Heldenmut
Heldenmut
Der kleine Raumfrachter, ein ELAR 20-2 von Galac Inc., jagte durch die leere Nacht des Draconis-Raumgitters, der roten Sonne Theteron entgegen. Das Schiff war relativ neu, vielleicht 15 Jahre alt und seine langgezogene schlanke Form unterschied es recht deutlich von seinen Vorgängern. Lediglich die Möglichkeit, direkt in den Hyperraum zu springen und somit das Reisetempo um ein gutes Maß zu erhöhen, war ihm von seinen Erbauern auch in der zweiten Version nicht gegönnt worden, ein Umstand, der seine Piloten gehörig nervös machte.
Die beiden Männer waren noch recht jung und standen erst einige Jahre in den Diensten der „Blauen Salamander“, einer Piratenbande – oder Rebellenorganisation, wie sie es selber immer gerne betonten -, die seit geraumer Zeit den gesamten Draconis-Sektor unsicher machte. Sicher, die Hauptziele waren natürlich imperiale Versorgungstransporter oder kleine Kriegsschiffe, aber wenn sich ein dickes Handelschiff ebenfalls als lohnendes, weil unbewachtes Ziel anbot, warum sollte man daran vorbeifliegen? Immerhin gehörten auch diese Güter dem Imperium, also diente es im Grunde dem richtigen Zweck.
Was den beiden allerdings im Moment zu schaffen machte, war weniger die Suche nach lohnender Beute als die Notwendigkeit, rechtzeitig in der heimatlichen Basis anzukommen. Theteron Rydike Pharsus, einst stolze, aufblühende Kolonie und nun Rebellenbasis der „Salamander“, die es immerhin zu einem echten Eigennamen gebracht hatte, stand unter Beschuss. Der letzten von der Kolonie empfangenen Meldung zur Folge war eine imperiale Fregatte bis in den Orbit des Planeten vorgedrungen und hatte mit der Zerstörung der Handvoll Abwehrsatelliten in der Umlaufbahn begonnen, während sich Landetruppen bereits Wege in die Außenbezirke der Siedlung erkämpften. Sie mussten handeln.
Der kleine Frachter war mit Abstand das beste Schiff in der Piratenflotte, schnell, wendig und mit immerhin vier verborgenen Plasmageschützen ausgerüstet – man wollte fremde Schiffe ja nicht abschrecken. Dazu kamen Schilde, die durchaus auch einen Torpedotreffer verdauen konnten, wenn sie voll geladen waren. Eine Fregatte war zwar ein überlegener Gegner, aber nicht unbesiegbar.
Robertson war der eigentliche Pilot des Transporters und seine Augen ruhten schon minutenlang auf der Astronavigationskonsole. Ein paar Minuten Flug noch, schätzte er, dann könnten sie in den Kampf eingreifen und das Blatt sicher wenden. Er wendete sich kurz zu seinem Mitstreiter um, der gerade eine letzte Überprüfung der Waffensysteme über sein Terminal laufen ließ. „Alles im grünen Bereich? Das wird ein wilder Tanz werden.“
Der Co-Pilot verzichtete darauf, seinen Kollegen anzusehen und studierte weiter die scheinbar endlose Datenliste, die sich über den Monitor abspulte. „Ja, ja, wird schon werden. Hauptsache wir sind rechtzeitig dort, bevor die Imperialen alles zu Schlacke verbrannt haben.“
Robertson lachte leise, aber er konnte dennoch ein lichtes Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Ob es wirklich nur Nervosität war, oder ein erster Anflug von Furcht im Angesicht eines wirklichen Gegners, traute er sich nicht zu beurteilen.
„Verlass dich darauf, Max. In drei Minuten sind wir zu Hause.“
Der Übergang vom interplanetaren Raum in das Theteron-System geschah mit dem üblichen gravimetrischen Ruckeln, als sich ihrem Schiff die Anziehungskraft der großen roten Sonne offenbarte. Steve Robertson ging auf Unterlicht und kontrollierte die Langstreckensensoren auf eventuelle Feindaktivitäten. Doch die einzigen Anzeigen stammten, wie erwartet, von einer Fregatte im Orbit von Rydike und einer größeren Anzahl Trümmer, die auf recht willkürlichen Bahnen um den Planeten kreiste. „Verdammt, sieht so aus als wäre die Orbitalverteidigung schon ausgefallen! Bereitmachen zum Gefecht.“
Max gab dem Schiffssystem ein paar schnelle Wortbefehle und die im ganzen Imperium standardisierte weibliche Computerstimme antwortete ihm mit einem emotionslosen: „Waffensysteme aktiv.“
Er nickte seinem Piloten zu. „Bring uns zur Fregatte. Heizen wir ihnen ein.“
Jene besagte Fregatte, die ITF „Storm II“, trieb behäbig wie ein überfressenes Tier über dem Planeten und feuerte in kurzen Abständen mit ihren Ionengeschützen auf die Planetenoberfläche, um den Schilden des zentralen Komplexes von Pharsus endgültig den Rest zu geben und den Bodentruppen die Eroberung zu erleichtern.
Robertson verfolgte das geschehen auf dem Hauptmonitor der Brücke. „Verdammte Ratten.“, knurrte er und verringerte die Geschwindigkeit weiter, um nicht an seinem Ziel vorbeizurasen. „Gib ihnen eine Breitseite.“
Max registrierte, das das imperiale Schiff seinen Antrieb aktivierte und den Bodenbeschuß abbrach, wohl um ihnen seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Es hätte ihn allerdings auch überrascht, wenn sie der Feind nicht bemerkt hätte. Die Imperialen waren leider nicht nur Brutal sondern auch recht ausgeschlafen.
Die ersten fünf, sechs Plasmagarben des Frachters implodierten in den Schilden der Fregatte und zogen blaue Funkenspuren um deren buckeligen Rumpf. Dann waren sie daran vorbei. „Schilde nur um 2% gefallen. Verdammt, das Ding ist zäh!“ antwortete er Robertson auf dessen neugierigen Blick. Dieser nickte beiläufig mit dem Kopf und versuchte währenddessen, in einen neuen Angriffsvektor zu kommen. „Was hast du erwartet? Das ist ein Kriegsschiff und kein Schrottfrachter. Zumindest haben unsere Jungs da unten eine kleine Verschnaufpause.“
Max nickte als Bestätigung und erhöhte die Energiezuteilung der Geschütze. „Hoffe, du kommst ohne Luft aus, Steve. Ich zapf die Lebenserhaltung an. Mal schauen, wie ihnen das gefällt.“
Das imperiale Schiff hatte sich kurz nach dem Vorbeiflug des Frachters bereits in einen höheren Orbit geschraubt und die Geschwindigkeit bedeutend erhöht. Wahrscheinlich war es nur Robertsons Geschick an der Navigation zu verdanken, das sie die erste Salve aus hochfrequenten Tachionen verfehlte und sich in den Weiten des Alls verlor.
„Sie laden alle ihre Geschütze, Steve. Bring uns besser von Oben an sie heran, da sind wir wenigstens von den Tachionenwerfern sicher.“
Ein etwas unsicheres Nicken des Piloten kam als Antwort. „Gut, wenn du es sagst. Aber ich hab das dumme Gefühl, wir sollten uns besser nicht treffen lassen.“
„Wäre nicht so günstig für uns, nein. Vor allem die Ionengeschütze würden unsere Schilde schneller schrumpfen lassen, als gut für uns wäre.“ Mit einem schnellen Handgriff justierte er die Plasmaladungen neu. „Computer, Kommunikation mit der Oberfläche möglich?“
Als Antwort kam ein knappes: „Nein, Co-Pilot Mordon. Alle Kanäle unterbrochen.“
Mit einem lauten Fluch auf den Lippen feuerte er eine neue Salve auf die „Storm II“ ab und wieder absorbierten die Schilde den gesamten Energieausstoß. Allerdings hielt sich der blaue Funkenregen diesmal länger und einen kurzen Augenblick schien es, als würde sich das Plasma etwas in die Schildenergie hineinfressen.
Max jubelte auf seinem Platz und gab seinem Piloten einen fröhlichen Rempler. „Wir haben sie auf 80% gebracht. Das haben sie sicher gespürt.“
„Hör auf, du Idiot. Die Lebenserhaltung ist nur mehr auf halber Leistung. Mach das Rückgängig, sonst kannst du deinen Sieg im Jenseits feiern.“ Steve wischte sich den Schweiß von der Stirn und bemühte sich, einen neuen Anflug vorzubereiten. Die geringe menge Atemluft im Frachter machte ihm zu schaffen.
Die Fregatte hatte sich nun vollständig aus dem Orbit gedreht und schien einen Verfolgungskurs zu setzen. Eine recht sinnlose Vorgehensweise in Anbetracht ihrer überlegenen Manövrierfähigkeit, fand Robertson. So würden die Imperialen gar nichts ausrichten. „Siehst du das, Max? Vielleicht haben wir ja Glück und unser Gegner ist ein Idiot.“
Der Angesprochene kam nicht mehr dazu, zu antworten, als eine volle Salve aus den Buggeschützen der Fregatte ihre Schilde malträtierte und die Energiewerte ans untere Ende der Skala sanken. Der Frachter schlingerte durch die Wucht der Treffer und mit gewohnt emotionsloser Stimme bestätigte das Schiffssystem einige leichte Schäden im Heckbereich.
„Was hast du gesagt?“ Max schrie fast. „Die Schilde sind beinahe eingegangen. Scheiße.“ Auch er schwitzte jetzt und sein Herz schlug so laut, das er meinte, sogar Robertson könne es hören.
„Doch keine Idioten.“ Steves Stimme zitterte jetzt bedrohlich, es fiel im schwer, Ruhe zu bewahren. Er war nicht zum Sterben zu den Piraten gegangen, aber er hätte vielleicht daran denken sollen, dass sich das Imperium ihre Raubzüge nicht ewig gefallen lassen würde.
Er schaffte es knapp, einer zweiten Salve zu entgehen und versuchte, die Fregatte von unten zu packen, wo sie auf weniger Geschütze zurückgreifen konnte.
Max feuerte. Diesmal schaffte es tatsächlich eine der bläulich schimmernden Entladungen, die Deflektoren zu durchdringen und ein hässliches, wenn auch recht kleines Loch in den Rumpf des feindlichen Schiffes zu reißen.
„Yeah, endlich. Flankentreffer!“ Max war von seiner Kunst begeistert. Er hatte es von Anfang an gewusst, diese imperialen Knilche kochten auch nur mit Wasser. Ein kurzes Blackout holte ihn schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Lange würde er nicht mehr auf die Lebenserhaltung zurückgreifen können, das stand fest.
„Ich hab dir vorhin schon gesagt…“, keuchte Robertson und wischte sich wieder den Schweiß aus dem Gesicht, der nun schon an kleine Sturzbäche erinnerte, „… das du die Lebenserhaltung in Ruhe lassen sollst. Lange halt ich das nicht mehr durch.“
„Ach was, alter Mann. Die sind doch gleich hinüber.“ Er bereitete die nächste Salve vor. „Ein paar Treffer noch.“ Er wollte es nicht zugeben, dass ihn aufgrund des Energieverlustes ein leichtes Schwindelgefühl erfasst hatte und sich die Waffenkonsole vor seinen Augen bereits ein wenig verzog. Hier bot sich immerhin die Möglichkeit, ein Held zu werden und seinen Kumpeln auf dem Planeten das leben zu retten.
Die Fregatte war groß genug, den Treffer zu verdauen und setzte einen neuen Kurs, um dem Anflug des Frachters entgegenzuwirken. Ein Tachionenstrahl bohrte sich von Oben in die hintere Sektion des Angreifers und zerschmetterte die dortigen Schildemitter vollständig. Ein sicher zehn Meter langer Riss in der Außenhülle klaffte auf und spie eine Wolke von Trümmern in die ewige Kälte des Vakuums.
Auf der Brücke brach Chaos aus. Robertson wurde durch den Aufschlag von seinem Sitz gerissen und prallte mit voller Wucht gegen eine vorstehende Querstrebe der Außenhülle, sein schmerzerfüllter Aufschrei ging im Heulen eines Alarmsignals und dem Schadensbericht der Computerstimme unter. Funken flogen durch das Cockpit und blendeten Max, der sich, mit ganzer Kraft an seine Konsole geklammert, irgendwie auf dem Sitz gehalten hatte.
„Robertson, verdammt…“ Er konnte nichts mehr sehen, Brandgeruch und der Sauerstoffmangel taten ihr übriges zur fast vollkommenen Orientierungslosigkeit. Es war vorbei. Es gab nur mehr einen Ausweg und der hieß Flucht. Er hatte keine Ahnung von der Steuerung, ja wusste nicht einmal, wie der Frachter zum Feind stand, den der Hauptbildschirm hatte zusammen mit den meisten anderen Brückensystemen gleich nach dem Treffer unter protestierendem Flimmern und Splittern den Geist aufgegeben. Aber eine Richtung war so gut wie die andere, nur weg.
Mit verschwommenen Blick und tränenden Augen beugte er sich hinüber zu Steves Platz. Die Navigation funktionierte noch, soviel konnte er noch erkennen. Beißender Rauch drang in seine Kehle, jeder Atemzug wurde zur Jagd nach dem schwindenden Sauerstoff. Seine Sinne schwanden, das spürte er. Nur weg.
Mit letzter Kraft tippte er Koordinaten in das Steuersystem, die ihm bereits nichts mehr sagten. Bewusstlos brach er über dem Terminal zusammen.
Als das imperiale Schlachtschiff ITF „Harvester III“ zusammen mit seinem Geleitverband nahe des Planeten Rydike aus dem Hyperraum sprang, bot sich seinem Kommandanten ein überraschendes Bild. Auf dem Brückenmonitor verfolgte er den Flug eines kleinen Rebellenfrachters, der, schwer beschädigt und Trümmer hinter sich herziehend, aus einem gut angelegten Angriffskurs plötzlich in eine weittragende Kurvenbahn schwenkte. Die Flugrichtung hätte das Schiff durchaus tiefer in das Sonnensystem tragen können, weg von der Schlacht um die rebellische Kolonie – wenn nicht die „Storm II“ unkorrigierbar seine Flugbahn gekreuzt hätte. Die schiere Masse des Frachters schlug durch die ohnehin schon geschwächten Seitenschilde der Fregatte und verwandelte beide Schiffsrümpfe in einen treibenden, brennenden Trümmerhaufen. Zahllose Explosionen aus dem Inneren der Wracks rissen Aufbauten und Geschütztürme ab, ließen Panzerplatten bersten und schleuderten zappelnde Menschen in den Weltraum hinaus. Schließlich schien sich der Impulsgenerator eines der Schiffe völlig überladen zu haben, denn zuckende, gelbgrüne Strahlenkaskaden erleuchteten kurze Zeit die Umgebung, überstrahlten sogar für einen Sekundenbruchteil die rote Sonne und blendete die Beobachter an Bord der neu eingetroffenen Flotte. Dann vergingen beide Schiffe in einer gleißenden Strahleneruption und hinterließen nichts als mikroskopischen Staub.
Der Captain der „Harvester III“ starrte noch lange nach der Explosion in die Schwärze des Alls hinaus, genau an jenen Punkt, wo sich noch vor kurzem die beiden verfeindeten Schiffe ineinander gefaltet hatten. „Haben sie jemals solchen Heldenmut gesehen, Haroth?“, sprach er seinen Adjutanten hinter sich an, ohne den Blick von dem Sichtfenster zu wenden, an dem er nun stand. „Nein, Sir… ich denke nicht.“ Der Adjutant schien unsicher zu sein, was sein Vorgesetzter von ihm wollte.
„Im Angesicht des eigenen Todes noch einen Feind mit sich reißen zu wollen, um eine verlorene Schlacht zu gewinnen, das ist wahre Größe. Finden sie nicht auch?“
Haroth überlegte kurz. „Eigentlich… nein, Sir.“
„Nein?“ Der Captain drehte sich jetzt doch zu seinem Untergebenen um und hob eine Augenbraue. „Was sehen sie denn dann in einer solchen Tat?“
„Dummheit, Sir.“
Der Captain dachte einen Moment lang darüber nach. Dann gab er den Befehl, die Pharsus-Kolonie auszulöschen.