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Hart wie das Leben

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27.06.2001
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Hart wie das Leben

Egon war in der Schule jemand, den die heutigen Lehrer gerne als hyperaktiv bezeichnen und deshalb den Eltern nahe legen einen Psychologen aufzusuchen. Aber damals, im tiefsten Oberbayern nannte man diese Symptome, Lausbubenkrankheit und die Behandlung zur Besserung nahm sein Vater sprichwörtlich selbst in die Hand. So war es nicht selten, das Egon auf seiner Schulbank wie nervös hin und herrutschte, weil sich die Backen seines Gesäßes mit schmerzhaften Schwellungen für die Bekanntschaft mit dem, von seinem Vater geführten Rohrstock, bedankten. Er wuchs zu einer Zeit auf, die hauptsächlich aus Entberungen und Arbeit bestand. Der Krieg war gerade drei Jahre zu Ende und starke Männerhände die begehrtesten Körperglieder, was verwunderlich war, da die meisten der Bauernfrauen etliche Jahre auf ihre Gatten verzichten mussten. Doch für Vergnügen jeglicher Art war das Überleben einfach zu hart. Hart, das war das Wort, an das sich Egon zuallererst erinnerte, wenn er an seinen Erzeuger dachte.
Der achtzehnte April neunzehnhundertdreiundvierzig, war der Tag an dem Klein Egon die warme und wohl behagte Atmosphäre der mütterlichen Gebärmutter, gegen das raue Klima der Erde eintauschte. Er war, was zu der Zeit mehr als selten war, ein gesunder und kräftiger Bub, der von Anfang an seiner Mutter jede Menge Zeit, Nerven und Milch abverlangte. Die vor Kraft strotzende Frau bewältigte diese Strapazen, zur Verwunderung aller Bekannten, immer mit einem Lächeln. Wie sie das geschafft hat und dabei noch den Bauernhof zum bestgeführten Gehöft im ganzen Gau aufzubauen, wird wohl immer ihr Geheimnis bleiben. Egons Vater setzte zu der Zeit, als seine Frau unter großen Schmerzen einem Kind das Leben schenkte, seines in der Hölle Stalingrad aufs Spiel. Dort musste er bis Ende Neunzehhundertsiebenundvierzig verharren, da er das Glück hatte, nicht wie Tausende andere Männer gefallen zu sein, sondern mit brutaler Höflichkeit in ein Gefangenenlager verfrachtet wurde. Nach einem mehrmonatigen Fußmarsch quer durch die, von den Russen besetzte Zone, erreichte er völlig erschöpft und unterernährt, den von seinen Eltern auferbauten Hof.
Doch den ersten Schritt auf seinen eigenen Grund und Boden bereute er gleich nachdem er ihn getätigt hatte. Denn kaum hatte er einen Fuß auf den mit gelben Schotter bedeckten Vorhof gesetzt, saust auch schon ein riesiger Schafbock auf ihn zu und rammte seinen steinharten Schädels in den Unterleib des Heimkehrers. Die Folge war, das der Mann, den eigentlich nichts so schnell umhauen konnte, in sich zusammen sackte und sehnsüchtig darauf hoffte so schnell wie möglich die Atmungstechnik wieder zu erlernen. So konnte er natürlich nicht wahrnehmen, das auf den Rücken des Tiere ein kleiner, schwarzhaariger Vertreter der neuen Generation saß und sich mit aller Kraft an einem Strick festhielt. Nach einigen schmerzhaften Minuten schaffte es der zurückgekommene Hofherr sich wieder aufzurappeln und sah in ein schelmisches Kindergesicht, dessen Mund ein brüchiges „sorry“ stammelte.
Das war also der Moment als Egon seinen Vater und Egons Vater seinen Sohn kennen gelernt hatte.
Doch noch am selben Tag sollte Egon erfahren, das sein neugewonnener Erzieher nicht die Gutmütigkeit seiner Mutter besaß. Denn die unglückliche Wildwestaktion, hatte zur Folge, das der Bub erfuhr, das man mit Stöcken noch etwas anderes unternehmen konnte als in ihre Rinde Figuren zu schnitzen.

 

Tragische Sache das! Aber super geschrieben natürlich.
klingt, als wäre es nur der Anfang (von der Biographie jenes Egon, oder von einem Vortrag über Bayern oder auch vom Ende)
In allem was ich bisher von Dir gelesen habe spricht Dein Schreibstil von einer unheimlich guten Beobachtungsgabe (insbesondere was Menschen betrifft) Finde ich ziemlich gut und wichtig und überhaupt.

 

Wow! tut das gut so etwas zu lesen! schade nur, das ich nicht öfter Kritiken bekomme. sie müssen ja auch nicht immer gut sein. Wo sollte ich denn dann mit meinem Ego hin?

In jedem Menschen steckt ein Spinner, nur ich lasse ihn heraus

 

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