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Hunde, die lachen

Monster-WG
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10.09.2014
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Hunde, die lachen

Es soll Hunde geben, die können lachen. Zumindest lächeln.
Die machen die Augen halb zu und zeigen die Vorderzähne.
Oskar kann das nicht, doch jetzt muss ich sagen ‚konnte das nicht‘ - obwohl es ihn ja noch gibt, Gott sei Dank.

Einen Tag vor seinem Abtransport verhält er sich ganz anders als gewohnt. Weicht mir nicht von der Seite, geht sogar mit zur Toilette, behält mich immer im Blick. Auch als sie am nächsten Morgen kommen.

Eigentlich rast er, sobald die Klingel schellt, zur Tür – und wenn die im Sommer offensteht, bis zum Gartentor und vollführt einen Mordsspektakel.
Jetzt legt er sich flach auf den Boden und macht keinen Mucks. Trotzdem gelingt es mir, ihm das Halsband umzulegen und die Leine einzuklicken. Mit viel Mühe – gebuttertes Knäcke mit Gouda wird ignoriert – ziehe ich Oskar zum Tor.
Ich streichle ihm noch mal über die seidigen Schlappohren, gebe den zwei jungen Leuten vom Tierheim die Leine und rede beruhigend auf ihn ein. Sage das dümmste Zeug, wie eine Beschwörung, dunkel und tief – in der Hoffnung, meine Stimme werde seine Panik dämpfen. Widerwillig geht er mit den beiden runter zum Auto.
Auf halbem Wege bleibt Oskar noch einmal stehen und dreht sich um. Wir schauen uns an.
Mein Mund zuckt, das Wasser schießt mir in die Augen.

Bald fährt auch das Taxi vor, ich hole meine Reisetasche. Die anderen Sachen sind schon im neuen Quartier.
Quartier klingt gut, irgendwie neutral. Besser als ‚Heim‘ oder ‚Residenz‘ – im Briefkopf steht sogar ‚Senioren-Residenz‘. Es ist nun mal ein Altersheim, da können sie noch so schöne Worte bemühen. Die letzte Station, Widerstand zwecklos.
Ich war ja oft ein Idiot. Hab Luftsprünge gemacht und Pirouetten gedreht, als andere studierten. Außer in Neu-Guinea war ich überall. Die anderen feierten zu dieser Zeit schon Richtfest.
Das hat bei mir länger gedauert, und ohne Rose wäre es nie passiert. Ganze acht Jahre haben wir dort herrlich gelebt, direkt am Wasser, im ausgedienten Haus des Schleusenwärters. Was haben wir geschuftet, bis es bezugsfertig war!
Als dann Rose starb, ging‘s mit mir böse bergab. Ohne sie wollte ich nichts mehr vom Leben.
Dass ein Mensch so viel saufen kann, ohne zugrunde zu gehen, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber vielleicht war ich noch nicht an der Reihe.
So kurven meine Gedanken durch die Jahrzehnte, bis der Wagen hält. Fehlt noch das Schnarren eines Bahnhofsvorstehers: ‚Endstation, alles aussteigen!‘ – das klingt noch von Zugreisen in meiner Kindheit nach. Ich erinnere mich an das ständige Tack-Tack der Schienenstöße, und dass man ein Lid nach unten zieht, wenn man Ruß im Auge hat. Der flog bei jeder langgestreckten Kurve durchs Oberfenster ins Abteil.

Man ist sehr freundlich zu mir, ich habe es gut getroffen. Mein Zimmer liegt in der sechsten Etage, große Fenster und ein winziger Balkon. WC und Dusche neben der Schlafnische. Und das Essen ist sensationell; kleine Portionen, aber köstlich.
Auf dem Korridor überhole ich zwei Herren, schnappe ‚metaphysisch‘ und ‚Beispiel Dostojewski‘ auf und denke, dass ich hier gebildete Leute treffen werde, vielleicht ergeben sich gute Gespräche statt gemeinsamen Fernsehens. Muss zur Seite treten, der Wagen der Putzkolonne kommt mir entgegen.
„Schönen guten Tag, Herr Mölders. So viel Sonne heute! Ist ja ganz ungewohnt“, höre ich hinter mir.
Diese Stimme ist unverwechselbar. Ziemlich tief für eine Frau – obwohl ich ‚Dame‘ sagen sollte; sie gehört einer Dynastie an. Schwerreiche Schausteller mit millionenteuren Attraktionen, wie sie mir schon in den ersten Tagen anvertraute. Und auch, dass man ständig investieren müsse, weil man sonst von der Steuer aufgefressen würde.

Ich werde unruhig, es ist Kaffee- und Kuchenstunde. Ich weiß, dass sie mich ausgeguckt hat, doch daraus wird nichts. Ich bringe mich in Sicherheit, sage, dass ich spät dran sei, muss zu meinem Prof – nein, darüber möchte ich, „ … Ihr Verständnis vorausgesetzt ...“, nicht sprechen. Ich riskiere, dass meine Geheimniskrämerei Frau Beier umbringt, doch ich deute weder tückische Krankheiten an, noch Probleme anderer Art, die nur eine Koryphäe lösen könnte.
Sie hat mir von ihrem tiefen Glauben an die Heilhypnose erzählt, auch gefragt, ob ich vielleicht … Ihr Schwiegersohn übe diesen Beruf aus, in einem Privatsanatorium.
Nein, ich glaube nicht, dass ich interessiert bin.
Ich fahre wieder zu Oskar.

Schade, der Mann aus Ghana mit dem breiten Lachen – Yes, Sir! I‘am your best driver! – kommt nicht. Der heutige Chauffeur hat schwäbischen Akzent.
Seit meiner Tübinger Zeit mag ich das – was ich jedoch nicht mag, sind aggressive Tattoos.
Die kann er wegen mir bis in den Schritt haben, die sichtbaren jedoch sind hässlich. Ich kenne diese Symbole nicht, es gibt Zahlen und Dreiecke, Zahnräder und Runen – auf den Armen, am Hals, auf den Handrücken, nicht einmal die Finger sind verschont. Es juckt mich gewaltig, ein paar Bemerkungen zu machen; ich bilde mir sogar ein, er warte darauf. Hin und wieder schaut er mich im Rückspiegel an, doch ich blicke desinteressiert aus dem Fenster. Wort- und trinkgeldlos endet die Fahrt.

Oskar teilt einen Zwinger mit vier anderen Hunden, Mischlinge allesamt. Ein Rottweiler ist der Blockwart, Oskar muss sich fügen. Ich bleibe für ihn unsichtbar; verblüffend, dass mein uraltes Opernglas noch eine sinnvolle Verwendung erfährt.
Oder ist das sinnlos – unvermeidbare Veränderungen aufweichen zu wollen, zu schummeln, sich selbst zum Hütchenspieler zu machen?
Nach einer Weile geht Oskar in die Hütte. Die Kissen auf ‚seinem‘ Sofa wird er vermissen, und das Knäcke mit Gouda. Und mich?
Ich rufe ein Taxi.

Auf der Heimfahrt denke ich, dass es doch Blödsinn ist, mir das Herz schwer zu machen, meinem verlorenen Freund hinterherzutrauern. Wir können es nicht ändern, basta. Schrecklich, wie oft ich mir die Augen wischen muss.

Ein bisschen benommen gehe ich durch die Drehtür, direkt in die Arme von Frau Beier.
„Hallo, Herr Mölders! Na, was sagt der Professor?“
„Non est spe.“
„Nur das?“
„Aber das sagt doch alles!“
„Und was?“
„Wenig Hoffnung.“
Auch wenn ich ihre Steuertipps nicht brauche, so wäre ein Nachmittag mit ihr doch erträglicher, als Oskar zuzuschauen, wie er vom Prinzen zum Untertan degradiert wird, oder sich zu erinnern, wie wir uns mit Blicken verständigten, nur mit Blicken. Piano, pianissimo – harmonisch, kein herrisches Wort, einfach wunderbar. Und unsere Spaziergänge am Wasser, dem Spalier der Pappeln entlang …
Der Lift kommt, die Tür öffnet sich. Ich darf nicht zu geschmeidig hineinschlüpfen, sonst hält sie mich womöglich für einen guten Tänzer.
Frau Beier macht mir ein aufmunterndes Handzeichen, als ich nach oben entschwinde.

Es will mit mir nicht besser werden.
Sich selbst weh zu tun, ist krank. Ich weiß. Bin ich ein Ritzer, ein Maso? Tausende Leute müssen ihre Hunde abgeben, ihre Katzen, ihre Vögelchen – und ich verbrate ein Vermögen, um Oskar jeden Nachmittag zu sehen, mit verschwommenem Blick.
Frau Beiers Stimme scheint mir heller, und leiser. Der arme Mann, wird sie denken, jeden Tag zum Professor – was er nur hat? Und gelacht hat er auch noch nie ...
Ich lache wirklich nicht. Dabei hätte ich allen Grund, schließlich geht es mir gut. Ein bisschen Prostata zwar, und Rücken und Herz, harte Leber, Gicht – na wenn schon. Die nassen Augen am Nachmittag machen mir mehr zu schaffen.
Nach dem Comeback meines Opernglases taucht jetzt mein Laptop wieder auf. Innerhalb einer Woche werde ich sogar fündig: Ein ehemaliger Bauernhof bietet Unterkunft für Senioren mit einem Haustier. Blitzschnell bin ich am Telefon. Ja, nächsten Freitag, gegen 16 Uhr.

Es ist ein angenehmer Nachmittag, das Anwesen befindet sich unweit des Bahnhofs. Ich gehe zu Fuß. Die Straße mit den verspielten Fassaden liegt unbelebt wie die Kulisse eines Filmstudios während der Drehpause. In den Schaufenstern hängen Schilder: ‚Zu vermieten‘.
Die Farben von Malven und Astern bleichen aus, doch der Südwind macht glauben, der Sommer habe kein Ende. An der Pergola des gastlichen Hauses schaukeln die ersten Weinblätter mit rubinrotem Rand.
Ich läute, über mir öffnet sich ein Fenster und eine junge Frau mit Bob und grellrotem Mund sagt: „Hallo, Herr Mölders! Einen Moment bitte, ich komm‘ runter.“
Sie öffnet die Tür. „Ja, das trifft sich gut. Unser Erkerzimmer ist freigeworden, aber Frau Sommerfeld war immerhin achtundneunzig.“
Sie bittet mich hinein und nimmt mich beim Ärmel: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Zimmer.“

Schon nach den ersten Stufen vermisse ich den Lift der Residenz, doch ich schaffe die Treppe auch ohne technische Hilfe. Wir gehen bis zum Ende des Ganges, sie macht die Tür auf – es ist hell und freundlich. Durch die großen Fenster geht der Blick hinaus in die schöne Landschaft und ich bin beeindruckt. Stelle mir für einen winzigen Augenblick schon den nächsten Sommer vor, wie ich dort mit Oskar … „Gefällt es Ihnen?“, fragt sie.
„Also, auf den ersten Blick ganz bestimmt“, antworte ich zuversichtlich, „ich schau mal nach dem Bad.“
„Ehm, das Bad befindet sich auf dem Flur. Wir sind hier in einem Altbau und kommen mit der Renovierung nur langsam voran.“ Fügt mit Schulterzucken noch hinzu: „Ist eine Frage des Geldes.“
„Wie alles auf der Welt.“ Ich sage das so als kluger, lebenserfahrener Herr und komme ins Grübeln. Doch eigentlich ist das unnötig, denn ich weiß es schon: Oskars Korb hätte Platz neben dem Bett.

„Tja“, sage ich, „die anderen Details hab ich ja auf Ihrer Website gefunden. Übrigens: Kochen Sie selbst?“
„Ja, selbstverständlich. Also – mein Mann kocht, ich bin höchstens die Beiköchin.“
„Und der ist Koch?“
„Er ist ein sehr guter Koch, aber kein gelernter. Eigentlich ist er Agraringenieur. Sein Institut ist nach England verlegt worden, und das hat uns beiden nicht gepasst. Wenn schon Ausland, dann im Süden.“
„Ein vernünftiger Standpunkt. Da hat‘s mich auch immer hingezogen.“

Während des Gesprächs sind wir zum Fenster gegangen. Im Garten wird alternativ gewirtschaftet, klar zu erkennen. Daneben Erdbeerbeete, dann eine Art Truppenübungsplatz mit wühlenden Schweinen und dahinter ein Teich oder See mit alten Bäumen.
Viel Auslauf für den Hund. Nur fällt mir jetzt ein, dass es für mich ein wenig eintönig werden könnte. Die Bahnhofswirtschaft war geschlossen, das ‚Café Wisserath‘ ebenfalls.
Wir hören Schritte im Gang. „Ah“, sagt sie, „da kommt mein Mann. Er fährt nebenbei Taxi, damit wir über die Runden kommen.“
Die Tür geht auf – tatsächlich, wir kennen uns.
„Tach“, sagt er.
„Guten Tag“, sage ich.
„Ich hatte letztlich das Gefühl, dass Sie eher ungern mit mir gefahren sind. Erinnern Sie sich?“
„Ja, gewiss. Ich muss keinen Hehl daraus machen, dass ich eine Abneigung gegen Tattoos dieser Art habe. Das hat nichts mit Ihnen als Person zu tun. Schließlich hab ich selbst ein Tattoo.“
„Nicht Ihr Ernst!?“
„Doch. Warum sollte ich das erfinden?“ Dabei öffne ich das Hemd und sage „Tonga, 1966.“
„Das ist wirklich hübsch“, sagt Frau Feindle, ihr Mann meint: „Ja, kann man so lassen.“ Dann fällt ihm noch ein: „Aber Sechsundsechzig? Da war ich ja noch gar nicht auf der Welt!“
„Deshalb haben Sie noch alles vor sich!“, sage ich mit theatralischem Timbre und breite die Arme aus, als wollte ich ihm die ganze Welt zu Füßen legen.
Er schaut mich misstrauisch an, schneuzt sich und lacht: „Haha, der ist gut. Ich glaube, ein Schluck auf unser Kennenlernen wäre jetzt angebracht.“ Er sieht mich fragend an.
„Gute Idee, ganz Ihrer Meinung. Wozu möchten Sie mich denn überreden?“
„Ei, das ist schnell aufgezählt: Schiller, Grauburgunder und Trollinger. Oder haben Sie Angst vor Literflaschen?“
„Nicht im geringsten, es ist nur manchmal der Inhalt.“
„Also für den lege ich meine Hand ins Feuer. Nicht, dass einem der Abendstern aufgeht, aber alle drei sind grundehrlich.“
„Tja dann“, sage ich und zeige hinaus, „bei Tageslicht wäre der Weiße wohl der Richtige, oder?“
Wir gehen nach unten, er noch tiefer in den Weinkeller, und seine Frau zum Kühlschrank.
Ich polstere meinen Sessel, um schmerzfrei sitzen zu können, und als ich damit fertig bin, stehen Wein und Vesper auf dem Tisch.

Da ich der Älteste bin, erhebe ich das Glas: „Danke für die freundliche Aufnahme. Ich heiße Erhardt.“
Zwei Gläser streben meinem entgegen: „Erich“ und „Clara – unter Freunden ‚Clara, die Wunderbare‘.“
„Was für ein schöner Name!“, sage ich, „ist es nicht anstrengend, immer wunderbar zu sein?“
„Das ist nur offiziell. Wenn ich alleine bin, kann ich auch fluchen, wenn etwas daneben geht.“
„Ah naa“, sagt Erich und schaut keck, „sie ist schon klasse. Gell, Mausi?“
„Du sollst nicht Mausi zu mir sagen!“ Sie verwüstet seine Frisur und reicht mir das Brot.
Ich probiere von der Leberwurst im Glas – und muss gleich an Onkel Karl denken. Der konnte das auch, mit reichlich Zwiebeln und Majoran. Herrlich! Und es gibt noch zwei Gläser: Schweinskopf in Riesling-Aspik und Rotwurst mit Räucherzunge und blütenweißen Speckstückchen. Unschlagbar gut. Das könnte man in Brüssel oder Paris zu Höchstpreisen verkaufen, an echte Feinschmecker.
„Saugut!“, sage ich. „Darauf könnt ihr euch etwas einbilden.“
Ich nehme noch etwas vom Griebenschmalz, Clara schenkt nach.

Es dämmert. Wir stoßen ein letztes Mal an, trinken den letzten Schluck, picken die letzten Krümel auf. Dann nehme ich mein Jackett und verabschiede mich von Clara.
Allerdings wird Erich draußen handgreiflich und schiebt mich trotz meines Widerstandes – ich verweise in bestem Advokaten-Deutsch auf Freiheitsberaubung und auf das Recht eines jeden Bürgers auf einen Spaziergang in der guten Abendluft – in sein Taxi und fährt mich zum Bahnhof.

Es vergeht einige Zeit, bis ich alle Ab-, Um- und Anmeldungen zusammenhabe. Frau Beier meint, dass es doch ein recht kurzes Intermezzo war und sie mein Weggehen sehr bedauert. Ich verdränge den Verdacht, sie könne vielleicht etwas vorgehabt haben mit mir und erwidere:
„Bin ja selbst erstaunt, wie sehr mir Oskar fehlt.“ Dann tritt mich der Übermut und ich trällere: „Folge deinem Herzen, das kennt den Weg ...“ Die letzten Töne summt sie mit, und ich entdecke eine neue Seite an ihr – sie hat die Augen passend zum Text wie Kristallkugeln aufleuchten lassen.
„Sehr schön, gnädige Frau!“, sage ich und applaudiere ohne Geräusch.
Sie ist schon eine interessante Person. Wäre ich geblieben, hätte ich sicherlich bald Brüderschaft mit ihr getrunken.

Erich holt mich ab. Er fährt konzentriert, der Verkehr fließt.
Ich gehe ins Büro, unterschreibe die Übergabe, stecke einen Schein in die Spendendose und folge einem Jungen zum Zwinger.
Oskar ist in der Hütte; drinnen ist es schummrig, ich erkenne nichts. Rufen will ich ihn nicht; vielleicht riecht er mich, oder er ahnt mich – früher ist er öfter ans Gartentor gelaufen, ohne dass der Besucher schon zu sehen war. Ich warte.
Dann schnalze ich mit der Zunge, das war unser Startsignal beim Frisbeewerfen.
Keine Reaktion. Ich halte noch einen Moment inne, rufe seinen Namen.
Langsam, sehr langsam kommt er durch die Tür, schaut mich aber nicht an.
Ich hatte mir eine stürmische Begrüßung ausgemalt, mit freudigem Gewinsel und Gebell – aber nein, nichts. Er wirkt bedrückt und lustlos, wo ist sein Temperament?
Der Rottweiler kläfft ununterbrochen und rast hin und her, die anderen dösen auf einer Matte.
Meine Stimmung ist arg umgeschlagen, Verwunderung geht in Ärgerlichkeit über. Dann kann ich mir‘s erklären: Er ist es, der enttäuscht wurde. Ich muss vieles wieder gutmachen.
Der Junge legt ihm das Halsband um und übergibt ihn mir.

Erich faltet die Zeitung zusammen und sagt: „Ihr kommt ziemlich angeschlichen. Hat er was?“
„Ja, hat er.“
„Und was genau?“
„Den falschen Herrn.“
„Aber wieso denn? Hast ihn wieder rausgeholt und das schöne Leben geht weiter, oder nicht?“
„Das werden wir sehen, er ist ziemlich geknickt. Hauptsache, er muss nicht hier bleiben. Bei euch wird er sich schon einleben.“ Ich nehme auf der Rückbank hinter Erich Platz, Oskar neben mir.
„Das wird er ganz bestimmt. Morgen kommt noch eine Dame mit Dackel, aber der macht einen äußerst friedlichen Eindruck. Ein Veteran mit Hüftproblemen.“
Ich kraule Oskars Rücken, so, wie er es am liebsten hat. Ein Ohr richtet sich auf, dann das andere. Langsam hebt er den Kopf. „Ach, mein Schöner“, sage ich, „reden wir doch wieder miteinander?“ Erich richtet den Rückspiegel ein wenig, um nichts zu verpassen, und meint: „Na siehste, sag ich doch. Das wird schon.“
Er biegt links in die Hauptstraße ein. Plötzlich hochtouriges Kreischen, ein Scheinwerfer blitzt auf, Metall scheppert, Glas zerspringt. Mit dumpfem Knall wird die Tür von Oskars Seite fast bis zu mir gepresst. Ein kurzes Jaulen.
Oskars Körper ist verdreht; er hat die Vorderzähne entblößt, die Augen halb geschlossen.

Ich weine mit zusammengepressten Augen und Lippen, es schmeißt mich wie starker Schüttelfrost. Ich beuge mich tief über ihn, unsere Wangen berühren sich.

Da verspüre ich … einen Hauch? Fast nicht wahrnehmbar. Ich rühre mich keinen Millimeter. Seine Zunge wischt über meine Nase.

 
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Hallo nochmal an @josefelipe !
Ich wusste jetzt nicht, ob ich dir deine Fragen hier beantworten soll, oder lieber privat weil es ja schon viel off-topic ist. Ich mach es mal hier, weil ich es nicht ganz unbeantwortet lassen will.

Das ist allgemein gehalten, ein Statement. Dass ich ein Tier ‚ins Spiel‘ brächte, um Emotionen zu kitzeln, glaube ich nicht. Das hat so was Berechnendes. Ich brauche keine Auflage.
Außerdem ist in vielen meiner Texte irgendwas Persönliches, und sicherlich ist das auch zum Teil meine Motivation, zu schreiben.
Oh. Ich wollte dir nicht unterstellen, dass du berechnend beim Schreiben deiner Geschichten bist. Ich hatte nur einige Kommentare im Hinterkopf, die sich als Hundemenschen besonders über die Thematik gefreut haben. Und ich wollte dich nochmal extra loben, dass es auch mir als nicht ausgesprochener Hundemensch ziemlich gut gefallen hat. Wohl blöd rübergekommen.

Deinem Komm entnehme ich, dass Du mir altersmäßig, wenn auch mit weitem Abstand, aber dennoch auf den Fersen bist:
Weil es mir Sorge macht, in ein Altenheim zu kommen? Das macht mir Sorge, seit ich 15 bin und das erste Mal in einem war. Wie nah ich dir altersmäßig auf den Fersen bin, keine Ahnung. Ich bin 43.
Die ganze Thematik rund ums Konzept Altenheim führt jetzt aber zu weit. Ich gehe aber hier voll mit dir:
dass einige Millionen die Problematik entschärfen könnten.

Gut. Hier hast du mich schon wieder mit voreilig in den Raum geworfenen "Flappsigkeiten in der Formulierung" ertappt.
Doch! Es wäre ganz und gar in meinem Interesse! Und Du bist – mMn – jetzt in der Pflicht, „mit ner ganz neuen Idee um die Ecke“ zu kommen. Du winkst mit Deinen hausgebackenen Plätzchen, jetzt musste auch liefern. Hätte auch gern einen Kaffee dazu. Nur mit Milch.
Ich kann nicht liefern.
Also nicht spontan. Wenn ich wirklich in der Pflicht bin, dann setz ich mich dran, um dir dann ein schlechteres Ergebnis zu liefern, als du es selbst gefunden hast. Das ist so mittelmotivierend für mich.
Ich hab die Geschichte erst mit dem neuen Ende gelesen. Kenne das alte nicht. Aber es wurde ja emotional diskutiert. Und ich fands cool, dass du dich drauf eingelassen hast und nach einer befriedigenden Lösung für die traurigen Leser gesucht hast.
Ich hab es eigentlich außer Frage gesehen, da nochmal dran zu rütteln. Ich wollte nur ein bisschen stippeln. Aber da muss man echt aufpassen, wo man mit so ner flappsigen Stippelei um die Ecke kommt. Vor allem, wenn nix dahinter ist:-)
Das hab ich jetzt wieder gelernt.
Alos wenn ich muss, dann muss ich.
Alternativ könnte ich dir aber richtig gute hausgebackene Plätzchen schicken?

Denn bis jetzt habe ich Deine Texte nicht gelesen, weil mich Dein Nick ‚abgeschreckt‘ hat. Ich finde den, pardon, sehr eigen. Das ist der Humor aus Zeiten, die ebenfalls sehr eigen waren.
Du bist doch auf der Höhe der Zeit, käme da ev. ein ‚modernisierte‘ Nick in Betracht?
Das wiederum finde ich sehr eigen. Ok, ich fange Texte nicht an, weil mir der Titel nicht gefällt. Oder das Genre. Oder der erste Satz ... aber von einem Nickname hab ich mich echt noch nie abschrecken lassen. Da kann wer FreiherrvonSchimpansen heißen, wenn der Titel gut ist, bin ich dabei.
Aber gut, dann weiß ich sowas jetzt auch.
Dass du aber scheinbar sowohl den Namen aus auch den damit verbundenen Humor unter altmodisch (?) verbuchst, das überrascht mich tatsächlich. Aber es kann natürlich so sein, dass sowohl ich, als auch mein Humor altmodisch sind. (Welche Zeiten waren das nochmal genau, in denen der Humor so eigen war wie mein Nickname?)
Leider gibt es aktuell aber auch gar keine Texte mehr von mir hier im Forum, für die ich dich jetzt anwerben würde. So kann ich es nicht mal versuchen zu bestreiten.

Einem Forumsmitglied (ich glaub es war Ernst Offshore) hatte die Worterkennung immer "Lotteriescheinchen" aus Lotterlieschen gemacht.
Wäre das denn besser, oder wie sollte ich mich nennen, wenn du mir nicknamensmäßig auf die Höhe der Zeit helfen würdest?

Liebe Grüße vom ... du weißt schon:-)

 

Hola @Lotterlieschen,

danke Dir für die Rückmeldung.

LL: Ich wusste jetzt nicht, ob ich dir deine Fragen hier beantworten soll, oder lieber privat weil es ja schon viel off-topic ist.
Ist völlig in Ordnung. Weil aber meine Antwort ebenfalls viel Off-topic enthalten würde, schicke ich Dir eine PN.

Das hier im Thread zu ‚verkünden‘, soll nur klarmachen, dass ich keine Zuschrift unbeantwortet lasse. Ich melde mich.

Bis dahin!
José

 

Guten Abend @josefelipe,

da hast du richtig abgeliefert, die Geschichte hat mich fasziniert. Besonders gelungen finde ich, wie du die Erinnerungen und Erfahrungen deines Protagonisten darstellst. Schicht für Schicht wird er so für mich dreidimensional. Den einzigen Kritikpunkte sehe ich allerdings in seiner Reaktion auf den Taxifahrer. Durch seine Handlungen und Dialoge schätze ich deinen Protagonisten als jemanden ein, der einen klaren Willen hat und ein hartes Urteil fällt - er geht sowohl mit sich selbst als auch mit anderen hart ins Gericht. Daher hat es mich erstaunt, dass er Erich auf einmal so aufgeschlossen entgegen tritt und sogar mit ihm trinkt. Das ging für meinen Geschmack zu schnell und hat nicht in das Bild gepasst, dass ich mir von ihm gemacht habe. Ich gehe auf diese Empfindung detaillierter in meinem Leseeindruck ein. Ansonsten hast du hier einen schönen Text geschrieben, der mich gut unterhalten hat:

Es soll Hunde geben, die können lachen.
Ein toller erster Satz! Ich finde deinen Titel übrigens auch gelungen, hat bei mir Interesse geweckt.

Oskar kann das nicht, doch jetzt muss ich sagen ‚konnte das nicht‘ - obwohl es ihn ja noch gibt, Gott sei Dank.
Ich habe mich gefragt, was wohl passieren wird. Das baut Spannung auf, lässt mich mitfiebern.

Auch als sie am nächsten Morgen kommen.
Ich habe mich gefragt, was jetzt wohl passieren wird. Das hat sich sehr bedrohlich für mich angehört und ich rechnete mit dem schlimmsten.

Wir schauen uns an.
Mein Mund zuckt, das Wasser schießt mir in die Augen.
Du zeigt die Beziehung zwischen den beiden durch diese beiden Sätzen, was für mich gut funktioniert hat.

Aber vielleicht war ich noch nicht an der Reihe.
Hier steckt so viel Resignation und in gewisser Weise auch Trauer drin. Ich habe es so gelesen, dass er an seiner Einstellung dem Tod gegenüber schon gearbeitet hat, sich seiner Sterblichkeit bewusst ist und das auch akzeptiert hat. Für mich hat das auch für seine geistige Reife gesprochen (das Alter allein macht eben noch nicht Reife bzw. Weisheit aus, ich denke da an einen speziellen Ex-Präsidenten).

Man ist sehr freundlich zu mir, ich habe es gut getroffen.
Ich mochte wie du mit dem Satz die nächsten Sätze einleitest. Das lese ich gerne und auch die folgenden Elaborierung hat mich gefesselt. Ich habe nicht einmal daran gedacht, den Text zu unterbrechen. Das spricht für mich für die Qualität.

Auf dem Korridor überhole ich zwei Herren, schnappe ‚metaphysisch‘ und ‚Beispiel Dostojewski‘ auf und denke, dass ich hier gebildete Leute treffen werde, vielleicht ergeben sich gute Gespräche statt gemeinsamen Fernsehens.
Das hat mich an meinen Opa denken lassen und trifft voll ins Schwarze. Denn so, wie ich es mitbekomme, ist es dann doch häufig so, dass gemeinsames Fernsehen auf der Tagesordnung steht. Über Literatur muss man dann eben mit dem Enkel reden.

Seit meiner Tübinger Zeit mag ich das – was ich jedoch nicht mag, sind aggressive Tattoos.
Die kann er wegen mir bis in den Schritt haben, die sichtbaren jedoch sind hässlich.
Wort- und trinkgeldlos endet die Fahrt.
Das meinte ich oben mit dem harten Urteil. Er hat ein ganz klares Weltbild und ich habe es so wahrgenommen, dass er darin auch recht starr ist. Tattoos gefallen ihm nicht, also redet er auch nicht mit ihm und gibt auch kein Trinkgeld. Das ist keine Person, mit der er etwas trinken gehen würde, so hatte ich das aufgefasst. Daher war ich dann überrascht, dass er später so leicht umgestimmt werden kann.

Die Kissen auf ‚seinem‘ Sofa wird er vermissen, und das Knäcke mit Gouda. Und mich?
Ach, das ist einfach so gut. Hat mich berührt.

Auch wenn ich ihre Steuertipps nicht brauche, so wäre ein Nachmittag mit ihr doch erträglicher, als Oskar zuzuschauen, wie er vom Prinzen zum Untertan degradiert wird, oder sich zu erinnern, wie wir uns mit Blicken verständigten, nur mit Blicken.
Ich finde den Kontrast stark gemacht. Steuertipps sind nun wirklich ein ödes Thema für ihn (das hast du ja vorher schon platziert) und doch ist es die bessere Alternative. Das wurde sehr deutlich für mich.

Sich selbst weh zu tun, ist krank. Ich weiß. Bin ich ein Ritzer, ein Maso?
Das ist wieder eine Stelle, die meinen Eindruck mit dem harten Urteil verstärkt hat. Er weiß genau, was krank ist und ich lese auch eine gewisse Verachtung sich selbst gegenüber aus der anschließenden Frage.

Doch eigentlich ist das unnötig, denn ich weiß es schon: Oskars Korb hätte Platz neben dem Bett.
Du zeigst hier schön, wie er im Vorfeld schon mit diesem Entschluss spielt und ihn dann im weiteren Verlauf auch umsetzt.

„Ein vernünftiger Standpunkt. Da hat‘s mich auch immer hingezogen.“
Der Dialog zeigt für mich auch wieder diese Standhaftigkeit und gleichzeitig auch, dass er eine klare Position bezieht und sich seinen Urteilen sicher ist. Er sagt: "ein vernünftiger Standpunkt", was für mich ein Urteil ist.

Die Tür geht auf – tatsächlich, wir kennen uns.
Interessant, ich hatte mich auf einen Konflikt gefreut zwischen den beiden und war gespannt, wie du das wohl wieder auflösen würdest.

„Deshalb haben Sie noch alles vor sich!“, sage ich mit theatralischem Timbre und breite die Arme aus, als wollte ich ihm die ganze Welt zu Füßen legen.
Er schaut mich misstrauisch an, schneuzt sich und lacht: „Haha, der ist gut. Ich glaube, ein Schluck auf unser Kennenlernen wäre jetzt angebracht.“ Er sieht mich fragend an.
„Gute Idee, ganz Ihrer Meinung. Wozu möchten Sie mich denn überreden?“
Diese Passage finde ich die Schwächste im ganzen Text. Das hat in meinen Augen einfach nicht zu seinem Charakter gepasst. Wo ist seine Standhaftigkeit? Wo ist sein klares Urteil? Wenn es zu einem gewissen Konflikt gekommen wäre, okay. Aber so hatte ich den Eindruck, als wäre er eher opportunistisch unterwegs. Jetzt wo er dort hinwill, verstellt er sich und passt sich an. Das hat mich nicht überzeugt.

Ich probiere von der Leberwurst im Glas – und muss gleich an Onkel Karl denken. Der konnte das auch, mit reichlich Zwiebeln und Majoran. Herrlich!
Sehr schön, wie du seine Erfahrungen mit einfließen lässt. Das ist schon echt gut gemacht, da versuche ich mir etwas abzugucken.

Meine Stimmung ist arg umgeschlagen, Verwunderung geht in Ärgerlichkeit über. Dann kann ich mir‘s erklären: Er ist es, der enttäuscht wurde. Ich muss vieles wieder gutmachen.
Das fand ich eine emotionale Stelle, was dir in diesem Text generell gelungen ist. Immer wieder fühle ich diese Bindung zwischen den beiden. Ich mochte das gerne, wie er die Erkenntnis hat und auf einmal sich selbst in der Verantwortung sieht.

„Den falschen Herrn.“
Hier wieder das harte Urteil. Ja, das passt in das Bild, was ich von ihm konstruiert habe.

Plötzlich hochtouriges Kreischen, ein Scheinwerfer blitzt auf, Metall scheppert, Glas zerspringt. Mit dumpfem Knall wird die Tür von Oskars Seite fast bis zu mir gepresst. Ein kurzes Jaulen.
Ich hatte in den Kommentaren gelesen, dass du das Ende noch einmal umgeschrieben hast. Bin da ganz froh drum, denn das war schon ein Schockmoment.


Lieber @josefelipe ich mochte deinen Text, er ist bis auf die eine Passage, die ich erwähnt habe, ein gutes Beispiel, wie man so etwas aufbauen kann. Ich merke immer wieder, dass die Kommentare sehr viel bringen, auch für die eigene Schreibe - gerade bei sehr guten Geschichten.

Wünsche dir noch einen schönen Abend und freue mich auf deine weiteren Geschichten.


Beste Grüße
MRG

 

Hola @MRG,

Deinen Komm schätze ich sehr – Du hast den Text auffallend aufmerksam gelesen, und deshalb nehme ich auch jede der Anmerkungen ernst. Will mich besonders mit dem Stein des Anstosses beschäftigen:

… er geht sowohl mit sich selbst als auch mit anderen hart ins Gericht. Daher hat es mich erstaunt, dass er Erich auf einmal so aufgeschlossen entgegen tritt und sogar mit ihm trinkt. Das ging für meinen Geschmack zu schnell und hat nicht in das Bild gepasst,
Das verstehe ich hundertprozentig. Hatte selbst Bedenken. Wirklich ein guter Einwand!
Ich will mich nicht herauswinden oder gar versuchen, Dir zu widersprechen – doch erklären könnte ich meine Überlegungen: Er ist in der Bredouille. Möglichst schnell will er Oskar erlösen.
Wenn er jetzt zickt, muss er unverrichteter Dinge nach Hause fahren und Oskar bleibt im Tierheim. Ob er was Besseres findet, ist ungewiss. Er weiß jetzt auch, dass Erich Agraringenieur ist und kein taxifahrender Penner. Und Erichs Frau hat ihm sicherlich gefallen mit ihrer praktischen und offenen Art – sie wäre ja sein hauptsächlicher Ansprechpartner in allen häuslichen Dingen.
Trotzdem hast Du Recht, er kippt ziemlich schnell um – doch er ist wegen seiner Schuldgefühle so versessen darauf, Oskar wieder ein ‚standesgemäßes‘ Zuhause zu bieten, selbst wenn er etwas von seiner geraden Linie abweichen müsste.

Ich finde deinen Titel übrigens auch gelungen, hat bei mir Interesse geweckt.
Ja, dieses Mal hat‘s geklappt. Hab‘s immer schwer, ein guten Titel zu finden.
Ein belangloser Titel hält viele Leser fern, da kann der Text noch so gut sein.

José: Aber vielleicht war ich noch nicht an der Reihe.
MRG: Hier steckt so viel Resignation und in gewisser Weise auch Trauer drin.
Seine Rosa ist tot – da will er auch nicht mehr. Er ertrinkt im Alkohol und alles ist scheißegal.
Einigermaßen nachvollziehbar. Keiner sagt einem Depressiven: Jetzt reiß dich mal zusammen und lach wieder mal.

Er hat ein ganz klares Weltbild und ich habe es so wahrgenommen, dass er darin auch recht starr ist.
Er sagt: "ein vernünftiger Standpunkt", was für mich ein Urteil ist.
Hehe, so sind die Alten. Sie fällen ihre Urteile, viele erstarren. Meinen Herrn Mölders wollte ich nicht so einfältig darstellen. Ein bisschen beweglich sollte er schon noch sein.
Trotzdem wird für jeden Alten die Welt immer kleiner. Gott sei Dank, sollte man sagen, denn auch sein Input wird immer geringer. Wohl dem, der da noch einen Hund hat

Wo ist seine Standhaftigkeit? Wo ist sein klares Urteil? Wenn es zu einem gewissen Konflikt gekommen wäre, okay. Aber so hatte ich den Eindruck, als wäre er eher opportunistisch unterwegs. Jetzt wo er dort hinwill, verstellt er sich und passt sich an. Das hat mich nicht überzeugt.

Völlig richtig. Aber wie ich oben schon sagte: Seit er weiß, dass Erich Agraringenieur ist, hat der bei ihm einen Stein im Brett. Er hat eben so seine Kriterien.
Übrigens hatte ich mal an anderer Stelle mit dem Thema zu tun, wie sich ein Mensch verhält.
Vorhersehbar oder unberechenbar, je nachdem, wie die Situation ist – ganz grob gesagt.
Der Unbestechliche kippt um bei zwei Millionen, der Tugendhafte verliert plötzlich die Beherrschung usw.
Es sind zwei Dinge, die ich beim Kommentieren beachten will: Die wörtliche Rede nach Möglichkeit so zu akzeptieren, wie es der Autor darstellt – und das beschriebene Verhalten eines Menschen ebenfalls. Auch, wenn ich anderes erwartet hätte.
Manches Mal geht‘s nicht, ohne sich zu verstellen.

Ich jedenfalls muss mich nicht verstellen, wenn ich mich herzlich für Deinen Komm bedanke.

Schöne Grüße!
José

 

Hey @josefelipe,

eine ganz wunderbare Geschichte ist das! Ich mochte sie sehr gern, bis auf das Ende und den Titel. Der Titel ist so lala und hat mich überhaupt nicht angesprochen, aber er at auch Freunde und insofern, hat er wohl auch sein Zielpublikum. Bei dem Ende stört mich nicht, dass es traurig ist, sondern weil es so wie Kasper aus der Kiste daherkommt. Im Text führt eines zum anderen, alles fließt schön ineinander über und am Ende spüre ich den Autor, der zu mir als Leser spricht und sagt: Und jetzt sei traurig. Und er bedient sich dabei eines einfachen Tricks. Der Hund kann ja von mir aus sterben und ich bin auch gern traurig deshalb, aber wenn das eben auch organisch wäre, wäre es mir sehr viel angenehmer. Wenn er halt einfach stirbt. Ohne Fremdeinwirkung. Wegen seiner Alters. An einer Verletzung, die ihm im Tierheim zugefügt wurde halt so was.
Wäre doch gut, wenn eben beide alt sind und ins Heim ziehen müssen. Und der Gnadenhof kommt für den Hund zu spät. Gleiches Ergebnis, aber dann würde die "Schuld", die dein Prot. ja auf sich nimmt ungleich größer werden.

Und hier noch eine Liste von Dingen, die mich wirklich berührt haben, als ich deinen Text gelesen hab.

Einen Tag vor seinem Abtransport verhält er sich ganz anders als gewohnt. Weicht mir nicht von der Seite, geht sogar mit zur Toilette, behält mich immer im Blick. Auch als sie am nächsten Morgen kommen.
Oh je, oh weh. Ja, Hunde und Kinder und deren siebenter Sinn.

Jetzt legt er sich flach auf den Boden und macht keinen Mucks. Trotzdem gelingt es mir, ihm das Halsband umzulegen und die Leine einzuklicken.
Wie so trotzdem, wenn er da still auf dem Boden liegt?

Ich streichle ihm noch mal über die seidigen Schlappohren, gebe den zwei jungen Leuten vom Tierheim die Leine und rede beruhigend auf ihn ein. Sage das dümmste Zeug, wie eine Beschwörung, dunkel und tief – in der Hoffnung, meine Stimme werde seine Panik dämpfen. Widerwillig geht er mit den beiden runter zum Auto.
Auf halbem Wege bleibt Oskar noch einmal stehen und dreht sich um. Wir schauen uns an.
Mein Mund zuckt, das Wasser schießt mir in die Augen.
Das ist so traurig. Und mir tun auch beide leid. Es muss so unendlich furchtbar sein, diesen Schritt zu gehen.

Als dann Rose starb, ging‘s mit mir böse bergab. Ohne sie wollte ich nichts mehr vom Leben.
Dass ein Mensch so viel saufen kann, ohne zugrunde zu gehen, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber vielleicht war ich noch nicht an der Reihe.
Mochte ich auch.

Sie hat mir von ihrem tiefen Glauben an die Heilhypnose erzählt, auch gefragt, ob ich vielleicht … Ihr Schwiegersohn übe diesen Beruf aus, in einem Privatsanatorium.
Nein, ich glaube nicht, dass ich interessiert bin.
Ich fahre wieder zu Oskar.
:)

Auf der Heimfahrt denke ich, dass es doch Blödsinn ist, mir das Herz schwer zu machen, meinem verlorenen Freund hinterherzutrauern. Wir können es nicht ändern, basta. Schrecklich, wie oft ich mir die Augen wischen muss.
Du hast mich echt an der Angel. Ich leide wirklich mit den beiden mit.

Auch wenn ich ihre Steuertipps nicht brauche, so wäre ein Nachmittag mit ihr doch erträglicher, als Oskar zuzuschauen, wie er vom Prinzen zum Untertan degradiert wird, oder sich zu erinnern, wie wir uns mit Blicken verständigten, nur mit Blicken. Piano, pianissimo – harmonisch, kein herrisches Wort, einfach wunderbar. Und unsere Spaziergänge am Wasser, dem Spalier der Pappeln entlang …
Ja, wahrscheinlich. Aber man will ja auch wissen, wie es dem Hund nun geht, dem man das angetan hat. Vielleicht hofft man, ihn in guter Verfassung zu sehen, schließlich hat man sich selbst auch eingelebt, dann wäre das Gewissen nicht so schwer. Aber die Sehnsucht bleibt natürlich und die lässt einen Tag für Tag nach dem Hund sehen und sich selbst das Herz zerreißen. Kann man nix machen, ist man ganz Mensch.

Ich lache wirklich nicht. Dabei hätte ich allen Grund, schließlich geht es mir gut. Ein bisschen Prostata zwar, und Rücken und Herz, harte Leber, Gicht – na wenn schon. Die nassen Augen am Nachmittag machen mir mehr zu schaffen.
Schön!

Schon nach den ersten Stufen vermisse ich den Lift der Residenz, doch ich schaffe die Treppe auch ohne technische Hilfe.
...
„Ehm, das Bad befindet sich auf dem Flur. Wir sind hier in einem Altbau und kommen mit der Renovierung nur langsam voran.“ Fügt mit Schulterzucken noch hinzu: „Ist eine Frage des Geldes.“
Die Nachteile liegen auf der Hand, aber die Liebe will Opfer. Ich fand das gut, das er hier nicht auf einem rosaroten Ponyhof gelandet ist.

Viel Auslauf für den Hund. Nur fällt mir jetzt ein, dass es für mich ein wenig eintönig werden könnte. Die Bahnhofswirtschaft war geschlossen, das ‚Café Wisserath‘ ebenfalls.
Und noch eines.

Er schaut mich misstrauisch an, schneuzt sich und lacht: „Haha, der ist gut. Ich glaube, ein Schluck auf unser Kennenlernen wäre jetzt angebracht.“ Er sieht mich fragend an.
„Gute Idee, ganz Ihrer Meinung. Wozu möchten Sie mich denn überreden?“
Und doch ein guter Kerl. Ja ja, Schubladen sind nicht die besten Berater. Den Turn mochte ich auch.

Ich probiere von der Leberwurst im Glas – und muss gleich an Onkel Karl denken. Der konnte das auch, mit reichlich Zwiebeln und Majoran. Herrlich! Und es gibt noch zwei Gläser: Schweinskopf in Riesling-Aspik und Rotwurst mit Räucherzunge und blütenweißen Speckstückchen. Unschlagbar gut. Das könnte man in Brüssel oder Paris zu Höchstpreisen verkaufen, an echte Feinschmecker.
Da wollte ich auf der Stelle auch zum Essen hin. Wir waren mal einen Sommer in Polen unterwegs. Eine Unterkunft war auf einem Bauernhof (Gemüsegarten/Kühe/Schweine) und da war wirklich fast alles selbstgemacht, was auf den Tisch kam. Die Wurst war der Hammer, frische Kuhmilch für den Kaffee, von Marmelde und Brot und Butter ganz zu schweigen. Die Tomaten hatten nach Tomaten geschmeckt, und die Kartoffeln hatten einen Duft - ich schwärme noch heute davon. Es war soooo lecker! Hatte damals auch gedacht, ist viel ehrlicher als die Sterneküche und der Genuss ist mindestens genauso hoch.

Allerdings wird Erich draußen handgreiflich und schiebt mich trotz meines Widerstandes – ich verweise in bestem Advokaten-Deutsch auf Freiheitsberaubung und auf das Recht eines jeden Bürgers auf einen Spaziergang in der guten Abendluft – in sein Taxi und fährt mich zum Bahnhof.
Hehe

Oskar ist in der Hütte; drinnen ist es schummrig, ich erkenne nichts. Rufen will ich ihn nicht; vielleicht riecht er mich, oder er ahnt mich – früher ist er öfter ans Gartentor gelaufen, ohne dass der Besucher schon zu sehen war. Ich warte.
Dann schnalze ich mit der Zunge, das war unser Startsignal beim Frisbeewerfen.
Keine Reaktion. Ich halte noch einen Moment inne, rufe seinen Namen.
Langsam, sehr langsam kommt er durch die Tür, schaut mich aber nicht an.
Auch schön. Das geht ans Herz.

Ich hatte mir eine stürmische Begrüßung ausgemalt, mit freudigem Gewinsel und Gebell – aber nein, nichts. Er wirkt bedrückt und lustlos, wo ist sein Temperament?
Tja, da ist was kaputt gegangen. Ziemlich sogar.

Meine Stimmung ist arg umgeschlagen, Verwunderung geht in Ärgerlichkeit über. Dann kann ich mir‘s erklären: Er ist es, der enttäuscht wurde. Ich muss vieles wieder gutmachen.
Eben, eben.

Da verspüre ich … einen Hauch? Fast nicht wahrnehmbar. Ich rühre mich keinen Millimeter. Seine Zunge wischt über meine Nase.
Das ist lieb von Dir, doch noch einen Hoffnungsschimmer einzubauen. Wenn man darin Hoffnung lesen will. Abschied ginge auch.

Das von mir. Habe ich über die längste Strecke wirklich sehr, sehr gern gelesen.

Beste Grüße, Fliege

 

Hola @Fliege,

freundliche, ja lobende Worte tun so gut! Danke, danke!
Doch es gibt einen Haken:

Fliege: Bei dem Ende stört mich nicht, dass es traurig ist, sondern weil es so wie Kasper aus der Kiste daherkommt.
Oops. Schade, dass Dir das nicht gefällt. Natürlich passiert ein Unfall in Sekunden – da springt statt des Kaspers der Tod aus der Kiste. Und die erste Version war auch genau so.

Hab‘s dann abgemildert: Wer seinen Freund übers Gesicht leckt, lebt noch. Aber Du bist für einen natürlichen Tod. Ja, hätte man auch machen können; ich befürchte allerdings, das wäre langweilig.

José: Da verspüre ich … einen Hauch? Fast nicht wahrnehmbar. Ich rühre mich keinen Millimeter. Seine Zunge wischt über meine Nase.
Fliege: Das ist lieb von Dir, doch noch einen Hoffnungsschimmer einzubauen. Wenn man darin Hoffnung lesen will.
Aber ja! Oskar lebt, keine Frage. Die beiden sollen doch noch eine gute Zeit miteinander haben.

Fliege: Abschied ginge auch.
Stimmt. Kann aber auch noch ‘n bisschen warten:).


Liebe Fliege, bedankt für eingebrachte Zeit bei Lesen und Kommentieren
und nochmals bedankt für die vielen Zitate, die mir zeigen, dass der Text bei Dir gut angekommen ist. Freut mich sehr.
Sei gegrüßt und bleib gesund!
José

 

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