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Happy Birthday
Als ich den Job annahm hatte ich mit allem Möglichen gerechnet. Aber nicht damit, dass ich mit einer Handgranate und einer Flasche Whiskey in einer überdimensionalen Geburtstagstorte hocken und in eine Plastikflasche pissen würde. Noch dazu in beinahe völliger Dunkelheit. Am liebsten hätte ich die ganze Sache abgeblasen, und die Granate Horris in seine dämliche Fresse gestopft. Nicht zuletzt, da ich überall hinzupissen schien, nur nicht in die Flasche.
Nur mit grosser Mühe konnte ich einen Aufschrei unterdrücken, als sich die Feuchtigkeit langsam durch den Stoff meiner Hose zu arbeiten begann. Seit mindestens sechs Stunden sass ich hier nun schon fest. Und wie es aussah würde ich den Rest der Wartezeit eingehüllt in einer Mischung von abgestandener Luft gepaart mit dem unverwechselbaren Geruch von Pisse verbringen. Wenn die Drecks Granate mich nicht vorher in Stücke riss.
Keine Ahnung wer zuerst auf den Schwachsinn gekommen war. Vermutlich irgendein stockbesoffener Autor eines Kriminalromans. Die klassische Version war ja auch noch mit ein wenig gutem Willen annehmbar. Der böse Killer, in diesem Fall meine Wenigkeit, hockt in einer innen hohlen Tortenattrappe, vorzugsweise bei einer Hochzeit. Sobald der grosse Moment gekommen war sprang er aus der Torte und knallte mit einem Maschinengewehr alles was ihm vor dem Lauf kam über den Haufen. Billig, klar. Aber doch effektiv. Aber Horris, ein alter Nazi und seit mindestens seinem vierzigsten Geburtstag senil, hatte die ganze Sache verfeinert. Auf seine spezielle Art und Weise. Die Torte war geblieben, nur war der Hohlraum nun quasi ein mit Eisen verstärkter Minibunker mit oben einer Luke. Eine nicht einmal so idiotische Idee, immerhin hatte er an die Stelle der MP eine Granate gesetzt. Eine Explosion entsprach wohl mehr seinem Geschmack. Blöderweise hatte er beim ersten Versuch vor einigen Jahren die Luftzufuhr in dem Ding überschätzt. Mit dem Ergebnis das die potentiellen Opfer am Ende im Inneren der Torte den erstickten Killer gefunden hatten. Der zweite Versuch lief schon besser ab, er hatte an Luftlöcher gedacht. Blöderweise klemmte im Entscheidenden Moment die Luke, und der Idiot im Inneren sprengte sich selber in die Luft. Im Nachhinein gesehen kein völliger Misserfolg. Die Brautleute entdeckten und öffneten die Luke, was sie dabei vorfanden hat sie bis zum heutigen Tage nachhaltig traumatisiert. Nur der Killer hatte eben Pech gehabt. So wie ich beim Pissen.
Ich machte mir erst gar nicht die Mühe die Plastikflasche zu verschliessen, wozu auch. Ich warf sie kurzerhand neben mich und schnappte mir stattdessen die halbleere Whiskeyflasche. Kurze Zeit später breitete sich die beruhigende Wärme des Alkohols in meinem Magen aus. Was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben statt hier in der Torte in einer Kneipe zu sitzen und ein paar Leute abzuknallen. Wobei mich ja realistisch gesehen gerade letzteres in die Scheisse geritten hatte in der ich jetzt sass. Tja…das Arschloch hatte kein Namensschild getragen, woher hätte ich wissen sollen das ich da den Sohn eines Mafiapaten im Scheisshaus einer Hinterhofbar ertränkte.
Horris hatte sich der Sache angenommen, für eine kleine Gefälligkeit wie er gemeint hatte. Früher, in jüngeren Jahren, hatte ich einige Zeit für ihn gearbeitet. Aber damals hatte man ihm auch noch nicht ins Gehirn geschissen. Klar hatte er auch damals schon von weltweiten Verschwörungen geschwafelt und mich mit irgendwelchen Rassenlehren belästigt. Aber zumindest hatte er mir keine vorsintflutlichen Granaten in die Hand gedrückt. Wusste der Teufel wo er das Ding her hatte. Ein beschissener Stiel mit zwei vorne festgeschraubten Sprengköpfen. Ich kannte die einfache Version davon aus diversen Kriegsfilmen, die ich mir in jüngeren Jahren reingezogen hatte. Und selbst damals waren die Dinger schon alt gewesen. Dank der vorherrschenden Dunkelheit konnte ich nur ihre Umrisse erkennen. Völlig unscheinbar lag sie neben mir, nur darauf wartend dass ich die Abreisschnur an dem Stielende zog und sie so scharf machte. Fünf Sekunden später würde sie detonieren und mein Opfer sowieso die umstehenden Gäste in den Tod reissen.
Wer der Typ war den ich da sprengen sollte war mir eigentlich relativ egal. Einen Politiker, soviel wusste ich. Aber die näheren Umstände waren mir bereits wieder entfallen. Es war bei Horris sowieso immer dieselbe Scheisse. Vermutlich hatte er schlicht und ergreifend einfach nur die falsche Hautfarbe. Drauf geschissen, entweder starb er oder ich beim Versuch ihn zu killen. So oder so, nach dem heutigen Tag hatte ich meine Schuld bei Horris beglichen.
„Hier Wolf, deutscher Soldat bitte kommen.“ Wäre es nicht so Totenstill gewesen, ich hätte das leise Gequatsche aus dem kleinen Handfunkgerät kaum gehört. Seufzend zog ich es unter meiner Lederjacke hervor.
„Schiess los Adolf.“ Rauschen…wenn der Idiot jetzt wieder begann mich zur Funkdisziplin zu ermahnen würde ich aus der Torte springen und Amok laufen.
„Hier Wolf, sie kommen jetzt rein. Warten auf mein Kommando. Wolf Ende und aus.“
„Fick dich du…“ Ich liess das Ding wieder verschwinden und nahm einen weiteren, sehr tiefen Schluck von meinem Whiskey. Bald würde das Zeug alle sein, es war höchste Zeit das es losging. Zuerst geschah jedoch erstmal gar nichts. Alles was ich hörte war mein eigener Atem. Ich beschloss ihnen noch ein wenig Zeit zu lassen. Adolf hockte hier irgendwo in dem Gebäudekomplex, er würde schon wissen was er tat. Er war so was wie Horris rechte Hand, ein Deutscher. Gross und blond, und dazu mindestens ebenso bescheuert wie sein Boss. Seinen wirklichen Namen hatte er mir schon mehrmals gesagt, aber es war mir jedes Mal am Arsch vorbei gegangen. Vielleicht hiess er ja auch wirklich Adolf. Horris hätte es mit Sicherheit gefallen.
Schliesslich drang gedämpft Musik an meine Ohren. Dann setzte Stimmengewirr ein. Wunderbar, die Gäste waren da, nun konnte die Party bald losgehen. Ich versuchte durch die winzigen Luftlöcher, durch die nun dünne Lichtstrahlen fielen, etwas zu erkennen. Wie erwartet vergeblich. Ich würde mich wohl auf Adolf verlassen müssen, ebenso was meine Flucht betraf. Erfreut war ich keineswegs darüber, aber mir blieb wohl keine andere Wahl. Die Torte befand sich in einem kleinen Festsaal, inmitten eines auslandenden Veranstaltungszentrums. Notfalls würde ich mir den Weg auch freischiessen, aber wenn es sich vermeiden liess wollte ich in diesem speziellen Fall doch lieber die sichere Variante wählen. Mich von Adolf in seiner Sanitäteruniform aus dem Gebäude weisen lassen und im falschen Rettungswagen vom Tatort zu fliehen. Allzu schwierig würde sich die Flucht nicht gestalten. Immerhin hatte ich nicht vor den Präsidenten umzubringen. Ich holte abermals mein Funkgerät hervor und klemmte es mir zwischen Schulter und Ohr. Während ich nach der Luke tastete versuchte ich mich zu erinnern ob es sich um eine Hochzeit oder irgendeine andere Art von Feier handelte. Ich vermeinte mich zu erinnern dass er Hochzeit gesagt hatte. In diesem Fall würden sie wohl nicht allzu lange mit dem Anschneiden der Torte warten, die Zeremonie hatte sie dann immerhin schon hinter sich.
Die Luke, da war sie. Etwa so gross wie der Einstieg bei einem Panzer. Ich drückte leicht dagegen, und schaffte es mühelos sie ein wenig nach oben zu drücken. Etwas ruhiger sank ich wieder zurück und leerte auch den Rest der Whiskeyflasche. Scheiss Handgranate, hätten sie den Saal von Aussen versperrt wäre ich mit der Flasche und meiner Knarre mindestens ebenso effektiv gewesen wie die verfluchte Granate. Aber vielleicht erwies sie sich ja als Blindgänger, dann konnte ich immer noch zeigen zu was ich im Stande war.
Ich nahm die Granate in die Hand und betrachtete sie zum x-ten Mal an diesem Abend. Fünf Sekunden, eine verdammt kurze Zeit um zu zielen. Die Torte befand sich in einer Ecke des Raumes, das wusste ich. Immerhin war Horris intelligent genug gewesen, die Luftlöcher an der für mich relevanten Seite anzubringen. So würde ich immerhin nicht herausspringen und gegen eine Wand starren. Bei Gott, zumindest hoffte ich es! Aber ich kam nicht mehr länger dazu mir Sorgen zu machen, Adolfs Stimme erklang wieder an meinem Ohr. Ich pisste mir beinahe in die Hose so sehr erschrak ich. Für einen Moment war ich mir sicher gewesen das Knacksen und Rauschen war das Geräusch des Zünders der Handgranate gewesen. Das eingeklemmte Funkgerät hatte ich schon völlig vergessen gehabt.
„Hier Wolf, hören sie mich deutscher Soldat? Ende.“ Meine Hand zitterte so sehr das ich beinahe nicht den Knopf erwischte.
„Klar und deutlich.“ Mehr brachte ich nicht hervor. Ich lauschte dem Stimmenwirrwarr, gepaart mit der Musik. Was war das für seltsame Musik? Es klang beinahe wie Zirkusmusik.
„Schlagen sie zu Soldat! Ende und aus!“ Aus irgendeinem idiotischen Grund war mein erster Gedanke, dass er vergessen hatte am Ende seinen Codenamen zu sagen. Dann hatte ich mich wieder im Griff, amtete so gut es bei der vorherrschenden Luft irgendwie ging durch und warf das Funkgerät zur Seite. Die linke Hand an die Luke gedrückt schnappte ich mir die Granate und begann leise von Fünf rückwärts zu zählen.
„Fünf…“ Abermals drückte ich die Luke leicht nach oben. Problemlos…sie klemmte nicht.
„Vier…“ Ich liess sie los und ertastete die Reißleine am Stielende der Granate. Eine kleine Perle befand sich am Ende, so fiel es mir relativ einfach.
„Drei…“ Mir fiel ein Lied von den Doors ein.
„Zwei…“ Ich zog die Reissleine. Es klappte problemlos, sie löste sich und ein charakteristisches Klicken erklang. Das Ding würde in 5 Sekunden hochgehen.
„Eins und los.“ Ich stiess die Luke auf. Für einen kurzen Moment kam mir die quälende Erkenntnis, dass ich mindestens so bescheuert war wie der Typ, der sich zuvor nicht versichert hatte ob die Luke aufging. Ich hatte hier seid etlichen Stunden in der Torte gehockt, und nicht im Traum daran gedacht mich zu versichern ob meine Beine mitspielten. Sie taten es. Mein Oberkörper stiess durch die Luke hinaus ins Licht und die frische Luft. Das Licht schmerzte, ich kniff leicht die Augen zusammen und brüllte voller Inbrunst den mir von Horris aufgetragenen Satz in den Saal, wobei ich ihn sogar noch etwas ausschmückte.
„Schönen Gruss von Horris du dämliches Arschloch!“ Etwa vier Sekunden noch bis zur Explosion, und ich starrte in die überraschten Gesichter meiner Opfer. Ich musste lustig aussehen, beim aufstossen der Luke hatte ich etwas Tortencreme ins Gesicht bekommen. Der kleine Junge in seinem Rollstuhl sah mich aus grossen Augen an, ebenso wie die dutzenden anderen Kinder und die Erwachsenen rund um ihn herum. Ein knallbunter Clown mit roter Afro Perücke und einem Luftballon in seinen Händen war gerade dabei irgendein Vieh aus dem Ding zu basteln. Er erstarrte ebenso wie der Rest der Anwesenden in seinen Bewegungen. Mir fiel auf das der kleine Junge im Rollstuhl ein Packet, verpackt in metallisch glänzendes Geschenkspapier, auf seinen Knien hatte. Erstaunlich was man in so einem Moment alles wahrnimmt. Dabei verharrte ich ebenso regungslos wie der Rest. Nur die Musik nahm unbeirrt ihren Lauf. Fröhliche Zirkusmusik, ich hatte richtig gelegen mit meiner ersten Vermutung.
„Bist du der Weihnachtsmann?“ Ausgerechnet der Kleine in Rollstuhl war es der sich als Erster wieder regte. Aus grossen Augen sah er mich an, ich erwiderte für einen Moment seinen Blick. Diese dämlichen Arschlöcher mussten die Torte zur falschen Party geschoben haben. Und mir blieben vielleicht noch drei Sekunden.
„Happy Birthday!“ Aus dem Handgelenk heraus war ich die Granate in den Raum, liess mich fallen und riss die Luke hinter mir zu. Die Druckwelle der Explosion sorgte dafür dass ich mir in meiner eigenen Pisse herumrollend den Kopf anschlug. Und trotz meiner beschissenen Lage wurde ich das Gefühl nicht los, das ich hier zwar lebend wieder rauskommen würde, aber es vielleicht besser gewesen wäre von der Scheiss Granate einfach kurz und schmerzlos in Stücke gerissen zu werden.