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Herbst
An einem kalten Novembernachmittag harkt ein Mann Blätter, um sie im Hof zu verbrennen. Der Tag ist in Nebel gehüllt; als ob ein Geheimnis in der Luft schwebe. Der kalte Ostwind durchdringt die Kleidung des Mannes, der sich auf seinen Rechen stützt und die spielenden Kinder beobachtet. Trotz des kalten Wetters vergnügen sie sich auf dem Spielplatz neben seinem Haus. Ihre Leichtigkeit und die unbekümmerte Art erinnert ihn an seine Kindheit und an sein früheres Leben. Die Kinder lassen ihn die Trauer der letzten Monate vergessen. Wenn auch nur für einen Moment.
Als er die Augen schließt bestimmt die Vergangenheit sein Denken. Vor seinem geistigen Auge erscheint die Frau die er liebte und die ihn liebte.
Sie liefen um die Wette, ihre nackten Füße trugen sie durch goldbraune Blätter. Sie war ihm weit vorraus, drehte sich um, lächelte und ließ sich in ein Meer aus Blättern fallen. Er legte sich neben sie, nahm sie in seine Arme und sah ihr in die Augen. Wie Smaragde funkelten sie; das kostbarste Schmuckstück einer Frau sind ihre Augen.
Sie wälzten sich im Blätterbad, behütet und mit sich alleine. Die Welt war nicht mehr wichtig und selbst Gott schien nicht mehr zu existieren. Die beiden flogen durch das Universum und fielen ins Meer, ließen sich treiben und stopften die Löcher in ihren Seelen.
Der Mann öffnet die Augen aus denen Tränen laufen. Leztes Jahr im Herbst ist sie gestorben.
"Warum bist Du soweit weg?"
"Ich mußte gehen. Meine Zeit auf der Welt war vorbei."
"Ich bin alleine."
"Das bist Du nicht, ich bin immer bei Dir."
"Ich weiß, genau das macht mir Angst. Ich denke jeden Tag an Dich."
"Was ist daran falsch?"
"Ich habe Angst mich zu verlieren."
"Du wirst Dich nicht verlieren. Du bist mein Mann, du hast Dich noch nie verloren. Meine Liebe begleitet Dich jeden Tag. Dir wird nichts passieren."
"Ich fühle mich leer."
"Dann fülle die Lücken. Fange wieder an zu leben!"
"Wie soll ich das machen?"
"Mache das, was Du früher auch getan hast. Gehe wieder mit dem Hund spazieren, treffe Dich mit Freunden. Schreib doch auch mal wieder!"
"Ich bringe nichts zu Papier. Die Welt ist mir so fremd geworden."
Du bist ihr fremd geworden. Deshalb scheint sie Dir auch so unreal."
"Du bist meine Welt."
"Eine Welt die Dir nicht das geben kann was Du brauchst."
"Kannst Du Dich noch an die Frau erinnern, die uns bei unserer ersten Verabredung beim Knutschen beobachtet hat?"
"Ja."
"Weißt Du noch was sie gesagt hat?"
"Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir liebten."
"Glaubst Du daß unsere Summe gut genug ist?"
"Unsere Summe wird sich fortsetzen."
"Ich liebe Dich."
"Ich liebe Dich auch."
"Auf wiedersehen."
Es ist kein Abschied für immer, nur für eine Weile. Zuerst muß der Mann seine Lücken füllen und wieder anfangen zu leben. Seine Zeit ist noch nicht gekommen.
Der Mann harkt weiter das Laub, wird es verbrennen und der Duft wird den Wald erfüllen. Die spielenden Kinder werden den Geruch bemerken, der in ein paar Jahren an ihn erinnern wird.
Am Ende seiner Reise.