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Heldenverehrung
Der Hubschrauberpilot, der mitten auf der Kreuzung vor meinem Bürofenster, gegen sein Fluggerät gelehnt, genüsslich eine McDonaldspappe verspeiste, stand da als gäbe es in meiner Stadt nichts Alltäglicheres als dieses Bild.
Keine fünf Minuten zuvor hatte er seinen natogrünen SAR Hubschrauber mit lautknatterndem Getöse mitten auf die Kreuzung gesetzt gehabt. Er hatte den Wind mitgebracht, der sich, je dichter sich der Hubschrauber dem Boden näherte, zu einem Sturm gesteigert hatte. Blätter waren aufgewirbelt, mitten im Frühling, Dreckwolken waberten nach Opfern, um sie einzuhüllen und ich fand mich weise, weil ich das Fenster sofort geschlossen hatte.
Von anderen Hubschrauberlandungen wusste ich, dass sich der gesamte Straßendreck binnen Sekunden in meinen Raum drückt.
Der Pilot war behende aus seinem Hubschrauber gesprungen, schon das rote Fixierseil in der Hand, mit welchem er das Rotorblatt sicherte, damit es nicht weit ausholend hin und her schwenken konnte.
Seine Passagiere, der Notarzt und ein Sanitäter waren mit ihren Koffern in Richtung einer Häuserzeile gehastet, die ich nicht mehr im Blick hatte.
Die beiden waren mir auch nicht wichtig, sondern dieser Pilot faszinierte mich. Der Inbegriff von Coolness. Prototyp aus den Werbefilmen, in denen harte kernige Männer sich am Ende als Belohnung eine Zigarette anzünden.
Nein, so wirkte er eigentlich nicht. Er war von eher kleinerer Statur und sah in seinem olivgrünem Overall und dem dazu passenden Helm unscheinbar aus. Trotzdem hätte ich was darum gegeben, wenn er zu meinem Fenster aufgeblickt und mir die Gunst seines Lächelns geschenkt hätte.
Das hätte mir viel bedeutet. Wie, wenn der Sieger des ritterlichen Turnierkampfes hoch zu Ross in Höhe seines Burgfräuleins stattlich Position einnimmt. Huldvoll seine Lanze senkt und sein Haupt vor ihr verneigt. Welch grandioser Auftritt und ich hätte mich zum bezauberndsten Lächeln animiert gefühlt und ihm meinen Jungfernkranz auf seine Lanze gesteckt.
So wars aber nicht.
Mein Pilot rannte statt dessen den behelmten Kopf leicht zum Spurt gesenkt über die Kreuzung, um sich Abwechslung von seinem, so mutmaße ich, eintönigen Kantinenessen zu verschaffen.
Gabs bei der Bundeswehr immer noch diese schwerverdauliche Erbsensuppe aus der Feldküche?
Auf der Stelle war es aus mit meinen romantischen Gefühlen und mein Tagtraum, der als schillernde Seifenblase geschwebt hatte, platzte.
Beinahe wäre er überfahren worden, als er quer über die Kreuzung zum Fastfoodtempel spurtete. Die Autofahrer hatten nämlich keinen Blick für ihn gehabt, sondern nur für das ungewöhnlich hochaufragende Gebilde mitten auf der Kreuzung, das als Verkehrshindernis von ihnen geschickt umfahren werden musste.
Na gut, dachte ich, das hier ist die neue Generation von jungen Leuten, die essen Fastfood halt gern und fliegen extra mit einem Hubschrauber vor. Welch Werbegag.
Vermutlich hätte der Manager von McDonalds, wenn er das Schauspiel mitbekommen hätte, in die Tischkante gebissen, weil er es nicht gefilmt hatte, wie gleich nach der Landung der Pilot in seine Filiale stürmte.
Das wiederum verschaffte mir Genugtuung, denn ich malte mir aus, was für ein imposanter Film diesem Manager durch die Lappen gegangen war.
Mein Pilot hatte nämlich eine geradezu heldenhafte Landung auf der Kreuzung vollbracht und meine Gedanken schweiften zu den Minuten zurück als das laute Geknatter seines Hubschraubers sich zu der Gewissheit verdichtete, dass die Kreuzung das Ziel seiner Kufen sein würde.
Irgendetwas musste mit unserer deutschen Gründlichkeit gründlichst daneben gegangen sein, denn der Hubschrauber stand in der Luft direkt über der Kreuzung, während unter ihm der Verkehr munter weiterfloss. Weit und breit keine Polizei, die mit wichtiger Gebietermiene den Verkehr stoppte.
Unsere hanseatischen Autofahrer befuhren diese Kreuzung ohne die geringsten Zögerlichkeiten als seien sie es täglich gewohnt, sich die Strasse mit landenden Hubschraubern zu teilen.
Die gleichen Autofahrer übrigens, die bei nach längeren Trockenperioden einsetzendem Regen so erschrocken und unbeholfen fahren, dass die Stadt im Verkehrsstau versinkt.
Diese Autofahrer taten jetzt als wäre zwischen ihnen und dem Hubschrauber genügend Platz, sich die Kreuzung zu teilen. Sie fuhren munter weiter.
Und mein Held flog munter tiefer.
Aus meiner Perspektive sah es so aus, als wollte er auf einem winzigen mit Rasen bewachsenen Stück Verkehrsinsel landen. Gerade mal so groß, dass die beiden Kufen des Hubschraubers darauf gepasst hätten. Der Pilot öffnete seine Cockpittür und schaute nach unten und zur Seite, wie ein Autofahrer, der vorhat in eine schmale Parkbucht einzurangieren. Da in meiner wundervollen Stadt Verkehrsinseln mit Vorliebe mit Straßenschildern bestückt sind, so auch hier, fiel mir bei diesem Flugmanöver die Kinnlade runter.
Verwegener, dachte ich, du wirst noch eines der Schilder mit deinen Rotorblättern köpfen und ich malte mir schon die Schrecknisse aus. Sah wie Teile durch die Luft geschleudert wurden und Menschen getroffen und verletzt zu Boden gingen.
Ich verfüge über ein besonderes Gen, welches in der Lage ist aus den schlichtesten Problemen die furchterregendsten Katastrophen zu phantasieren. Ich sah bereits die Scheiben meines Büros zerstört und mich von so einem herumfliegenden Teil erschlagen.
Das änderte nichts daran, dass ich todesmutig weiter aus dem Fenster blickte. Mein Hang zur Heldenverehrung war offensichtlich stärker als der Drang zu überleben.
Schon mit der Muttermilch sog ich ein, was dann später in dem Satz mündete: "Kind, such dir einen Mann, zu dem du aufblicken kannst, die sind interessanter im Leben."
Anfänglich brauchte ich noch etwas Zeit, die tiefe Bedeutung dieses Satzes zu verstehen, denn mein erster Freund maß 1,92 m und ich bildete eine Menge Nackenmuskulatur aus, um zu ihm aufzublicken.
Mein Pilot hatte in der Zwischenzeit die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens eingesehen und war ein paar Meter weiter in die Kreuzungsmitte geflogen.
Er nahm es nun mit den Autofahrern im Nahkampf auf.
Von seiner Position aus gingen in genau sieben Richtungen Straßen ab. Er hatte sich eine der meistbefahrenen Kreuzungen in meiner Stadt ausgesucht.
Ich war stolz auf ihn.
Keiner gab nach. Er flog tiefer, während die Autofahrer stur weiterfuhren. Wer das grüne Ampellicht hatte, fuhr.
In diesem Punkt haben wir Deutschen einen unbeirrbaren Obrigkeitsglauben, der jeden Nichteinheimischen zutiefst beeindruckt.
Mein Held flog trotzdem tiefer, so dass die ersten Autofahrer sich hätten überlegen müssen, wie sie ihrer Versicherung eine Kollision mit einem Hubschrauber hätten erklären können.
Und als hätte ein Regisseur endlich die Regieanweisung gegeben, dass die Polizei in Aktion treten solle, erschien diese.
Blaulichtig, vermutlich lautlos, aber wer weiß das schon, ob man über den Einsatzbefehl so überrascht war, dass man das Martinshorn vergaß oder ob mein Pilot mit seinem donnerndem Flugobjekt alles übertönt hatte.
Mein Held hatte in der Zwischenzeit mit der Unbeirrbarkeit eines Mannes, der nicht gewillt ist, den ins Visier genommenen Parkplatz freiwillig herzugeben, sorgsam und äußerst bedachtsam die Kufen auf das Betonpflaster der Kreuzung gesetzt.
Und jetzt stand er da, dicht an seinem Hubschrauber wie ein Autofahrer, der seinen unverschlossenen Wagen bewacht und aß Fastfood.
Wie enttäuschend. Hatte man mir doch schon in die Wiege gelegt, dass besondere Männer ausschließlich Besonderes taten. Und dieser hier?
Der brachte alles durcheinander und weigerte sich, mein Held zu sein.
Ernüchtert wandte ich mich vom Fenster ab.
Nach einer ganzen Weile startete er seinen Blechvogel und die knallenden Motorengeräusche und meine Neugierde lockten mich doch an die Scheibe.
Um ihn herum wütete der Orkan, welcher durch die Rotorblätter unermüdlich jeden Passanten im Umkreis durchschüttelte und die Bäume schwanken ließ. Alles duckte sich oder floh die Windpeitschen, während er sein Fluggerät mit Präzision in die Luft hob.
Ruhig als sei er im Auge des Orkans.
Nachdem das bedrohliche Getöse der Maschine verebbt war, tönte aus dem einsetzenden Verkehrslärm ganz zart das sirenenartige Hupen einer Autoalarmanlage. Offensichtlich hatten die durch meinen Helden ausgelösten Erschütterungen Fehlalarm ausgelöst.
Eigentlich passte das Geräusch am Ende ganz gut, dachte ich: Heldenfehlalarm.