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Herzensangelegenheit
"Seit Jahren hatte ich sie schon im Auge. Jenny Silverman. Glänzendes Haar, eine zierliche, aber sehr weibliche Figur und volle Lippen. Eine wunderbare Frau. Ich konnte sie nicht vergessen seit ich sie zum ersten mal gesehen hatte, doch sie spielte in einer anderen Liga."
Gleichgültig lächelte ich ihn an.
"Sie müssen verstehen, dass ich nie sehr beliebt war", fuhr ich fort. "Schon immer war ich eher der stille Außenseiter, über den man sich gerne lustig machte. Den Schwachen tut es ja nicht weh, wenn man sie verspottet. Ironischerweise ist da sogar etwas Wahres dran. Man lernt in den vielen Jahren der Demütigung, einen inneren Schutzpanzer aufzubauen und diese Erlebnisse auszusperren. Sein eigenes kleines Versteck, in das man sich zurückziehen kann. Wie eine Schildkröte, die sich vor einem Raubtier versteckt."
"Ich kann Sie gut verstehen," sagte er, "Das war bestimmt eine schwierige Zeit für Sie. Aber erzählen Sie mir doch von Ms. Silverman. Wie ging die Sache weiter? Ich denke wir haben hier einen interessanten Ansatzpunkt für Ihr Problem gefunden."
Jenny Silverman - mit ihr hat alles angefangen. Mein Leben hat durch sie einen neuen Sinn bekommen. Ich werde ihr ewig für diese Erfahrung dankbar sein.
"Sie war wunderschön", fuhr ich fort. "Einfach perfekt! Wir besuchten sogar die gleichen Vorlesungen. Soziologie und Grundlagen der Psychologie. Vielen glauben gar nicht, dass es eine so schöne Frau in solche Themengebiete zieht, doch gerade das war es, was mein Interesse an ihr nur noch steigerte. Ihr starker Drang nach Wissen. Die gleiche Begeisterung, die gleiche Motivation, trieb uns beide hier her. Ich denke nicht, dass außer mir jemals viele über die schöne Fassade hinaus bis in ihr Innerstes gesehen haben."
"Das muss sehr deprimierend für Sie gewesen sein," unterbrach er mich. "Zu wissen, dass Sie sie nie erreichen würden und doch so an ihr zu hängen. Haben Sie nie versucht in die Offensive zu gehen und sie anzusprechen?"
Fragend und mit gehobener Augenbraue sah er mich an.
Ich setzte mich auf, legte das Gesicht in meine Hände und stieß einen leichten Seufzer aus.
Glaubt er etwa tatsächlich mich zu kennen?
"Alles in Ordnung Mr. Smith?", fragte er.
Seine Stimme klang kalkuliert, nicht als ob er wirklich an mir interessiert war. Sein Hochmut war fast greifbar.
"Ich bin okay", entgegnete ich. "Es ist nicht leicht für mich dieses Kapitel meiner Vergangenheit erneut auf zu schlagen." Langsam ließ ich die Finger von meinen Augen gleiten. "Sie haben da einen wirklich schönen Anzug, hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?", fuhr ich fort.
"Vielen Dank", kommentierte er mein Kompliment und betrachtete sich mit gekünstelter Verlegenheit vom Hals bis zur Schuhsohle. Für einen Moment schien er die Sitzung völlig zu vergessen und ging komplett in seiner Armaniwelt auf, während er über die feinen Nähte seines Nadelstreifenanzuges strich. Meine Blicke schien er dabei nicht zu spüren.
Wieso holt er sich nicht gleich vor dem Spiegel einen runter?
Als ich mich räusperte sah er verschreckt hoch und blickte tief in meine Augen. Sofort lenkte er den Blick nervös auf seinen in Leder gefassten Notizblock.
Unglaublich. Kaum kriecht die Selbsterkenntnis an ihn heran fällt er in die primitivsten Abwehrreflexe zurück.
Er kratzte sich tatsächlich am Kopf, brachte seine Aufzeichnungen in eine neue Ordnung und strich mit dem Zeigefinger über seine rechte Augenbraue.
Ich war enttäuscht, fuhr aber mit meiner Geschichte fort.
"Ich besuchte die Eastside Universität nun schon seit zwei Jahren und trotzdem durchfuhr mich immer noch eine Gänsehaut, wenn ich die mächtige Eingangshalle betrat. Tausende von Schritten und das Wissen der vielen Jahre schien wie ein längst vergessenes Echo in diesem Raum wider zu hallen. Die Erhabenheit war einfach unglaublich. Manchmal fühlte ich mich als hätte ich..."
"Mr. Smith, ich unterbreche Sie nur ungern, aber ich würde gerne wieder auf Ms. Silverman zu sprechen kommen. Sie sagten Sie belegten die gleichen Kurse. Wie ging es weiter mit ihnen beiden?"
Überraschend schnell hatte er in seine analytische Art zurückgefunden, sah mich allerdings nicht direkt an, während er mit mir redete.
Ich hasste es, unterbrochen zu werden.
"Nun, sie ging natürlich nur mit den wirklich angesagten Kerlen aus. Sportstudenten, Arztanwärter. Sie wissen schon. Ich glaube nicht das ich ihr bis zu jenem Tag überhaupt aufgefallen war. Ein ganzes Jahr über saß ich in den Vorlesungen hinter ihr, bewunderte ihr perfektes, nussbraunes Haar und den zarten Nacken, der sich darunter abzeichnete. In Gedanken sah ich uns zwei ganz allein. Wenn ich abends einsam in meiner Wohnung lag, dachte ich lange und oft an sie. Liebte ich diese Frau? Ich begehrte sie, wollte sie für mich allein. Wollte meine Arme um sie schließen und sie nie wieder los lassen."
Ein Glücksgefühl durchströmte meinen Körper, während er sich Notizen auf seinem Block machte. Wahrscheinlich dachte er mein gestörtes Verhältnis zu Frauen wäre in ihr begründet. Ich musste unweigerlich lachen.
Er glaubt tatsächlich, mich zu kennen. Erst zwei Sitzungen und er ist überzeugt zu wissen wer ihm hier gegenübersitzt. Schade, ich dachte die Arroganz, mit der er die Thesen in seinem, nach ihm benannten, Buch verkauft, wäre nur eine Auslegung meinerseits gewesen. Jeder hat seine Fehler. Seine sind allerdings so schrecklich offensichtlich!
Zärtlich streichelte ich den Glücksbringer, den ich seit meiner Studienzeit um den Hals trug.
"Das ist wunderbar", sagte er süffisant lächelnd. Er hatte nun wieder komplett in sein Redeschema zurückgefunden. "Sie schienen es ja wirklich auf diese Frau abgesehen zu haben."
Wie Recht er hatte.
"Erzählen Sie weiter."
"Nun, es war schwer allein an sie heranzukommen, denn ständig war sie von anderen Studenten umgeben. Ich beschloss sie nach einer von Professor Dickins Vorlesungen abzufangen. Er bevorzugte es, seine Lesungen auf den späten Nachmittag zu legen. Die meisten Studenten waren zu dieser Zeit schon zu Hause oder trieben sich irgendwo in der Stadt herum."
Ich drückte den Rücken durch und massierte mit einer Hand meinen Nacken.
"Ist denke es ist in Ordnung, wenn ich aufstehe. Das ist angenehmer!"
"Natürlich. Ja. So wie es Ihnen am liebsten ist.", erwiderte er sichtlich irritiert und richtete seine Brille.
Ich ging hinüber zum Fenster und blickte die Harland-Street hinab. An ihrem Ende versank grade die Sonne im Lake Maku und warf ihr leuchtend rotes Licht auf die bunten Herbstblätter der Bäume. Ich öffnete ein Fenster und sog mit geschlossenen Augen die kalte, frische Luft in meine Lungen. Dann fuhr ich fort.
"Der Lesungssaal leerte sich langsam und die Studenten machten sich auf den Heimweg. Ich hatte den Vortrag frühzeitig verlassen, um einige Vorbereitungen zu treffen und beobachtete sie nun aus dem Schatten zweier Eichen heraus."
Ich drehte mich um, sah Ihn an und machte einige Schritte im Raum.
"Sie sind verheiratet. Machen Sie Ihrer Frau oft Geschenke?", fragte ich.
Er schien überrascht über diese Frage, beantwortete sie aber pflichtbewusst.
"Besondere Menschen verdienen besondere Aufmerksamkeit, nicht wahr. Die kleinen Überraschungen machen das Leben doch erst richtig interessant!"
"Ich denke Sie wissen genau was ich meine.", sagte ich lächelnd. "Eine Überraschung hatte ich auch für Jenny geplant. Sie müssen wissen, dass sie meine Erste werden sollte. Sie hatte etwas Besonderes verdient."
Er lächelte zurück, als er von seinen Notizen hoch sah.
"Langsam ging ich auf sie zu. Die kühle Abendbrise ließ ihr Haar in der sanften Abendsonne erstrahlen und trug ihren süßlichen Duft an meine Nase. Gleich würde es soweit sein. Ich spürte die Aufregung - die Erregung - mit jedem Zentimeter größer werden, den ich mich ihrem schlanken Körper näherte. Ich war ihr nun ganz nah. Einen Schritt weiter und ich würde ihren warmen Atem spüren können.
Was dann geschah, werde ich nie vergessen.
Der dünne Draht schlang sich um ihren Hals, machte sie unfähig einen Ton von sich zu geben. Ihr Körper verkrampfte und während sie an ihren Haaren ins Dickicht der großen Eichen gezogen wurde, schlug sie verzweifelt um sich. Vergeblich versuchte sie sich zu befreien.
Noch in der gleichen Nacht schenkte sie mir ihr Herz. Eingehüllt in einem roten, warmen Mantel wurden wir eins. Ihr Geist glitt in meinen über. Der Punkt der absoluten Erfüllung war erreicht."
Dies war genau der Moment, den ich so liebte. So viele unterschiedliche Menschen hatten diese Geschichte nun schon gehört und doch war der Gesichtsausdruck stets der Gleiche. Unwissenheit und Unglaube vermischten sich auf so offensichtliche Weise mit purer Panik und der blanken Todesangst. Trotzdem blieb der alarmierende Schrei aus.
Sein Patient lächelte ihn an und küsste das herzförmige Amulett, das er versteckt um seinen Hals getragen hatte. Die eingravierten Buchstaben waren nun deutlich zu lesen. J.S.
Wie konnte er ihn nur so unterschätzt haben?