Hotel Morte
Das Sonnenlicht fiel durch die Jallousinen auf John Shaffers Schreibtisch. Ungeduldig, aber auch nervös erwartete er eine Kundin. Sie rief vor zwei Tagen an und bat darum, ein Zimmer zu bekommen. Solche Kundengespräche gingen immer schnell von der Bühne. Er hatte sie gefragt, wann es denn sein sollte. Hatte sie mit einem gewissem Unterton dazu angehalten, sich zu melden, falls sie es sich anders überlegen sollte. Sie hatte gelacht, aber es klang nicht glücklich. Sagte, sie hätte im Moment keine andere Wahl. Dann hatte John noch die Zahlungsbedinungen eingeräumt: Vorkasse. Kein Problem, sie bringt das Geld mit. Und nun saß er hier und erwartete diese Frau, von der ihm nur die Stimme bekannt war. Gleich würde sie ein Gesicht bekommen, und das fand John an seinem Job am schlimmsten. Zu sehen, wer diese Menschen waren, die beabsichtigten, bei ihm zu... Gastieren. Er hatte vor zwei Stunden ihr Zimmer eingerichtet, und wie immer musste er sich eingestehen: Es war grauenhaft. Er hoffte immer wieder, dass es einen Kunden gab, der einen Rückzug machte. Ja, dazu war sein Gewerbe da: Um die Leute abzuschrecken. Doch leider war es diesen Menschen zu ernst, und so kam er er nicht umhin, die Leute selbst zu entfernen. Er ging all diesen Gedanken endlos lang nach, bis die Tür sich öffnete. Das musste sie sein. Er schätzte sie auf Mitte 30. Schulterlange, braune Haare, feine Gesichtszüge, voller Busen. 'Eine Schande', dachte er bei sich.
"Ist alles soweit fertig?", fragte sie. John nickte. "Gehen Sie die Treppe hoch, zweite Tür links. Ich bekomme dann hundertfünfzig Euro!"
Die Frau holte keine Geldbörse hervor, sondern zog lose Scheine aus ihrer Hosentasche. John nahm sie dankend entgegen, die Frau nickte ihm noch einmal zu und folgte dem ihr beschriebenen Weg. Die nächste Viertelstunde bestand dann immer aus warten. Kam sie zurück, sagte, es wäre ihr zu heftig und sie hätte es sich anders überlegt? Das war bei den meisten nicht der Fall. Er hatte dieser Frau grad in die Augen gesehen und wusste: Auch sie würde nicht von allein zurückkommen. Nach zwanzig Minuten blieb sie weiterhin fort. John stand langsam auf und trottete auf die Treppe zu. Aufwärts, und da ist sie, zweite Tür links. John atmete noch einmal durch und legte die Hand an die Klinke. Das Licht im Raum war gedämmt, doch er musste sich nicht lange umsehen um zu finden, was er wollte. Dort stand das große Basin, gefüllt mit Wasser. Die Leiche der Frau trieb an der Oberfläche, die nun durch eine Glasplatte verschlossen war. Sie war nackt, und John musste zugeben, dass es wirklich schade um diesen Körper war. Er malte sich aus, wie sie doch noch einmal zurückgekommen wäre. Er hätte sie auf einen Kaffee eingeladen, zu sich nach Hause, hätte ihr die schönen Seiten des Lebens gezeigt. Doch die Leute, die von Johns Dienstleistungen Gebrauch machten, hatten für diese schönen Seiten keinen Sinn mehr. John stellte den Leuten Räume zur Verfügung, in denen sie Selbstmord begehen konnten. Wie das geschah, entschied er selbst. Und sämtliche Vorkehrungen waren eben abschreckend genug, dass John hoffen konnte, dass sich noch immer mal jemand anders entscheidet. Er seufzte auf, und betätigte den Außenhebel der Mechanik, die die Platte auf dem Basin hob und senkte. Seine nun tote Kundin war also in das Becken gestiegen, und musste untertauchen, um den Hebel im Inneren zu betätigen, der das Basin verschloß. Es war ihre freie Wahl, die Platte eventuell nochmal anzuheben, aber daran dachte sie wohl nicht. Die Platte hatte sich vollständig zurückgeschoben, der Körper der Frau trieb ganz nach oben, und ein Schwall Wasser landete auf dem Boden. John machte sich daran, mal wieder einen Gast aus seinem makaberen Hotel zu entfernen.