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Hollywood und ich!
Ein Erfahrungsbericht.
Wenn Du beim Schuheschnüren ächzend in die Hocke gehst und dabei regelmäßig vornüber kippst wie ein Stehaufmännchen, dem sie das Gegengewicht geklaut haben, läuten die Glocken noch leise und zart.
Wenn Du dann irgendwann vor dem Pinkelbecken stehst, Dir selbst die Sicht nimmst und jede Handlung reine Gedächtnisleistung ist, dann tönen sie laut und schrill, obwohl Du sie nicht sehen kannst … ich meine die Alarmglocken … Spätestens dann musst Du was tun!
Die Tendenz war da und ich wollte es nicht soweit kommen lassen.
Sport ist das einzige Mittel und da hat man dann die Wahl:
Sich in der Muckibude neben arrogant grinsenden Anabolikern quälen, im Sportverein als Neuling rumhampeln oder das verlockende Angebot der Volkshochschule annehmen: Fitness- und Konditionsgymnastik im Frühjahrssemester für alle von zwanzig bis siebzig. Ein bunter Haufen von Leidensgenossen, die meine Erfahrungen teilen. Das passt, alle sind neu, ein Start in lockerer Runde. Sechzig Euro für meinen Körper. Er würde mir die Füße küssen.
Meine Freizeithose passte noch, wenngleich das getigerte Muster leicht verwaschen wirkte. Das sportliche Bild rundete dann ein Muscleshirt ab, das noch etwas weit über meinen Schultern hing, wodurch der Aufdruck Mallorcas undeutlich in Falten lag und eher wie Ibiza rüberkam, aber das würde sich bald ändern, denn meine Erwartungen waren groß!
So perfekt gestylt begab ich mich dann zum düsteren Seiteneingang einer Grundschule.
Den Sinnspruch über der verrosteten Tür: >Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper<, der durch >Sport ist Mord. Mehr Sport für Lehrer, es kann nur besser werden, egal wie< ergänzt war, ignorierte ich.
Ich bin kein Lehrer und das gab mir etwas Sicherheit.
Mit dem ersten Schritt in den dunklen Flur schlug mir das Ergebnis jahrelangen, erbitterten Kampfes entgegen. Domestos hatte verloren gegen Achselschweiß und Socken. Es kann aber auch sein, dass Kinder ihr Revier durch Duftmarken abstecken oder Meister Propper irgendwo tot in einer Ecke lag. Ich hab’s nicht näher untersucht.
Die Halle selbst ließ mich einen Moment grübeln. Sollte ich nicht besser mein Wohnzimmer zur Verfügung stellen? Es ist größer und riecht auch besser. Aber kleine Kinder verlaufen sich leicht und da kann es schon passen und für etwas Gymnastik würde es wohl reichen.
Ich setzte mich auf eine schmale Bank und ließ schon mal meine Gedanken in dem Karree von acht mal acht Meter Liegestützen machen, bis bei fünfunddreißig meine linke Schulter plötzlich in einen Schraubstock geriet. Die Gedanken stöhnten auf, brachen das Training ab und ich wirbelte herum.
Und dann ... Hollywood!
Hollywood stand vor mir in einer seltsam komprimierten Ausprägung.
Der grazile Körper von Demi Moore, in einen hautengen, schwarzen Gymnastikanzug gezwängt, war eingehüllt in pure Erotik, die aber genau da endete, wo Bruce Willis mich von ihren Schultern, durch einen Nebel aus Pitralon, angrinste. „Ich bin Rita, die Trainerin“, mischte sich Eddy Murphy ein. „Wie schön mal ein neues Gesicht zu sehen!“ Ich konnte sie verstehen, denn Bruce Willis war auch nicht unbedingt mein Typ.
Mit einer schnellen, herrischen Handbewegung rammte ihr Zeigefinger ein Loch in die Schallmauer und wies in Richtung der Umkleideräume. „Nicht in die Herren, wir haben getauscht!“
Nicht in die Herren... Kurz blitzte ein übles Wortspiel auf. Nein, das wollte ich auch nicht. Aber egal, jeder wo er hingehört und solange ich keine Strumpfhosen tragen muss, kann’s mir egal sein.
Die Garderobe passte in ihren Dimensionen zur Sporthalle. Sie war gefliest wie ein Kontakthof auf St. Pauli, so eng, dass ein wirklich großer Mann die Tür öffnen musste um einen Pullover anzuziehen und roch wie ... Meister Propper musste hier verendet sein.
Aber ich war nicht allein: Ein leicht devot wirkender Jüngling Ende Zwanzig, dem ich in jedem Fetischporno den Sklaven abgenommen hätte, kauerte in einer Ecke und zwängte seine schlanken Beine in enge, schwarze Radler. Dann stand er auf und reichte mir die zarte Hand. „Ich bin Jürgen.“ Sein Lächeln wirkte echt, obwohl da so ein leichter Nachhall wie „Schlag mich, ich war ungehorsam“ mitschwang. „Wie schön, da bekommt die Männergruppe Verstärkung“, wisperte er. Ich sah mich um, aber wir waren allein. „Und woraus besteht die Männergruppe?“ „Aus uns beiden.“ Aha, er also auch!
Ich zog meine Sportschuhe über und machte mich auf in die Halle. Der Gedanke an eine Horde knackiger Cherleader, die mich jubelnd und putzwedelschwingend in der Arena begrüßten, wurde von ca. zehn schnatternden Damen meines reifen Alters brutal beiseite gerammt.
„Das ist Manfred, er hat sich entschlossen mit uns Sport zu machen.“ Demi Moore wackelte mit dem Hintern und Bruce Willis´ Grinsen hatte was Diabolisches.
Zehn Augenpaare musterten mich kritisch. Kennt er Kochrezepte? Trinkt er Tee? Trägt er Nylons?
Als Erstes sollten wir uns warm machen. Ein Déjà-vu meines letzten Gran Canaria-Urlaubs blitze auf. Zwei Wochen der einzige Hetero auf der Insel. Egal, was ihnen da nicht gelang, würden sie auch hier nicht schaffen. Ich machte mit.
Zu dieser Übung gehörte es, dass Hollywood wahllos Frisbeescheiben aus Schaumstoff auf dem Hallenboden verteilte.
„Und jetzt alle durcheinander laufen und immer den Scheiben ausweichen!“
Für einen Mann, der sich täglich im Berufsverkehr beweisen muss, eine durchaus zu bewältigende Aufgabe. Ich lief einen munteren Slalom um Frisbeescheiben und kollisionswütigen Frauen. Meine Sportskolleginnen hingegen wuselten durcheinander, stolperten, rempelten und walzten alles nieder, was im Weg lag.
Nun soll den der Blitz treffen, der behauptet, dass dies eben dem weiblichen Naturell entspräche: Sich auf den Weg machen, nicht wissen wohin, aber dafür möglichst planlos.
(Gott sei Dank saß ich dann später im Auto, als er einschlug!)
Aber der Verkehr in der Halle wurde schnell lichter. Nach und nach taten sich kleine brabbelnde Grüppchen zusammen, von denen ich in meinem munteren Lauf Satzfragmente wie „seit einem Jahr bleiben meine Tage aus ... in der Innenstadt ein neues Schuhgeschäft ... mein Mann lernt stricken ...“ aufschnappte. Nach gefühlten zehn Minuten war ich ganz allein unterwegs.
Danach verteilten sich alle wieder, hüpften munter auf der Stelle, grätschen was die Bänder hergaben, kreisten Bauch und Schultern, dass es eine Freude war.
Demi Willis rief zu neuen Aktivitäten. „Bildet jetzt einen großen Kreis, denn nun wollen wir uns dem Manfred vorstellen.“
Eine nette Geste, dachte ich und war gespannt.
Die Frisbeescheiben wurden eingesammelt und nur noch eine kam zum Einsatz.
Die Damen kannten das Spiel auch nicht, aber es war simpel:
Erika wirft die Scheibe quer durch den Raum zu Mechthild und ruft deren Namen. >Namen merken!< Nun wage ich nicht zu vermuten, dass Erika nicht werfen kann, aber das Ding flog zu Anita. Mechthild bestand auf ihr Eigentum, stolperte vor und kollidierte mit Anita, die nicht wusste, dass sie nicht Mechthild war. Anita gewann und wurde so ungewollt zu Mechthild. Erika stürmte sofort quer durch den Raum der Scheibe hinterher und stellte sich hinter Mechthild, der früheren Anita. Diese wiederum rief "Julia" und traf! Anita-Mechthild stürmte nun los und Erika stand wieder allein. Nun rannten und warfen also die Johannas und Gertruds schreiend und rufend quer durch die Halle. Ich durfte mitspielen und schleuderte das Ding zu Claudia.
„Hier gibt’s keine Claudia!“
„Doch.“
„Wer ist Claudia?“
„Du!“
„Nee, ich bin Rita!“
Hollywood hatte Spaß an dem Durcheinander und brachte noch zwei weitere Scheiben ins Spiel. Gertrud schrie „Elke“, rammte Marta und traf Luise, während diese versuchte, zwei Scheiben gleichzeitig zu fangen und den heranstürmenden Werferinnen auszuweichen. Johanna grätschte dazwischen und trat Ulrike die Beine weg. Das ging dann so ca. fünf Minuten, bis sich in der Hallenmitte ein zuckender Haufen Leiber türmte, aus dessen Inneren vereinzelt Namen gestammelt wurden. Ein Bild, das jeder kennt, der einmal seine Frau zum Schlussverkauf begleiten durfte und für mich die Lehre, im Kontakt mit einer Frau nicht mehr den Wunsch zu äußern, unten liegen zu wollen.
Die leisen Plop-Geräusche, die meine Lungenbläschen machten, als sie sich wieder mit Luft füllten wurden durch eine knappe Ansage beiseite geschleudert: „Beim nächsten Mal frage ich die Namen ab.“ Bruce Moore sah mich an, und sie meinte es ernst.
Ernsthafte Verletzungen hatte es nicht gegeben, trotzdem durften wir uns danach auf Matten legen, schön im Kreis verteilt. Meist belegten zwei Mädels eine Unterlage. Ich hatte eine für mich allein. Dabei hatte ich mir am Vormittag neue Schuhe gekauft und hätte gerne davon erzählt. Egal, ich machte mich lang ... alles wurde locker, leicht und entspannt ... bis eine Stimme meinen Namen und mich zur Ordnung rief.
Wir mussten uns halb aufsetzen, die Beine schwebend in der Luft halten und langsam vor und zurück bewegen. Wer inkontinent war, hätte jetzt verloren. Ich achtete genau auf meine Umgebung, aber alle blieben tapfer und dicht.
„Manfred, das geht doch höher, breiter, schneller und länger. Wir haben Siebzigjährige, die können das besser!“
... Aber mein Schließmuskel ist noch intakt, also bin ich klar im Vorteil.
Die folgenden Übungen waren reine Schwangerschaftsgymnastik.
Beckenboden, Schließ- und Bauchmuskeln wurden trainiert. Hecheln musste ich von alleine, bis ein mattes Ziehen meine Eingeweide neu zu ordnen schien. Waren das schon die Wehen? Hätte ich bei der Vorsorge doch Ultraschall ordern sollen? Wird’s ein Junge? Soll es hier in der Halle passieren? Muss ich zum Proktologen, Urologen oder doch zum Gynäkologen? Ich beobachtete Jürgen, der die Übungen absolut perfekt ausführte, was vermuten ließ, dass dies nicht seine erste Schwangerschaft war.
Das Ziehen verging und ich konnte mich wieder auf die Übungen konzentrieren.
Es wurde gestretcht, gedehnt und gebeugt bis die Gelenke neu ausgerichtet waren. Was würde passieren, wenn ich von der Matte aufstünde? Könnte ich noch meine Hände in die Hosentaschen stecken? Würde ich rückwärts gehen? Müsste ich mit dem Rücken zum Pinkelbecken stehen?
Müßige Gedanken, denn wir waren noch nicht fertig.
Meine Mitsklaven wussten, was kommen würde. Sie hielten plötzlich breite Latexbänder in Händen und warteten auf Befehle. Ich war noch nicht voll ausgestattet und bekam mein Band von der Hollywood selbst geliehen.
Die letzten Übungen standen dann unter dem Motto: Bondage selbst gemacht. Fessel Dich und habe Freude dran, Du Schwein.
Wir schlangen das Band um beide Fußknöchel und spreizten die Beine. Öffnen, schließen, öffnen, schließen. Dann legten wir das Band um den Nacken, die Schulter nach vorn gebeugt und den linken Arm über den rechten, durch die Schlaufe, leicht wippen. Vor und zurück, vor und zurück. Das Band so lassen und das linke Bein über das rechte kreuzen, mit dem Band fixieren und schaukeln, bis man auf dem Gesicht zu liegen kommt.
Das Training war beendet und nach und nach verabschiedeten sich die Sportskolleginnen. Aus den Augenwinkeln fing ich den mitleidigen Blick von Jürgen auf, der stehen blieb und kurz überlegte. Aber er hat´s dann nicht getan!
Nach fünfzehn Minuten hatte Hollywood mich befreit und wünschte mir einen schönen Abend.
Bruce Willis grinste mich an und Demi Moore wackelte mit dem Hintern.
Und ich war sicher, sie freuten sich aufs nächste Mal.
Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und haben nichts mit dem tatsächlich Erlebten zu tun!