- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Hooka Hey
„Du siehst furchtbar aus.“
„Danke, sehr freundliche Begrüßung“, grinste ich gequält und deutete auf mein Bier. „Auch eins?“
Er nickte. „Das wievielte ist das?“
Was ging es ihn an, ob ich mich betrank? „Das zweite“, log ich und bestellte per Handzeichen zwei weitere, während er seine Jacke auszog, sie sorgfältig über die Lehne legte und sich neben mir auf einen der rustikalen Holzstühle sinken ließ.
„Und? Was war nun so wichtig, dass ich sofort herkommen sollte?“, fragte er mürrisch. „Vor allem, nachdem du dich jahrelang nicht gerührt hast und lieber in der Versenkung verschwunden bist.“
Ich zögerte. Wenn ich gewusst hätte, dass er wieder damit anfing, hätte ich ihn nicht angerufen. Aber ich brauchte ihn. Er war der einzige, der mir helfen konnte, auch wenn ich ihn erst dazu bringen musste.
Nur, wie sollte ich anfangen? 'Du, ich hab da diesen Typen getroffen ...'? Nein. Dann dachte er, ich hatte mein Coming-Out und als nächstes bekäme er ein Antrag. Ich starrte auf mein Bier. 'Mir ist da was ganz Seltsames passiert'? Hm. Auch Mist.
„Glaubst du an Wiedergeburt?“, fragte ich schließlich und wurde Zeuge, wie sich ein Ausdruck von Überraschung, Amüsiertheit bis hin zu Spott durch sein Gesicht walkte.
„Woran?“, lachte er, und ich bereute augenblicklich, seine Nummer nach unserem letzten Streit nicht gelöscht zu haben.
„Du hast richtig gehört.“
Er sah mich an. „Ich bin Pathologe. Also glaube ich nicht daran. Du etwa?“
„Ich weiss nicht“, sagte ich langsam und betrachtete nachdenklich den Werbedruck auf meinem Bierdeckel.
„Warum fragst du?“ Seine Stimme drang nur leise durch den Schleier der Erinnerung, der sich in diesem Moment vor mein inneres Auge schob, und verschmolz dann mit meiner eigenen.
„Weil es sie gibt ...“
*
„Sie sind also der Killer, ja?“
Ich deutete ein Nicken an und betrachtete mein Gegenüber. Kaum 20 war er schätzungsweise, dunkles Haar, gepflegtes Äußeres. Anzug und Charisma zeugten von Geld. Viel Geld.
Sehr gut.
„Und wer ist der Glückliche?“, fragte ich beiläufig, während ich es mir an der Bar bequem machte und die Flaschen vor dem wandfüllenden Spiegel meiner mir eigenen Qualitätskontrolle unterzog.
„Niemand Besonderes“, war seine Antwort, und ich war klug genug, nicht weiter nachzufragen. Vorerst.
„Und wie?“ Irgendwo weiter rechts lachte mich ein Single Malt an.
„So, dass hinterher nichts mehr von ihm übrigbleibt. Nicht mal seine Eingeweide.“
Na toll. Ich hasste diese Art Auftrag. Wenn sie schnell und schmerzlos über die Bühne gingen, war es okay, aber was er da verlangte, endete ziemlich sicher in einer Sauerei. Andererseits hatte er bestimmt genug Geld, um mir auch diese Sauerei schmackhaft machen zu können.
„Hm.“ Ich zeigte auf die Flasche. „Darf ich fragen warum?“
Er zögerte. Natürlich. Niemand sagte, warum er jemanden aus dem Weg haben wollte. Im Grunde war es eine rhetorische Frage, aber ich liebte es, sie zu stellen.
„Weil er es verdient hat.“
Natürlich.
Er bestellte. Single Malt, damit ich aufhörte zu fragen.
Nach zwei weiteren Drinks hatte ich die Antwort.
„Er ist gefährlich und bringt nur Unheil über die Menschen.“
Schöne Antwort. „Was tut er denn?“
„Noch tut er nichts. Aber er wird etwas tun.“
Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Blondine, die in diesem Moment ein paar Meter weiter am Tresen Platz nahm. Doch sie war nicht der Job. Er war es.
„Na gut. Foto? Adresse?“
Er schob mir einen Umschlag rüber. „Alles hier drin.“
Ich nickte und nahm ihn entgegen, wobei mein Blick auf seine Finger und die abgenagten Nägel fiel, die das sonst so akkurate Bild meines Gegenübers in ein neues Licht rückten. Ein verzogenes Rich-Kid also, und vermutlich würde ich in dem Umschlag ein Foto seines Vaters vorfinden.
„Das Geld liegt in einem Schließfach. Den Schlüssel haben Sie jetzt“, fuhr er fort, während ich den Umschlag in meine Jackentasche steckte und einen weiteren Whisky bestellte. „Aber kommen Sie nicht auf die Idee, mich übers Ohr hauen zu wollen. Er nutzt Ihnen erst was, wenn es erledigt ist.“
„Natürlich.“ Ich sah ihn an. Seltsame Augen hatte er. Tiefbraun und unergründlich.
„Wann soll es passieren?“
„Jetzt.“
„Jetzt?“, wiederholte ich überrascht und überlegte, ob er mich verarschen wollte oder sich sogar gleich als Bulle entpuppte, doch sein Gesichtsausdruck verriet das Gegenteil. Er war vollkommen ruhig und lächelte mich kalt an.
„Jetzt“, wiederholte er und deutete auf meine Jacke. „Sehen Sie doch einfach nach, wer der Glückliche ist.“
Ich überlegte kurz, griff dann den Umschlag und staunte nicht schlecht, als mir neben dem besagten Schließfachschlüssel tiefbraune Augen entgegenblickten.
*
„Es gibt sie? Wer hat dir denn diesen Schwachsinn erzählt?“
„Hm?“
Ich schreckte hoch und musste mich zwingen, meine Gedanken wieder auf die Gegenwart zu lenken. Auf meinen alten Schulfreund, der sich in diesem Moment seinem Bier widmete, den Blick weiterhin skeptisch auf mich gerichtet.
„Ein ... Bekannter“, entgegnete ich lahm und versuchte vergeblich, die Erinnerung an den Abend an der Bar abzuschütteln.
„Ach, und konnte er das auch beweisen?“
Ich leerte mein Bier in einem Zug und atmete tief durch. „Ja“, sagte ich dann, „das konnte er allerdings.“
*
Nachdem ich mich von meinem Schock erholt hatte, fragte ich ihn, was er denn so Schreckliches tun könnte, dass er jemanden wie mich anheuerte.
„Ich werde Unheil über die Menschen bringen“, erklärte er trocken und sah mich an. „Ich bin die Wiedergeburt des Bösen. Das personifizierte Übel, sozusagen.“
„Hm.“ Ich musterte ihn ein weiteres Mal, konnte aber an seinem Äußeren weder etwas Bösartiges entdecken noch irgendein Anzeichen für einen verwirrten Geisteszustand.
„Ich war Ramses II.“, fuhr er unterdessen fort, und für einen kurzen Moment glaubte ich, einen wehmütigen Zug um seine Mundwinkel erkennen zu können.
„Der war doch nicht böse“, warf ich ein. „Abgesehen davon, dass ich die Geschichte nicht ganz glaube, mit Verlaub.“
„War er nicht?“ Nun grinste er vielsagend. „Man sollte nicht alles glauben, was die Geschichtsbücher aussagen. Vergessen wir nicht, dass die damaligen Schreiber dem Pharao unterstanden. Und was 'die Geschichte' angeht ...“ Er zeigte auf den Umschlag. „In dem Schließfach finden Sie neben dem Geld auch ein paar Beweise, die Ihnen sicher helfen werden, sie nicht länger anzuzweifeln.“
Langsam amüsierte mich der Kerl. „Na, da bin ich ja gespannt. Und wer waren Sie noch so alles?“
„Nun“, begann er gedehnt und zählte Personen der Weltgeschichte auf, die sich an Machthunger, Gier und Brutalität gegenseitig überboten hatten und deren Namen wohl jedem Schulkind dieser Welt geläufig waren. Und sie alle sollte er gewesen sein.
*
„Ramses, Alexander der Große, Tschingis Chan, Napoleon und Hitler?“
Schallendes Gelächter meines Gegenübers. „Da hat dir aber jemand einen schönen Bären aufgebunden!“
„Ja“, stimmte ich zu, „das dachte ich zunächst auch. Aber denkst du das immernoch, wenn ich dir sage, dass er Einzelheiten weiß, die wohl kaum jemand kennen würde, der nicht zu der jeweiligen Zeit gelebt hat?“
„Dann hat er eben viel Fantasie.“
„Und wenn er das mit Fakten und Jahreszahlen belegen kann?“
„Internet“, kam es trocken.
„Und fließend ägyptisch, altgriechisch und russisch spricht?“
Jetzt zögerte er kurz. „Dann ist er ein Sprachtalent.“ Er leerte sein Bier und bestellte ein neues. „Du auch eins?“
Ich nickte.
„Wie willst du das eigentlich beurteilen, ob er die Sprachen wirklich beherrscht?“, fragte er dann, nachdem die Kellnerin die Gläser vor uns auf dem runden Holztisch abgestellt hatte. „Wäre mir neu, dass du die alle sprichst.“
„Hast du vergessen, dass ich Verwandte in der Mongolei habe?“, entgegnete ich grinsend. „Und er ist höchstens 22, und da kann ich mir kaum vorstellen, dass er dermaßen sprachgewandt ist.“
Ich musterte ihn gelassen und sonnte mich in der fortschreitenden Ebbe seiner Argumente und dem resignierten Ausdruck, den sein Gesicht nach und nach annahm. Und ich konnte es ihm so gut nachfühlen, war es mir doch vor Kurzem nicht anders gegangen.
*
„Sie sind sich aber bewusst, dass ich Sie wirklich töten werde, ja?“, fragte ich, nachdem ich irgendwann aufgegeben hatte, seine zahlreichen Beweise in Frage zu stellen. Beweise, die mir zu widerlegen unmöglich waren, teils aus Unkenntnis der jeweiligen Epoche, aber hauptsächlich, weil ich keine Lust mehr hatte, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Wenn er unbedingt sterben wollte – bitte.
„Genau darum bin ich hier“, erklärte er bestimmt, während er sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht strich und sie mit sanfter Bewegung hinter sein Ohr schob. „Ich habe Völker gemordet, Ländereien vernichtet und gegen alles verstoßen, das der allgemeinen moralischen Überzeugung entspricht. Und dem soll jetzt ein Ende gesetzt werden.“
Ich nickte. „Das würde doch aber nichts ändern“, wandte ich ein. „Sie werden wiedergeboren und alles geht von vorne los, oder nicht?“
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
„Also wissen Sie es nicht genau?“
„Nein.“ Er sah mich an und schien für einen Moment in eine andere Welt abzutauchen, bevor er leise hinzufügte: „Sie sind meine letzte Hoffnung.“
*
„Ich glaub dir trotzdem kein Wort“, sagte er kopfschüttelnd. „Sowas gibt es nicht. Du hast wahrscheinlich nur mal wieder zu tief in's Glas geschaut.“
Ich seufzte.
Ich hätte mir denken müssen, dass ich ihn nicht würde überzeugen können. Er war schon in der Schule viel zu vernünftig gewesen, hatte nie irgendwelchen Blödsinn mitgemacht und sicher in seinem ganzen Leben nichts Verbotenes getan. Aber genau darum hatte ich ihn ausgesucht. Er war der einzige, dem ich zutraute, was ich vorhatte. Aber ich musste es geschickt anstellen.
„Angenommen es stimmt wirklich“, sagte ich schließlich nach einer Pause betretenen Schweigens. „Angenommen es gibt Wiedergeburten und ich bin tatsächlich jemandem begegnet, der schonmal gelebt hat. Glaubst du, er würde immer wieder geboren werden und niemals wirklich tot sein?“
Er legte seine Stirn in Falten und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Keine Ahnung. Aber scheinbar schon, denn die Leute, die er behauptet gewesen zu sein, sind ja auf sehr unterschiedliche Weise ums Leben gekommen. Durch Mord, Hinrichtung oder auf natürlichem Weg. Wie also sollte er dann wirklich sterben? Höchstens vielleicht durch Selbstmord.“
Selbstmord. Mein Herz begann schneller zu schlagen.
„Allerdings“, widersprach er sich selbst, „hat Hitler sich ja wie wir wissen selbst umgebracht. Damit scheidet das also auch aus. Bliebe noch ...“
„Ja?“ Ich sah ihn an, ungeduldig auf jedes folgende Wort lauernd, doch er hielt inne und betrachtete nachdenklich die Papierserviette, die er seit Minuten immer wieder zusammengefaltet und auseinander genommen hatte. Dann wickelte er sie um seinen Zeigefinger, hielt sie dort fest, und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.
„Ja, das könnte gehen.“ sagte er dann und grinste.
„Ja, was denn nun?“ drängte ich, während ich krampfhaft versuchte, nach Außen hin ruhig zu wirken und ihn nichts von der Euphorie spüren zu lassen, die sich meiner nach und nach bemächtigte.
„Du sagst, er behauptet, Ramses der Zweite gewesen zu sein, richtig?“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. „Richtig.“
„Nun, ich weiß ja nicht, wie gut du dich mit den alten Ägyptern auskennst, aber wie ich dich kenne, hast du damals in Geschichte nicht aufgepasst, und die ganzen interessanten Sachen verpasst.“
„Richtig“, log ich und starrte ihn an.
Sag es. Sag es endlich.
„Dann weißt du auch sicher nicht, dass man Ramses damals nach seinem Tod aufgeschnitten und ihm seine Organe entnommen hat, um sie gesondert beizusetzen“, erklärte er. „Nur das Herz und die Niere tat man wieder zurück, da man damals glaubte, dass der Leichnam von höherer Ebene auf Herz und Nieren geprüft werden würde, um im Jenseits weiterbestehen zu können.“ Er wickelte die Serviette von seinem Finger und grinste. „Hätte man also diese beiden Organe nicht wieder zurückgetan, so glaubten sie, wäre eine Wiedergeburt unmöglich gewesen.“ Er ließ die Serviette auf den Tisch fallen und sah mich an. „Das also wäre – in der Theorie natürlich nur – ein möglicher Weg, damit dein Bekannter nicht wieder zurück kommt.“
Sein Gesicht verschwamm vor meinen Augen und ich spürte, wie ich mich innerlich vom Stuhl erhob und zur Decke schwebte.
„So, dass hinterher nichts mehr von ihm übrigbleibt. Nicht mal seine Eingeweide.“
„Und? Was bringt dir diese Erkenntnis jetzt?“, lachte er und erhob sein Glas. „Auf die Toten! Mögen sie noch sehr lange meinen Lebensunterhalt sichern.“
Ich lächelte und erhob ebenfalls mein Glas. „Auf die Toten.“
Das Geräusch der sich berührenden Gläser hörte ich schon nicht mehr, denn ich gab mich völlig der inneren Ruhe hin, die mich einhüllte, seit er die magischen Worte ausgesprochen hatte. Die Worte, die es besiegelten. Auch reagierte ich nicht auf seine Bemerkung, ich solle endlich mit dem Fingernägelkauen aufhören, das sehe bescheuert aus, denn nun wusste ich, dass ich mein Ziel erreicht hatte.
Er wusste es. Und er würde es tun. Er würde das Kouvert in meiner Jackentasche annehmen, mit dem Schlüssel und den Anweisungen, und er würde es zu Ende bringen, nach meinem Tod. Er würde den Kreislauf beenden und ich wäre endlich frei.
Wir wären frei.