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Herrliche Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir.

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04.02.2008
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Herrliche Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir.

Ziemlich profane Namensgebung, wenn man es genau nimmt. Der Hohe Kasten. So richtig nach Weite und Ferne klingt das auch heute noch nicht. Jedenfalls nicht in deinen Ohren. Silvretta, Sargans, Schesaplana, Saas Fe - da konnte deine Fantasie spazierengehen, da entstanden schnell bunte Bilder in deinem Knabenkopf und gierig warst du und aufmerksam und neugierig und eingesaugt hast du es, das Fremdklingende und den Schlager im Radio: herrliche Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir. Dazu der Schauder des Abenteuers, nur wahrnehmbar für den, der sich kaum jemals selbst ins Ungewisse und Gefährliche wagen wird und aus sicherem Versteck heraus den Unerschrockenen lauscht, dem Bergsteigerlatein, das soben Gehörte nicht für möglich haltend. Und doch insgeheim, und doch in einsamen Stunden davon träumend, dass es möglich sei, dass die Wirklichkeit grösser und raumgreifender wäre und den eigenen Fantasien näher stünde, als man es vorher von den nüchtern Denkenden und wenig Fühlenden eingebläut bekam. Gebunden die eigenen Hände, die Fussfessel mit der schweren Eisenkugel der Lethargie an das Bein geschmiedet, dazu bestimmt, sich auf sicherem Talgrund zu bewegen - und doch zufrieden und sich längst abgefunden, das eigene Mittelmass angenommen und akzeptiert. Strahlende Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir.

Abenteuer hin oder her, hier beherrscht der Hohe Kasten seit eh und je das Tal. Du kannst dir ausmalen, wie der Schatten des Bergmassivs am Spätnachmittag über den Talboden kriecht und die Musestunden der Sonnenanbeter terminiert. Dort drüben, ein paar Kilometer weiter am anderen Flussufer muss es sein. Mehrmals hintereinander seid ihr hierher gefahren. Dreimal oder auch fünfmal während deiner Kindheit, und später, anlässlich einer Familienfeier dann das letzte Mal. Das kleine Kurhotel mit den köstlich-krossen Frühstücks-Brötchen und dem schattigen Vorplatz samt Springbrunnen und dem knirschenden Kies auf der Einfahrt und den Gartentischen unter den Kastanienbäumen, mit ihren grossen Blättern, von nächtlichen Gewittern auf Tische und Stühle und ringsum auf dem Erdboden verteilt. Der Gasthof eine veritable Adresse und sicherer Tipp, und oft traf man zur Hauptsaison auf Bekannte aus dem Heimatort. Für euch Kinder gab es Almdudler zu trinken und eine Limonade, die die Lippen orangerot einfärbte - eine zuckersüsse, Karies fördernde Versuchung.

Das waren aber auch noch Reisen. Am Vorabend früh zu Bett geschickt und dann endlich doch noch eingeschlafen, obwohl vor lauter Aufregung erst nicht daran zu denken war. Weckruf zu nachtschlafender Zeit, lange gebraucht, um überhaupt wach zu werden. Anschliessend nervös und ungeschickt im Weg gestanden, während sie längst schon damit beschäftigt waren, das Gepäck nach draussen zu tragen und in den Fiat 850 zu verstauen, das erste eigene Automobil, vor kurzem erst aus zweiter Hand erstanden. Vier Personen, zwei Wochen, ein Kleinstauto. Zur Eile gemahnt und angehalten, wenigstens ein paar Bissen zu essen, obwohl niemand zu dieser frühen Stunde wirklich Hunger verspürte. Aufbruchstimmung, die von den ruhig und unbeteiligt im Dunklen liegenden Nachbarhäusern lediglich zurückgeworfen, nicht aber gelindert wurde. Die Stecker aus den Steckdosen, die Sicherungen raus, die wohlmeinenden Urlaubswünsche und letzten Ratschläge der Grosseltern über sich ergehen lassen. Jetzt aber los, es ist gleich vier Uhr früh!

Dann endlich unterwegs. Das einzige Auto auf der kurvenreichen Landstrasse und kein Licht weit und breit. Der Vater, ständig mit Fern- und Abblendlicht arbeitend, auf der Hut vor Reh oder Rotwild, das hier nachts über die Strasse wechselte, und gleichzeitig darauf erpicht, möglichst Tempo zu machen. Die Mutter mit dem Transistorradio auf den Knien und permanent auf Programmsuche, weil diese, also die Radioprogramme, noch nicht flächendeckend ausgestrahlt wurden und sich nicht lange genug einfangen liessen, in deiner Erinnerung mehr Rauschen als Musik. Die jüngere Schwester - auf dem Rücksitz binnen weniger Minuten sterbenskrank - hat den Mageninhalt nochmals von sich gegeben. Zwischenstopp, alles wieder aufgeputzt, bis endlich der Placeboeffekt der Tabletten gegen die Reisekrankheit zu wirken beginnt. Nur weiter jetzt. Schlanke, hohe Schornsteine tauchen auf, werden grösser, wandern seitlich an den Fensterscheiben vorbei und verschwinden aus dem Blickfeld. Flammen aus Schornsteinen kurz vor der Dämmerung. Ingolstadt. Die Raffinerie.
Später dann: die Morgensonne dringt durch die Schlieren auf der Windschutzscheibe, die Scheibenwischer verschmieren die Insektenleichen und der Geruch des Zusatzmittels in der Scheibenwaschanlage vermischt sich mit dem Benzingestank, der schon vorher mit dem Zigarrettenrauch verband und mit dem Schweiss aller und dazu auch noch letzte Spuren vom Mageninhalt der Schwester freudig akzeptierte. Eine olfaktorische Kakophonie, das alles. Längst hat das Reisefieber in Apathie umgeschlagen, die Aufmerksamkeit hat sich totgelaufen, das Fassungsvermögen des Aschenbechers längst ausgereizt. Augsburg. Memmingen. Leutkirch. Lindau. Beschäftigungstherapie auf der Rücksitzbank: "ich-seh-etwas-was-du-nicht-siehst" und das Rückwärtslesespiel, damit wenigstens eine Weile lang für Zerstreuung gesorgt war und die Quengeligkeit halbwegs im Zaum gehalten werden konnte. Endlich die Ankunft. Tropfend nass des Piloten Hemd. Die Beifahrerin müde des Lotsens und der Zurechtweisungen durch den Fahrer, wohl noch abgespannter als er. Wahrscheinlich seid ihr zu einem Begrüssungstrunk genötigt worden, begleitet vom üblichem kurzen Wortwechsel - Näheres erzählen wir uns dann heute Abend, ihr setzt euch doch später ein Weilchen zu uns?

Schüchtern und unbeholfen hast du dich den beiden Wirtstöchtern genähert und dich im Gegenzug von ihnen beschnuppern lassen. Die Jüngere, vorwitziger Wirbelwind, fuhr zuerst einen spröden Kurs, war drauf aus, jeden erstmal einzuschüchtern, liess jedoch mit der Zeit, als das Eis längst gebrochen war, ihre kumpelhafte Art mehr und mehr zum Vorschein treten. Die etwas Ältere war dir um einiges voraus, irgendwie an der Schnittstelle zwischen Kindheit und Pubertät, die dachte bestimmt schon in völlig anderen Kategorien. Da waren eure gemeinsamen Kinderspiele nur mehr eine ungern gewählte Option. Trotzdem mochtest du sie lieber als ihre jüngere Schwester, die dir letztendlich dann doch nicht so ganz geheuer war. Die beiden Mädchen mussten zwar zuhause mithelfen, durften euch aber doch spielenderweise die ein oder andere Nachmittagsstunde mit euch verbringen. Kastanienblätter waren Archen und Barken, der Springbrunnen ein Ozean, weisse Kieselsteinchen Passagiere. Hochwichtige Kindergespräche, Austausch bereits erlangter Kinderweisheit. Verglichen das Kinderwissen. Gestaunt. Herrlich verspielte Stunden. Nur in der Gegenwart gelebt.

Erinnerungsfetzen ansonsten wenige. Fragmente, weitestgehend aus dem Zusammenhang gerissen, wahrscheinlich destilliert aus mehreren Urlaubsreisen: der Junggeselle, Freund der Eltern, der ab und zu mit am Tisch sass, ein Lex Barker-Look-alike und mit steifem Bein und obligatorischem Stock als Gehhilfe. Halbinvalide. Zurückhaltender Zeitgenosse, verlorene Seele, sich mit seinem Gebrechen so gut es geht abfindend. Schifffahrt auf dem Bodensee, von Lindau nach Bregenz, an einem sonnigen Spätnachmittag. Das erste Mal den Fotoapparat benutzen dürfen, aber Vorsicht mit dem teuren Filmmaterial! Seilbahnfahrt, gläserne Gondel. Pfänder? Oder doch Säntis? Blick von einer Aussichtsplattform weit ins Tal hinaus, weit unten tiefblaue Seen. Besichtungstouren in die teure Schweiz. Appenzell. Gerade noch den Vierwaldstätter See erreicht. Viel zu lange Rückfahrt in die Ferienunterkunft auf kurvenreichen Landstrassen. Gewitterschwüle, Gewitterwolken, innen wie aussen. Die Schwester übermüdet und übermütig, wird, weil sie den Fahrer ablenkt, ausgebremst und ausgeschimpft und weint sich in einen von allen begrüssten Nachmittagsschlaf. Dein Kindertrotz. Lächerliche Widerspenstigkeiten, unnötige Tragödien und Dramen. Scheiternde Bespassungsversuche, brachliegende Elternnerven. Der Geduldsfaden des Vaters reisst nicht nur einmal, die Mutter irgendwann hoffnungslos überfordert. Also Gewitterstimmung über dem Rheintal, endlich Zuflucht in der Wirtsstube gefunden, allgemeines Aufatmen.

Die Heimfahrt langweilig. Keine Erinnerungen mehr an Abschiedsszenen. Das vielleicht noch: kleiner Nervenkitzel an der Grenze, da Stroh-Rum in durchaus zu verzollenden Mengen geschmuggelt wurde. Dann Filmriss. Später die ersten heimischen Autokennzeichen, das Ortsschild, die Hauptstrasse, das Elternhaus. Endlich zuhause angekommen und zum Spielen in den Garten geschickt, um nicht beim Auspacken und Aufräumen zu stören. Die Nachbarskinder gesucht, sich allmählich wieder in das Alltagsleben eingefädelt.

Herrliche Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir.

 

Hallo Frederic,

die Pflicht zuerst: Ein herzliches Willkommen bei kg.de

Das Forum hier mit einem Sack voll Geschichten auf einmal zu fluten, ist eine reichlich unhöfliche Idee. Man lebt hier vom Geben und nehmen.

Gruß,

AE

 

Hallo Alter Ego,

sorry...mir war nicht klar, dass das hier als Unhöflichkeit empfunden wird. Ich wollte hier nicht in ein Wespennest stossen.

Da ich selber noch nicht herausgefunden habe, wie und ob ich meine eigenen Stories wieder löschen kann, hab ich mich soeben an einen der Moderatoren gewandt, um das für mich zu erledigen.

Mit freundlichen Grüssen

Frederic Weiss

 

Das ist doch mal ein Wort. Kannst ja eine stehen lassen, und das Echo abwarten.

LG,

AE

 

Hallo Frederic, dein Ausflug in die Vergangenheit hat mir gut gefallen. Das ist wirklich ein dankbares Thema, wer kennt sie nicht, die chaotischen Familienausfluege mit den Eltern, die einem damals wie eine Weltreise vorkamen und heute nur noch eine gewisse peinliche Sehnsucht verursachen ... Bei uns war es nicht der Hohe Kasten sondern die Hohe Tatra, ansonsten sehr aehnlich ...! Das in aller Hergottsfruehe Aufstehen, zum Essen gezwungen werden, die oede Fahrt usw, usf., ich sehe es alles wieder vor mir - gelungene Geschichte. Was mir gleichzeitig gefaellt und auch wieder nicht gefaellt ist der Titel. ( Ich weiss, nicht sehr konstruktiv). Die Tatsache, dass er zweimal im Text wieder auftaucht, ist ein bisschen zu viel, das wuerde ich entweder rausnehmen, oder den Titel aendern. Ein Titel, der auch im Text ist, ist irgendwie verschenkt.
Viele Gruesse,
sammamish

 

Hallo Frederic!

Willkommen auf kg.de. :)

Ich geh zwar gern und oft auf Berge, aber ich hoffe sehr, daß bisher noch kein strahlender dabei war ... :hmm: Richtig heißt es "Herrliche Berge". Google findet zwar auch "strahlende Berge", aber 46 Treffer, inklusive Deiner eigenen, durch die Geschichte bedingten, sind verschwindend wenige, und mein Liederbuch gibt mir auch Recht.
Den Titel kannst Du aber nicht selbst editieren, dafür mußt Du einem Mod aus der Rubrik schreiben (findest Du, wenn Du die Rubrik anklickst). Und wenn Du das tust, kannst Du auch gleich den Punkt entfernen lassen, ein Titel braucht keinen Punkt. ;)

Ob mir die Geschichte gefallen hat, kann ich nicht so recht sagen. Einerseits mag ich solche Rückblicke in die Kindheit, andererseits gefallen mir solche Du-Geschichten nur sehr selten, und in diesem Fall wieder einmal nicht.
Würde klar, wen der Erzähler hier mit dem Du anspricht, wäre das vielleicht anders.

in deinem Knabenkopf
Hier hab ich noch gedacht, er spricht vielleicht mit einem Bruder, spielt aber offensichtlich keiner mit. Führt er Selbstgespräche und erzählt sich das alles selbst?
Die Schwester übermüdet und übermütig, wird, weil sie den Fahrer ablenkt, ausgebremst und ausgeschimpft und weint sich in einen von allen begrüssten Nachmittagsschlaf. Dein Kindertrotz.
Spricht er vielleicht doch mit der Schwester? Oder spricht er mit mir als Leser? Letzteres ist die Variante, die ich am wenigsten mag, weil sich der ganze Text dann irgendwie in eine Unterstellung verwandelt, bei der ich bei jedem Satz sagen will "Nein, hab ich nicht, bin ich nicht, war ich nicht".

Ansonsten erzählst Du hier gar keine Geschichte über Bergvagabunden, sondern über spießige Eltern, denen ihr Status wichtiger ist als ihre Kinder. Leben nach Plan und Uhrzeit, ohne Rücksicht auf deren Wohlbefinden. - Ein Urlaub, nach dem die Kinder erholungsbedürftig sind. :D

Naja, irgendwie hat sie mir ja doch gefallen, aber diese Du-Form ... :hmm:

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi und sammamish,

vielen Dank für eure Kommentare!

Klar muss es "herrliche Berge..." heissen! Oh gesegnete Betriebsblindheit - manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht! *lach*


"Ansonsten erzählst Du hier gar keine Geschichte über Bergvagabunden, sondern über spießige Eltern, denen ihr Status wichtiger ist als ihre Kinder."

Genau! Der Songtitel ist gewissermassen nur der Soundtrack dieser Urlaubsreise, es geht nicht um ein Abenteuer im herkömmlichen Sinn. Das Lied hat sich dem Protagonisten damals tief eingeprägt und wenn er es heute als Erwachsener im Radio hört, sieht er sofort die Bilder dieser Reise vor seinem geistigen Auge, meint die Gerüche wahrzunehmen, die Hitze im Auto zu spüren, etc.

Du-Geschichten berühren mich auf eine seltsame Art und Weise. Es entsteht für mich als Leser immer eine Mischung aus Distanz und Nähe und gerade die Tatsache, dass ich nicht genau weiss, ob der Autor nun mit sich selbst ein Zwiegespräch führt oder aber mich als Leser ansprechen will, übt auf mich einen Reiz aus.

Lieber Gruss
von
Frederic ;-)

 

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