Heimweg
„Die Keenger mösse jetz no hus gohn. Et es schon ärsch spät, on drusse wöddet schon langsam düster.“
Mit diesem Befehl der Bäuerin wurde unser >Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel< jäh unterbrochen. Im Kampf um die Positionen hatten wir doch glatt die Zeit vergessen. Etwas widerwillig räumten wir die Sachen zusammen. Auf dem kleinen Bauerhof unserem beliebtesten Spielrevier war immer etwas los. Aber die Mutter meiner Spielkameraden hatte nun einmal das Sagen.
Meine Freunde Hansi und Karl Heinz hatten es gut. Sie wohnten auf der anderen Straßenseite. Aber ich hatte einen weiteren Weg nach Hause.
„ Soll esch desch no hus bränge?“ fragte mich Maria, die ältere Tochter des Bauern „esch kann gär e klee stöckche met desch gon. Mer loope durch onsere Bongert, on dann böste bald op däm Wäch no hus.“
„Nä lott mar, dat pack esch schon alleen. Esch loop durch Stamms Gass on dann bönn ich och bald zu hus.“
„Häss du dann keen Änges su allein durch Stamms Gass zu gon, do es et besteemt schon düster.“ fragte mich Maria ein wenig besorgt.
Ja, was dachte das Fräulein sich eigentlich? Ich, ein Mann von sieben Jahren und Angst, einfach lächerlich.
„esch hann keen Änges, esch bönn jo eene Mann“
„Komm got no hus.“ riefen meine Freunde aus dem Wohnzimmer.
Mutig, wie ich nun einmal war trat ich auf die Straße. Es war doch schon recht dämmerig geworden. Straßenlaternen gab es damals hier noch nicht.
Aber, wie ich ja behauptet hatte, war ich ein Mann ohne Angst.
Nach knapp hundert Metern musste ich rechts in die Gasse einbiegen. Die ersten 5 Meter waren noch nicht so schlimm, weil noch ein wenig Licht von der Straße einfiel.
Aber dann wurde es doch unheimlich. Der Mond hatte sich mit seiner Sichel in diesem Augenblick gerade hinter einer Wolke versteckt.
Die Gasse, ein schmaler Weg von vielleicht drei Metern, war rechts und links von zwei hohen Hecken gesäumt. Mir wurde sehr mulmig zu Mute. Hätte ich doch den Mund nur nicht so voll genommen und mit meiner Tapferkeit angegeben.
Ehrlich gesagt, der große Held hatte eine ungeheuere Angst. Alle Tapferkeit hatte die dunkle Gasse verschluckt.
Der Mond ließ sich zwar wieder sehen, aber sein Licht reichte nicht aus, um den Weg zu erhellen. Zudem muss er sich auch noch mit dem aufkommenden Abendwind abgesprochen haben. Der seinen Spaß daran hatte mit den welken Blättern im trüben Mondlicht zu spielen und sie herum zu wirbeln.
Dann hatte der Mond doch ein Fensterchen gefunden und leuchtete etwas heller. Jetzt zauberte er lange, sich bewegende Schatten auf den Weg, was die Angelegenheit noch schlimmer machte. Ich redete mir ein, das sind nur die Äste der Bäume. Aber meine Furcht hatte neue Nahrung bekommen.
Da, wenige Meter vor mir, ein Keckern und Schmatzen. Begleitet von seltsamen Schleifgeräuschen und einem lauten Rascheln.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und machte mich noch kleiner, als ich sowieso schon war. Eiskalt lief es mir den Rücken herunter.
Sollte es doch böse Gespenster geben?
„Es gibt keine Gespenster, wenigstens nicht alle Tage.“ Hatte mein Vater einmal gesagt. Doch in diesem Augenblick war das für mich kein Trost.
In meiner Angst sagte ich laut: „Lieber Gott, wenn du hier hilfst, werde ich nie mehr böse sein, nie mehr unseren Hund ärgern und nie mehr unsere Katze am Schwanz ziehen. Bitte sage auch meinem Schutzengel, dass er auf mich aufpassen soll.“
„Ich gehe keinen Schritt weiter.“ murmelte ich in meiner Not. „Wenn ich zurücklaufe, wartet vielleicht eine andere Gefahr auf mich.“
Die Geräusche in der Hecke wurden lauter. Ich stand wie erstart und wartete auf das Unheil, das da kommen konnte.
Ich schloss die Augen, nur nicht sehen, was jetzt geschehen wird.
Es wurde still, unerträglich still. Was ist nun schon wieder? Ich öffnete die Augen nur einen kleinen Spalt. Da sah ich es. In der Mitte des Weges lag eine dicke Kugel, regungslos. Das konnte kein Gespenst sein. Oder doch? Um besser sehen zu können, öffnete ich meine Augen vollständig.
Es war ein Igel auf seinem nächtlichen Beutezug. Ich hatte ihn wahrscheinlich genau so erschreckt wie er mich.
Voller Dankbarkeit kam mein Stoßgebet „Lieber Gott ich danke dir, dass du das Gespenst in einen Igel verwandelt hast. Mein Versprechen gilt aber immer noch.“
Der Igel verharrte in seine Kugel als ich an ihm vorbei ging. Er wird erst seinen Weg fortsetzen, wenn er von mir nichts mehr hört.
Erleichtert, dieses Abenteuer gut über standen zu haben, setzte ich meinen Heimweg fort. Bald bin zu Hause, dachte ich mir, dann ist alles wieder gut.
Jedoch nach wenigen Schritten, ein dunkler Schatten über meinem Kopf. Sekunden später ein lautes „KIWITT“. Das war zuviel für meine strapazierten Nerven.
Laut Erzählungen meiner Oma handelt es sich hier um den gefürchteten Totenvogel. Sie übersetzte das „Kiwitt“ mit: „komm mit“.
Mich sollte er nicht bekommen.
Um in meiner wieder aufkommenden Angst dieser erneuten Gefahr zu entrinnen, lief ich, was meine Beine hergaben. Der letzte Teil meines Heimweges war buchstäblich ein Rennen um mein junges Leben.
Völlig aus gepumpt und am Ende meiner Kraft stürzte ich zu Hause ins Wohnzimmer. Endlich helles Licht und wieder unter Menschen.
Meine Oma saß in ihrem Sessel und schaute mich befremdet an. „Du japst jo wie eene alde Jachhunk. Bös du esu flott geloope?“
Ich, wieder der gestandene Mann „Jo, esch wollt ziedisch zu hus seen.“