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Handycap

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13.02.2002
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Handycap

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Dieser Tag im August endete für Körner wie die meisten Werktage, nach der Arbeit steuerte er zielstrebig die schummrige Kneipe im Bahnhofsviertel an, um ein, zwei Biere zu zischen. Ihn zog nichts in seine Junggesellenbude, die sich in einem verschlafenen Vorort der Stadt befand und wo sich keiner um den anderen kümmerte. Er interessierte sich nicht für seine Nachbarn und er selbst war wohl kaum einmal Gesprächsgegenstand der Bewohner des Viertels .
Während draußen das Leben pulsierte, eilige Menschen zum Einkaufen hasteten oder auf dem Nachhauseweg waren, ließ sich der 40-jährige schwer in einen der bequemen Sessel fallen, die im hinteren Teil des Gastraumes im Dämmerlicht standen. Hier in dieser Mischung aus Frittendunst, Tabakrauch und Radiogedudel saß er meist und ließ den Arbeitstag ausklingen.
Außer ihm saßen zu dieser Zeit nur zwei weitere Gäste im Lokal an der Theke und stritten über den gestrigen Fußballabend. „Scheißsport“ murmelte Körner vor sich hin und hielt Ausschau nach der Bedienung. Die zapfte ein Pils und brachte es ungefragt an den Tisch, sie wußte, was ihre Stammgäste wünschten. “Ein Pils, der Herr, wie immer, zum Wohl“ sagte die Bedienung freundlich, während sie das Glas auf den bereitliegenden Pappdeckel abstellte. „Ja danke“ brummte Körner und sah der ansehnlichen jungen Frau nach, während sie wieder hinter der Theke verschwand. Er lebte allein, auf ihn wartete niemand, deshalb suchte er hier ein wenig Abwechslung von seinem einförmigen Alltag. Auf die Idee, die Kellnerin einmal einzuladen , war er bisher noch nicht gekommen, `ich sollte sie mal fragen` dachte er, wobei ihm sofort siedendheiß das Blut in den Kopf schoß. Allein der Gedanke , mit einer Frau allein zu sein und ein Gespräch zu beginnen, ließ ihn tief erröten und er schaute sich ängstlich um, ob es jemand bemerkt hatte. Seine Schüchternheit, vor allem Frauen gegenüber, war der Hauptgrund für sein einsames Leben, genaugenommen hatte er gar keine Freunde, selbst die wenigen Verwandten wohnten weit entfernt und der Kontakt beschränkte sich auf seltene Besuche zu den Feiertagen. Die wenigen Leute, die er näher kannte, traf er an seiner Arbeitsstelle. Es störte ihn nicht, sein Leben hatte er sich seit Jahren so eingerichtet und er kam gut damit klar. An den Abenden las er gern und gelegentlich sah er sich Kriminalfilme im Fernsehen an.
Seine Arbeitsstelle lag am anderen Ende der Stadt, ein großer, grauer Industriekomplex. Körner`s Aufgabe im Betrieb lag im Beschaffen von Aufträgen, damit die teuren Druckmaschinen und damit auch die Arbeiter ständig genug zu tun hatten. Während er in der Vergangenheit vieles vom Schreibtisch aus schriftlich oder mit dem Telefon erledigen konnte, hatte es sich in der letzten Zeit ergeben, daß ihn der Chef immer öfter auf Dienstreise zu den Kunden schickte. Für die weiten Fahrten nutzte er dann den bequemen Dienstwagen, obwohl er nicht besonders gern selbst Auto fuhr, einen eigenen PKW besaß er nicht. Wozu auch? Seine Wege erledigte er am besten mit der Bahn und in der Stadt war es sowieso kein Problem, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Seinem Chef dauerten die Bahnreisen stets zu lange und so mußte Körner wohl oder übel den Wagen nutzen.
Lautes Lachen ertönte aus Richtung der Theke, die beiden Zechbrüder hatten wohl mittlerweile einen gemeinsamen Nenner bei ihrem Streitgespräch über die Fußballergebnisse gefunden. Einige weitere Gäste bevölkerten inzwischen das Lokal, jedoch nicht so viele, als daß sie an Körners Tisch Platz genommen hätten, was ihm sehr recht war. Allein konnte er seinen Gedanken viel besser nachhängen und musste sich nicht auf Gespräche einlassen, an denen er sowieso kein Interesse hatte.
Er winkte der Kellnerin, die seine Geste richtig deutete und ein weiteres Bier brachte.
Ein seltsames Grummeln in seiner Jackentasche riß ihn aus seinen Gedanken, was war das?
Das Handy! schoß es ihm durch den Kopf und mit einer fahrigen Bewegung zog er das Gerät aus der Innentasche. „Hallo, hier Körner“ sprach er fast flüsternd in das Mikrofon, nachdem er nach kurzem Gefummel die richtige Taste gedrückt hatte. „Schön das ich sie erreiche“ quäkte die Stimme seines Chefs aus dem Hörer und Körner verzog mißlaunig sein Gesicht. Ein Glück, das ihn sein Chef so nicht sehen konnte. „ Ich habe den Plan für morgen geändert, Sie müssen die Freitagtermine vorverlegen und bis Mittag bei der Firma Hellmann sein. Die wollen Sie drei Tage eher mit Arbeit beglücken“. Das heisere Lachen seines Chefs über den vermeintlichen Scherz klang ihm wie Hohn im Ohr, dennoch antwortete er betont freundlich „geht in Ordnung, Herr Berger, ich komme dann also morgen garnicht erst in das Büro“. „ Ja ist recht, Sie fahren von Zuhause aus los, alles Notwendige haben sie ja im Wagen dabei. Wir sehen uns dann am Donnerstag. Und viel Erfolg bei Hellmann, auf wiederhören“. Knarzend brach die Verbindung ab und Körner steckte das Handy mit einem leisen Seufzen in die Tasche zurück.
Wie er dieses Telefon haßte. Er hatte nie ein Handy besessen, bis zu dem Tag, an dem ihm Berger mit einer beinahe feierlichen Geste das Gerät überreichte und sagte: „Wir sind ein fortschrittliches Unternehmen, Herr Körner. Und da muß natürlich jeder Mitarbeiter jederzeit erreichbar sein, zumal , wenn es sich um unseren besten Außendienstmann handelt. Sie sind nun mal viel unterwegs und da ist es unabdingbar, Ihnen ab und zu kurzfristig Informationen zukommen zu lassen. Also tragen Sie das Telefon stets bei sich, Sie wissen, ich muss mich auf meine Leute verlassen können“. Jovial tätschelte Berger die Schulter seines Untergebenen und schickte ihn mit einem freundlichen Gruß an seinen Schreibtisch zurück.
Körner hatte sich bisher stets über das Geklingle an allen möglichen Orten geärgert, ihm reichte bereits das permanente Schrillen des Festnetz-Telefons im Büro. Auch das Imponiergehabe vieler Menschen , die ihr Handy augenscheinlich nur zum protzen benutzten, störte ihn maßlos. Einmal hatte er sogar einem besonders nervendem Jüngling das Mobilteil aus der Hand gerissen und in einen Papierkorb geworfen. Nur ein schneller Sprint, während der Mann sein Telefon suchte, bewahrte ihn vor größerem Ärger. Immerhin fühlte er sich danach besser, ja fast wie ein kleiner Held im Kampf gegen die Handymanie.
Nun hatte er also wieder einmal seinen Arbeitstag kurzfristig umzuplanen, denn die Anweisung seines Chef`s kam doch überraschend. Er zog seine Geldbörse aus der Jackentasche, zählte einige Münzen zusammen und stand auf, um an der Theke seine Zeche zu zahlen. „Stimmt so“ brummte er in Richtung der Bedienung und legte das Geld auf den Tresen. Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete die Kellnerin Körner, um sich gleich darauf neuen Gästen zuzuwenden.
Körner trat aus der Tür in den warmen Sommerabend hinaus und wandte sich in Richtung der Straßenbahn-Haltestelle. Er musste nicht lange auf eine Bahn warten und setzte sich gleich neben dem Ausstieg auf einen freien Platz. Die großen Häuser der Innenstadt zogen am Fenster vorbei und nach einigen Minuten lichteten sich die steinernen Gebäude, um immer mehr dem Grün der Vororte Platz zu machen. Körner sah gelangweilt zum Fenster hinaus und sann darüber nach, was er für morgen früh mit auf seine Reise nehmen musste. Die stählernen Räder kreischten über eine Weiche und die Fahrgäste wurden durchgeschüttelt. Körner stand auf, denn das heftige Ruckeln des Wagens signalisierte ihm, kurz vor seinem Zielort angekommen zu sein, er kannte die Strecke nach den vielen Jahren fast auswendig.
Die Bahn hielt, Körner stieg als einziger Fahrgast aus und begab sich in Richtung des kleinen Wäldchens, das er auf seinem Heimweg zu durchqueren hatte. Die Gegend war menschenleer, lediglich einige Kinderstimmen zeugten in einiger Entfernung von Leben. Kaum war Körner zwischen den ersten Bäumen verschwunden, schrillte sein Handy erneut. “Verfluchtes Ding „, schimpfte er geräuschvoll vor sich hin und zog das Telefon aus der Tasche. „Hallo..“ rief er ärgerlich hinein und lauschte angestrengt auf eine Stimme. Aber da war nichts, außer einem leichten Rauschen. Ein ungläubiger Blick und nochmals ein „..hallo..“ folgten, dann geschah es.....Das seltsame Geräusch wurde lauter und das Handy schien mit Körners Kopf verbunden zu sein, ein sanftes, sich schnell verstärkendes Kribbeln beunruhigte ihn und er dachte sofort an die warnenden Hinweise wegen eventueller Strahlungsschäden. Das wie von tausenden Ameisen herrührende Gefühl in seinem Kopf nervte ihn nun total, er versuchte vergeblich, den Hörer vom Ohr wegzunehmen, selbst seine Hand war wie festgeklebt. Dann spürte er, wie zunächst sein Ohr in die Hörmuschel gezogen wurde, gleich darauf seine Hand, der Arm, die Schulter.....Ein schrecklicher Schmerz durchdrang den Mann, Entsetzen machte sich für einen kurzen Moment in seinem Gesicht breit, es sollte seine letzte Gefühlsregung sein, es blieb nicht einmal mehr Zeit für einen Schrei. Das zerbersten der Knochen, verschmorendes Fleisch, verdampfende Körperflüssigkeiten, alles geschah so schnell, daß keine Zeit nur für das geringste Geräusch blieb, der Schall war zu langsam. In weniger als einer Sekunde hatte das Handy den Körper von Körner vollständig verschlungen und fiel klappernd zu Boden. Ein letzter satter, schmatzender Ton verklang, die grüne Displaybeleuchtung färbte sich in ein glühendes, weit in die Umgebung strahlendes Rot ,um unmittelbar darauf zu verlöschen. Niemand hatte den Vorgang bemerkt, die einzig verbliebene Spur war das am Wegesrand liegende Telefon.
Die beiden Jungs, die im Wäldchen gespielt hatten, liefen auf dem schmalen Pfad in Richtung der Haltestelle. „Gut, daß ich mein Handy dabei habe“ sagte Markus zu seinem Freund Jens, „wie hätte mir sonst meine Mutter sagen können, daß Onkel Herbert zu Besuch gekommen ist?“ „Ach Du mit Deinem Handy, ich bin froh, daß ich keins habe, nur deshalb müssen wir jetzt schon nach Hause“ gab Jens mißmutig zurück. „ Ach komm schon, ich freue mich auf meinen Onkel und morgen gehen wir eben wieder hierher“ antwortete Markus. Kurz darauf entdeckte er das Handy im Gras und rief dem hinterhertrottenden Freund zu „Jens, komm schnell, schau, was ich gefunden habe, das muss jemand verloren haben“. Wie eine Trophäe hielt er das Gerät in die Höhe und grinste über das ganze Gesicht. „Weißt Du was, das nimmst Du mit, dann können wir uns endlich gegenseitig anrufen“. Ungläubig starrte Jens das Plastikteil an und fragte „Und wenn es der Besitzer sucht ?“.“Ach was, der holt sich lieber gleich ein Neues, so billig wie die Dinger sind, komm nimm schon...“. Jens drehte das Telefon unschlüssig hin und her, um es dann eher widerwillig in seine Hosentasche zu schieben. Er bemerkte zunächst nichts von dem leisen Rauschen und dem sanften Kribbeln, das von dem Handy ausging....

Ende

 

Hallo Nibelheim!

Nach über vier Jahren nun ein Kommentar.

Die ersten drei Viertel deines Textes sind ja eine Alltagsbeschreibung, die mir aber sehr gut gefällt.
Als dann das Seltsame einsetzt, geschieht es Hals über Kopf, dass Menschen in das Handy gesaugt werden. Und leider lieferst du keinerlei Anhaltspunkt, warum das Handy gerade zu diesem Zeitpunkt zum Monster mutiert, es war doch so lange ein normales Telefon. Das lässt mich als Leserin sehr unbefriedigt zurück.

Grüße
Chris

 

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