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Honigmond
Als es zu dämmern begann, blinkte die Leuchtreklame eines Motels zwischen den Mammutbäumen auf. Das Yosemite Valley lag nur noch wenige Meilen entfernt. Christine seufzte und massierte sich die Schläfen, als ich auf den kiesigen Parkplatz einbog und die Handbremse zog. Der Weg zur Rezeption war schlammig. Kein anderes Auto war zu sehen. Im Empfangsraum hockte ein übergewichtiger Mann in einem fleckigen Unterhemd hinter seinem Schalter und sah sich eine Schießerei im Fernsehen an. Als ich die Tür hinter mir schloss, hob er langsam den Blick.
„How ya doin? Need a room for tonight?”
Ich nickte.
„Ein Doppelzimmer, Queen Size, möglichst billig.“
Der Stuhl knarrte, als er langsam aufstand.
„Vierzig Dollar. Ein sehr kleines Zimmer. Das normale kostet 50.“
An seinem Unterhemd war ein Schild befestigt, auf dem „James“ stand. Er fischte zwei Schlüssel aus einer Schublade und schob sich an mir vorbei nach draußen. Christine stand am Auto und sah mich mit versteinerter Miene an, während James und ich durch den schlammigen Hof stapften. Vor einer schiefen Tür fummelte er mit dem Schlüssel herum. Als die Tür sich öffnete, schlug mir der Geruch von feuchten Handtüchern entgegen. Das Zimmer bestand im Wesentlichen aus vier Wänden, zwischen die ein Bett gedrängt war. Auf einem Fensterbrett balancierte ein Fernseher, und direkt daneben war ein rostiges Gitter in die Wand eingelassen. Schöne Flitterwochen, dachte ich bitter. James grinste.
„Wie gesagt, ein kleines Zimmer. Aber alles ist da, hier: Badezimmer.“
Er stieß eine Tür auf, hinter der sich eine Duschkabine und eine Toilette den spärlichen Platz teilten. James strich sich über den Bauch.
„Vielleicht ist es zu klein. Ich zeige Ihnen das andere Zimmer.“
„Nicht nötig, wir nehmen dies hier“, entschied ich.
Christine war wütend, weil ich angeblich die Heizung kaputtgemacht hatte. James hatte am Gitter herumgeschraubt gemurmelt, es würde uns zu kalt werden. Nun brannte dort eine Gasflamme und die Temperatur stieg. Als ich versucht hatte, die Heizung herunterzudrehen, war der Knopf abgefallen und unters Bett gerollt. Wir konnten das Fenster nicht öffnen, weil der Fernseher es blockierte.
„Meinst Du, ich will mich rösten lassen?“ schrie Christine, während sie ihre Kreditkarte wieder ins Portemonnaie schob.
Ich öffnete die Tür einen Spalt breit und machte den Fernseher an. Auf einem Kanal lief ,Star Wars‘. Ich verzog mich ins Bad. Als ich die Tür wieder aufmachte, hörte ich einen Knall. Christine saß mit einer Flasche Charles Shaw auf dem Bett und lächelte. Sie hob die Weinflasche an die Lippen und gurgelte.
„Schade, dass wir nicht noch irgendwo hingehen können“, meinte sie, „hier ist ja nichts in der Gegend.“
Ich schaute auf den Fernseher.
„James meinte, sie zeigen heute Abend ‚Stirb Langsam‘ auf dem Videokanal.“ Christine nahm noch einen Schluck und blickte mich abschätzig an. Von dem Gitter her strahlte die Hitze in den Raum, von der offenen Tür her zog gleichzeitig Kälte hinein.
„Ich denke, wir müssen die Tür zumachen. Wegen der Mücken“, meinte sie. Ich schob die Tür mit dem Fuß zu. Es wurde spürbar heißer.
„Wie viel Wasser haben wir noch?“, fragte ich .
„Vier Flaschen.“
Ich nahm ihr den Wein aus der Hand und trank einen Schluck.
„Wir müssen den Wein trinken, bevor er zu warm wird“, meinte ich und goss nach. Eine Zeit lang sagten wir nichts und guckten auf den Fernseher. Christine schaltete ihr Handy aus und legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel. Endlich, dachte ich und reichte ihr die Flasche. Der Schweiß rann uns aus allen Poren. Irgendwann küssten wir uns. Ich zog Christines T-Shirt aus und strich über ihren verschwitzten Körper. Sie warf sich zurück aufs Bett und zog mich zu sich. Die Haare hingen ihr ins Gesicht.
Etwas später waren es gefühlte 50° C. Ich wickelte die Decke um meine Hüfte, öffnete die Tür und zündete mir eine Kippe an. Draußen zirpten die Insekten, während drinnen unabänderlich die Gasflamme knisterte. Ich blickte in die Dunkelheit und sah, dass ein Nebel heraufzog. Dann warf ich die Zigarette übers Geländer, legte mich neben Christine und strich ihr über das Haar. Sie nahm meine Hand, rückte ihren Kopf auf meine Schulter und schlief ein.
Als ich aufwachte, war die Tür noch offen. Christine räkelte sich und schaltete ihr Handy ein.
„Acht Uhr“, meinte sie und tippte darauf herum.
Von dem Gasgeruch hatte ich Kopfschmerzen. Ich stolperte in die Dusche, noch bevor ich hören konnte, ob sie eine SMS bekommen hatte. Während der Nacht hatte ich einige neue Mückenstiche bekommen. Ich stellte mich unter die Brause und ließ das Wasser an. Als ich gerade die richtige Temperatur gefunden hatte, hämmerte Christine an die Tür. Ich öffnete.
„Was ist los?“ Sie hustete.
„Kann ich mal den Autoschlüssel haben?“
Ich griff nach einem Handtuch.
„Der müsste in meiner Jeans sein.“
„Ist er nicht.“ Ich blickte an mir herunter.
„Also ich hab ihn nicht, wie Du sehen kannst.“
„Aber Du hattest ihn zuletzt.“
Ich überlegte.
„Ich glaube nicht.“
Christine ließ die Tür offen, drehte sich um und schaute unterm Bett nach. Sie tastete unsere Kleidung ab.
„Hast Du ihn in der Autotür stecken lassen?“
„Nein!“
„Na, hoffentlich ist die Karre noch da!“
Ich band mir das Handtuch um die Hüfte und lief nach draußen. Es war ein nebliger Morgen. Auf der Treppe rutschte ich beinahe aus. Fluchend rannte ich zwischen den Bungalows zum Parkplatz und konnte das Auto in den Nebelschwaden sehen. Die Türen waren abgeschlossen. Ich wischte mit dem Unterarm über das Seitenfenster. Natürlich steckte der Schlüssel nicht, wie auch? Ich stapfte durch den Matsch zurück in das Zimmer. Christine lag auf dem Bett und sah mich fragend an.
„Also das Auto ist da. Der Schlüssel nicht.“
Sie hustete.
„Wir kommen von hier nicht weiter. Was machen wir jetzt?“
„Wir finden den Schlüssel, verdammt!“
Ich zog mir eine Jeans und ein T-Shirt über. Wir durchsuchten nochmal das Zimmer. Nichts. Ich ging zur Rezeption; niemand war da, nur ein Schild mit einem Smiley und dem Schriftzug: „I’ll be back in half an hour“. Wütend marschierte ich zum Zimmer zurück. Christine lag im Bett und starrte gegen die Decke.
„Was ist los?“ rief ich. Sie hob den Kopf, um mich anzublicken. Ihre Augen waren glasig.
„Bist Du krank?“
Sie stöhnte.
„Ich weiß nicht.“
Ihr Handy klingelte. Ich ging wieder nach draußen und rauchte eine Zigarette. Nach einer Weile hörte ich von drinnen ein Schluchzen. Ich ging ein Stück weiter zum Auto und suchte den Boden ab. Nichts. Als ich wieder zurückging, starrte Christine an die Decke.
„Scheiße,“ murmelte sie.
Ich holte die Iburprofen aus dem Bad und setzte mich neben sie. Sie stöhnte. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter. Wir schwiegen. Irgendwann schaltete ich den Fernseher an. Nach wenigen Minuten wurde ihr Atem gleichmäßiger und sie schlief ein.
In der Nacht wachte ich auf, weil jemand an meiner Decke zog. Es war Christine.
„Nimmst Du mich in den Arm?“ fragte sie.
Ich strich ihr über die Stirn. Sie hatte geweint.
„Ist doch alles gut“, murmelte ich.
Die verdammte Hitze im Zimmer nahm nicht ab. Ich blickte aus dem Fenster und konnte den Mond schwach durch den Nebel erkennen.
„Ich fahre nicht nach Paris“, flüsterte sie.
Ich zuckte zusammen.
„Mit Vincent ist Schluss.“
Ich sah sie an. Das Mondlicht schien auf ihr blasses, vom Weinen aufgequollenes Gesicht. Sie trug ein weißes, ausgeleiertes T-Shirt. Wie ein kleines Mädchen. Ich schluckte und strich ihr übers Haar. Sie begann wieder zu weinen.
Die Rezeption war auch am nächsten Morgen noch unbesetzt. Ich stieg die Treppe zu unserem Zimmer hoch. Christine schlief. Ihr Kopf war rot und sie atmete schwer. Ich blickte auf ihr Handy: „3 missed calls“. Da fasste ich einen Entschluss. Vorsichtig zog ich meine Tasche unter dem Bett hervor, schlich nach draußen und zog langsam die Tür zu. Die Straße war nicht besonders befahren und ich rechnete damit, dass es eine Weile dauern würde, bis jemand anhalten würde. Einige PKW brausten vorbei. Es schien mir, als hätte sich der Nebel ein wenig gelichtet, als ein roter Dodge anhielt. Als ich meine Tasche auf die Rückbank warf, war ich mir sicher, ihren Blick auf meinem Rücken zu spüren.