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Heinz hat was erfunden
Heinz Quermüller war pensionierter Elektriker mit Diplom und begeisterter Hobbybastler.
Heute hatte er in seiner Garage etwas erfunden, von dem erglaubte, dass es das noch nicht gab. Da war er sich sogar ziemlich sicher.
Dennoch: Eine Frage stellte sich Heinz immer wieder, seit mehr als einer halben Stunde, als ihm die unfreiwillige Erfindung als solche bewusst geworden war.
"Wem nutzt das?"
Er sprach selten, eigentlich nie mit sich selbst, aber jetzt sollte es einfach so sein.
Während das Ding bewegungslos neben dem Schweissbrenner lag und tickte, musste Heinz an die Worte seines Vaters denken.
Junge, eines Tages wirst du etwas erfinden, das es bis dato nicht gegeben hat. Da bin ich mir ganz sicher, und jetzt schalte doch bitte mal am Radio um, das Hörspiel fängt gleich an.
Vorsichtig näherte sich Heinz´ Hand dem kleinen Metallkasten mit den Leuchtdioden. Dann streichelte er ihn behutsam. Er war ganz kalt.
Eine gewisse väterliche Liebe trieb warme Tröpfchen durch die Poren der Handinnenfläche. - "Ist ja gut, du brauchst nicht zu frieren."
Wenn er das Gerda erzählte! Er ... Heinz Quermüller, hatte auf seine alten Tage etwas geschaffen, das es noch nicht gab, und plötzlich kam ihm das Ding auch gar nicht mehr so nutzlos vor.
Er steckte es in die Tasche seiner Jogginghose und sprintete durch den Garten zur Terrassentür.
Gerda stand in der Küche und erledigte den Abwasch.
"Schatz", begann er, "du wirst es nicht glauben, aber ..."
"Räumst du bitte mal deine Bierflaschen weg?"
Er betrachtete das Sammelsurium auf dem Tisch und ordnete es in die sekundäre Kategorie ein.
"Nun lass mich doch erstmal zu Wort kommen. Also: Ich habe ..."
"Nicht aufgeräumt hast du. Und die Wäsche nicht aussem Trockner geholt."
Langsam wurde er unglücklich. Sollte er etwa erst nach seinem Tode zu Ruhm gelangen?
"Nun stell´ doch mal die Hausarbeit ein, und höre mir zu", rief er energisch.
Es wirkte. Gerda drehte sich zu ihm um.
"Was hast du denn da? Soll ich das etwa auch noch spülen?"
"Was ... nein. Das habe ich gerade erfunden. Völlig zufällig."
"So sieht es mir auch aus."
Heinz geriet in Rage.
"Du weißt ja nicht, was du von dir gibst. Das ist ein ungeschliffener Diamant!"
"Ganz egal, was es ist, das Ding wird jetzt erstmal sauber gemacht."
Seine Hand verkrampfte, als Gerdas vom Spülwasser tropfenden Finger nach seiner Erfindung greifen wollten.
"Jetzt ist aber Schluss! Auch, wenn ich Rentner bin, du lässt gefälligst die Flossen von meiner ... meiner Erschaffung!"
Gerda blickte verdutzt, und ließ den Trockenlappen fallen.
"Sag mal, wie redest du denn mit mir?"
Heinz schüttelte den Kopf.
"Heute rede ich gar nicht mehr mit dir. Dann spül´ halt weiter, du blöde Kuh."
Er trampelte die Treppe hoch und griff nach dem Telefon, das Ding indess fest umklammert.
"Ja ... Karl Heinz, bist du das? Was ... achso, ja hallo Paul ... ja ja, dem Opa geht es gut, und jetzt gib mir mal den Papa. Ja ja Paul, der Opa dich auch. Hast du den Papa schon gerufen? Mach doch mal bitte hin."
Im Hintergrund rief sein Enkel nach Karl Heinz. Der sollte sich bloß beeilen. So war er immer: Nie Zeit für seinen Vater.
"Papa?"
Heinz wippte nervös von einem Fuß auf den anderen.
"Ich hab´ was erfunden", schrie er freudig. Ein Knacken in der Leitung. Dann sekundenlange Stille.
"Papa, wir wollten gleich essen und ..."
Heinz konnte es nicht fassen. Das eigene Fleisch und Blut.
"Sag mal, hörst du deinem alten Herren denn gar nicht zu? Ich habe etwas erfunden. Etwas, dass es bislang noch gar nicht gibt."
Wieder Stille.
"Papa, kann ich dich denn gleich zurückrufen? Silke drängelt schon, und ..."
"Wie deine Mutter bist du. Die wollte mir auch nicht zuhören. Ich armer, alter Mann."
"Papa ... bitte. Das Essen wird kalt und ..."
"Na und? Ihr habt doch eine Mikrowelle. Nun lass mich doch mal kurz erzählen. Komm schon."
Ein Seufzen.
"Dann beeil dich aber bitte."
Heinz sprang einige Zentimeter hoch in die Luft und verlor einen Schluppen dabei. Beinahe wäre ihm das Ding auf den Boden gefallen.
"Also", begann er, "ich habe dir doch von diesem Satz meines Vaters, deines Opas, erzählt, wo er damals dieses Hörspiel ..."
"Papa! Komm´ bitte auf den Punkt!"
"Na gut, also, ich stehe in meiner Garage, bastel an der automatischen Alarmanlage für teure Gartenzwerge, die mir so nebenbei ständig geklaut werden, weil mein Sohn den Zaun noch nicht ..."
"Papa!"
"Ja ja, schon gut, also, da passiert plötzlich etwas unglaubliches..."
Und Heinz berichtete seinem Sohn ausführlich und detailliert von der Erfindung, die er heute zufällig gemacht hatte.
Er erzählte von dem Zusammenspiel der Leuchtdioden, und was sie ausdrücken sollten, von der feingliedrigen Mechanik, deren Schaffung eine ruhige Hand erforderte, und von dem Akku, den er günstig im Supermarkt gekauft hatte.
Was folgte, war gespenstische Stille.
"Und", fragte Heinz in sie hinein.
"Papa?"
"Ja?"
Er konnte sich vor lauter Vorfreude kaum mehr halten.
"Wem soll das nützen?"
Und während die Welt drumherum zusammenbrach, keuchte Heinz in den Hörer: "Karl Heinz, du bist nicht mehr mein Sohn."
"Ach Papa."
"Nichts, ach Papa. Ich rufe jetzt beim Patentamt an, und wenn ich dann erst reich bin, dann könnt ihr ja schauen, wie ihr die Weihnachtsgeschenke für den Kleinen bezahlt bekommt."
Er legte auf, sah sich um, dachte nach.
Dann drückte er auf die Taste zur Wahlwiederholung.
"Papa?"
"Sag mal Junge, du hast doch Internet. Kannst du mir mal kurz die Nummer vom Patentamt raussuchen?"
***
Die Brille des Beamten war bedrohlich weit in Richtung Nasenspitze gerutscht.
Gleich stürzt sie ab, mitten auf mein Formular, dachte Heinz entsetzt.
Dann schaute der Beamte auf.
"Nun, Herr Quermüller. So etwas gibt es meines Wissens tatsächlich noch nicht. Allerdings frage ich mich, wem es nützen soll."
Heinz rutschte unruhig auf dem Holzstuhl herum.
"Nützen, nützen! Immer höre ich nur das Eine! Wem hat der zweite Weltkrieg genützt? Trotzdem verkauft er sich bis heute!"
"Herr Quermüller, bitte!"
Gerda packte ihren Mann am Arm.
"Dauert das noch lange? Ich muss doch noch den Abwasch machen."
Heinz beschwichtigte.
"Das geht ganz flott. Der Bürokrat hier trägt meine Erfindung jetzt zum Patent ein, und wir sind fertig."
Der Beamte nickte und schüttelte den Kopf scheinbar gleichzeitig.
"Wenn Sie das so sehen. Haben Sie die Gebühr dabei, oder überweisen Sie das Geld?"
"Gebühr? Geld? Wovon reden Sie überhaupt?"
Der Beamte schob einen Stoß Papier in Heinz´ gefaltete Hände.
Er betrachtete die Gesamtsumme.
Dann wurde er blass.
***
"Weißt du, warum wir in einem armen Land leben", fragte er Gerda an der Bushaltestelle.
"Hast du denn jetzt das Patent?"
"Nein, weil da ganz offensichtlich ein Fehler vorliegt."
Heinz nahm das Ding aus seiner Tasche. Seine Dioden blinkten fröhlich, während es tickte.
"Nicht wahr, mein kleiner Freund?"
Das Ding piepste ein "Ja" zurück.
Heinz sah zu seiner Frau, die frierend auf den Bus wartete.
"Vielleicht hätte ich ihm statt der piepsenden Tonplatine ein paar Boxen einbauen sollen, damit er sprechen kann."
Gerda schmiegte sich an Heinz.
"Ach Schatz, du bist mir ein Träumer. Hast nicht einmal einen Namen dafür."
Heinz wehrte ab.
"Den habe ich längst."
"Wie lautet er?"
"Heinzelmännchen", gab Heinz stolz zurück. - "Soll er dir beim Abwasch helfen?"