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Hoppla- jetzt komm ich
Eine Satire (?) der jüngsten deutschen Geschichte
Wir, Mitarbeiter in einem Hamburger Architekturbüro, gingen mit unseren neuen Kollegen in der Mittagspause zum Griechen. Der neue Kollege, Dirk Müller, studierte intensiv die Speisekarte, während wir bereits wussten was wir essen wollten.
„Haben die hier keine Breuler?“ fragte schließlich Dirk Müller.
„Was soll das sein?“ fragte ich leise.
„Huhn.“
„Die machen hier ein leckeres Geflügelgiros.“
„Ein was machen die hier?“
„Ein Giros mit Geflügelfleisch, also auch mit Huhn“, ergänzte ich.
„Was ist ein Schirus?“
Während meine Kollegen sich das grinsen verkniffen, fand ich die Situation putzig.
„Das sind Fleischscheiben geschichtet mit Gewürzen auf einen Drehspieß, schmeckt sehr gut.“
„Und mit welchen Beilagen wird das gegessen?“
„Mit Salat, Tzatziki und Reis oder Pommes. Wir bestellen fast immer den Mittagstisch, das geht schnell und kostet nur 9,50 DM, heute gibt es Lamm-Giros mit Salat und Pommes.“
Dirk Müller wollte gerade eine weitere Frage stellen, als der Kellner kam, um unsere Bestellung aufzunehmen:
„Guten Tag. Wie immer Mittagstisch für alle?“
„Ja“, antworteten wir.
Wir verschlangen unser Essen, um anschließend noch Zeit für einen kleinen Bummel durch die Einkaufspassage zu haben. Heute unterhielten wir uns kaum beim Essen, sondern beäugten den neuen Kollegen. Nach dem Essen legte jeder von uns 10 Mark für das Essen und Trinkgeld auf den Tisch, nur Dirk Müller ließ sich 50 Pfennig rausgeben. Wir schauten uns nur schweigend an, Dirk Müller kam aus den neuen Bundesländern, er war ein Ossi.
Die Einkaufspassage war gut besucht, die Zeit der Weihnachtseinkäufe hatte begonnen. Ich wollte mir eine neue Jeans kaufen. Leider war meine Größe vergriffen, also kehrten wir ohne Einkäufe ins Büro zurück.
„Wo kann man eigentlich preiswerte Kleidung kaufen“, wollte Dirk Müller wissen.
„Im Secondhandshop“, erwiderte mein Kollege Tilo Heseke und griente.
Dirk Müller presste die Lippen aufeinander, drehte sich um und ging.
„Die Antwort hättest du dir aber verkneifen können“, schimpfte ich und folgte Dirk Müller.
„Hey, warte. Er hat es nicht so gemeint. Er ist ein… Entschuldige.“
„Schon gut“, murmelte Dirk Müller.
„Es gibt in der Innenstadt einige Kaufhäuser, die ein großes Warenangebot führen und preisgünstiger sind als die Boutiquen in der Passage“, erklärte ich.
Eine Woche später saß ich mit Dirk, wir duzten uns inzwischen, im Firmenwagen, einen 3er BMW. Wir sollten in Görlitz die alten Grundrisspläne von Konsum, ein Kaufhaus der ehemaligen DDR, kontrollieren. Ein westlicher Kaufhauskonzern hatte die Kaufhäuser aufgekauft und wollte diese sanieren, besser gesagt, nach westlichem Standard umbauen. Ich hatte bereits einige ältere westliche Kaufhäuser umgeplant zu modernen Shoppingpalästen, mit Natursteinbodenbelägen, Edelstahlgeländern, verspiegelten Decken und gläsernen Aufzügen.
Bis Dresden sind wir zügig auf der Autobahn vorangekommen. Kurz nach Dresden endete die Autobahn und wir fuhren auf der Landstrasse weiter. Bei all den großen Schlaglöchern mussten wir ein Slalom fahren. Einige Krater in der Strasse waren so gewaltig, dass Kinder darin hätten spielen können. Nach der Slalomstrecke folgte die Stoßdämpferteststrecke, Kopfsteinpflaster. Durchgeschüttelt nach 9 Stunden Autofahrt erreichten wir Görlitz.
Die Strassen der Vorstadt wurden von altern Häusern gesäumt. Viele der Dachstühle waren abgesackt und drohten einzustürzen. Teile des grauen Fassadenputzes waren abgesprungen oder hatten Löcher, einige stammten wahrscheinlich noch von Granateinschlägen des zweiten Weltkrieges.
Es war diesig und die Luft roch verbrannt. Wir sahen keine Menschenseele, nur eine Katze schlich über die Strasse. Ich dachte, ich bin in einem großen Museum oder auf einer Zeitreise in die Nachkriegszeit.
Eine passende Parklücke für den BMW fand ich nicht. Die Parklückenbegrenzungen waren für die kleinen Trabbis ausgelegt, folglich ragte entweder der Kofferraum oder die Schnauze des BMW über die Markierung hinaus. Am nächsten Morgen wurde dieser Tatbestand mit einen Strafzettel, für falsches Parken, dokumentiert, zur Freude meines Chefs.
Das Hotel fanden wir sehr schnell. Die Rezeption glich einer westlichen Kinokasse. Wir erhielten unsere Zimmerschlüssel, die wie Schrankschlüssel aussahen. Die Zimmer befanden sich in der vierten Etage, einen Aufzug gab es nicht. Dirk, als galanter Man, trug meine Reisetasche. Die Zimmertür hing stabil an zwei Bändern, aber umlaufend war zwischen Zarge und Türblatt ein breiter Spalt. Jeder, der es wollte, konnte ohne die Tür zu öffnen, sehen ob ich im Zimmer war oder nicht. Die Einrichtung war älter und gediegen, ich schätze aus den 50 Jahren, eine Art des Gelsenkirchner Barock. Das Bett war groß und bestückt mit dreigeteilter Matratze. Auch die Bettwäsche hatte mal bessere Zeiten erlebt, die Waschmaschine und die Mangel hatten deutliche Abnutzungsspuren hinterlassen. Auf dem Nachtschränkchen standen in einer Messingvase rote Seidentulpen. Ein geblümter Plastikvorhang verbarg ein Waschbecken in einer Nische. Ansonsten war das Zimmer schmucklos, aber sehr sauber.
Die Toilette befand sich in der zweiten Etage, unterhalb eines Treppenlaufes. Am besten betrat man die Toilette rückwärts, weil die Abmessung der Kabine keine Drehung eines normal-wüchsigen Europäers zuließ. Eine Entlüftung hatte dieser Toilettenraum nicht, dafür stand eine Dose Raumspray, Tannennadelduft, auf dem Spülkasten.
In einem anderen Raum stand eine Duschanlage, die jeder der 30 Hotelgäste kostenlos benutzen durfte.
Das Frühstücksbüffet war übersichtlich, es gab Toast- und Feinbrot. Die Margarine, der Honig, die Marmelade waren, Portionsweise, in Plastik eingeschweißt und säuberlich zu Pyramiden gestapelt. Eier, Wurst und Käse erhielt man, auf besonderen Wunsch, serviert.
Dirk zog vorsichtig die Folie vom Margarinebecher ab, es bereitete ihm sichtlich Freude die kleinen Portionsschälchen zu öffnen. Und er war mit dem Standard des Hotels zufrieden, nur den Preis von 95 West-Mark pro Person und Nacht fand er überhöht.
Wir gingen die Hauptstrasse entlang, vorbei an halbleeren Schaufenstern. Angrenzend am Markplatz fanden wir das historische Gebäude, das zu einem Shoppingpalast umgebaut werden sollte. Es war ein wundervoller Bau. Die Fassade mit dorischen Säulen und den gestuften Sockel erinnerte mich an einem griechischen Tempelbau. Die klassizistischen Fenster mit steinernen Fenstermittelpfosten waren gut erhalten. Das Gebäude hatte nur eine Sandstrahlreinigung nötig, um wieder im alten Glanz zu erstrahlen. Ich war vom ersten Blick an in dieses Bauwerk verleibt.
Als erstes gingen wir zur Geschäftsleitung, um uns anzumelden. Der Geschäftsführer war bekleidet mit einem, zu eng sitzenden, dunklen Anzug aus Polyester. Er begrüßte uns zurückhaltend. Offensichtlich wurde er nicht von seiner neuen Zentrale, aus dem Westen, über die geplanten Umbaumaßnahmen informiert. Folglich wollte er zuerst Rücksprache halten und wir mussten in seinem Vorzimmer warten.
Eine Stunde später zeigte uns der Hausinspektor das Gebäude von der Kellersohle bis zum Dachgeschoss. Danach gingen wir in die Verkaufsräume. Eine breite Freitreppe mit schmiedeeisernem Treppengeländer führte über ein Zwischenpodest in die nächste Ebene. Dieser große Treppenraum wurde von einer bleiverglasten Glaskuppel abgedeckt.
Im ersten Obergeschoss sollte ein Friseurladen entstehen. Also mussten Wasserleitungen und Rohre für das Abwasser an die entsprechenden Stellen verlegt werden.
„Wo liegt die nächste Fallleitung?“ fragte ich den Hausinspektor
Der Hausinspektor zuckte nur mit den Schultern.
„Ich meine, wo liegt das nächste Abwasserrohr? Zum Beispiel von den Toilettenanlagen in der Etage darüber“, ergänzte ich mein Anliegen.
„Weiß ich nicht.“
„Dann müssen wir in die Haustechnikpläne schauen“, sagte Dirk.
„So etwas gibt es nicht.“
Ich war entsetzt, zwar gab es oft keine aktuellen Bestandspläne trotzdem kannten eigentlich die Hausinspektoren, durch Umbauten, das Gebäude, wie ihr eigenes Zuhause.
„Dann holen sie bitte eine Leiter, damit ich in den Hohlraum der abgehängten Decke schauen kann. Vielleicht kann ich die Leitungen sehen.“
Kurze Zeit später kletterte ich die Leiter hoch und stellte mich auf die oberste Stufe, um möglichst weit in den Hohlraum der abgehängten Decke zu schauen. Aber außer Unterzüge, die mir den Blick verdeckten und Müllreste des letzten Jahrzehntes, sah ich nichts. Dafür war ich durch herabfallenden Schmutz, vom Öffnen der Decke, mit Staub gepudert.
Als wir im Hotel zurück waren, wollte ich als erstes in die Dusche springen. Leider standen schon drei Hotelgäste vor der Dusche und warteten, also stellte ich mich an das Ende der Warteschlange.
Nach dem Duschen traf ich mich mit Dirk vor dem Hotel.
„Wo wollen wir essen gehen?“ fragte ich.
„Das könnte schwierig werden. Es gibt hier noch nicht so viele Restaurants wie im Westen.“
„Ich hörte, dass an der nächsten Ecke ein Restaurant eine Italienische Woche veranstaltet.“
„Klingt gut, gehen wir dort hin.“
Ich blickte auf die Speisekarte, heute gab es dicke Spagetti mit Tomatensauce. Was uns allerdings serviert wurde, waren Makkaroni mit überwiegend Tomatenketchup versetzter Sauce. Danach tranken wir noch ein Bier und gingen ins Kino.
Einen zweiten Kinobesuch in dieser Woche sollte es jedoch nicht geben, weil erstens das Kino nicht jeden Abend geöffnet hatte, zweitens nur ein Film gespielt wurde und drittens nur alle vierzehn Tage das Kinoprogramm wechselte.
Also beschäftigten wir uns anders:
Zuerst mit langen Gesprächen über uns und unser Leben. Es folgten lange Spaziergänge, bis es zum Austausch von Zärtlichkeiten kam.
Schließlich und letzt endlich wurden wir ein Paar, natürlich nach einigen Jahren mit Brief und Siegel.
Heute gilt Dirk als der bessere Wessi und ich bin ein Ossifan.