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Herbsttag

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19.03.2003
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Herbsttag

Es ist 17:12 Uhr, die Sonne scheint noch warm in mein Arbeitszimmer, doch der Herbst hält hartnäckig Einzug, ich sehe Nonnengänse unter den Wolken, auf dem Weg in den Süden. Eine dicke Kreuzspinne hat ihr Netz vor meinem Fenster gesponnen und fasziniert betrachte ich den Todeskampf einer schillernden Libelle, hole meine Digitalkamera und linse durch den Sucher. Das Kreuz auf dem dicken Leib tritt deutlich hervor.

Es ist 22:46 Uhr. Die Schreibtischlampe ist ein Relikt aus den Siebzigern und ein Wackelkontakt am Schalter verweigert der sechzig Watt Glühbirne die nötige Stromzufuhr, damit sie leuchten kann. Mein Zeigefinger drückt wiederholt und ungeduldig den weißen Anschaltknopf, doch die Lampe will nicht, bis ich schließlich den Schalter gedrückt halte und warte.

Warte, dass Licht die Dunkelheit erhellt.

Es ist 23:26 Uhr, mein PC ist hochgefahren und ich kopiere die digitalen Bilder vom Speicherchip des Fotoapparates. Die Spinne, die Libelle, die Nonnengänse und die herbstliche Blutbuche, aufgenommen am 12.09.2009.

Auch ältere Aufnahmen werden übertragen. Schnappschüsse, wie aus einer anderen Zeit. Einschulung, Sommerurlaub, Hochzeitstag, Weihnachten. Timo mit Hannah, strahlende Kinderaugen, fest auf die Kamera gerichtet. Aber kein Bild von mir.

Es ist 02:02 Uhr. Der Fernseher läuft, treibt die Stille aus dem Haus. Zwanzig Filme sind auf der Festplatte des Decoders gespeichert, die Headtitles sind nach Aufnahmedatum gelistet. Der cursor zeigt Titel auf Titel, mit der kleinen gelben Taste der Fernbedienung lösche ich Vergangenes aus.

Es ist 07:15 Uhr. Ich muss eingeschlafen sein. Steif erhebe ich mich vom Sofa. Nebel hat Spinnenweben zu Seidentüchern werden lassen.

Es ist 09:15. Die Tachonadel steigt. Die Sonne durchbricht den Schleier. Blendet. Mein Herz rast mit mir um die Wette.

Es ist 09:18 Uhr. Endlich der verbrannte Geruch von Gummi.

Ich vermisse Euch.

 

Hei Goldene Dame,

beim Lesen des Textes bespringt mich das Gefühl, dass das Wesentliche in dem steckt, was nicht ausdrücklich benannt wird. Allerdings wird dieser Umstand für meinen Geschmack dem Leser zu plakativ vorgesetzt, funktioniert zu wenig als Geschichte. Denn diese tagebuchartigen Einschübe der Uhrzeit lassen das Ganze wie ein Logbuch wirken, nicht wie etwas, das man gern liest.
Ich denke, wenn Du etwas transportieren möchtest, das nicht auf den ersten Blick erkennbar sein soll, kannst Du das subtiler.

'...hole meine Digitalkamera und linse durch den Sucher...' - das wäre ungewöhnlich, weil die meisten Digitalkameras gar keinen Sucher mehr haben. Und selbst wenn gelegentlich ein Sucher dabei ist, verwendet man eigentlich den Monitor, weil man damit Spinnen besser erkennen kann ...

'... verweigert der sechzig Watt Glühbirne die nötige Stromzufuhr, damit sie leuchten kann.' - ja, wozu sonst wohl sollte eine Glühbirne Strom brauchen?
Überhaupt ist 'ein Wackelkontakt ... verweigert ..., damit ... sie leuchten kann' als Satz falsch konstruiert und sinnentstellend.

'... kopiere die digitalen Bilder vom Speicherchip ...', tja, analoge Bilddateien sind auf digitalen Medien recht selten zu finden. ;-)

'Schnappschüsse, wie aus einer anderen Zeit. Einschulung, Sommerurlaub, Hochzeitstag, Weihnachten.' - wieso 'wie'? Die Bilder sind doch aus einer anderen Zeit?

Meine Bemerkungen habe ich jetzt ohne Kenntnis der anderen Kommentare gemacht.

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo Gox,

..hole meine Digitalkamera und linse durch den Sucher...' - das wäre ungewöhnlich, weil die meisten Digitalkameras gar keinen Sucher mehr haben. Und selbst wenn gelegentlich ein Sucher dabei ist, verwendet man eigentlich den Monitor, weil man damit Spinnen besser erkennen kann ...
Meine ist ne Spiegelreflex und da kannst du nur durch den Sucher linsen. Der Monitor zeigt nur an, was du fotografiert hast.

... verweigert der sechzig Watt Glühbirne die nötige Stromzufuhr, damit sie leuchten kann.' - ja, wozu sonst wohl sollte eine Glühbirne Strom brauchen?
Überhaupt ist 'ein Wackelkontakt ... verweigert ..., damit ... sie leuchten kann' als Satz falsch konstruiert und sinnentstellend.

Mir fällt nicht auf, was daran sinnentstellend sein soll. Habe ich ein Brett vorm Kopf???

'

... kopiere die digitalen Bilder vom Speicherchip ...', tja, analoge Bilddateien sind auf digitalen Medien recht selten zu finden. ;-)

Ich erkläre gerne ;)
'Schnappschüsse, wie aus einer anderen Zeit. Einschulung, Sommerurlaub, Hochzeitstag, Weihnachten.' - wieso 'wie'? Die Bilder sind doch aus einer anderen Zeit?
nein, sind sie nicht.

Danke fürs Lesen

LG
GD

 

Hallo Goldene Dame,

ich klick mich gerade so ein bisschen durch die unendliche Weite dieses Forums.
Nichts geschieht in Deiner Geschichte. Und doch fängt das Herz an zu klopfen bei der Lektüre. So dass man den Text überrascht noch mal von vorne beginnt. Und nochmal. Das "Geheimnis," das von manchen angesprochen wurde, kann ich nicht lösen. Aber Lust auf mehr hat mir die Geschichte gemacht..

 

Hallo goldene Dame.

Ich mag deine Geschichte sehr, gerade weil sie beim Lesen zu meiner Geschichte werden darf.
Vielleicht macht sie es einem nicht leicht sich damit zu identifizieren, aber wer schon mal auf jemanden wichtigen warten musste, es kaum erwarten konnte und dann in die Welt hinausschaut, nimmt diese plötzlich anders wahr.

Und obwohl viele an sich schöne Dinge beobachtet werden konnten, kann er/sie sich nicht daran erfreuen, weil das Gefühl des Vermissens einfach zu stark ist.

Zumindest ist es das, was ich herauslese und in diesem Kontext finde ich die Geschichte genau richtig.
Es spielt einfach keine wirkliche Rolle, aus welcher Zeit die Fotos sind, was auf ihnen ist, was beobachtet wurde und ob die Lampe brennt oder flackert oder irgendetwas dazwischen. Wichtig ist nur, dass all diese Eindrücke schlicht weg beim Vermissen untergehen.

Auch wurde kritisiert, dass die Sätze anfangs länger sind als später und damit ein Stil verändert wurde.
Genau das finde ich z.B. sehr gut. Je länger man wartet, desto schlimmer wird es. Anfangs weiß man eben noch, mit was man sich ein wenig ablenken kann. Das funktioniert aber nicht. Und mit jeder Minute die verstreicht, wird das eben schlimmer. Und so werden auch die Notizen und Sätze Kürzer. Bis endlich die Befreiung statt findet.

Erstaunlich fand ich, dass diese schon gar nicht mehr gefeiert wird, so erschöpft schien mir der Erzähler.
Das ist Geschmackssache, sollte es aber nahe an deine Gedanken kommen, ist es sehr gut ausgedrückt.

 

Hallo T Anin,
Danke, dass du beim durchklicken hier angehalten hast. Ich freue mich, dass dich die Geschichte berührt hat, auch wenn das "Rätsel" nicht gelöst werden konnte. Es war meine Absicht mit dieser Geschichte Gefühle zu wecken und Herzklopfen hat es bei dir ausgelöst- welch ein Kompliment :)
Hallo Tiltik,
Die Essenz hast du herausgelesen und daher finde ich auch wichtig, dass du mir mitteilst, dass du am Ende der Befreiung Freude erwartet hast. Ich hätte es mir für meine Protagonistin wünschen können, und das Ende entsprechend kreieren können. Aber ich habe mich anders entschieden, weil die Befreiung oder Erkenntnis nur notgedrungen aus der Erschöpfung entstanden ist und die Geschichte, -wenn sie weiter geschrieben werden würde, sich wiederholen würde. Die verschobene Wahrnehmung der Potagonistin ist für sie essentiell, denn die Erkenntnis der Wahrheit wäre zu schmerzhaft.

Danke Euch beiden

LG
GD

 

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