Heiner ist jetzt Buddhist
Heiner ist jetzt Buddhist. Als ich ihn besuche, öffnet er mir mit Glatze und einem orangefarbenen Gewand. Er legt die Hände zur Gebetsstellung aneinander und verneigt sich. Sicher, im ersten Moment irritiert mich sein neues Outfit, aber ich habe mich im Laufe der Zeit an seinen permanenten Wesenswandel gewöhnt. Im letzten Monat war Heiner auf dem besten Wege ein trommelnder Schamane zu werden, doch nachdem er den Dalai Lama im Fernsehen sah, der ihm, wie Heiner mir versichert, mehrfach zuzwinkerte, entschied sich Heiner für den buddhistischen Weg. Das große Tipi-Zelt, das ehemals in seinem Wohnzimmer stand, ist einem kahlen, weißgetünchten Raum mit Meditationskissen gewichen. In der Ecke steht ein flacher Altar, auf dem sich eine Buddha-Figur, Teelichter, qualmende Räucherstäbchen, Glöckchen und kleine Porzellanschalen befinden. Heiner serviert grünen Tee, und dann sitzen wir da, und er erzählt mir von seiner Bekehrung und davon, dass das liebevolle Mitgefühl fortan das höchste Ziel für ihn sei.
Während Heiners Rockerphase, in der er nichts anderes als MOTÖRHEAD hörte und Weinbrand-Cola trank, haben wir in seiner Bude exzessive Gelage veranstaltet. Und nun das.
„Mensch Heiner“, sage ich, „das alles hier ist ziemlich seltsam.“
Heiner erklärt mir, dass er dem materiellen Streben abgeschworen habe und dass es darum gehe, nicht anzuhaften.
„Welches Geräusch macht das Klatschen mit einer Hand?“, fragt er schließlich.
„Wieso Geräusch?“
„Wie sah dein Gesicht aus, bevor deine Eltern geboren wurden?“
„Heiner, woher soll ich das wissen?“
„Mein Freund“, sagt Heiner und legt mir seine Hand auf die Schulter, „genau darum geht es. Es geht um die Essenz.“
Ich stehe auf und öffne die Balkontür, weil mich die räucherstäbchengeschwängerte Luft zu ersticken droht. Unten findet ein Straßenfest statt. Das Fest der Nationen. Stimmengewirr. Ein wildes Durcheinander fremdländischer Musik. Es riecht nach Grillfleisch und exotischen Gewürzen.
Ich setze mich wieder auf mein Meditationskissen. Heiner lächelt milde.
„Mensch Heiner, ich wollte mit dir übers Straßenfest ziehen.“
„Wenn es dein Wunsch ist, komme ich gerne mit“, sagt Heiner immer noch lächelnd.
An einem mexikanischen Stand bestelle ich Corona-Bier und Tequila. Heiner lehnt dankend ab und bittet um ein Glas Wasser. Also kippe ich mir die Schnäpse rein und spüle mit Bier nach.
Heiner sorgt für einiges Aufsehen, wie er so dasteht, glatzköpfig und lächelnd, in seinem orangenen Gewand und den Sandalen.
Der kleine Mexikaner hinter dem Tresen grinst mich an. „Sie haben Gluck, die Flasche ist Ende. Wollen Sie Maguey probieren?“
„Maguey? Was das denn?“
„Raupe. Mezcal-Wurm“, grinst er.
„Hä…?“
Er hebt die Flasche und deutet auf eine daumengroße Made, die im restlichen Tequila umher schwappt.
Mir wird übel.
„Ist gut für Tinte auf Füller“, grinst der Mexikaner.
Ich wende mich angeekelt ab und spucke sauren Speichel auf den Asphalt.
Der Mexikaner lacht.
Heiner lächelt.
Bevor ich von dem süffigen Bier trinke, werfe ich einen Blick in die Flasche. Sie ist madenfrei.
„Dein Freund da sollte den Wurm essen. Er scheint es nötig zu haben.“
Sie ist brünett, hat einen leichten Silberblick und steht neben mir.
„Was ist mit deinem Freund?“, will sie wissen.
„Wieso? Was soll mit ihm sein?“
„Naja, er sieht aus wie ein Mönch.“
„Sowas in der Art ist er auch“, sage ich. „Heiner ist jetzt Buddhist.“
„Ach. So ein Bagwan-Typ?“
„In etwa“, sage ich und nehme mir Heiners Corona vor.
Der Mexikaner hat die Made auf eine Pappschale gelegt und hält sie mir hin. „Ist gut für Potenz“, sagt er grinsend.
„Lass mich mit dem Scheiß in Ruhe.“
Die Brünette schnappt sich das Teil, legt es auf ihre Zunge, kaut ein paarmal und schluckt es herunter.
„Was für Männer gut ist, kann für Frauen nicht verkehrt sein“, lächelt sie. „Schmeckt gar nicht mal so übel.“
„Leben ist leiden“, sagt Heiner jetzt von der anderen Seite. „Geld kann kein Glück kaufen; es ermöglicht nur, die eigene Form des Elends zu wählen.“
Wir starren ihn an. Der Mexikaner, die Brünette und ich.
„Der Mönch hat recht“, sagt die Brünette nach einer gefühlten Minute, und ich meine so etwas wie Bewunderung in ihrem silbernen Blick zu entdecken.
Heiner lächelt mitfühlend.
Der Mexikaner zaubert eine neue Flasche Tequila hervor und schenkt uns allen ein. „Ist gut für Feuer in der Pfeife“, zwinkert er mir zu. Ich scheiß was auf die Made und kipp das Zeugs herunter.
Die Brünette drängt sich an mir vorbei und steht nun dicht vor Heiner. Sie riecht nach süßer Vanille und trägt einen kurzen schwarzen Lederrock. „Und…“, haucht sie, „befindet sich dein Aschram hier in der Nähe? Ist es weit weg?“
„Weit ist der Weg zur Erleuchtung“, lächelt Heiner.
Sie seufzt entzückt und legt ihre Hand auf seine Brust. „Zeigst du mir den Weg, du schlauer Mönch? Zeigst du mir deinen Buddha?“
„Wenn es dein Wunsch ist, zeige ich ihn dir gern.“
Heiner legt die Hände zur Gebetsstellung aneinander und verneigt sich in meine Richtung. Dann gehen sie davon. Ich sehe ihnen nach, bis sie im Menschengewühl verschwunden sind.
Ich nehme mir Heiners Tequila und trinke ihn aus. Der Mexikaner schenkt nach. „Ist gut für…“
„Ja, ja…“, winke ich ab.
Ich zahle die Zeche und wanke rüber zum Argentinier.
Die braten erfahrungsgemäß die besten Steaks.