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- Anmerkungen zum Text
Vorgabe war es, die Situation aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu beschreiben. Das Thema lautete "Begegnerin".
Heiße Begegnung
Der Wind rauschte leise durch die Blätter, erzeugte ein sanftes Rascheln, so sanft wie eine kühle Meeresbrise. Marie bewegte sich behutsam über den Kiesweg, öffnete das kleine Tor. Das muss dringend geölt werden, dachte sie. Sie ließ ihren Blick über die Steine wandern, während sie gemächlich weiterging. Vergessene Namen tauchten auf, Jahreszahlen und Blumen. Immer wieder Blumen, gelbe Stiefmütterchen, die lang vergangene Kindheitserinnerungen weckten. Damals warst du noch am Leben, dachte sie, aber du hast dich nie für Blumen interessiert. Sie folgte dem Weg, der nach rechts abbog und blieb vor einer Steinwand stehen, sie reichte bis zu ihrem Kopf empor. Innerhalb der Steinwand waren viereckige Felder eingraviert, auf jedem Feld stand ein anderer Name und eine andere Jahreszahl. Ihr Blick wanderte zur Mitte. Schau dich nur an, dachte sie, verbrannt in einer Urne. Der einzige Mann, den ich je geliebt habe, verbrannt in einer Urne. Sie schaute starr auf das quadratische Feld, nicht eine Träne zeigte sich in ihren Augen. Hinter ihr hörte sie das Geräusch von Leder auf Kies, Schritte. Sie drehte sich um, ein kleiner Mann kam ihr entgegen, der Blumen in der Hand hielt. Ihr fielen seine weißen Haare auf.
„Hallo“, sagte er mit einer gutmütigen Stimme, „es ist schön sich an seine Lieben zu erinnern, nicht wahr?“ Marie antwortete nicht, schaute wieder starr zurück auf den Namen, der ihr noch immer so viel bedeutete.
„Ich bringe immer Blumen mit, das gibt mir Hoffnung“, sagte er. In Maries Gesicht zuckte es unwillkürlich.
„Seien Sie still“, zischte sie leise.
„Wie bitte? Ich höre nicht mehr so gut“, antwortete er.
Sie drehte sich zu ihm hin und sagte: „Seien Sie still, oder es passiert etwas Schlimmes.“ Die Kälte in ihrer Stimme ließ den Mann erstarren, als wäre sie Medusa. Er sagte kein Wort, machte zwei Schritte rückwärts. Sie sah, wie seine Hand mit den Blumen zitterte. Dann drehte er sich eilig um und verschwand. Wie Sodbrennen brannte der Hass in ihr auf, tief aus ihrem Innern kommend. Wie sehr ich euch hasse, ihr seid alle gleich, dachte sie. Eine rote Bettdecke tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie schüttelte sich wie ein Hund, der nass geworden war. Ihr Blick nahm einen abwesenden Ausdruck an, als wäre sie auf einem anderen Planeten. Sie schaute wieder auf das Grab. Du bist die einzige Ausnahme gewesen, dachte sie, heute Abend brauche ich eine Ablenkung.
Aus dem Radio tönte Bonnie Tylers Holding out for a hero. Angelo saß an der Bar, vor ihm ein Whiskey on the rocks. Eine Frau in rotem Kleid betrat die Bar.
„Einen Sex on the beach“, hörte er sie sagen.
Angelo schaute zu ihr rüber, er roch Moschus und Zigarettenrauch. Der Geruch gefiel ihm. Seine Gedanken schweiften ab, etwas regte sich in seiner Hose. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Zeit für meine Belohnung, dachte er. Er stand auf und setzte sich auf den Platz neben der Frau.
„Wartest wohl auf deinen Helden, was?“
„Was willst du?“
„Nur ein bisschen reden. Wie heißt du?“
Sie schaute auf den Boden.
„Marie“, sagte sie unsicher.
„Ich bin Angelo. Lass uns was trinken.“ Er summte leise zur Melodie des Lieds im Radio.
I need a hero.
I’m holding out for a hero ‘til the end of the night.
He’s gotta be strong.
And he’s gotta be fast.
And he's gotta be fresh from the fight.
Angelo schaute den Barkeeper an und sagte: „Einmal Sex on the beach für die Dame und einen Whiskey on the rocks für mich.“ Er dachte daran, wie sich ihre Brüste an ihn schmiegten, die Luft erfüllt von Moschus.
„Hast du Lust auf Spaß? Ich kenn‘ da eine gute Sache“, sagte Angelo.
„Die wäre?“, fragte sie.
„Ein Spiel treiben.“
„Ein Spiel treiben?“
„Ja und am besten sind Spielpartner, die diskret sind und die man nie wiedersieht.“
Angelo fühlte seine Erregung und konnte seinen Blick nicht mehr von ihr wenden, er liebte heiße Begegnungen.
Marie betrat die Bar, sie war auf der Suche nach einem geeigneten Mann.
„Einen Sex on the beach“, sagte sie zum Barkeeper. Der Barkeeper war es nicht, das wusste sie sofort – zu androgyn. Ihr gefielen Gewinnertypen, die von sich selbst überzeugt waren. Die hatte sie besonders gerne. Aus den Augenwinkeln registrierte sie einen großen Mann. Er sah muskulös aus. Er kam zu ihr herüber und setzte sich auf den Platz neben ihr.
„Wartest wohl auf deinen Helden, was?“
Vor ihrem inneren Auge tauchte wieder die rote Bettdecke auf. Er war perfekt.
„Was willst du?“
„Nur ein bisschen reden. Wie heißt du?“
Diese Typen bekam man am besten, wenn man sich schutzlos und schüchtern stellte. Dann konnte er sie beschützen und sich aufspielen. „Marie.“
„Ich bin Angelo. Lass uns was trinken.“
Während er leise zum Lied summte, dachte sie an den Refrain.
And he's gotta be fresh from the fight.
Das Wort „fresh“ ließ sie an ein hilfloses Lamm denken. Ihre Gedanken wanderten weiter und sie dachte an eine Spritze, verborgen hinter ihrem Rücken.
„Hast du Lust auf Spaß? Ich kenn‘ da eine gute Sache“, sagte Angelo.
Wenn du wüsstest, dachte sie.
„Die wäre?“, fragte sie.
„Ein Spiel treiben.“
„Ein Spiel treiben?“
„Ja und am besten sind dafür Spielpartner, die diskret sind und die man nie wiedersieht.“
Innerlich lachte sie über die Doppeldeutigkeit dieses Satzes.
Ich bin diskret und du wirst mich nie wiedersehen, dachte sie bei sich. Er konnte nicht wissen, was sie vor hatte.