er macht es so lange, bis er nicht mehr leben kann, und verschleißt, und sich in den Tod flüchtet.

Ob du mit dem vorletzten Absatz nicht zu tief ins Selbstmitleid abdriftest?

Der ganze Text ist eigentlich ein seltsames Stück, das das Leben als Sund darstellt, in dem man irgendwie verschwindet, und auf diesen Tag zulebt.

larmoyant [larmo̯aˈjant, französisch], sentimental-weinerlich; mit allzu viel Gefühl und Selbstmitleid.

seltsam, ohne Frage.

MfG Mantox

 

Tach Mantox,

einige der sprachlichen Bilder gefallen mir wirklich gut, in der Gesamtheit finde ich Deinen Text für mein Gusto ein bisken zu moralisch-schlicht, zumal ich die Unterteilung in nieder und höher nur in ganz bestimmten Bezügen und ganz sicher nicht in der Pauschalität des den Menschen abbildenden Handlungsstranges als problemlos empfinde.
Und auch die verkürzte Konklusion, daß der höhere Handlungsstrang des Erzählers ihm ein Leben in Konsum von Drogen und Sex und mit der Konsequenz der Abnutzung beschert ist einerseits eine interessante Definition von höher und nieder, und als Moralkeule auf mich wie eine Wachturm-Botschaft wirkend.

Sprachlich wie gesagt bisweilen weit vorne, was mir durchaus satzweisen Genuss bereitet hat, insgesamt ein ambivalenter Eindruck.

Textkrams :

Ich verbreite meinen Sturztrunk in die ganze Landschaft, gebe ihn jedem weiter, den ich treffe, da ich fähig bin, einen Menschen niederer Gesinnung (niederen Handlungsstrangs) zu kontrollieren (Macht).
die Klammern finde ich störend, da in einem Prosatext deplatziert; richtig dekliniert heißt es niederen Handlungsstranges
Ich schwebe in der Luft und nachdem der höheren Handlungsstrangs verschwunden ist,
der höhere Handlungsstrang oder der mit höherem Handlungsstrang
Die höheren Handlungsstrangs
korrekter Plural ist Handlungsstränge
Ich verliere mich, stecke meine restlichen Organe, meine Haut und mein Fleisch in die weiße Westentasche, und verstecke mich hinter harten Knochen.
die erneute Verwendung finde ich schade, als Sprachbild trägt es für mich nur einmalig.

Grüße
C. Seltsem

 

danke fürs Lesen

Hallo C. Seltsam,

danke für die Kritik und das Auseinandersetzen mit dem Text.

einige der sprachlichen Bilder gefallen mir wirklich gut, in der Gesamtheit finde ich Deinen Text für mein Gusto ein bisken zu moralisch-schlicht, zumal ich die Unterteilung in nieder und höher nur in ganz bestimmten Bezügen und ganz sicher nicht in der Pauschalität des den Menschen abbildenden Handlungsstranges als problemlos empfinde.

Klar. Der Mensch ist zu komplex, als dass er einfach wäre. Der Text soll eine Mischung aus einfacher Realität und komplexem Kuriosem sein. ---`
Man spricht immer von Schichten (Oberschicht, Unterschicht, Mittelschicht, solche Begriffe rasen nur so durch den Urwald; Bewertungen, klare Einteilungen, deswegen höherer und niederer Handlungsstrang)

Und auch die verkürzte Konklusion, daß der höhere Handlungsstrang des Erzählers ihm ein Leben in Konsum von Drogen und Sex und mit der Konsequenz der Abnutzung beschert ist einerseits eine interessante Definition von höher und nieder, und als Moralkeule auf mich wie eine Wachturm-Botschaft wirkend.

Das Leben ist zu dominant, als ob man Dinge wie Drogen, Alkohol und Sex außer Acht lassen kann. Höhere Handlungsstränge gehören einer Schicht an, die andere Schichten beeinflusst.

Sprachlich wie gesagt bisweilen weit vorne, was mir durchaus satzweisen Genuss bereitet hat, insgesamt ein ambivalenter Eindruck.

ambivalent = zwiespältig, doppelwertig, mehrdeutig, vielfältig

der Text ist stark interpretierbar und auch moralisch-schlicht

MfG Mantox

 

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