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Holly

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01.05.2008
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Holly

Sie sagte nichts mehr. Früher hatte sie munter drauflos geplappert, besonders gern morgens, wenn ich noch in den Federn lag, sie kletterte ins Bett und begann, auf mir herum zu trampeln und mit ihrer rauen Zunge mein Gesicht abzulecken, das hieß: Aufstehen! Ich habe Hunger!
Aber jetzt, nichts. Sie hatte neue Lieblingsplätze, was mich irritierte, sie lag nicht mehr auf dem Sofa, sondern vor der Heizung, wo ich ein Schafffell bereit gelegt hatte, damit sie es warm hatte, und im Kleiderschrank auf der frischen Bettwäsche, von der ich später die ganzen Katzenhaare abzupfen konnte. Sie verkroch sich gern, wie in einer Höhle. Ich konnte sie gut verstehen; als Kind habe ich mich nur zu gern unter einer Wolldecke verkrochen, die eine Höhle vor meinem Bett bildete oder auch in großen Pappkartons, die sich zum Verstecken eigneten, jedes Kind ist so. Und nun lag Holly den ganzen Tag im Schrank und kam nicht mal mehr zum Essen heraus; ich hatte ihr Futter und Wasser auf einem Tablett vor den Schrank gestellt und auch ihr Klo, etwas weiter entfernt.
Es war kurz vor Weihnachten. Es stand wieder ein Tierarztbesuch an. Mittlerweile sträubte sie sich nicht mehr, wenn ich sie in den Transportkorb schob, sie ließ es einfach über sich ergehen, mit einem müden, zerstreuten Gesichtsausdruck, der mir Angst machte. Ich klickte den Korb zu und ging los.
Der Tierarzt präsentierte mir die Blutwerte. Blutwerte, ich verstand nichts davon, wusste aber, dass sich hier einiges entschied. Er erklärte mir die einzelnen Positionen und meinte dann:
„Die Schilddrüsenwerte sind kritisch. Es ist wohl an der Zeit, über eine Erlösung nachzudenken.“
Mir wurde schwarz vor Augen, mein Gesicht brannte heiß und kalt zugleich.
„Gibt es keine Möglichkeit? Überhaupt keine?“, fragte ich.
„Die Katze müsste Medikamente bekommen, das Problem ist, dass dieses spezielle Medikament nur als Serum vorliegt, das heißt, Sie müssten es spritzen, und das jeden Tag, wollen Sie das auf sich nehmen?“
„Sofort“, sagte ich, „Ich mache alles.“ Ich mache alles für meine Maus. Aber ich hatte Angst ... war es wirklich schon so schlimm? Nicht drüber nachdenken. Es würde schon wieder. Mit den Spritzen würde es schon wieder. Ja?
„Ich bin überrascht, das macht nicht jeder. Nun gut, dann zeige ich Ihnen die nötigen Handgriffe.“
Jetzt ging es also ans Spritzen. Ich hatte Angst, ich würde Holly wehtun, aber es ging um ihr Leben, und da war mir alles egal. Hollys Fell war rasiert, das hieß man konnte die Haut direkt sehen und musste nicht durchs Fell durchstechen, was die Sache unkomplizierter machte. Beim ersten Einstich zuckte sie zusammen; nach ein paar Tagen nahm sie das Pieksen stoisch hin wie ein Buddhist beim Meditieren. Doch bald bekam sie Blutergüsse an den Einstichstellen, es sah furchtbar aus, und ihre Haut wurde dünner und dünner, wie die Haut eines gegrillten Hähnchens, ich hatte Angst, dass sie riss. Außerdem aß Holly immer weniger. Ich plante einen Tierarztbesuch am Tag vor Heiligabend, damit ihr vielleicht Vitamine oder Mineralien gespritzt wurden, wenn sie schon kein Essen zu sich nahm.
Ich stellte den Katzenkorb auf den Behandlungstisch und holte Holly heraus. Der Tierarzt nahm sie und befühlte zunächst ihren Bauchraum.
„Sie muss irgendwas zu sich nehmen“, meinte ich, „sie hat seit Tagen nichts gegessen, nur viel getrunken. Kann sie vor den Feiertagen ein paar Vitamine haben?“
Ich hoffte, mit einer Vitaminspritze wäre es getan.
Er sah mich an und ich wusste, was er sagen würde, vor diesem Augenblick hatte ich mich immer gefürchtet, seit Holly bei mir war. Ich hatte mir geschworen, was auch immer passierte, ich würde sie nicht einschläfern lassen, auf keinen Fall, niemals.
„Frau Kiefer, es sieht nicht gut aus, es tut mir leid. Ihre Katze hat einen Tumor an der Niere, der rapide gewachsen ist, so dass ich ihn nicht früher ertasten konnte, aber jetzt ist es zu spät. Sie tun der Katze keinen Gefallen, wenn Sie sie wieder mitnehmen.“
Ich sah Holly an und sie sah mich an. Sie hatte wunderschöne große gelbe Augen und diesen tiefen verständnisvollen Blick, der mir sagte, „ich liebe dich so wie du bist.“ Sie war meine beste Freundin. Was hatten wir nicht alles gemeinsam durch gestanden – etliche Umzüge und Liebhaber hatte Holly miterlebt, die einzige, die blieb, war sie. Ich liebte sie.
Was soll ich tun, Maus? fragte ich sie. Was soll ich tun?
Sie stupste mich an und schnurrte.
„Hat sie jetzt Schmerzen?“, frage ich den Arzt.
„Jetzt mit Sicherheit. Beim Einschläfern hat sie keine Schmerzen, es ist nur ein überdosiertes Schlafmittel, sie wird nichts spüren.“
Sie sah mich an und sagte: Lass mich gehen, ich bin immer bei dir.
Ich streichelte ihren kleinen geschundenen Körper mit den blauen Flecken und dem rasierten Fell, der so oft bei mir im Bett oder auf dem Sofa lag, den ich so gut kannte, seit sie als kleine Katze zu mir kam.
„Okay, dann tun Sie es.“
Sie schickten mich raus, und vor dem Behandlungszimmer brach ich in Tränen aus. Im Wartezimmer stand ein Weihnachtsbaum, der blinkte. Ich war nicht bei Holly, als sie starb. Ich weinte die ganze Zeit, bis sie mich wieder herein riefen, sie hatten Holly in ein Handtuch gewickelt und in den Transportkorb gelegt. Ich bedankte mich, bezahlte und ging mit Hollys Körper nach Hause. Es fing an zu schneien.
Frohe Weihnachten, Maus.

 

sehr traurig... ich habe viele katzen. kann grad jetzt nicht wirklich mehr dazu sagen. fand ich gut.

lg

 

Liebe Catlucy,
die Geschichte geht mir thematisch sehr nahe.
Vor über zwei Jahren musste ich meine Katze einschläfern lassen, nach 16 Jahren, die sie mit mir verbracht hat. Das geht mir immer noch sehr nah und ich habe es immer noch nicht geschafft darüber zu schreiben.
Du hast einige sehr gute Elemente drinnen, die vor allem die Beziehung zwischen Katze und Mensch widerspiegeln.
Mit den Tierarztgesprächen/dialogen hatte ich meine Probleme, irgendetwas stimmt da meiner Meinung nach nicht. Die Prot ist zu wenig innerlich beteiligt. Ihre Antworten/Gesprächsbeiträge würde ich vielleicht noch durch "inneres Erleben" verdeutlichen, vor allem nach der ersten Diagnose, da Du gleich nach der ersten Diagnose mit dem "Spritzen" einsetzt, aber das die Katze schlussendlich sterben wird (trotz der Behandlung), diese Realität, kommt mir zu kurz und wird durch die "Behandlung" verschluckt.
Und sowas ist wieder echt gut:

, die einzige, die blieb, war sie.
Und
Mir fiel ein schwarzer Schatten über die Augen, mein Gesicht wurde heiß und kalt zugleich.
Warum nicht das altgediente: Mir wurde schwarz vor Augen/nahm die Wirklichkeit durch einen Schleier wahr etc.? Schwarzer Schatten hört sich irgendwie seltsam an.
Liebe Grüße,
Bambule

 

Liebe Bambule,

danke, dass Du meinen Text gelesen und bewertet hast. Ich habe an einigen Stellen beim Tierarzt ein paar Gedanken und Ängste von der Prota hinzugefügt und hoffe, dass es jetzt menschlicher wirkt.
"Mir fiel ein schwarzer Schatten über die Augen" habe ich bewusst so formuliert, weil mir die altgedienten Phrasen zu abgedroschen waren.

lg, catlucy

 

Hallo

Hallo catlucy,

ich habe die Geschichte gerne gelesen. Ich konnte gut mit der Frau mitfühlen. Das Schicksal der Katze ging ihr sehr nahe und das spürt man in jeder Äußerung.
Guter Schreibstil und passend für die Thematik. Gute Bilder (Metaphern) wie man in der heutigen Gesellschaft sagt. Ein toller Einfall, die Katze mit Maus zu kosen. Fällt einem sofort auf und bleibt haften.

"Mir fiel ein schwarzer Schatten über die Augen" habe ich bewusst so formuliert, weil mir die altgedienten Phrasen zu abgedroschen waren.

muss ich Bambule zustimmen. Klingt etwas seltsam. Klingt so, als ob vom Himmel ein schwarzer Schatten herunterfällt und über den Augen hält. Klingt ein wenig komisch.

Holly finde ich auch niedlich. Kann zwar mit Katzen nicht viel anfangen. Rassentechnisch und so. Aber der Name ist drollig.

gerne gelesen. Hat mir gefallen

MfG Mantox

 

Hallo,
ich habe doch den schwarzen Schatten geändert, ihr wurde nur noch schwarz vor Augen. Wenn der Leser drüber stolpert; das muss ja nicht sein.

lg, catlucy

 

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