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Hydra schweigt

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19.05.2015
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Hydra schweigt

Leo stand am Rand der Aussichtsplattform des Köktöbe, die unter dem klaren Himmel Almatys wie ein Balkon über der Stadt hing. Ein seltener Tag, einer, an dem die Dunstglocke, die sonst über der Stadt lag, verschwunden war. So glitzerten unten die Lichter wie verstreute Sterne in der Abenddämmerung, während oben ein frischer Wind die Seidenfahnen der Touristenstände flattern ließ.

Diana lehnte am Geländer, eine Hand um das Metall geschlungen, die andere tief in der Tasche ihres Mantels. Leo sah sie zuerst, wartete ein wenig, kostete aus, was er wahrnahm. Ein Treffen nach so vielen Jahren, eine Verabredung, um die Wunden zu heilen, an einem Ort, an dem sie beide einst glücklichere Zeiten verbracht haben. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Ihr Blick ging weit hinaus zu den schneebedeckten Gipfeln des Alatau.

„Ich wollte einmal Opernsängerin werden“, sagte sie plötzlich, ohne sich umzudrehen. „Bevor… alles anders wurde, bevor die Hydra aus dem Nichts auftauchte, bevor ich kämpfen musste und Köpfe abschlug, die doppelt nachwuchsen.“ Ihre Stimme war leise, fast vom Wind verschluckt, und doch lag darin ein Rest jener Kraft, die sie einst auf eine Bühne hätte tragen können.

Leo trat neben sie und für einen Moment standen sie nur da, schauten hinab auf die Stadt. Dann holte sie Luft und begann zu singen. Die hohen Wangenknochen vibrierten, die Wangen, die sonst wie verfrühter Schnee wirkten, röteten sich, ein perfektes Bild ihrer Herkunft. Ihr schönes Gesicht reckte sich dem Himmel entgegen und schien nach den Weiten der großen Steppe zu suchen.

Diana sang keine vollständige Arie, aber Töne peitschten durch den Abend wie klares Wasser in einem reißenden Fluss. Zauberflöte, die Königin der Nacht: Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen. Leos Herz rast. Ein paar Passanten blieben stehen, einer hob sein Telefon, niemand sprach. Die Melodie stieg, schwebte, fiel zurück wie Schnee, und Leo spürte wie die Befreiung von Diana auf ihn übersprang, erinnerte sich an die Liebe, die sie empfunden hatten.

Als sie verstummte, atmete der Berg mit ihnen. Unten rauschte das Leben weiter, doch hier oben war es, als hielte die Welt für einen Augenblick den Atem an.

 
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Hallo @Isegrims

Eine kleine Alltagsepisode, die mehr versteckt, als sie mir erzählt und nur einen Moment einfängt, der mMn – tut mir leid – recht austauschbar wirkt.
Ich erfahre ausser Ort und Wetter des Geschehens kaum etwas über Leo und D., deren Name ebenfalls ein Geheimnis bleibt.

Leo stand am Rand der Aussichtsplattform des Köktöbe, die unter dem klaren Himmel Almatys wie ein Balkon über der Stadt hing. Ein seltener Tag, einer, an dem die Dunstglocke, die sonst über der Stadt lag, verschwunden war.
Gerade bei Kürzesttexten sind Wortwiederholungen unschön. Vielleicht das zweite mit über dem Land, über der Gegend o.ä. ersetzen.

So glitzerten unten die Lichter wie verstreute Sterne, während oben ein frischer Wind die Seidenfahnen der Touristenstände flattern ließ.
Ein klarer Tag und es glitzern Lichter?

D. lehnte am Geländer, eine Hand um das Metall geschlungen, die andere tief in der Tasche ihres Mantels.
D., warum? Dolores, Dörte, Denise, wen soll ich mir vorstellen. Fände ich schöner, wenn du um den Namen kein Geheimnis machen würdest.

„Bevor… alles anders wurde, bevor die Hydra aus dem Nichts auftauchte, bevor ich kämpfen musste und Köpfe abschlug, die doppelt nachwuchsen.“
Die Schlüsselstelle. Ein Plan fürs Leben, der ein ums andere Mal durchkreuzt wurde.
Das würde mich eben interessieren, zumal ja dann, kann man dem Titel glauben, ein zufriedener Lebensweg zustande gekommen ist.

Ihre Stimme war leise, fast vom Wind verschluckt, und doch lag darin ein Rest jener Kraft, die sie einst auf eine Bühne hätte tragen können.
Hier habe ich Mühe, in einer leisen Stimme diese Kraft zu entdecken. Vielmehr scheint mir ihr Gesang der Beweis, dass sie auf eine Bühne gehört hätte.

Dann holte sie Luft – und sang. Ihr schönes Gesicht, die hohen Wangenknochen, die ihre Herkunft verreiten, reckten sich gegen den Himmel und schienen nach den Weiten der großen Steppe zu suchen.
verrieten, reckte (Bezug:Gesicht)

Es war keine ganze Arie, nur ein Ausschnitt, doch die Töne schnitten durch den Abend wie klares Wasser.
klares Wasser fliesst eher

Die Melodie stieg, schwebte, fiel zurück wie Schnee, und Leo sah in ihrem Gesicht etwas, das er noch nie gesehen hatte: Freiheit, rein und ungeschützt.
Hm, recht viel Pathos, ohne dass es mich berührt. Freiheit? Eher eine tiefe Zufriedenheit, im Reinen mit sich und der (schwierigen) Vergangenheit? o.ä.

Als sie verstummte, atmete der Berg mit ihnen.
Auch hier, Achselzucken.

Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber der Text – den ich eher unter Flash Fiction einordne – wirkt auf mich wie ein persönliches Erlebnis, das für den Schreiber mehr aussagt, als für mich, den unbeteiligten Leser.

Liebe Grüsse, dot

 

Hey @Isegrims,

Ach, ich habe das schnell und flott gelesen und habe mich irgendwie ganz wohl in deinem Text gefühlt. Einziger Stolperstein:

Diana ... hatte ihn noch nicht bemerkt – oder wartete auf den richtigen Moment. Ihr Blick ging weit hinaus zu den schneebedeckten Gipfeln des Alatau. „Ich wollte einmal Opernsängerin werden“, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

Wie jetzt? Noch nicht bemerkt, aber im nächsten Satz spricht sie zu ihm? Kapiere ich nicht. Für mich gehören Diana und Leo zusammen, sind wahrscheinlich auch zusammen da hoch gegangen. Ansonsten hätte ich schon gern was über die zufällige Begegnung da oben und ihre Beziehung zueinander erfahren. Aber das würde den Text unnötig aufbauschen, weil es darum nicht geht, ob und wie die beiden da miteinander, es geht (für mich) um den Moment, wo man an zerplatzte Träume denkt und sich ihnen noch einmal hingibt, sie aus den Alltagstrümmern kurz aufleben lässt. Und ja, wie viele nicht erfüllte Künstlerlebenswünsche mag der Wind schon über die Steppe zu Staub geblasen haben? Etliche!

Doch noch was:

und Leo sah in ihrem Gesicht etwas, das er noch nie gesehen hatte: Freiheit, rein und ungeschützt.
Schon hart am Kitsch. Passt für mich auch nicht zum Rest. (Also stilistisch jetzt, inhaltlich ist schon klar - aber weil es eben so klar ist, braucht es diesen Wurmfortsatz eigentlich auch nicht.)

Grüße aus einem sehr stürmischen Schweden,
Fliege

 

Hej @dotslash hej @Fliege
Ich antworte mal euch beiden gleichzeitig und freue mich sehr über euren Kommentar. Nicht so sehr, weil der erwartet kritische von Dot kam (habe ich bei meinen Texten bisher von ihm oft genug erlebt und ist insofern keine Überraschung.)

So lange her, dass ich hier etwas veröffentlicht habe und überhaupt bin ich froh wieder die Energie und Zeit zu finden, ein paar Szenen zu schreiben eine kleine, vielleicht auch mal wieder eine größere Geschichte, während ich von einem großen Ding weiter träume. Für mich also ein Anfang, ein Zauber wie man gerne zitiert.

Dank eurer Anregungen habe ich die Geschichte überarbeitet, mehr Fleisch und Satzperioden, die mir selbst nun auch besser gefallen.

Im einzelnen:

Ich erfahre ausser Ort und Wetter des Geschehens kaum etwas über Leo und D., deren Name ebenfalls ein Geheimnis bleibt.
ja, Dankeschön, habe ich etwas ausgeweitet und den Namen der Göttin Diana verwendet.

Ein klarer Tag und es glitzern Lichter?
Abenddämmerung ergänzt, so ist das Bild erst entstanden

Die Schlüsselstelle. Ein Plan fürs Leben, der ein ums andere Mal durchkreuzt wurde.
Das würde mich eben interessieren, zumal ja dann, kann man dem Titel glauben, ein zufriedener Lebensweg zustande gekommen ist.
ein paar Andeutungen habe ich beigefügt

klares Wasser fliesst eher
stimmt, deshalb geändert, wobei die Klarheit nichts mit der Flussgeschwindigkeit zu tun hat.

Hm, recht viel Pathos, ohne dass es mich berührt. Freiheit? Eher eine tiefe Zufriedenheit, im Reinen mit sich und der (schwierigen) Vergangenheit? o.ä.
gestrichen bzw verändert

Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber der Text – den ich eher unter Flash Fiction einordne – wirkt auf mich wie ein persönliches Erlebnis, das für den Schreiber mehr aussagt, als für mich, den unbeteiligten Leser.
vielleicht magst du die neue Version erneut lesen, nach Flash Fiction habe ich den Text verschoben

Ach, ich habe das schnell und flott gelesen und habe mich irgendwie ganz wohl in deinem Text gefühlt.
ach, das freut mich sehr, siehe oben

Noch nicht bemerkt, aber im nächsten Satz spricht sie zu ihm? Kapiere ich nicht. Für mich gehören Diana und Leo zusammen, sind wahrscheinlich auch zusammen da hoch gegangen. Ansonsten hätte ich schon gern was über die zufällige Begegnung da oben und ihre Beziehung zueinander erfahren.
auch die Stelle habe ich geändert

es geht (für mich) um den Moment, wo man an zerplatzte Träume denkt und sich ihnen noch einmal hingibt, sie aus den Alltagstrümmern kurz aufleben lässt. Und ja, wie viele nicht erfüllte Künstlerlebenswünsche mag der Wind schon über die Steppe zu Staub geblasen haben? Etliche!
:Pfeif: schon lange kein wk emoji verwendet :D:herz:

Vielen herzlichen Dank für eure Zeit und die Hilfe einen Text zu verbessern.

Taunusgrüße
Isegrims

 

Nicht so sehr, weil der erwartet kritische von Dot kam (habe ich bei meinen Texten bisher von ihm oft genug erlebt und ist insofern keine Überraschung.)
Oh, das war mir nicht bewusst. Tut mir leid wenn ich dich da irgendwie verärgert habe. Und ja, ich vergass das positive zu erwähnen, denn die Stimmung und das Setting fing mich da schon ein.

vielleicht magst du die neue Version erneut lesen, nach Flash Fiction habe ich den Text verschoben
Doch, gefällt mir nun viel besser. Ist jetzt viel runder geworden und hat durch die Änderungen an Gehalt und Bedeutung gewonnen.

Gerne (erneut) gelesen.
Gruss, dot

 

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