- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Hassliebe
Hassliebe
Liebe-Hass. Liebe-Hass. Liebe-Hass.
Immer wieder schrieb sie diese zwei Worte auf ein weißes Blatt Papier.
Liebe-Hass. Sie betrachtete sich diese paradoxe Wortkette
und schrieb weiter. Liebe-Hass.
Als sie mehr als die Hälfte des Blattes beschrieben hatte, stoppte sie. Der Stift glitt aus ihren Fingern. Sie legte ihren Kopf in ihre Hände, schloss fest die Augen und versuchte zu weinen.
Die melancholischen Klänge aus der Stereoanlage, vermischt mit den Bildern in ihrem Kopf ließen die Tränen, die aus ihren sonst so fröhlichen blauen Augen rollten, schnell zu einem Wasserfall werden.
Sie öffnete ihre Augen wieder und ließ sie abermals über das Papier wandern.
Sie liebte ihre Freundin, sie hatte sie so sehr lieb. In all den Jahren ihrer Freundschaft haben sie viel zusammen erlebt und durchgestanden. Doch gleichzeitig empfand sie tiefen Hass. Sie hasste sie dafür, dass sie so sehr geliebt wurde. Geliebt von ihm. Warum liebst du sie und nicht mich? Warum. Warum? Warum nur? Ich will auch geliebt werden. Diese Worte geisterten ihr ständig durch den Kopf.
Sie schwärmte schon eine Weile von ihm, was sie ihrer Freundin nie erzählt hatte. Sie liebte seinen eigenwilligen Sinn für Humor. Sie liebte es zu sehn, wie er anfing zu schmunzeln. Sie liebte seine unausgesprochen freundliche Art mit Menschen umzugehen. Sie beobachtete ihn, wenn er durch das Schulhaus ging, weil sie es liebte ihn zu sehen. Sie fing auch an zu denken, dass er etwas für sie empfand. Doch dem war nicht so. Als sie das herausfand brach für sie eine Welt zusammen. Ihre Welt, die sie sich so mühsam in mehr als nur wenigen Tagen erbaute. Eine Welt in der sich eine enge Freundschaft entwickelte, die wuchs und Wurzeln schlug. Sie wusste, dass sie von nun an nicht weiter wachsen würde und langsam verwelken wird.
Sie wollte sie nicht hassen. Doch sie tat es. Sie wusste auch, dass ihre Freundin weder rücksichtslos, noch egoistisch handelte, sie lebte lediglich ihr Leben. Ein schönes Leben. Doch auch das hinderte die Gefühle in ihr nicht daran sich einen Weg in ihre Seele zu bahnen. Vorbei an Freundschaft, vorbei an Widerwille und vorbei an Stärke. Sie war machtlos, auch weil sie nicht die Kraft hatte dagegen anzukämpfen.
Sie konnte nicht mit ihr reden, aus Angst, dass die Wahrheit alles nur noch schlimmer machen würde. Auch stellte sie keine Fragen und wollte nichts über die Beziehung erfahren. Aus dem selben Grund. Sie hätte ihr Glück nicht ertragen. Wenn sie die beiden zusammen sah setzte ihr Verstand aus. Trauer, Zorn, Wut und Hass. An mehr konnte sie in diesen Augenblicken nicht denken. Dann wünschte sie sich, einer von beiden würde nicht existieren.
Der Himmel war ganz und gar von Wolken bedeckt, als beide an einem kalten Herbsttag zur Schule gingen. Sie unterhielten sich über die Schule, als ihre Freundin plötzlich das Thema wechselte. Aufgeregt erzählte sie ihr, dass sie mit ihm geschlafen hatte. Ihre Geschichtsmuskeln zogen sich, wie ihr ganzer Körper, zusammen. Sie atmete unregelmäßig und ballte ihre Hände.
Weg, rennen, laufen, weg, ich will hier weg. Ihr Kopf schien zu platzen. Ein Gedanke schoss ihr nach dem andern wie eine Kugel aus einer Magnum durch ihren Kopf, während eine andere Kugel Kurs auf ihr Herz genommen hatte und sich bereits darin verankerte.
„Hörst du mir zu?“ fragte ihre Freundin. „ Wie? Oh nein, tut mir leid, was hast du gesagt?“ „Ich sagte, ich habe mit meinem Freund geschlafen!“
Laufen, weg, rennen, nur weg....
Sie musste mit ihr über dieses Ereignis reden. Jede Freundin würde das. Sie tat es auch, konnte ihr jedoch dabei nicht in die Augen sehen und ihre Fassungslosigkeit nur schwer verstecken. „Ich freu mich für dich.“
Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich so sehr.
Sie konnte es noch nie so sehr erwarten in der Schule anzukommen. Das Gespräch fand ein Ende.
Das einzige, was sie in ihr Klausurenheft schrieb, war das Wort
HASS
In großen Buchstaben in den Umschlag hinein.
Der Rest des Tages lief für sie ab wie im Zeitraffer. Sie sprach mit niemandem an diesem Tag. Ihr Gesicht blieb unverändert und sie versuchte gekonnt ihrere Freundin aus dem Weg zu gehen. Sie war noch immer der Hoffnung, sie würde dies nicht bemerken oder sich Gedanken darüber machen.
Am darauffolgenden Tag gingen die beiden am Abend zusammen weg. Er war glücklicherweise nicht dabei.
Der Abend verlief normal.
Es wurde schon dunkel, als sie auf dem Heimweg in eine Straße einbogen.
Da blieb ihre Freundin abrupt stehen, drehte sich zu ihr und schaute ihr mit einem ernsten Ausdruck in die Augen.
„Ich habe das Gefühl, dass mit dir etwas nicht stimmt in letzter Zeit.“
„Nein, mir geht’s gut, was soll sein? Heute, das war wegen er Klausur, sorry“
„Ich meine nicht nur heute“
„Ach was, das bildest du dir ein, aber danke.“
„Ich glaube, du bist eifersüchtig, weil ich mit meinem Freund zusammen bin und er mich liebt und wir jetzt auch miteinander geschlafen haben.
„Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich so sehr!“
plötzlich ging alles ganz schnell. Sie wusste nicht, wie ihr geschieht.
Der LKW hielt etwa nach 50 Metern.
Entgeistert blickte sie auf ihre tote Freundin. Sie lag in einem Meer von Blut. Ihre Beine waren angewinkelt. Ihre starren Augen schienen auf sie fixiert zu sein.
„Oh mein Gott, wie ist das passiert?“ fragte der LKW Fahrer sie.
Für einen Moment musste sie ihre Gedanken sammeln. Verwirrt antwortete sie :
„Ich habe noch Stop gerufen, aber sie ist plötzlich losgegangen“
Die leuchtenden Gerbera hoben ich vom schwarz der Trauergäste ab. Mit einem Ausdruck des Bedauerns schaute sie sich um. Die Mutter kniete weinend vor dem Grab. Nun kamen auch ihr langsam die Tränen und bahnten sich ihren Weg über ihre kalten Wangen.
Da kam der Freund ihrer Freundin und nahm sie in den Arm. „Es ist für uns alle sehr schwer“
„Ja“ sagte sie, als sich ihre Mundwinkel hoben und zu einem stummen Grinsen wurden.
Sie hatte sich für den Hass entschieden.