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Herr Sander

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24.03.2019
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Herr Sander

Diese Hand ist nicht meine. Sie gehört einem fremden, schönen und starken Mann. Diese Hand fährt zärtlich über meinen Unterarm, gleitet sacht über die Härchen, die sich sogleich aufstellen. Ein wohliger Schauer fährt mir über den Rücken und ich lege den Kopf in den Nacken, schaue nach oben, durch die Decke, direkt in einen blauen Himmel. Jeder Muskel meines Körpers ist jetzt angespannt. Die Hand wird fordernder, legt sich auf meinen Oberschenkel, fährt zunächst zögerlich, dann bestimmt an ihm hoch. Fingerspitzen tauchen unter den Bund des Höschens, fahren in die Höhle, die feucht und warm wird. Schon füllen zwei Finger meinen Schoß aus, jede ihrer Bewegungen ist präzise und doch liebevoll. Die Hand weiß was sie tut. Sie überträgt Energie. Ihre Hitze staut sich am Eingang und entlädt sich dann über die Finger ins Innere meines Körpers. Das Feuer, die Flammen erfüllen mich durch und durch. Schweiß perlt auf meiner Haut. Ich glühe, ich brenne, es lodert überall. Ich komme. Ich schreie.

Ich verglühe, das Feuer erlischt. Ich komme zur Besinnung, bin wieder da, schwer atmend, aber bei Bewusstsein. Ich bin allein. Die künstlich entfremdete Hand ist meine, ich erkenne sie wieder, nehme Kontakt auf.

Der schöne, fremde und starke Mann. Es hat ihn nie gegeben. Ich stehe auf und mache mich fertig für die Arbeit.

*​
6.15 Uhr. Ich sortiere die Medikamente mit Minh-Vi. Sie ist nett und süß, aber hilflos. Sie möchte immer alles richtig machen und macht doch vieles falsch. Mit ihrem strahlenden Lächeln und der zierlichen, aber femininen Figur, macht sie einiges wett. Auch bei den Bewohnern, vor allem den männlichen.
„Musse noch lernen“, sagt sie. Ich lächele zurück und denke an Herrn Sander, den Minh-Vi gleich waschen, anziehen und zum Frühstück in den Aufenthaltsraum bringen soll.

Ich erinnere mich an den Tag, als er zu uns kam. Wie er plötzlich im Flur stand: groß, drahtig, im marineblauen Anzug und mit einem wachen Blick. Er hatte keine Koffer dabei und wirkte auf den ersten Blick wie ein Mann Anfang siebzig.
„Zu wem möchten Sie denn?“, fragte ich ihn, in der Annahme, er besuche hier jemanden.
„Zu Ihnen!“, erwiderte er mit seinem dunklen Timbre, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen.
„Papa!“, kam es plötzlich von der Eingangstür. Ein Mann Ende vierzig, gutaussehend, kräftig und noch ein bisschen größer als sein Vater, stolperte mit einem Rollkoffer herein und gesellte sich zu uns.
„Guten Tag“, sagte er, an mich gerichtet. „Ich bin Frank Sander, das hier ist mein Vater Oskar Sander. Er ist ab heute Bewohner hier.“
„Ach so“, lachte ich. „Na dann kommen Sie, ich bringe Sie zur Rezeption, oder noch besser, zur Heimleitung.“
Die beiden Männer folgten mir gehorsam. Auf dem Weg zur Chefin sah ich mich nur einmal nach ihnen um. Sie lächelten mich an, ich lächelte zurück und erkannte den alten im jungen Mann und umgekehrt. Beide wirkten wie Figuren aus einer Filmwerbung für Altersvorsorge. Dynamisch, gefasst, souverän und mitten im Leben stehend. Ich verspürte Neid auf und Ehrfurcht vor dieser Familie, die einer alten Linie zu entstammen schien und etwas darstellte.

„Guten Morgen, Herr Sander“, sage ich fröhlich, als ich mit Minh-Vi das Zimmer betrete.
„Guten Morgen, Frau Roth“, erwidert er, im Bett liegend, von seiner Zeitung aufsehend.
„Gutte Mogge, He Sande!“, sagt auch Minh-Vi, und ich empfinde sie plötzlich als störend. Die Atmosphäre ist dahin.
„Frau Nguyen wird sie heute morgen waschen“, sage ich und meine, einen Hauch von Enttäuschung auf seinem Gesicht zu erkennen.
„Einverstanden“, erwidert er.

In den ersten sechs Monaten nach seiner Ankunft konnte Herr Sander sich noch alleine waschen. Überhaupt war er sehr rüstig. Wenn ich morgens in sein Zimmer kam und er mit nacktem Oberkörper am Waschbecken stand, erinnerte er mich an Clint Eastwood in ‚Die Brücken am Fluss’. Verlebt, ungewaschen, und doch eine imposante Erscheinung. Dann jedoch war er von der Treppe im ersten Stock gestürzt und hatte sich einen komplizierten Wadenbein- und Schienbeinbruch zugezogen. Der anschließende Genesungsprozess hatte länger als erwartet gedauert und danach hatte er Mühe, sich länger als zwanzig Minuten auf den Beinen zu halten. Aber er machte immer noch Physiotherapie, in der Hoffnung, wieder so mobil zu werden wie bei seiner Ankunft.

Minh-Vi macht alles nach Vorschrift: Sicherstellen einer angenehmen Lage, Entkleidung des Oberkörpers, Handtuch drunter, Augenreinigung vom äußeren zu inneren Augenwinkel hin, Waschung der Arme vom Handgelenk zum Herzen hin, Entkleidung des Unterkörpers, Abdeckung der Intimregion, Waschung der Beine vom Fuß zum Herzen, Intimpflege mit einem Waschlappen. Schließlich wieder anziehen und für bequeme Liegeposition sorgen.

Herr Sander scheint es zu genießen. Eine Asiatin, die ihn wäscht, und eine Europäerin, die dabei zusieht. Er sieht darin etwas Sinnliches. Minh-Vi sicherlich nicht.
„Frau Nguyen bringt sie jetzt in den Frühstücksraum“, sage ich zum Abschied. „Bis später“.
„Bis später, Frau Roth!“

*​

Verhüllen, enthüllen. Anziehen, ausziehen. An so manchem Abend, nach der Arbeit und der Dusche, creme ich mich zuerst mit einer vitalisierenden Körperlotion ein. Wenn der Dampf im Badezimmer aufsteigt und mir der Geruch des Jojobaöls in die Nase steigt, wenn die nassen, schwarzen Haare glatt anliegen, dann betrachte ich mich gerne im großen Spiegel. Wenn sich die Schwaden verflüchtigen, wenn sich das beschlagene Bild langsam schärfer stellt, wenn ich meinen üppigen Busen, meine Scham und die glatt rasierten Beine erkenne, verspüre ich ihn wieder: den Wunsch, mich zu berühren, mich zu liebkosen, zu streicheln. Gut zu mir zu sein. Ich genieße das Gefühl von strammem Fleisch in meiner Hand, das Gefühl straffer Haut. Ich bin jung und schön, denke ich. Warum nur, frage ich dann, will mich keiner?

Nach der Pflegezeremonie im Bad gehe ich ins Wohnzimmer und trage die verschiedensten Stoffe auf: Seide, Leinen, Kaschmir, Musselin, Batist, Taft. Leichte, weich fallende Textilien, die sich sanft wie eine Katze an meinen Körper schmiegen. Auf der nackten Haut passen sich die leichten Stoffe meinen weiblichen Rundungen an, akzentuieren den Busen und das Becken. Wenn ich dann noch die schwarzen Pumps dazu anziehe, empfinde ich mich als unwiderstehlich, als sinnlich und gefährlich. Ich werde für ein paar Momente zur femme fatale, zum männermordenden Vamp, der mit einem Blick allein den Willen der stolzesten Kerle bricht. Dann bin ich nicht Frau Roth, die Altenpflegerin, sondern Salammbô, Kleopatra und Mata-Hari. Ich bin die personifizierte Verführung.

*​
Satt, sauber, still. Das war die Devise in meinem letzten Pflegeheim. Für mehr blieb keine Zeit. Ein persönliches Gespräch mit einem der Bewohner war absoluter Luxus, eigentlich undenkbar. Acht Tage arbeiten, einen Tag frei, acht Tage arbeiten. Einmal habe ich alle dreiundzwanzig Personen meiner Station alleine versorgt.
Wie gut es mir jetzt im Dreilindenhof geht, merke ich schon beim Frühstück. Manchmal kann ich bis zu einer halben Stunde neben einem der Bewohner sitzen und mich mit ihm unterhalten. Anfangs hatte ich immer Angst, dass die Chefin kommt und mir einen bösen Blick zuwirft. Aber nein. Stattdessen gab es Lob für meine individuelle Betreuung.

Ich unterhalte mich gerne mit Herrn Sander. Ich sitze gerne neben ihm. Während andere sich gelegentlich gehen lassen, kommt Herr Sander stets gepflegt zum Frühstück. Selbst nach seinem Beinbruch, als er mit Rollstuhl zum Frühstückstisch gebracht werden musste, achtete er darauf, frisch rasiert und frisiert am Tisch zu sitzen. Sein After Shave riecht nach alter Schule, herb und männlich.
„Wie geht es Ihnen heute, Frau Roth?“
„Gut, Herr Sander, danke der Nachfrage. Wie geht es Ihnen?“
„Danke, gut. Ich habe die Buddenbrooks fast beendet. Ich lese es zum dritten Mal, aber ich werde dieses Buch nie müde. Kennen Sie Thomas Mann?“
„Dem Namen nach. Aber gelesen habe ich nichts von ihm.“
„Nun ja, es ist auch ein alter Schinken. Genau wie ich. Was machen Sie denn so in Ihrer Freizeit?“
„Ich tanze.“
„Wie wunderbar. Klassische Tänze?“
„Auch, ja!“
„Vielleicht darf ich Sie ja mal zu einem langsamen Walzer auffordern. Einem sehr langsamen.“
„Sehr gerne!“

*​

Ich denke noch oft an Julian. Und an den Sex mit ihm. Nie zuvor und nie danach habe ich einen Mann so intensiv gespürt wie ihn. Jedes Mal, wenn wir miteinander geschlafen hatten, versuchte ich, das Erlebte schriftlich zu fixieren. Meine Sicht, seine Sicht. Es war der zum Scheitern verurteilte Versuch, gelebtes Leben einzufangen, zu bewahren, für die Zukunft. Ich wollte bewusst darüber schreiben. Seine Idee, es zu filmen, lehnte ich ab. Ich ahnte, nein, ich wusste, dass eine Kamera unsere Gefühle beim Sex nicht abzubilden vermochte. Was hätten wir gesehen? Hüllen, nacktes Fleisch, plumpes Dekor, aber das Innerste wäre uns auf den Bildern verborgen geblieben.

Manchmal hole ich mein Notizbuch hervor und lese mir aus meinen Aufzeichnungen laut vor: „Alle seine Muskeln waren eins, all seine Kraft war eine Kraft, konzentriert in diesem Körper, in dem er sich selbst fand und wieder verlor, fand und wieder verlor. Alles in ihm drängte nach außen, wie Magma unter einem harten Stein, der nun glühte und schmolz, glühte und schmolz. Dann, plötzlich, explodierte er, wie ein aktiver Vulkan, der Lava spie. Und ich war sein Himmel, in dem sich das flüssige Feuer ergoss, wild, unkontrolliert und frei, so frei. Schließlich entzog er sich mir, abrupt, betrachtete in völliger Erschöpfung und Zufriedenheit das Nachbeben in meinem Körper. Jetzt war ich der Vulkan.“

Mit einunddreißig starb Julian bei einem Autounfall. Er war auf dem Weg zur Arbeit, neben ihm saß ein Kollege. Sie gerieten in einen Stau, hielten an. Ein Sattelschlepper kam angebraust, der Fahrer war kurz vorm Sekundenschlaf und hielt die stehenden Wagen für fahrende. Er fuhr ungebremst auf Julians Wagen auf und presste ihn zusammen. Julian und sein Kollege waren so im Innern des Wagens eingequetscht, dass die Rettungskräfte den Wagen mit ihnen darin abschleppten und sie erst in der Werkstatt aus dem Auto schnitten. Immerhin: Sie waren beide auf der Stelle tot gewesen. Als ich von Julians Tod erfuhr, hatte ich ihn schon über ein Jahr nicht mehr gesehen.


*​

Um 10:30 Uhr steht eigentlich die Dokumentation an. Aber in der Regel müssen um diese Zeit die ersten Bewohner auf Toilette. Da das weniger Arbeit macht, als die Kleidung zu wechseln, wenn sie sich einnässen, verschiebe ich die Dokumentation oft lieber auf später und helfe den Bewohnern aufs Klo.

Ungefähr ein Jahr nach seiner Ankunft helfe ich Herrn Sander das erste Mal auf die Toilette. Ich wundere mich, dass es vorher noch nie passiert ist. Aber am Anfang konnte er es noch alleine und nach seinem Sturz hat er es entweder selbst irgendwie geschafft oder sich von jemand anderem helfen lassen. Fast kommt es mir so vor, als wollte er unbedingt vermeiden, von mir Unterstützung bekommen zu müssen.
„Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten“, ist dann auch das erste, was er sagt.
„Aber Herr Sander“, sage ich sogleich beschwichtigend. „Da ist doch nichts dabei. Und außerdem ist es mein Job.“

Er lächelt mich verlegen an. Er schämt sich. Ich fahre ihn mit dem Rollstuhl, auf den er immer noch angewiesen ist, in sein Zimmer und in die behindertengerechte Toilette. Er schafft es mit meiner Hilfe, sich von den Rollstuhllehnen abzustützen und die Halterung neben dem Klo zu ergreifen. Er hält sich krampfhaft daran fest, während ich ihm die Hose aufmache und diese mitsamt der Unterhose runterziehe. Dann setzt er sich auf die Klobrille und stöhnt erschöpft auf.
„Soll ich bei Ihnen bleiben?“, frage ich höflich.
„Mir wäre es lieber, sie warteten vor der Tür!“
„Kein Problem, Herr Sander. Wenn etwas ist, sagen Sie Bescheid. Ich lehne die Tür nur an.“

Er nickt und schaut mich dankend an. Ich bin gerührt zu sehen, wie wichtig es ihm ist, vor mir seine Würde zu bewahren. Ich bin gerührt, weil ich in diesen Situationen schon ganz andere Sachen erlebt habe. Die meisten Männer, denen ein Leben lang Respekt erwiesen wurde, reagieren empört auf diese vermeintliche Erniedrigung. Sie üben mit ihrer Hilflosigkeit Macht aus. Herr Sanders nicht.

„Sie können kommen“, ruft er nach einer Weile aus der Toilette. Als ich diese wieder betrete, sitzt er angezogen und stolz in seinem Rollstuhl. Ich bin versucht, ihn zu fragen, ob er auch wirklich sauber ist, aber ich bringe es nicht übers Herz.
„Herr Sander!“, sage ich in einem Tonfall der Bewunderung. Er strahlt stolz über das ganze Gesicht.
Ich fahre ihn an sein Bett und helfe ihm hinein. Zeit für die Siesta. Als ich ihn zugedeckt habe und gehen will, ergreift er meine Hand.
„Wissen Sie“, sagt er, und schaut mich eindringlich an, „als ich in den Sechzigern meine Frau kennengelernt habe, das war auf einem Schwoof in Wannsee, da hatte ich tagsüber irgendwas Falsches gegessen und plötzlich war mir speiübel. Ich schaffte es gerade noch vor den Eingang des Gasthofes, dann musste ich mich übergeben, richtig übergeben. Meine zukünftige Frau fand mich draußen so vor, völlig blass und mit Erbrochenem auf dem Hemd. Sie ist kurz reingegangen und kam mit einer Schüssel warmem Wasser und einem Waschlappen wieder. Sie hat mir dann den Mund und das Hemd gewaschen. Das klingt vielleicht albern, aber in dem Moment wusste ich, was Liebe ist. Verstehen Sie?“

Ich schaue ihn an und setze mich auf den Stuhl neben seinem Bett.
„Möchten Sie, dass ich noch ein bisschen bleibe?“
Er nickt und drückt meine Hand.

So sitze ich da, zehn, zwanzig Minuten. Als er eingeschlafen ist, fallen mir die halb offene Schublade seines Nachttisches und das Fotoalbum darin auf. Ich versuche den Impuls zu unterdrücken, aber dann gebe ich doch nach. Ich öffne die Lade und hole das Fotoalbum hervor. Ich finde darin Fotos aus den verschiedenen Phasen von Herrn Sanders’ Leben: Hochzeitsfotos, Fotos von Urlauben, Fotos von seinem Sohn als Baby, Fotos von feierlichen Anlässen, usw. Ein Foto sticht mir besonders ins Auge: es ist eine Schwarzweiß-Aufnahme von Herrn Sander auf einer alten Brücke. Ich vermute, dass es in Venedig ist. Er schaut nach unten auf den Boden, trägt eine schwarze Sonnenbrille und hat das Jackett lässig über die Schulter geworfen. Sein weißes Hemd ist oben offen, eine Strähne hängt von seinem vollen, dunklen Haupthaar herunter und fällt ihm in die Stirn.

Herr Sanders war ein umwerfend gut aussehender Mann, denke ich, und stecke das Foto ein.

*​
Venedig, 1962. Ich bin eine italienische cameriera, ein Zimmermädchen, und arbeite im Hotel Moresco. Ich trage ein traditionelles Kostüm, ein schwarzes Kleid mit weißem Saum und einer weißen Schürze aus hochwertiger Spitze. Mein langes, schwarzes Haar habe ich zu einer Hochsteckfrisur drapiert. Selbstvergessen putze ich, eine italienische Melodie pfeifend, das Schlafzimmer. Plötzlich geht die Tür auf.
Buon giorno“, sagt Herr Sander mit deutschem Akzent.
Scusi tanto“, sage ich sogleich, verschreckt und verschüchtert. Herr Sander fixiert mich mit seinen Augen. Er trägt eine dunkelblaue Hose, dazu ein weißes Hemd, der Kragen ist offen. Sein Blick durchdringt mich, wie ein schleichender Panther bewegt er sich auf mich zu. Ich bin erstarrt, in mir spüre ich eine schöne Angst und ein wohliges Kribbeln. Als er ganz nah bei mir ist, hebt er die Hand und fasst mir sachte ans Kinn. Er will, dass ich ihn angucke. Ich schaue zu ihm hoch und schlage unbewusst die Augen auf. Durch das Fenster weht ein schwacher Lufthauch in das heiße Zimmer. Ein schwülwarmer Tag. Aus der Ferne hört man den Glockenschlag vom Campanile di San Marco. Ich vernehme das Geräusch von aufgeschreckten Tauben, die sich mit einem hastigen Flügelschlag fortbewegen. Auch ich verspüre einen Fluchtinstinkt, bleibe aber wie angewurzelt stehen.

Herr Sander schlägt mit seiner rechten Hand eine Schneise in meine Bluse, greift in den leichten Büstenhalter und ertastet meinen schweren Busen. Er nimmt die linke Hand zu Hilfe und öffnet mit sinnlicher Langsamkeit die Knöpfe meines Kleides. Er zieht mich aus, geduldig und gierig zugleich, er hilft mir aus dem Kleid, entledigt mich meiner Unterwäsche und führt mich zum großen Spiegel vor dem Doppelbett. Er positioniert mich so, dass ich ihn und mich im Spiegel beobachten kann. Ich bin fast vollständig entkleidet, trage nur noch die schwarzen Stiefeletten und die halbtransparente Damenstrumpfhose. Herr Sander lächelt mich über den Spiegel an, seine rechte Hand umfasst wieder meinen Busen. So stehen wir da, ich fast nackt, er noch angekleidet. Seine linke Hand hält meinen rechten Oberarm, übt einen leichten Druck aus, der sagt: Du kannst gehen, aber ich wünsche mir, dass du bleibst. Seine rechte Hand lässt von meinem Busen ab, erkundet begierig den Rest meines Körpers. Wir betrachten uns beide im Spiegel, als wären wir Fremde, die Fremden beim Liebesspiel zuschauen.

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, dreht Herr Sander mich wieder zu sich hin, schaut mir in die Augen und küsst mich. Dann wirft er mich aufs Bett und ich verliere mich augenblicklich in der Intensität der Gefühle.

Als ich aus dem Höhepunkt erwache, liege ich alleine in meinem Bett, das Foto von Herrn Sander in meiner linken Hand.

*​
Um 13 Uhr übergebe ich immer an die Spätschicht. Dann habe ich den Rest des Tages für mich. Manchmal fahre ich dann nach Hause und lege mich erst einmal ins Bett. Manchmal fahre ich aber auch in die Stadt, kaufe Kleidung, trinke einen Kaffee oder gehe sogar ins Kino. Das hängt immer davon ab, wie ich in der Nacht zuvor geschlafen habe. Ich versuche, die Arbeit für den Tag zu vergessen und mich nicht zu sehr mit Gedanken an die Bewohner zu beschäftigen. Das klappt ganz gut. Das hängt aber auch von den jeweiligen Bewohnern und ihrem Zustand ab. Bei einigen Bewohnern bin ich traurig, wenn sie sterben, bei vielen empfinde ich wenig bis gar nichts, und bei den meisten bin ich sogar froh. Froh, weil sie so gelitten haben und das Leid nun ein Ende hat, aber manchmal auch froh, weil sie so unausstehlich waren. Nun soll man niemandem den Tod wünschen, aber in meinem Beruf hat der Tod einen so alltäglichen Charakter, dass er seinen Schrecken verliert. Manchmal glaube ich, dass, wenn ich einem Bewohner den Tod wünsche, man es vergleichen kann mit einem Schüler, der einem anderen Schüler, auf den er neidisch ist, eine schlechte Note wünscht. Oder mit einem Mädchen, das ihrer besten Freundin, die immer die tollen Jungs abbekommt, einen kleinen Unfall wünscht, der ihr hübsches Gesicht entstellt.

Bei Herrn Sander war das alles anders. Wenn ich um 13 Uhr gehen konnte, war ich betrübt, weil ich Herrn Sander allein ließ. In den vorherigen Heimen war häufig einer der Pfleger krank oder hat gekündigt, so dass ich nicht selten eine Doppelschicht machen musste. Im Dreilindenhof sind Doppelschichten grundsätzlich verboten. Ich muss dann nach Hause gehen.

Als Herr Sander Bewohner war, fühlte ich mich um 13 Uhr wie ein Heranwachsender, der frühzeitig eine Party verlassen muss, weil die Eltern es so wollen. Ich wollte nicht gehen. Ich wollte bei Herrn Sander bleiben. Gleichzeitig verstand ich nicht, was mich an ihm so faszinierte. Hatte ich einen Vaterkomplex? War ich verliebt, fühlte ich mich bei ihm geborgen? Wollte ich an sein Erbe? War ich in sein jüngeres Ich verliebt? Warum beschäftigte er mich so?

*​

Julian hatte ausgefallene Ideen. Auch experimentierte er gerne mit verschiedenen Stoffen. Schwarzes, glänzendes Leder erotisierte ihn ganz besonders. Dafür stürzte er sich auch in Unkosten. Er kaufte mir von seinem Ersparten einen Jumpsuit aus Leder mit Wetlook-Effekt. Dazu schwarze, hochhackige Stiefel, deren Schaft bis zum Oberschenkel reichte. Am liebsten mochte er es, wenn ich ganz nackt unter dem Jumpsuit war und ihm beschrieb, wie es sich anfühlte. Wie die harten Nippel meiner dicken Brüste von innen gegen den Stoff rieben, wie ich feucht wurde, wie mein Körper zu glühen begann, wie mir schwindlig wurde und wie ich mich dabei nach ihm verzehrte. Wieder und wieder wollte er bis ins Detail hören, wie mein Bewusstsein sich veränderte und wie ich auf seine Anwesenheit reagierte. Oft ging es darum, den eigentlichen Sex möglichst lange heraus zu zögern, ihn vielleicht sogar gar nicht zu vollziehen. Diese Spannung bis ins Unerträgliche auszudehnen, das war es, was ihn am meisten faszinierte. Der eigentliche Geschlechtsverkehr dauerte dann, wenn er überhaupt passierte, nicht sehr lange. Er öffnete hastig, nahezu wild, den Reißverschluss meines Jumpsuits und drang dann überstürzt in mich ein. Die ganze aufgestaute Energie entlud sich in einem kurzen Moment und erschöpft fiel er dann zu Boden oder auf das Bett.

Die Macht, die ich in diesen Momenten über ihn besaß, faszinierte mich. Ich bekam das Gefühl, dass ich während dieses Liebesspiels alles von ihm verlangen konnte: Geld, Eigentum, einen Mord gar. Dass ich es mit meinem jungen Körper vermochte, einem so gestandenen Mann, wie Julian es mit achtundzwanzig Jahren schon war, seiner Willenskraft zu berauben, ihn mir hörig zu machen, das berauschte mich maßlos. Er war mir ausgeliefert und das wiederum gab mir ein Gefühl unendlicher Stärke.

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Als ich einen Monat lang Spätschicht habe, passiert es. Ich komme gegen 14 Uhr in den Dreilindenhof und bei der Übergabe wird es ganz sachlich formuliert.
„Herr Sander ist ins Uni-Klinikum eingeliefert worden. Verdacht auf Schlaganfall. Er ist heut morgen aufgewacht und hat über Taubheitsgefühle im linken Arm und in den Beinen geklagt. Die Frau Kröger hat zunächst vermutet, er hätte über Nacht nur ungünstig im Bett gelegen, aber ausgerechnet Frau Nguyen war aufgefallen, dass er etwas lallte und hat sofort darauf gedrängt, einen Notarzt zu rufen. Ich möchte die Gelegenheit nochmal nutzen, Sie alle an das Protokoll bei Schlaganfällen zu erinnern. Typische Symptome sind..“

Ich sitze da wie versteinert. Herr Sander. Mir fällt plötzlich ein, dass ich ihm noch einen langsamen Walzer schulde, einen sehr langsamen. Mir fällt, ein, dass ich sein Foto noch zuhause habe und dass ich es noch zurücklegen muss. Mir fällt das Lächeln des Herrn Sander ein, die Güte und Wärme, die es ausstrahlt. Ausstrahlte.

Ich habe schon viele Menschen mit Schlaganfall gesehen. Ich kenne das Davor und das Danach. Ich sitze also da und hoffe und bete inständig, dass es falscher Alarm war. Plötzlich bin ich so von dieser Nachricht ergriffen, dass ich mich unter dem Vorwand, ich müsse auf die Toilette, entschuldige und mich dann tatsächlich auf dem Klo verschanze. Mir kommen die Tränen und ich muss mir die geballte Faust in den Mund stecken, um nicht laut los zu schluchzen. Wieder wundere ich mich über meine Ergriffenheit. Warum Herr Sander? Was ruft er in mir hervor?

Nach einem längeren Aufenthalt in einer Reha-Klinik kommt Herr Sander tatsächlich zu uns zurück. Zuerst wirkt er wie immer, aber dann fällt mir auf, dass sein Blick sich verändert hat. Früher war da diese Klarheit, jetzt ist da ein nebliger Dunst auf der Iris. Als er mich anschaut, glaube ich, dass er mich erkennt, aber es mag auch einstudiert und reflexartig sein. Er schenkt jedem diesen Blick, selbst Pflegern und Bewohnern, von denen ich weiß, dass er sie nicht kennt. Er sagt keinen Ton, sein Sohn, der auch da ist, meint zu mir, dass sein Vater gemerkt habe, dass er schnell ins Lallen kommt und aus Scham darüber lieber gar nichts sagt. Immerhin, erklärt sein Sohn weiter, die Mobilität sei noch recht gut erhalten, er kann stehen, ein bisschen gehen und die Arme sind wieder beweglich.

Tagelang schleiche ich um ihn herum, beobachte ihn aus der Ferne, gebe Aufgaben, die eine Nähe zu ihm erfordern, aus fadenscheinigen und vorgeschobenen Gründen an Kolleginnen und Kollegen ab. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Manchmal habe ich das Gefühl, dass da noch etwas ist. Die Art, wie er mich ansieht, lang und eindringlich, lässt mich glauben, dass er doch noch weiß, wer ich bin, dass er mich erkennt, wiedererkennt.

Eines Abends, ich habe Nachtschicht und es ist insgesamt sehr ruhig, fasse ich mir ein Herz und gehe in sein Zimmer.

*​
Den einen Sommer verbrachten wir in Lacanau am Atlantischen Ozean. Wir hatten über einen Kontakt von Julians Eltern ein kleines Ferienhäuschen direkt am Meer für uns allein. Wir füllten die Tage mit ewig langen Spaziergängen am Strand. Es war ungewöhnlich warm, selbst für diese Gegend. Wir trugen beide nur das Nötigste, und selbst das klebte auf unserer Haut wie ein Klettverschluss. Julians straffer Körper und mein feminines Pendant waren ein Blickfang für die Menschen, denen wir begegneten. Wir waren in der Blüte unserer Jugend, und schlimmer noch: wir wussten es. Wir waren uns der Blicke bewusst, wir spürten das Verlangen in den Augen der Männer und Frauen, die uns beäugten. Die Begierde, die wir auslösten, erzeugte eine noch größere Begierde in uns. Begierde aufeinander. Wir besaßen noch die Scham und den Anstand, nicht am hellichten Tag übereinander herzufallen, aber mit Einbruch der Dunkelheit entstand diese knisternde Spannung, die uns bedeutete: Gleich passiert es.

Die prägendste Erinnerung dieses Sommers war diese Nacht am Meer. Im Schutze der Dunkelheit verließen wir splitterfasernackt unser Ferienhäuschen und gingen ruhig und ohne Hast zum Strand. Hand in Hand liefen wir ins Wasser, empfanden das kühlende Nass wie ein erquickendes Elixier, das uns Kraft für das bevorstehende Liebesspiel gab. Wir liefen zurück, bis wir nur noch in der Gischt standen. Im fahlen Licht des Mondes fanden sich unsere Lippen, verliehen dem aufkeimenden Verlangen ihren ersten, zarten Ausdruck. Als unsere Zungen sich fanden, waren unsere Körper elektrisiert und erregt. Im Einklang mit den Wellen, die sich im Sand verloren, verschmolzen wir ineinander, unternahmen den Versuch, eins zu werden. Wir warfen uns in den Sand, er drang in mich ein und ich spürte die Verkörperung aller Naturgewalten in mir. Ich war so erfüllt und beglückt, dass alle Gedanken sich erübrigten und ich in einen Zustand des Seins überging, den ich als so pur und rein und klar empfand, wie das Wasser, das uns umgab. Ich fühlte mich wie ein Geschöpf, das sich der Zivilisation entledigt hatte und in einen ursprünglichen, fast animalischen Zustand überging, bestimmt und dominiert von der Lust des Fleisches. Ich wollte ihn, Julian, mit Haut und Haaren, und ich bekam ihn, verleibte ihn mir ein, mit Haut und Haaren.

Zurück im Ferienhäuschen schauten wir uns für den Rest der Nacht verliebt und erschöpft an. Aus dem Wunsch heraus, diesen Moment für immer bewahren zu wollen, holte ich meine Analogkamera und machte ein Foto von Julian auf dem Bett. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und schaute nach unten auf den Boden. Eine Strähne von seinem dunklen, vollen Haupthaar hing herunter und fiel ihm in die Stirn. Das schwache Licht des Zimmer verlieh seinem Gesicht eine Wärme und Güte, die mich bis heute glauben lässt, einen Menschen fotografiert zu haben, der mit sich im Reinen ist.

*​
Behutsam öffne ich die angelehnte Tür und sehe im abgedimmten Lichtschein der Nachttischlampe das Gesicht eines vor sich hin dösenden Herrn Sander. Ich nähere mich ihm in kleinen Schritten und setze mich auf den Stuhl neben seinem Bett. Unschlüssig darüber, was ich eigentlich will, greife ich mit der linken Hand unter seine Bettdecke und ertaste seine Hand. Als ich sie finde und sanft drücke, nehme ich keine Regung wahr. Herr Sander liegt immer noch ausdruckslos da, und wäre da nicht ein vernehmbares, leichtes Atmen, ich würde ihn für tot halten. Ich drücke ein wenig fester zu, fast so, als wollte ich eine Reaktion erzwingen. Doch anstatt, dass er die Augen aufschlägt und mich anschaut, rutscht er mit dem Kopf nach links auf den Rand des Kissens. Ich stehe auf und beuge mich über ihn, um das Kissen für ihn herzurichten. Ich weiß nicht, ob der Stoff meines Schlupfkasacks oder mein Körpergeruch ihn weckt, aber plötzlich merke ich, wie er sich regt und offenbar die Augen aufschlägt. Bevor ich weiß wie mir geschieht, verspüre ich den überraschend festen Druck seiner Hand an meiner Hand. Ich spüre seinen Versuch, mich an sich zu drücken, mich zu ihm herunter zu ziehen. Seine andere Hand ertastet meinen Schlupfkasack und greift nach meinen Brüsten. Statt in Panik zu geraten, löse ich mich kontrolliert aus seinem Griff und drücke ihn an den Schultern zurück ins Bett.

„Herr Sander“, sage ich kalt und nüchtern, „bitte lassen Sie das.“
Er schaut mich an, aber ich weiß seinen Blick nicht zu deuten. Scham? Angst? Ein Flehen, ein Weinen gar?

Ich richte mich auf, nun doch ein wenig ergriffen von dieser, seiner Unbeherrschtheit. Ich richte meine Kleidung und will gehen. Doch an der Tür drehe ich mich noch einmal zu ihm um. Seine Augen sind immer noch geöffnet, er schaut mich eindringlich an. Ich wende mich wieder der Tür zu, will sie öffnen und kann es nicht. Ich verharre einen Moment in dieser Pose. Dann, instinktiv, schließe ich die angelehnte Tür und gehe zurück zu Herrn Sander. Ich ziehe meinen Schlupfkasack aus, nehme meinen Büstenhalter ab und lege beides über die Stuhllehne. Ich setze mich hin und rücke den Stuhl ein wenig näher ans Bett. Ich nehme die Hand von Herrn Sander und führe sie behutsam an meinen schweren Busen. Sein Gesicht zeigt keine Regung, aber sein Atem wird deutlich ruhiger und gleichmäßiger. So sitze ich da, mit seiner Hand an meiner Brust, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten.

Seine Augen fallen zu, sein Kopf neigt sich zur Seite. Er schläft. Leise ziehe ich mich wieder an und verlasse, ohne mich nochmal umzusehen, das Zimmer. Draußen vor der Tür realisiere ich, dass Herr Sander noch ein bisschen leben wird, aber dass ich gerade Abschied genommen habe.

 

Hallo @HerrLehrer ,
ich weiß nicht, ob es an der Erotik liegt oder an der Koffer-Challenge, dass dein Text noch nicht besprochen wurde. Es ist auf jeden Fall schade, dass du solange warten musstest.
Ehrlich gesagt, habe ich den Text auch schon gestern gelesen und gehofft, dass jemand anders kommentiert.
Erotische Texte interessieren mich nämlich überhaupt nicht. Schlechte Bedingungen für einen ersten Kommentar...
Trotzdem kann ich dir ja etwas zu Plot und Schreibweise sagen:
Sprachlich ist dein Text auf hohem Niveau, auch die Rechtschreibung ist top - wie du bestimmt weißt, wenn du Deutschlehrer bist :lol::lol::lol:.
Ehrlich gesagt, ist mir aber nicht klar geworden, warum du diese unterschiedlichen Ebenen eingebaut hast. Warum belässt du es nicht einfach bei der Geschichte von Herrn Sander? Alles andere ist m.E. ohne größeren Belang für diese Haupthandlung. Es sei denn, die erotischen Bezüge sind mir verborgen geblieben. Das kann gut sein, da ich diese Teile sehr schnell überflogen habe.
Noch ein paar Anmerkungen:

in wohliger Schauer fährt mir über den Rücken und ich lege den Kopf in den Nacken, schaue nach oben, durch die Decke, direkt in einen blauen Himmel.
Das Nach-oben-blicken hat mich an Fontane (Irrungen, Wirrungen) erinnert. Den mag ich sehr.

Herr Sander schlägt mit seiner rechten Hand eine Schneise in meine Bluse,
Das ist nicht von Fontane ;)! Ich weiß nicht, wie ich mir das vorstellen soll. Klingt jedenfalls brutal.

In diesem Sinne: Herzlich Willkommen bei den Wortkriegern, ich freue mich auf einen Text mit weniger Erotik von dir!
Hoffentlich kommentieren noch welche, die mehr mit den Erotikszenen anfangen können.

Gruß Daeron

 

Hey Herr Lehrer,

irgendwie schade, dass Du auf die Kommentare zu deinen Geschichten nicht wirklich eingehst, so fühlt sich Kommentare schreiben an, wie Zeit und Worte in ein dunkles, tiefes Loch zu werfen. Immerhin, und deshalb komme ich jetzt trotzdem, hat man Dich als Kommentator erleben dürfen. Was ich eigentlich sagen will, wer sparsam auftritt, wird auch sparsam bedacht und bei dieser Geschichte finde ich das wirklich schade, denn ich habe sie sehr, sehr gern gelesen.

Ich finde, das ist eine wirklich einfühlsame Geschichte zum Thema Sexualität, Intimität und Nähe im Alter. Man entsorgt ja all die Sachen nicht beim Frühjahrsputz im Alter von xy.
Deine beiden »Helden« sind einsam, die Junge und der Alte, aber sie kann noch selbstbestimmt handeln, während Herr Sander es über sich "ergehen" lassen muss, egal wer da kommt. Das Scham sich nicht in Nichts auflöst, dass körperliche Nähe wichtig ist wie Essen und Schlafen und Tabletten, natürlich kann man das den Pflegekräften nicht zumuten und doch ist schön, wenn sie Zeit dafür finden, mal die Hand zu halten oder sich gar zu unterhalten und damit eine tiefere Beziehung zu den Patienten herzustellen. Wichtiges Thema, auf jeden Fall.
Ich mag, wie Du Dich dem Thema näherst, gerade dieses selbstbestimmt und fremdbestimmt ins Verhältnis setzt und ich mag auch sehr das Ende.

Wollte Dir das nur kurz dalassen, die Geschichte hat es auf jeden Fall verdient gelesen zu werden!
Beste Grüße, Fliege

 

Hallo @Daeron,

Fliege hat Recht. Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht früher auf deinen Kommentar geantwortet habe. Ich danke dir fürs Lesen und Kommentieren, allerdings fällt es mir schwer,
darauf zu antorten (was wiederum mein Zögern erklärt). Du sagst, dass du das Genre nicht magst
und es klingt, als habest du den Text eher überflogen. Sei mir nicht böse, aber dadurch wirkt die
Kritik wenig fundiert und dementsprechend wäre es auch wenig hilfreich, wenn ich dir meine Beweggründe oder den Text erklärte. Das Lob für meine sprachlichen Fähigkeiten nehme ich hingegen gerne mit :-)

Liebe/r @Fliege,

ja, ich finde manchmal nicht die Zeit zum Antworten und Kommentieren, aber ich habe mir die regel auferlegt, für jeden von mir eingestellten Text mind. einen anderen Text zu kommentieren. Hab jetzt nicht nachgerechnet, aber ich glaube, es passt.

Erotik ist eigentlich auch nicht mein Genre, aber ich habe gesehen, wie viel Aufmerksamkeit erotische Geschichten generieren, und aus einer Art Neid heraus, wollte ich mich auch mal in
diesem Genre versuchen. Bei den gelesenen Texten fiel mir weiterhin auf, dass viele Texte als
bessere Wi...vorlage durchgehen und so schlüpfrig daher kommen, wie man es vermutet. Mein Ansatz war es also, etwas weniger oberflächlich vorzugehen und Bereiche der Erotik auszuloten,
die nicht so offensichtlich sind und vom Setting oder der Sprache nicht sofort an einen Porno
denken lassen.

Insofern hat mich dein Kommentar sehr gefreut, beflügelt gar, denn die nächste Idee spukt schon
in meinem Kopf und will erzählt werden.

Danke, bis bald,

HerrLehrer

@Daeron

Herr Sander schlägt mit seiner rechten Hand eine Schneise in meine Bluse,

Ich gebe dir Recht, klingt brutal, werde eine andere Formulierung erarbeiten.

LG,

HL

 

Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was, nämlich:

das attestierte sprachlich hohe Niveau kann ich nirgends finden. Ich lese einen biederen, alltäglichen, bestenfalls durchschnittlichen Text, der zudem arg an Adjektivitis leidet. Da wird immer beschrieben, beschrieben, beschrieben, aber fühlen kann ich da nix, weil sich das Ganze wie ein Aufsatz liest. Zudem scheint der Herr Lehrer den feinen Unterschied zwischen Erotik und Porno nicht zu kennen. Den anderen erotischen Texten vorzuwerfen, im Grunde Wichsvorlagen zu sein, aber dann Sätze schreiben wie:

Wie die harten Nippel meiner dicken Brüste von innen gegen den Stoff rieben, wie ich feucht wurde, wie mein Körper zu glühen begann, wie mir schwindlig wurde und wie ich mich dabei nach ihm verzehrte
Na, wenn das nicht ficki-ficki galore ist. Aber Lehrer haben ja viele Freistunden, die kann man doch dafür nutzen.

Insgesamt: Da jagt einfach ein Klischee das nächste. Natürlich sind sie jung, natürlich wissen sie es, sie sind super-sexy, und natürlich vögeln sie am Strand, sie sind nur Fleisch und Lust, sie probieren tausend Sachen aus (und dann wird ausgerechnet das Allerabgedroschenste, der Lederfetisch, der Wetlook aufgefahren) sind immer geil, der Sex ist mindblowing, und natürlich muss er, der Lover, einen tragischen Tod sterben. Das alles in einer betulichen Beamtensprache, die so ungelenk und immer drumherum schreibt, die nie die gleiche Leidenschaft und das gleiche Feuer aufweist, wie die Protagonisten es angeblich doch verspüren. Da wird nur verwaltet. Wäre dieser Text ein Boulevardmagazin, es wäre die Praline.

Wir warfen uns in den Sand, er drang in mich ein und ich spürte die Verkörperung aller Naturgewalten in mir. Ich war so erfüllt und beglückt, dass alle Gedanken sich erübrigten und ich in einen Zustand des Seins überging, den ich als so pur und rein und klar empfand, wie das Wasser, das uns umgab. Ich fühlte mich wie ein Geschöpf, das sich der Zivilisation entledigt hatte und in einen ursprünglichen, fast animalischen Zustand überging, bestimmt und dominiert von der Lust des Fleisches. Ich wollte ihn, Julian, mit Haut und Haaren, und ich bekam ihn, verleibte ihn mir ein, mit Haut und Haaren.

Hier musste ich lachen. Sie spürt die Verkörperung aller Naturgewalten in sich. Das ist ein Satz, den man schnell lesen muss, sehr schnell, damit er dir nicht vor den Augen zerbröselt. Das sind so Stellen, von denen du wahrscheinlich denkst, dass die Sprache da wirklich poetisch ist, aber das ist sie nicht; die ist bestenfalls unfreiwillig komisch. Das ist so der offensichtliche Versuch, eben nicht: Und jetzt steckte er mir den superharten Schwanz in die Möse und fickte mich wie ein Zuchtbulle zu schreiben, aber es wirkt umso verkrampfter, umso gewollter.

Das ist auch eine fürchterlich männliche Geschichte, im Sinne von: aus der Sicht eines Mannes geschrieben. Die Frau bleibt ja doch immer noch nur das Objekt, entweder Hure oder Madonna, das ist einfach ein so langweiliges, dröges Ding, und dann erzählt sie das auch noch selbst: ein bißchen femme fatale, das ja, aber nur vor dem Spiegel!

Außerdem verstehe ich den Strang mit Herr Sander nicht. Warum steht der da? Was ist der Zweck? Als Juxtaposition, im Sinne einer Verschränkung der Ebenen, funktioniert das nicht. Dann müsstest du den Julian-Strang ins Präsens holen, da müsstest du die Blüte der Jugend gegen den Verfall montieren, dann könnte ich dem Ganzen ein Sinn abgewinnen.

Und noch was:

„Gutte Mogge, He Sande!“, sagt auch Minh-Vi, und ich empfinde sie plötzlich als störend. Die Atmosphäre ist dahin.
Da klingt unterschwellig etwas ganz Fieses, Ekelhaftes mit, das ist wie der Neger im Film mit den dicken Lippen, der Ja, Sahib sagen darf und dann dem Massa die Schuhe putzt. Solche Stellen würde ich mir nochmal überlegen.

Gruss, Jimmy

 

Lieber @jimmysalaryman,

zunächst möchte ich dir für das Lesen und Kommentieren meines Textes danken. Ich entnehme deinem Kommentar viele wertvolle Hinweise und Fragestellungen, die mich beim Schreiben von Texten speziell in diesem Genre beschäftigen. Darüber hinaus gebe ich unumwunden zu, dass dies erst mein dritter Text im besagten Genre ist und ich dieses einerseits als unerwartet interessant oder reizvoll empfinde, gleichzeitig aber auch viele Schwierigkeiten darin sehe, wie z.B. die von dir angesprochene Gratwanderung zwischen Erotik und Porno.

das attestierte sprachlich hohe Niveau kann ich nirgends finden. Ich lese einen biederen, alltäglichen, bestenfalls durchschnittlichen Text, der zudem arg an Adjektivitis leidet. Da wird immer beschrieben, beschrieben, beschrieben, aber fühlen kann ich da nix, weil sich das Ganze wie ein Aufsatz liest.

Ich wäre dir dankbar, wenn du dieses Urteil an einem Beispiel verdeutlichen könntest, evtl. mit Vorschlägen zur Verbesserung.

Na, wenn das nicht ficki-ficki galore ist. Aber Lehrer haben ja viele Freistunden, die kann man doch dafür nutzen.

Zum Thema ficki-ficki galore gleich mehr. Interessant finde ich eher, wie du mir einerseits vorwirfst, in Klischees zu denken, um dann im selben Satz das ebenso ausgelutschte Klischee des faulen Lehrers zu bemühen. Die Tatsache allein, dass ich schreibe, nutzt du zur Beweisführung. Alle anderen, die hier schreiben, sind aber im Kontrast zu Lehrern unglaublich hart arbeitende Menschen, die ihr Leben für die Arbeit opfern und das bißchen Zeit, die ihnen bleibt, zum Schreiben nutzen. In einer Textanalyse hätte ich hier geschrieben: "Bitte sachlich/ beim Thema bleiben". Aber wahrscheinlich empfindest du es gar nicht als Klischee und bist mit Gerhard Schröders Meinung über Lehrer vollends d'accord.

Insgesamt: Da jagt einfach ein Klischee das nächste. Natürlich sind sie jung, natürlich wissen sie es, sie sind super-sexy, und natürlich vögeln sie am Strand, sie sind nur Fleisch und Lust, sie probieren tausend Sachen aus (und dann wird ausgerechnet das Allerabgedroschenste, der Lederfetisch, der Wetlook aufgefahren) sind immer geil, der Sex ist mindblowing, und natürlich muss er, der Lover, einen tragischen Tod sterben. Das alles in einer betulichen Beamtensprache, die so ungelenk und immer drumherum schreibt, die nie die gleiche Leidenschaft und das gleiche Feuer aufweist, wie die Protagonisten es angeblich doch verspüren. Da wird nur verwaltet. Wäre dieser Text ein Boulevardmagazin, es wäre die Praline.

Hier möchte ich dir zustimmen und mein Problem beim Schreiben erotischer Texte umreißen. So glaube ich, dass die Kategorie 'Erotische Geschichten' beim Leser eine bestimmte Erwartungshaltung schafft. Um den Film als Analogie zu nutzen, könnte man sagen, dass ein Zuschauer von einem erotischen Film (also keinem Porno) erwartet, dass es dort körperlich ansehnliche Menschen gibt, die Sex haben, ohne dass dieser so explizit oder männlich dominiert ist wie in einem Porno. Ich gebe gerne zu, dass ich in meinem Text auf körperlich ansehnliche Menschen, die Lust empfinden und tollen Sex haben, nicht verzichten wollte, um eben die oben genannte Erwartungshaltung zu erfüllen. Ich kann auch die Argumentation nachvollziehen, dass du die entsprechenden Textstellen als pornös oder klischeebelastet empfindest. Ich bin noch bei dem Versuch, einen erotischen Text zu schreiben, der auch als erotisch empfunden wird, ohne dass er ins Klischee abdriftet. Diesebezüglich rennst du bei mir mit deiner Kritik offene Türen ein.

Aber: Ich behaupte, dass in meinem Text auch der Versuch unternommen wird (ob geglückt oder nicht, sei dahin gestellt), Erotik in einen untypischen Kontext zu betten. Wir haben hier keinen Klempner, der einen Hausbesuch bei der gelangweilten, verheirateten Frau macht, sondern zwei einsame Menschen, die sexuelle, körperliche Bedürfnisse empfinden, diese aber aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr ausleben können/ wollen.

Das ist auch eine fürchterlich männliche Geschichte, im Sinne von: aus der Sicht eines Mannes geschrieben. Die Frau bleibt ja doch immer noch nur das Objekt, entweder Hure oder Madonna, das ist einfach ein so langweiliges, dröges Ding, und dann erzählt sie das auch noch selbst: ein bißchen femme fatale, das ja, aber nur vor dem Spiegel!

Diesen Kommentar könnte man auch bevormundend nennen, im Sinne von: Mann sagt anderem Mann, wie Frauen gesehen werden wollen. Oder kannst du kategorisch ausschließen, dass Frauen, die so eine sexuelle Beziehung haben wie Frau Roth zu Julian, bei dieser Art der Liebe Lust empfinden?

Da klingt unterschwellig etwas ganz Fieses, Ekelhaftes mit, das ist wie der Neger im Film mit den dicken Lippen, der Ja, Sahib sagen darf und dann dem Massa die Schuhe putzt. Solche Stellen würde ich mir nochmal überlegen.

Tatsache ist, dass Deutschland jährlich nach jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen sucht, die sich für die Arbeit als Krankenpflegefachkraft in Deutschland weiterbilden lassen möchten. Dass diese nicht gleich fließend Deutsch sprechen oder noch lange einen Akzent haben, ist ebenso nachvollziehbar. Wie du daraus einen Vorwurf des 'unterschwelligen Rassismus' bastelst, finde ich bewundernswert. Übrigens ist es diese Krankenpflegerin, die später als Einzige den Schlaganfall von Herrn Sander auch als solchen erkennt. Aus falsch verstandener political correctness soll man also alle Menschen mit Migrationshintergrund fließend Deutsch sprechen und einen Doktortitel haben lassen, oder wie soll ich deine Einlassung hier verstehen?

Ich hoffe, du konntest mit meiner Rückmeldung etwas anfangen. Ich habe versucht, möglichst sachlich auf dein vernichtendes Urteil zu reagieren und hoffe, dass wir jetzt hier keine persönliche Fehde austragen. Mich interessiert vornehmlich die Arbeit am Text, und du hast sehr eindringlich die Wirkung, die mein Text auf dich hatte, beschrieben. Ich hoffe, du glaubst mir, wenn ich sage, dass mich deine Hinweise beim Schreiben meines nächsten Textes sicherlich beschäftigen und mich dazu veranlassen werden, bei der Wahl meiner Worte vorsichtiger zu sein.

Liebe Grüße, vielen Dank,

dein fauler Herr Lehrer!

 

Wie du daraus einen Vorwurf des 'unterschwelligen Rassismus' bastelst, finde ich bewundernswert.

Ich finde bewundernswert, warum du ausgerechnet eine Vietnamesin nehmen musstest? Was tut das zum Plot bei? Was fügt es der Geschichte zu? Nichts. Du führst deine Figur einfach nur vor, sie ist ein Effekt, und nicht mehr. Und das ist dann nicht nur unterschwellig rassistisch.

Ein Mann Ende vierzig, gutaussehend, kräftig und noch ein bisschen größer als sein Vater, stolperte mit einem Rollkoffer herein und gesellte sich zu uns.
Nur mal ein Beispiel. das sich durch den Text zieht. Was ist gutaussehend? Was ist kräftig? Du behauptest das einfach und setzt darauf, dass sich der Leser etwas denkt. Das ist lazy writing. Du nimmst Abkürzungen. Man kann das machen, aber bei mir kommst du damit nicht durch.

Wenn ich morgens in sein Zimmer kam und er mit nacktem Oberkörper am Waschbecken stand, erinnerte er mich an Clint Eastwood in ‚Die Brücken am Fluss’.

Noch so ein Satz. Lazy Writing. Kennst du den Film nicht, hast du ein Problem. Übrigens sah Clint gerade in dem Film null verlebt aus. Aber egal. Du machst dir gar nicht die Mühe, dein Personal einzuführen, es erlebbar zu machen. Es sind Pappkameraden.

Alle anderen, die hier schreiben, sind aber im Kontrast zu Lehrern unglaublich hart arbeitende Menschen, die ihr Leben für die Arbeit opfern und das bißchen Zeit, die ihnen bleibt, zum Schreiben nutzen.

Richtig. Zum Lehrer musst du geboren werden. Ich habe noch keinen Lehrer kennengelernt, der selbstlos sein Wissen mit mir geteilt hätte. Da war immer Paternalismus, Forderungen, das Drängen auf sozialen Aufstieg, Ökonomie und Macht mit im Spiel. Vielleicht eine persönliche Sache.

Diesen Kommentar könnte man auch bevormundend nennen, im Sinne von: Mann sagt anderem Mann, wie Frauen gesehen werden wollen. Oder kannst du kategorisch ausschließen, dass Frauen, die so eine sexuelle Beziehung haben wie Frau Roth zu Julian, bei dieser Art der Liebe Lust empfinden?

Du kannst schreiben, was du willst. Du darfst nur nicht erwarten, dass alle das bejubeln. Und wenn man schon die Seiten tauscht, erwarte ich einfach mehr als das tausendfache Wiederholen maskulin zentrierter Sexualität und Wunschvorstellung. Das sehe ich in jedem Porno. Aber Erotik ist doch viel mehr, das ist vor allem die Vorstellung, die Fantasie - du siehst einen nackten Schenkel, und dann passiert etwas mit dir, du spürst etwas, ein diffuses Verlangen, was dich gefangen nimmt. Das ist ja auch zum guten Teil unerklärbar, aber du schreibst: Nippel, dicke Titten. Das ist jetzt kein untypischer Kontext. Wo denn? Nur weil da dieser Strang mit Sander steht? Ich bitte dich.

Ich habe versucht, möglichst sachlich auf dein vernichtendes Urteil zu reagieren und hoffe, dass wir jetzt hier keine persönliche Fehde austragen.

Hier, bzw mir, geht es immer um den Text. Das sind Grundregeln einer jeden Schreibwerkstatt und selbstverständlich. Du musst das nicht extra wiederholen.

Gruss, Jimmy

 

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