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Iarwain (überarbeitet)
Iarwain
Das Schlachtfeld sieht aus wie jeder Ort, an dem ein Gemetzel stattgefunden hat. Der Anblick verfolgt ihn schon lange nicht mehr in seinen Träumen, so sehr hat er sich daran gewöhnt.
Erschöpft stützt er sich auf sein Schwert. Wie jedes Mal erinnert er sich an die Lügen, die seine Ausbilder vor langer, langer Zeit ihm erzählt haben, und die er nach seiner Ernennung zum Ersten Ritter der Königin an seine eigenen Rekruten weitergab. Vom Ruhm der Schlacht, vom Glücksgefühl, einen Feind zu erschlagen, vom Geschmack des Blutes, wenn man das Herz eines Toten verzehrte, um seine Stärke zu erhalten. Niemals spricht man von der Trauer, die nach einer Schlacht folgt. Nichts vom Blut, das hellrot wie eine Anklage an der Klinge klebt.
Nach seinem ersten Sieg hat er erkannt, dass die Geschichten nichts weiter waren als eben das: Geschichten. Zitternd hat er dagestanden, das Adrenalin war fort, nur die Scham war geblieben - und die Leichen seiner Feinde zu seinen Füßen. Damals spürte er den Geschmack des Herzens auf seiner Zunge und übergab sich.
Dieses Mal hat er nicht gesiegt.
Er geht über das Schlachtfeld und sucht nach Überlebenden. Sein blutiges Schwert hat er zurück in die Scheide gesteckt. Das Erste, was man ihn gelehrt hat, war, nie ein blutiges Schwert zurück in seine Hülle zu stecken, aber er hält sich nicht daran. Er will kein Krieger mehr sein. Und die Schneide seiner Waffe hat sich vom Blut erschlagener Unschuldiger sowieso schon lange schwarz gefärbt.
Sein Zopf ist eines der ersten Opfer der Schlacht gewesen. Ein Schwert hat ihn abgeschnitten. Ständig fallen ihm jetzt lose Strähnen in die Augen, die ihn stören. Sie versperren ihm den Blick auf das Schlachtfeld, auf das, was er sowieso nicht sehen will.
Ein Gemetzel. Eine große Gruppe leicht gerüsteter Menschen auf schnellen Pferden hat den gepanzerten Albentross überfallen und ihn zu Staub zermahlen.
Neben einem verwundeten Krieger kniet er nieder. Er blickt auf den Mann herab, untersucht ihn auf Verletzungen. Der Mann atmet röchelnd, aber er sieht kein Blut, und alle Gliedmaßen scheinen noch an ihrem Platz zu sein.
"Wirst du überleben?"
"Ich sah Euch fallen, Prinz! Warum seid Ihr nicht tot?" Der Mann hustet und spuckt jetzt doch Blut. Sein Kommandant schließt für einen Moment die Augen. Vielleicht könnte ein Heilzauberer Threakkans zerfetzte Lunge noch flicken, aber so wird er an seinem eigenen Lebenssaft ersticken.
"Der Pfeil hat mich nur gestreift, aber der Zauber hat mich außer Gefecht gesetzt." Es war nur ein Schockzauber gewesen. Was haben die Menschen gewollt?Warum haben sie das getan?
Egal, es ist die Pflicht eines Überlebenden, die Verwundeten zu erlösen. Der Mann wird den Rückweg so oder so nicht überleben. Sanft legt der Krieger die Hand an den Hals des Todgeweihten. Mit einer einzigen Handbewegung bricht er ihm das Genick.
Er schließt die blauen Augen, in denen keine Tränen stehen. Iarwain weint nicht.
“Das ist, weil Fremen niemals weinen”, hat er seiner kleinen Schwester erklärt und ihr dann Dune gegeben.
Wie alt ist sie jetzt? Wie viele Jahre sind auf der Erde vergangen? Ist sie glücklich geworden? Oder folgt sie ihm auf seinen Spuren hierher, um in der einzigen Welt, die jemals sein Zuhause war, Leid und Schmerz zu erfahren?
Er verscheucht die Bilder. Vor ihm liegt Threakkan, und er ist tot. Sie werden nie wieder zusammen würfeln oder zusammen singen. Das ist es, was zählt. Er muss weitersuchen.
Er steht auf und wandert über das Schlachtfeld. Die Krähen sind schon da. Sie picken den Toten die Augen aus. Kein einziges Mal sieht er einen der Totenvögel aufsteigen. Einer der Vögel umkreist ihn, fliegt dann wieder fort. Mit einem enttäuschten Schrei teilt er seinen Gefährten mit, dass hier noch nichts zu holen ist.
Ausgehackte Augenhöhlen blicken ihn an. Abgehackte Hände scheinen nach ihm zu greifen, der Boden ist zertrampelter, roter Schlamm.
Nachdem er Threakkan zurück zu Frosthand geschickt hat, ist er der letzte Überlebende. Es ist niemand mehr da, um die Krähen zu verscheuchen. Eine von ihnen, ein besonders großes Exemplar, hüpft auf einem schwarzen Panzer herum. Er erkennt die Leiche, die in ihm steckt. Es ist Ceryakra, er selbst hat sie ausgebildet. Unter ihr liegt... sein Herz krampft sich zusammen, als er sie sieht. Obwohl seine Stellvertreterin versucht hat, seine Schwester mit ihrem Leben zu schützen, sind sie beide gefallen. Wenn sie doch auf ihn gehört hätte! Wenn sie nur...
Sanft zieht er sie unter dem Leichnam der größeren Frau hervor. Sie trägt nur schwarzes Leder, kein Metall. Deshalb konnte sich der Pfeil auch durch ihre Rippen bohren, ihre Rüstung hat sie nicht geschützt. Eine dunkle Druckstelle von Ceryakras Rüstung ist auf ihrem weißen Hals geblieben, ansonsten ist sie unversehrt. Khalindra wirkt, als würde sie nur schlafen.
Seine Fremenaugen bleiben trocken. Er erinnert sich.
Er war auf der Jagd gewesen, als er eine Spur entdeckt hatte, die keinem Tier gehörte, das er kannte. Als er ihr gefolgt war, hatte er eine Frau aus dem Volk der Alben gesehen, umringt von einem Rudel Wölfe. Aber bis er bei ihr war, war die Frau schon tot gewesen - aus einer Unzahl von Wunden verblutet, von denen ihr die Tiere nur die wenigsten zugefügt hatten, die Augen so fest zusammengekniffen, als würde sie sie vor ihrem Schicksal verschließen wollen. An ihr haftete der Geruch von Hunger, Blut und Dreck, aber auch etwas anderes, das ihn an lange zurückliegende, glücklichere Zeiten erinnert hatte. Es war der Geruch eines Kindes, wusste er.
Er war der Spur bis zu einem alten, hohlen Baum gefolgt. Die Spuren verrieten ihm, dass sie hier stehengeblieben war, und neugierig näherte er sich dem mächtigen Stamm. Ein leises Geräusch ertönte aus seinem Inneren. Sein Schwert flog ihm in die Hand und vorsichtig näherte er sich dem Baum.
Er kam sich ziemlich albern vor, als hinter der Holzwand nur ein kleines Albenkind verborgen war. Es war ein kleines Mädchen, vielleicht drei, höchstens vier Jahre alt. Sie blickte ihn aus blauen Fremenaugen an.
Das Kind war eine Prinzessin des Albenvolkes. Nur die Linie der Priesterkönige hatte solche Augen - und Iarwain selbst. Die Frau musste ihre Mutter gewesen sein. Aber warum waren sie geflohen? Vor wem waren sie weggelaufen?
Obwohl er ihnen so ähnelte, kannte Iarwain das Albenvolk nur vom Hörensagen. Jeder wusste, dass die Alben Elfen waren, die dem Bösen verfallen waren. In den Tavernen erzählte man voller Furcht von Menschenopfern, und die Priester der Göttin Dana predigten heute noch über die lebensverachtenden Riten des dunklen Volkes und ihrer Prieserkönige mit den blauen Augen.
Die Alben waren hunderte von Meilen quer über den gesamten Ostkontinent gewandert und hatten sich in den eisigen Nadelwäldern im Norden niedergelassen. Aber die Spuren der Frau verschwanden im Westen, nicht im Norden.
Wohin hatte sie gewollt? Wovor war sie geflohen? Wer hatte sie so zugerichtet, und warum hatte sie ihr Kind in dem Baumstamm verborgen?
Das Mädchen war in einem furchtbaren Zustand. Ausgemergelt, dünn, voller Schrammen. Sein rechtes Bein war notdürftig mit etwas verbunden, was einmal Fetzen eines Rockes gewesen sein mochten.
Als er es anblickte, begann es, leise zu weinen. Also hob er es aus seinem Versteck und wiegte es vorsichtig auf den Armen. Beinahe erwartete er, einen schwachen Duft nach Zimt zu riechen, so wie das Shampoo seiner Schwester, wenn sie ihre Haare frisch gewaschen hatten.
War die Albenfrau eine Magierin gewesen? Als er danach suchte, konnte er das Prickeln der Magie in dem zerbrechlichen Körper fühlen. Das Kind hatte Macht, so viel stand fest. Hatte ihre Mutter sie geheilt? Oder hatte sie das selbst getan?
Er trug sie in seine Unterkunft in den Wäldern und versorgte ihre Wunden. Es war nicht sicher für sie, wenn er sie jetzt zurückbringen würde. Das Mädchen war eine Prinzessin. Sicher gab es politische Intrigen am Albenhof, sicher war es gefährlich. Vielleicht hatte das Mädchen Angst vor ihm?
"Ich tu dir nichts", sagte er und lächelte.
Das Kind saß auf seinem Bett und hatte sich in seine Felldecke gewickelt. Er sah, wie sich das Gesicht des Mädchens entspannte. "Wer bist du?", fragte sie.
"Ich bin... nur ein Jäger. Wie ist dein Name, Prinzessin?"
"Ich bin Khalindra", sagte das Mädchen. "Du hast genau solche Augen wie ich. Bist du mein Bruder? Du siehst genau aus wie das Bild von ihm!"
"Du hast einen Bruder?"
"Er ist tot, haben sie gesagt. Er ist im Krieg gestorben."
Iarwain schloss einen Moment die Augen. "Ich wusste nicht, dass ich eine Schwester habe", sagte er dann und lächelte ihr zu. Er hatte sich entschieden. Jetzt hatte er wieder eine kleine Schwester, auf die er achtgeben würde - wenn auch nur eine Weile.
Sie lebten zusammen im Wald und ernährten von dem, was Iarwain jagte. Khalindra hatte schnell gelernt, wie man stickte, nähte und webte und ihn bald weit überflügelt. Es war kein schlechtes Leben, nur nagte es an ihm, dass er ihr den Schwertkampf nicht nahebringen konnte. Sie war eine Magierin, daran vermochte er nichts zu ändern, und obwohl sie ihm immer wieder geduldig dabei zuschaute, wie er ihr Klingenführung und Ausfallschritte vormachte, wollte sie sich nicht so recht dafür begeistern.
Jedes Mal, wenn er ihr vorschlug, sie zu den Alben zu bringen, lehnte sie ab. "Es ist so schön hier, Khendral", sagte sie dann immer. "Was soll ich am Königshof? Wir leben hier, und alles ist gut."
"Kleines, du bist eine Prinzessin deines Volkes. Du gehörst zu deinem Blut."
"Du hast doch auch jahrelang alleine hier gelebt, oder nicht?"
"Bei mir war das... etwas anderes", wich er aus, denn er wollte ihr nicht gestehen, dass er sie belogen hatte, dafür hatte er sie längst zu sehr lieb gewonnen. "Du musst doch lernen, wie man sich veteidigt. Mit der Magie, nicht mit dem Schwert!"
"Ich habe doch dich, du passt doch auf mich auf!"
Und so hatte er weiter und weiter auf sie eingeredet, bis sie schließlich nachgegeben hatte. Erst, als er ihr angeboten hatte, sie zu begleiten, hatte sie eingewilligt, und er hatte zu spät begriffen, dass das der Köder samt Angelhaken und Schnur gewesen war.
Also hatte er seinen Auftritt gehabt. Der verloren geglaubte Prinz Khendral. Er schwindelte etwas von Gedächtnisschwund und schweren Verletzungen und begann, Khalindras Leibwache auszubilden. Die Alben hatten ihn zuerst ungläubig, dann jedoch freudig willkommen geheißen.
Als die Priesterkönigin des Lebens müde wurde, hinterließ sie keine Kinder und ihm den Thron. Doch er verzichtete und überließ die Herrscherwürde seiner Schwester, und das Volk der Alben krönte sie.
Sie hielt eine flammende Rede, in der sie Havaill Frosthand und den namenlosen Gott der Rache pries. Sie schwor, dass sie die Feindin der Elfen wäre, so lange sie leben würde. Sie gab den Alben neue Hoffnung, erwärmte die frosterstarrten Herzen mit dem Feuer des Zorns. Sie hatte sich gut vorbereitet und wusste, wo sie ihr Volk packen musste.
Iarwain lernte viel in jener Zeit. Bald war er der Erste Ritter der Priesterkönigin, diekter Diener der dunklen Götter.
Doch eines Tages wurde Khalindra zu wichtigen Verhandlungen gebeten. Eine Gruppe abtrünniger Alben, die die Wälder verlassen hatte, hatte ein paar Siedlungen der Menschen niedergebrannt, und die Priesterkönigin selbst hatte sich bereiterklärt, zu ihrem Ältestenrat im Norden zu reisen und mit ihm ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Denn die Alben jagten keine Menschen, nur die Abtrünnigen taten das. Havaill Frosthand verschmähte Opfer, die nicht freiwillig von seinem auserwählten Volk gegeben wurden. Khalindra hatte ihm gesagt, wie aufgeregt sie war. Noch niemals hatte sie jemanden gesehen, der kein Alb gewesen war.
Die unbemerkte Ironie ihrer Worte erscheint ihm im Nachhinein noch bitterer. Denn sie sind auf Menschen getroffen. Aber es sind nicht die gewesen, zu denen sie gewollt haben. Außerdem waren die Feinde drei zu eins überlegen.
Iarwain weint nicht, aber eine Weile sitzt er neben seiner Schwester und hält sie im Arm. Dann hebt er den zarten Körper der Albenkönigin hoch und bettet sie abseits des zertrampelten Bodens auf einem Fleckchen Gras.
Es dauert lange, bis er genug Holz gesammelt hat. Ein Regenschauer durchnässt den Scheiterhaufen, den er errichtet. Die Tropfen fallen vom Himmel und lassen das Haar an Khalindras schönem Gesicht kleben. Sie wirkt wie ein toter kleiner Vogel, wie sie da liegt.
Er übergibt den Körper seiner Schwester dem reinigenden Feuer der Götter. Sie ist durch den Tod geschritten und Havaill Frosthand begegnet.
Schon wieder hat er eine Frau verloren, die er lange Zeit geliebt hat. Der Wind bläst ihm schwarze Strähnen in die Augen, wütend streicht er sie zurück, er vermisst seinen langen Zopf. Er will keine Frau mehr lieben, denn ihresgleichen stirbt so schnell.
Er will nicht zurück in die Stadt der Alben gehen, die doch immerhin fast ein Jahrhundert lang sein Volk gewesen sind. Der Überlebende der Niederlage trägt die Schande. Der Überlebende hat nicht hart genug gekämpft und ist nicht mit denen gestorben, die ihre Pflicht getan haben. Man hätte Verständnis für seine schreckliche Situation, die Demütigung, von einem Zauber außer Gefecht gesetzt worden zu sein. Man würde ihn bemitleiden, und dann würde er büßen, mit seinem eigenen Blut dafür bezahlen, noch zu leben, er würde durch Hunger und Askese gehen müssen, um sich bei seinen toten Gefährten zu entschuldigen, dass er noch in dieser Welt weilt.
Lange starrt er auf sein schwarzes Schwert und überlegt, wie es sich anfühlen würde, sich hineinzustürzen. Aber er ist zu feige. Er hat Angst vor dem Schweigen, mit dem man ihn für sein Versagen bestrafen wird. Er hat Angst vor der Rückkehr und vor der Frage "Wo ist die Königin?"
Und als er neben dem Scheiterhaufen steht, trifft er seine Entscheidung. Er löst ein schwarzes Metallteil nach dem nächsten und legt es auf den Scheiterhaufen, direkt neben die zierliche Khalindra. Daneben legt er das Schwert eines seiner Wachoberen. Dann setzt er den Scheiterhaufen in Brand und tritt zurück, während die leichten Regentropfen sein nasses Haar an seine Wangen kleben. Das Brennen in seinen Augen ist verräterisch. Aber Iarwain weint nicht.
Khendral ist bereits einmal gestorben. Und jetzt hat er das zweite Mal den Tod gefunden, mit seiner Schwester Khalindra, der letzten Priesterkönigin der Alben aus der Linie der Dornen. Das reine Blut ist ausgelöscht.
Ungerüstet und zu Fuß setzt Iarwain der Krieger seinen Weg fort.