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Hundert Jahre Hundstage

Empfehlung

Bas

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16.09.2018
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237
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Hundert Jahre Hundstage

Ich wache auf und bin NACKT. NACKT im GEISTE, nicht am Leib; ich verstehe NICHT, WAS SIE antreibt und habe keinen ANtrieb, SIE zu verstehen. Ist das die TOLLWUT, von der SIE REden? Der GeDANKE an das ALL; dieses RASEN in der BRUST – weil MEIN

ENDE​
naht?​
Beiße ICH zu, weil ICH ANGST hab?
BEISSE ICH mir ins eiGENE Fleisch?
Bitte VERSCHONT mICH mit TRÄnen, wenn ES kommt, WIE ES muss.

Ich wache auf und bin NACKT; das LETZTE Hemd ist geSCHMOLzen; jetzt schreibe ICH die GeSCHICHTEN, für die die TinTE NICHT AUSreicht, puhle mit GLÜhend heißen NAdeln in den EITrig WEISSen WUNden; ziehe mit GLASigEN auGEN schwarze FETzen aus dem LEIB.
Ich seh das KIND, das ich WAR, und es erKENNT mich NICHT wieDER; ICH frage: weißt DU noch daMALS? Es sagt: Ich sprech NICHT mit FREMDEN. ICH trag das GeWAND eines HENkerS und die MordLUST in der BRUST; pack das KIND, das ICH WAR; schlag es BLAU, GRÜN und SCHWARZ.

Ich wache auf und bin nackt und der Wind streicht durch's Gras. Die Grille zirpt am Berghang. Ich habe vergessen, wie man sich hier zurechtfindet, ich brauche Chaos zur Orientierung: Wo sind die lärmenden Autos, wo die streitenden Eltern? Wo sind die Unterführungen mit den Obdachlosen, Seite an Seite auf dem kalten Boden ihrer Gruft? Soll ich wirklich kein Blatt von dem Baum da vorne pflücken, um mein Gemächt zu verdecken? Stört es wirklich niemanden, dass ich nackt bin? Eines für den Mund; vielleicht? Nein?
Warum seid IHR so GUT und ICH bin SO BÖSE?
ICH bin die FLEDERratte im MAUSoleum und bei NACHT ein VAMpir¿

҈

VÖ-GE-LEIN FLIEG-WEG
und
KOMM-NICHT-MEHR WIE-der
gibt ͶICHTS mehr zu-SEH'N hier
nur
ͶICHTS
ͶICHTS
und
MICH.

҉​


Ich wache auf und bin nicht mehr ICH, ich lese Sätze, die ICH geschrieben habe und wundere mich, schüttle den Kopf und wende mich ab aber wende mich nicht ab.
Und jetzt? Soll ich jetzt schreiben über … die Menschen?

»Hallo!«
»Hallo?«
»Netter Hut.«
»… ?«
»Ich bin Schriftsteller und habe vergessen, wie man schreibt.«
»… ?«
»Tut mir leid. Ich versuche … Ich versuche meinen Kopf auszuschalten.«
»Ja … Das merkt man.«
So funktioniert das nicht. Sie schaut mich an wie einen Triebtäter, sie hat Angst.
Aber mein Herz schlägt ja wie verrückt!
»Halt, warte mal!«
»Lassen Sie mich in Ruhe!«
Sie läuft weg. Schade.

Ich könnte tagelang hungern. Ich könnte haufenweise verschreibungspflichte Medikamente schlucken. Ich könnte rauchen rauchen rauchen, bis meine Lungenflügel schwarz sind. Ich könnte

»Hallo!«
»Hallo?«
»Nette Jacke.«
»Ich kenn dich.«
»Ach?«
»Ja. Du warst früher schon mal hier.«
»Stimmt nicht. Ich bin neu in der Stadt.«
»Warum lügst du?«
»Weil ich Angst hab.«
Ich laufe weg, aber er folgt mir, ich biege um die Ecke und er ist immer noch da, ich drehe mich um und er ist
verschwunden.
»Hallo?«

Mein GOTT! Was passiert hier?

Ich schleiche durch die Unterführung, das Echo meiner Schritte prallt von graffitibeschmierten Wänden ab; HIER GIBT ES KEINE KUNST; der Wind peitscht den Obdachlosen ins Gesicht.
Tak – tak, tak – tak.
Netter HUT.

NETTE Jacke.
HALLO?

ICH lass das ALL explodieren; es hat dem Mensch nicht geholfen; & vielleicht schätzt man das UNTEN; wenn es das OBEN nicht gibt. ICH sah die KNOCHIGE ALTE; SIE mischte TRÄNKE zur HEILUNG; SIE wurd BESPUCKT & GETRETEN & am BAUM AUFGEKNÜPFT.
Jetzt will ich rennen & WILL nicht, ICH muss hier RAUS & weiß NICHT WOHIN; ICH bleck die ZÄHNE STÜRZ mICH auf TOTE sauge BLUT WAS PASSIERT HIER ICH renn im Takt der Sirene TAUCHE unter die STADT und wache NIE WIEder AUF!

[...]

Ich wache auf und bin nackt. Mich plagen Fieberträume und ich weiß nicht, wo oben und unten ist.
Der Arzt betritt den Raum und ich liege im Sterben, er hört mein Herz ab und seufzt und verstaut das Stethoskop in seinem … Beutel?
Mein Arzt ist ein Känguru. Er löscht das Licht; humpelt/hüpft weinend/lachend aus dem Krankenzimmer.
Ich liege auf dem Sterbebett/Geburtsbett & meine Eltern streiten ich kann sie auch im Dunkeln hören Papa ist tot & Mama traurig & die Hebamme weint.
mein erster schrei auf der erde brachte einen wolkenkratzer zum einsturz mein letzter schrei auf der erde bringt einen vulkan zum ausbruch
Ich wache auf und liege im Sarg, ich klopfe klopfe klopfe, aber der Pfarrer ist zu laut.
Ich wache auf und es ist Nacht, ich grabe grabe grabe, bin zurück von den Toten.
Es liegt Schnee; aber ich hinterlasse keine Spuren.

[...]

 

Hi @Bas

ich arbeite mich durch die Geschichten, die ich zwar gelesen, aber nichts zu geschrieben habe, obwohl sie im Kopf schwirrten. Ich fang mal mit deinem Text an, der mir nachhaltig in Erinnerung bleibt, weil ich den Mut und die Kreativität schätze, sprachliche Wege zu gehen, die zwar auch nicht ganz neu sind, aber doch frisch daherkommen.
Kritik kann ich kaum vortragen, der Text hat Tiefe, Gefühl, enthält ein paar Engelssätze, die unter die Haut gehen. Deshalb freue ich mich sehr über die Empfehlung.
Einen Winzisgteinwand muss ich doch anführen: Würdest du den Text ein Gedicht nennen, wär's zwar eine Art Ballade, könnte aber besser das widerspiegeln, was das Sprachgebilde ausdrückt.


SIE zu verstehen. Ist das die TOLLWUT, von der SIE REden? Der GeDANKE an das ALL; dieses RASEN in der BRUST – weil MEIN
ENDE​
klingt wie eine Sprechanweisung, klug gemacht.

das LETZTE Hemd ist geSCHMOLzen
was für ein Bild!

für die die TinTE
die die, die Konstruktion klingt nie gut.

Warum seid IHR so GUT und ICH bin SO BÖSE?
ICH bin die FLEDERratte im MAUSoleum und bei NACHT ein VAMpir¿
den fetten Satz finde ich entbehrlich, weil sehr klischeehaft, der zweite Satz wiederum sehr hübsch.

QUOTE="Bas, post: 716372, member: 32712"]

nur
MORD
HASS
und
KRIEG.​
[/QUOTE]na ja, bisschen drüber

Drei von ihnen sind im Schlaf erfroren; das Leben hat sie umgebracht.
könnte man auch weglassen, aus demselben Grund, den ich oben angeführt habe.

Mein Arzt ist ein Känguru. Er löscht das Licht; humpelt/hüpft weinend/lachend aus dem Krankenzimmer.
:Pfeif:

Liebe Nachtlichtgrüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chutney,

Merkwürdig, wie mir dieser durchgestrichene und geänderteTeilsatz immer wieder im Alltag in den Kopf gekommen ist. Ich habe das Gefühl, mich hautnah am Protagonisten/Schreibenden zu befinden, der mich hier direkt an seinem Denkprozess teilnehmen läßt. Dieses Durchstreichen gibt es ja eigentlich gar nicht mehr, man würde es löschen. Dadurch, dass es da durchgestrichen steht, wirkt es so intim auf mich, macht den Schreibenden nackt und verletzlich.

Hach, hat mich das gefreut! Besonders an dieser Stelle hier, denn das war die erste, die mich auf die Idee mit dem Durchstreichen gebracht hat, ich hatte dieses "und wende mich ab" schon eingetippt und dann dachte ich mir, pf, wie feige, das stimmt ja gar nicht, was du da schreibst, lüg doch nicht rum, so funktioniert das nicht.

Hier meine ich eine Stimme zu hören, sehr eindringlich, die flackert wie eine Kerze.

"Flackert wie eine Kerze" ... Wunderbares Bild, toll, dass der Text diese Assoziation bei dir wecken konnte :)

Hier fasziniert mich der Wechsel zur "normalen" Schrift. Paßt perfekt zum Inhalt, der Bewußtseinszustand hat sich geändert. Es wäre auch interessant, diesen Text als Lesung zu hören, wie verschieden man das sprechen müßte.

Auch dass das bei dir angekommen ist, freut mich sehr. Glücklicherweise (?) werde ich den Text niemals irgendwem vorlesen müssen, aber ja, ich denke, an der Stelle müsste man dann viel ruhiger sprechen als zuvor.

Mich würde ja schon sehr interessieren, wie dieser Text entstanden ist, ich habe wilde Ideen dazu. Und die Empfehlung von @Katla finde ich absolut berechtigt. Herzlichen Glückwunsch, lieber Bas

Und mich würden deine wilden Theorien interessieren - die wahrscheinlich viel spektakulärer sind als die Realität. Er ist halt einfach entstanden. Vielen Dank für die Glückwünsche und deinen Kommentar, Chutney.

Hallo @Manlio,

Das hat mich gepackt, in den Text hineingezogen.

Super!

Auf die "Frage", die du stellst, also: Was das soll, dieser Kontrast zwischen Retro und Moderne, wie du es nennst, darauf kann ich dir leider keine befriedigende Antwort geben. Es war nicht meine Intention, mit der Formatierung einen "modernen" Pfad zu beschreiten, es hat sich einfach so ergeben, hat sich richtig angefühlt. Dass der Inhalt auf dich zeitlos wirkt, freut mich, darin liegt wohl auch ein bisschen die Stärke des Textes: Dass er allgemein gehalten ist.

Vielen Dank für deinen Kommentar und die Auseinandersetzung mit dem Text!

Hallo @erdbeerschorsch,

hast du schön gemacht, wollt ich nur mal zwischendurch sagen.

Immer her mit dem Honig :schiel:

Na, lass es besser so, wie es ist.

Werde ich machen. Aber danke für den Vorschlag :thumbsup:

Majakowski war mir bisher noch nicht bekannt, aber nach deiner Erwähnung liegt "Wolke in Hosen" jetzt neben meinem Bett (zweisprachig übrigens. Nicht, dass ich russisch könnte, aber es gab keine andere Ausgabe wird ja wohl nicht schaden, hin und wieder einen Blick auf diese verrückten, angeblich Sinn ergebenenden Buchstaben zu werfen). Ich bin jedenfalls gespannt und danke schon mal im Voraus, auch für deinen Kommentar natürlich.

Huch, @Isegrims,

jetzt hätte ich dich fast übersehen, und das wäre schade gewesen - ich meine, so oft kommt es nicht vor, dass jemand von "Engelssätzen" spricht. Noch mehr Honig für die eh schon kariesgeplagten Zähne.

Einen Winzisgteinwand muss ich doch anführen: Würdest du den Text ein Gedicht nennen, wär's zwar eine Art Ballade, könnte aber besser das widerspiegeln, was das Sprachgebilde ausdrückt.

Natürlich ist das ein Gedicht, ich habe das Wort aber ganz bewusst gemieden, weil die hier ja nicht erlaubt sind. Hatte eigentlich damit gerechnet, dass das Ding direkt gelöscht wird :Pfeif:

die die, die Konstruktion klingt nie gut.

Ja, leider, hieß auch zwischenzeitlich mal "für die Tinte nicht ausreicht", weil mir aber die ursprüngliche Formulierung noch im Kopf herumgeisterte, fühlte sich das dann noch ... falscher an.

Über deine Hinweise bzgl. Streichungen denke ich nach, erscheinen mir logisch, danke für den Hinweis - sowie für den gesamten Engelskommentar.

Bis bald,

Bas

 

Hallo Bas,

ich musste an Adam und Eva denken bei dem Text, die Vetreibung aus dem Paradies und das plötzliche Bewusstwerden über das eigene "Nacktsein". Auf einmal ist Schamgefühl da und man wird sich seiner Selbst bewusst, man hat vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Das Böse existiert jetzt nicht nur, man ist es auch selbst.

Ich wache auf und bin NACKT. NACKT im GEISTE, nicht am Leib; ich verstehe NICHT, WAS SIE antreibt

Bei "sie" dachte ich an Eva

Ich seh das KIND, das ich WAR, und es erKENNT mich NICHT wieDER; ICH frage: weißt DU noch daMALS? Es sagt: Ich sprech NICHT mit FREMDEN. ICH trag das GeWAND eines HENkerS und die MordLUST in der BRUST; pack das KIND, das ICH WAR; schlag es BLAU, GRÜN und SCHWARZ.

Das Kind ist das alte, unschuldige, vorbewusste Ich.

Im weiteren Sinne kann man die Geschichte auch als Erzählung über das Entstehen des menschlichen Bewusstseins verstehen -- dazu passt "Stream of Consciousness" natürlich sehr gut.


Soll ich wirklich kein Blatt von dem Baum da vorne pflücken, um mein Gemächt zu verdecken? Stört es wirklich niemanden, dass ich nackt bin? Eines für den Mund; vielleicht? Nein?
Warum seid IHR so GUT und ICH bin SO BÖSE?

Hier wird auch vom Baum gesprochen und vom Nacktsein und Schamgefühl und dann auch gleich von Gut und Böse. Uralte Symbolik.


Der Text liest sich wie ein authentischer "Fiebertraum" - und das Thema ist das Sein selbst, das es auszuhalten gilt. Finde ich gut geschrieben, die komische Groß und Kleinschreibung hatte hier tatsächlich irgendwas, irritiert aber nicht zu sehr.

Sehr gern gelesen.

MfG

JuJu

 

Hallo @JuJu,

also entweder hast du damals noch die Ur- oder Zwischenfassung (ich weiß es selbst nicht mehr) zu lesen bekommen, oder aber bei uns beiden wurden einfach dieselben Assoziationsrezeptoren gekitzelt. Denn ursprünglich (oder dazwischen) hieß es mal:

ICH sah die KNOCHIGE ALTE; SIE mischte TRÄNKE zur HEILUNG; SIE wurd BESPUCKT & GETRETEN & am BAUM AUFGEKNÜPFT. ICH sah auch ADAM & EVA & sie lachten SIE aus.

das Thema ist das Sein selbst, das es auszuhalten gilt

Hat mir gut gefallen, diese Formulierung, ebenso wie dein gesamter Kommentar - danke, dass du mich an deinen Gedanken zum Text teilhaben lassen hast, liebe Grüße,

Bas

 

Hall @Bas nochmal,

nein, die Zeile hatte nicht gelesen. Spannend. Danke für die Rückmeldung.

Mit freundichen Grüßen

JuJu

 

Hallo Bas,

wenn ich eine experimentelle Geschichte lese, interessiert mich natürlich, was an ihr experimentell ist. Außerdem, ob des nur ein Experiment gibt (also nur die Form) oder auch einen - meist versteckten - Inhalt.

Ich halte es für eine interessante Idee, die Form der Schriftsprache zu erweitern, indem man die Groß- und Kleinschreibung gezielt einsetzt, um zusätzliche Inhalte zu erzeugen (das "eiGENE Fleisch" ist etwas anderes als das 'eigene Fleisch', schließlich wird man zu der Assoziation "GENE" geführt. In diesem Sinne würde mir hier:

von der SIE REden? Der GeDANKE an das ALL; dieses RASEN in der BRUST – weil MEIN
... gefallen, wenn SIE rEden stehen würde.
Deine gewählte Form ermöglicht auch, den Leserhthmus zu steuern, das ist sicher auch eine bemerkenswerte Idee für Gedichte.

So viel zur Form, nun zum Inhalt:

Ich seh das KIND, das ich WAR, und es erKENNT mich NICHT wieDER; ICH frage: weißt DU noch daMALS? Es sagt: Ich sprech NICHT mit FREMDEN.
Für mich ein Hinweis auf einen inneren Konflikt, dem eine EntFREMDUNG vom eigenen ICH zugrunde liegt, aufGRUND einer lebensbedrohlichen Stresssituation. Worin diese besteht, vermag ich nicht konkret zu sagen, der Titel deines Textes lässt 'Hitze' vermuten. Ein Protagonist, in einer Welt, die um ihn herum aus den Fugen gerät, von Ängsten gepeinigt.

Mir wäre es lieber, wenn ich bei der Interpretation mehr sichere Anhaltspunkte über das Geschehen bekommen würde. Aber das mögen weitere Leser anders empfinden.

Beste Grüße,

Woltochinon

 

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