Hallo @Paul Erz ,
wenn du alle die bisher erhaltenen Kritiken und Rückmeldungen einmal zusammen betrachtest, ist einhellige Meinung, dass dein ultrakurzer Text nur eine Skizze darstellt, die und auch da sind sich alle einig, noch intensiv zu einer Geschichte ausgebaut werden sollte, eben, weil großes Interesse besteht.
Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass ich ebenfalls meine Geschichte in der Ukraine angesiedelt habe, allerdings im Jahr 2025.
Was ist nun dein Problem, denn mir scheint, wenn ich so in dein Profil schaue und deine dortigen Ideen lese, dass du eigentlich sehr gern schreiben und gute Geschichten erstellen möchtest?
Das große Problem bei Sachverhalten, die aus dem wirklichen Leben gegriffen sind, also tatsächlich passiert sind, ist, sich trotzdem ein gutes Stück davon zu entfernen. Ich meine damit, dass du zwar die Flucht und all das, was die beiden unterwegs erleben als gutes Gerüst nehmen kannst, aber du musst ganz viel hinzudichten.
Das fängt mit der Flucht an. Du schilderst sie so nüchtern, dass selbst dem phantasiereichsten Leser die Möglichkeit genommen ist, sich in die Gefahrensituation der Flucht einzufühlen.
Es geht also darum, Gefühle zu transportieren und den Figuren eine Seele zu geben.
Und bevor das geschieht, muss sich jeder Autor vorweg eine Frage beantworten, weil er sonst nur freiflottierend in seiner eigenen Geschichten hin- und herdriftet: Was soll die Essenz meiner Geschichte sein? Was möchte ich mitteilen? Was möchte ich erreichen?
Dazu kann es unendlich viele Antworten geben, angefangen von, "ich will nur gute Unterhaltung bieten, ohne Tiefgang", über "ich will die Grausamkeiten des Krieges und die unmenschlichen Bedingungen auf der Flucht darstellen, damit spätere Generationen davon erfahren, es nicht verloren geht, dieses Wissen" bis hin zu "ich möchte Geschichtswissen vermitteln, aber dies in einer leicht zugänglichen Form tun" oder "ich möchte meinem Großvater gedenken in Form dieser Erzählung". Ach, es gibt so viele Gründe, weshalb ein Autor etwas schreibt, dir wird da auch etwas im Kopf herumschwirren.
Wenn du das festgelegt hast, also das Ziel, ist es nicht verkehrt, auch kurz die Frage zu stellen, welche Lesergruppe du erreichen möchtest. Gibt es überhaupt jemanden, der das lesen möchte, wäre so eine Frage, die man sich durchaus stellen kann. Klar, gibt es auch immer welche, die zur Not nur für die Schublade schreiben, in denen dann die Geschichten verschwinden. Ich glaube aber, das ist nicht deine Intention, du hättest dich sonst nicht hier angemeldet.
Ausgehend von deiner Prämisse, weswegen du etwas schreibst, inklusive der beantworteten Frage, für wen du schreibst, kannst du nun den Handlungsstrang entwickeln. Den Spannungsbogen überlegen und all die markanten Punkte skizzeren, in denen etwas sehr Spannendes, Tragisches, Lustiges, Erbauliches, Ungewöhnliches, Skurriles passieren soll.
In deiner Skizze ist da schon einiges enthalten, das der ausführlichen Schilderung bedarf. Beginnend mit dem Ausbruch aus dem Gefangenenlager.
Du könntest schildern, wie elendig die Bedingungen bei den Russen damals waren. Wenn dir der Großvater hier nicht genug Details geschildert hat, dir also der Blick darauf verstellt ist, wie es damals dort gewesen ist, beginnt quasi die Recherche. Du suchst im Internet, in Büchern, in allen möglichen Publikationen nach Schilderungen, die Kriegsgefangenschaften unter russischem Regime betreffen.
Und hier beginnt dann deine eigentliche Arbeit als Autor. Du verwebst diese Erkenntnisse (von anderen) mit deinen des Großvaters und gibst ihm damit eine Stimme.
So entstehen Geschichten. So können Geschichten enstehen.
Sie enthalten also einen wahren Kern (nicht immer), den der Autor nach seinem Gutdünken ausschmückt mit seinen Ideen, wie es gewesen sein könnte und was die Personen genau getan haben könnten.
Wenn du jetzt einwenden möchtest, dass das doch nicht geht, weil du dem Großvater nicht irgendetwas an Handlungen und wörtlicher Rede in den Mund legen möchtest, was nicht verbrieft auch wirklich von ihm stammt, dann bist du im Bereich der Biographie, dann ist es keine Geschichte.
Übrigens, um den wichtigen Hinweis von @jimmysalaryman aufzugreifen: Das Jahr 1918 war wohl mit eines der politisch bewegtesten in der Geschichte der Ukraine, weil innerhalb eines Jahres nicht nur die Russen und die Ukrainer an der Macht waren, sondern auch noch die Deutschen dazwischenfunkten. Du hast dir also ein Jahr ausgesucht bzw. dein Großvater, in welchem es alles andere als übersichtlich gewesen ist, wer grad die Macht inne hatte.
Aber genau das kann man ja ebenfalls wunderbar in einer Geschichte ausbreiten und darstellen anhand all der immensen Probleme der Leute vor Ort. Ich stelle es mir wahnwitzig schwierig vor, nicht zu wissen, wessen Bürger ich grad bin, was ich sagen darf oder wann ich mich selbst zum Gegner mache, weil ich für die sozusagen falsche Seite bin. Man kann ohne viel Kenntnisse behaupten, dass die Ukrainer auch schon früher hochgradig gebeutelt waren und nicht zur Ruhe kamen. Eines der Probleme für die Bewohner, ist ja die Frage, welche Sprache gesprochen werden muss, welche verboten wird, denn die Allmachtsvorstellungen der jeweiligen Machthaber begannen häufig genau dort, bei der Sprache. Perfiderweise wiederholt sich das aktuell gerade.
Für deine Geschichte ist es aber wahrscheinlich auch wichtig gewesen, dass die beiden Flüchtlinge sich nicht durch die versehentliche Verwendung der falschen Sprache in Lebensgefahr brachten. Auch so ein sehr spannender Punkt, der in der Geschichte seine Entsprechung finden könnte.
Deine noch zu erzählende Geschichte über den Großvater enthält also immens viel Potential in jeder Richtung. Vielleicht hast du ja den Mut, es richtig anzugehen.
Lieben Gruß
lakita