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Ich bin mir sicher ...
Ich bin mir sicher ...
Ich habe 2 Grundprinzipien:
Erstens: Ich trage keine Damenhandtaschen!
(Auch-nicht-nur-mal-kurz)
Zweitens: Ich kaufe keine Damenbinden!
Aber beginnen wir am Anfang.
Irgendwann, als meine vagen Vorstellungen von Geschlechtlichkeit erwachten, ich war wohl 11 Jahre, fühlte ich mich eingebettet in eine mehrheitlich weibliche Schicksalsgemeinschaft. Der Großteil meiner Verwandten war weiblich. Ich war ein schüchternes Kind, brav und ein wenig ängstlich.
Die Formulierung „schwaches Geschlecht“ ist mir bis heute ein Buch mit sieben Siegeln. Wie kann eine Frau schwach sein, die ihrem Mann, der im Kaufhaus ein bestimmtes Produkt zu Kaufen begehrt, sagt: „Schatz, das brauchst Du nicht!“ Solche Sätze verlassen mit so großer Bestimmtheit den energischen Mund der Besagten, dass es dem scheinbar starken Geschlecht nur sehr mühevoll gelingt, mit Gelassenheit von seinem Wunsch Abstand zu nehmen.
„Schatz, das brauchst Du nicht!“ ...ist an sich ein Widersinn. Stellen Sie sich bitte vor, sie gehen mit ihrer Gattin in ein Kaufhaus und sie durchstöbert, weltentrückt, Spitzenhöschen, Hemdchen und „Halterlose“ ... und sie sagen ihr “Schatz, das brauchst Du nicht!“. Auf weitere Kommentare der Gattin zu dieser Bemerkung möchte ich aus Zeitgründen jetzt verzichten.
Es gibt Klischees, die gern und oft bedient werden: Der Mann ist geradeaus mit dem, was er tut. Wenn er einkauft, hat er seinen Zettel, der pflichtgemäß abgearbeitet wird. Der Technokrat unter Ihnen macht noch ein Häkchen hinter das Erledigte. Männer sind stur und sehen die Butter hinter der Marmelade im Kühlschrank nicht.
„Schatz, wo ist die Butter?“
„Na hinter der Marmelade!“
„Wo?“
Frauen können, so heißt es, nicht einparken, werden von ihren Gefühlen überfraut und kaufen stundenlang ein. Auch und meistens, was man nicht braucht.
Ich sage Ihnen: Es sind keine Klischees, es stimmt alles bis aufs Letzte!
Das macht auch nichts, man muss es nur wissen und als gottgegeben hinnehmen, sich damit arrangieren. Dann wird das schon.
Wenn die Geschlechterrollen nicht, wie soll ich sagen, „naturgetreu gelebt“ werden, überkommt mich so ein flaues Unbehagen.
Berta von Blomstädt, eine stattliche Frau in den 40érn, wohnt um die Ecke in einem Gründerzeithaus. Sie hat 2 Katzen, einen sehr großen Hund, 2 sehr folgsame scheue Kinder und einen sehr kleinen Mann. Karlchen. Karlchen sollte (auch in seinem Interesse) „Karl“ genannt werden, ist 45 Jahre, wirkt auf den ersten Blick wie ein depressiver Kriegsgeschädigter und hüstelt nervös.
Berta, und das grenzt an die Fähigkeit der Seher, weiß, was ihr Mann will und was ihm gut tut. In einem Cafe sah ich sie beide vor Kurzem wieder, als die Wirtin sie fragte: „Was darf ich Ihnen bringen?“.
Berta antwortete zielsicher: „Ich nehme eine Tasse Kaffee und einen Quarkkuchen. Meinem Mann bringen Sie bitte einen Tee (Er hat es mit dem Magen) und auch einen Quarkkuchen, denn Pflaumen blähen ihn!“
Karlchen indes sank in sich zusammen, lächelte scheu und fand sich damit ab, offensichtlich der Sprache nicht mächtig zu sein. Das muss auch die Wirtin angenommen haben, denn als sie später das Geschirr abtrug, lächelte sie Karlchen an, führte ihren rechten Zeigefinger zum Mund und fragte (wohl artikuliert, seine Augen fixierend) „Hat-es-ihnen-geschmeckt?“
*
Ich bin jetzt schon 14, wir machen einen kleinen Sprung. Ich habe Jugendweihe. Da bekommt man Geld von diesen und jenen Bekannten und Verwandten. Stolze 1.500 DDR-Mark sind zusammengekommen. Wer weiß, dass er Geld bekommen wird, weiß auch schon, wofür er es ausgeben will (typisch männlich!)
Ich wollte etwas, das zu mir passt, etwas männliches, ein Moped. Vater und ich haben in verschiedenen Geschäften über einen längeren Zeitraum gesucht. Und mit jedem Geschäft passten sich unsere Wünsche den finanziellen Möglichkeiten an. Am Ende war es ein knatternder Grashüpfer mit dem männlichen Namen „Java Mustang“.
Die Freude darüber, motorisiert zu sein, lies die schmerzliche Erfahrung, wie ein Reiter auf einem Grashüpfer auszusehen, nur langsam aufkommen. Langsam, aber sicher. Ich war dünn und lang, mein Moped schmal und lang. Von der Seite sahen wir aus wie ein flatterndes, knatterndes Kreuz.
Das war nun nicht so männlich, wie ich es mir erwünscht hatte. Ich war noch nicht in dem Alter, wo die Besinnung auf innere Werte und Authentizität den gewünschten Wirkungsgrad erzielten. Später sollte ich erfahren, dass wohl auch ältere Generationen damit noch ein Problem haben.
*
1978, ich bin inzwischen 18 Jahre (ein kühner Sprung) war die Phase der absoluten Fragestellungen. Ich, jetzt volljährig, egal was das heißt, diene in der „Nationalen Volksarmee“.
Das mit dem „ ... auch unter Einsatz meines Lebens ...!“ hatte ich beim Schwur offensichtlich zeitgleich mit der Wahrnehmung des Satzes verdrängt.
Das war so gewaltig, dass ich es nicht mehr an mich heran ließ. Anderthalb Jahre.
Mann, wie ich jetzt war, hätte ich aufgehen müssen im Kriegsspiel. Robben durch Schlamm, Schlafen mit 15 Soldaten in einem Zimmer, von denen 8 rauchten, 3 Schlafen wollten und 6 sich stritten. Mathematisch nicht sauber, spiegelt es jedoch wieder, dass es viel zu viele Menschen auf viel zu kleinem Raum waren.
„Die viel zu Vielen“ würde Nietzsche sagen.
Mir wurde „DAS Männliche“ suspekt und dennoch zog es mich an.
In Gefahrensituationen ziehen sich Tiere zurück oder greifen an, wenn der Distanzbereich unterschritten wird. Manche Spezies entwickeln ausgeklügelte Varianten, dem Gegner Unterwerfung vor zu täuschen, um sich danach, für den Gegner unerwartet, zu behaupten.
Letztere Variante erwies sich für mich als sehr tauglich bei der Armee. Ich machte mich nicht gemein mit dem Pöbel, ohne ihn jedoch zu brüskieren. Eine Art von „stiller wohlwollender Begleitung“ brachte mir den Nimbus des Geheimnisvollen ein. Quelle von Bewunderung und Gefahr. Das war meine männliche Überlebensstrategie zu dieser Zeit.
Es hat ja keiner gesehen, dass ich erfolglos mit den Tränen kämpfte, wenn die Akzeptanz einer mir nicht wesensgleichen Umgebung einfach nicht aufkommen wollte.
Mit den Monaten verdrängte die Gewohnheit den Verdruss. Ich begann zu Schreiben. Lyrik. Ich erschuf mir die Idealwelt als Gegenpart zum Jetzt. In ihr konnte ich mich sonnen, fliegen, zärtlich sein und schwärmen.
Ich kannte bei der Armee einen Mitstreiter, der mich irgendwann bei einer Geländeübung im Dreck liegend flüsternd fragte: „Andreas, kannst Du Dir heute Abend mal was durchlesen, was ich geschrieben habe? Ich weiß, dass Du schreibst. Vielleicht kannst Du mir einen Rat geben?“
Gegen 22:00 Uhr saßen wir am Munitionsbunker, der Wind wehte lau und es roch nach Spätsommer. Wir waren allein, lasen uns leise vor und waren ein wenig aufgeregt.
In diese Zeit fällt mein Wunsch, ein Schauspiel-Studium aufzunehmen. Ich war schon im dritten Diensthalbjahr und hatte mir einen Stand erarbeitet, der mich die Umstände ruhig hinnehmen lies. Man schottete mich sogar vor Unteroffiziersaufträgen mit den Worten ab: „Der muss doch lernn, der will nachs Thiater!“
Es war sicherlich taktisch unklug, mit einer Szene aus „Nathan der Weise“ auf der Bühne überzeugen zu wollen, aber der Text gefiel mir. Als ich mitten drin gebeten wurde, die Brille abzunehmen, war ich aus dem Konzept, gründlich. Es war, als bitte man einen Feinmechaniker, der gerade eine Uhr repariert, der Jury seine Fußsohlen zu zeigen.
Ich bestand die zweite Prüfung nicht und ich nahm es gelassen hin.
*
In der Regel studieren die Gymnasiasten, nachdem sie ihren Wehrdienst absolviert hatten. Ich ging arbeiten. Nachdem mich mein bisher kurzes Leben mit Geschlechter- und Sinnfragen hin und her trieb, wollte ich in Ruhe testen, was meinem Wesen am Ehesten entspricht. Nach fünf Jahren Arbeit in einem Braunkohlenkraftwerk wusste ich es:
Ich werde Philosoph!
Die feierliche Einschreibung in der Universität wirkte auf mich wie ein krönender Marsch in die Welt des Wissens.
Hier war ich zu Hause.
männlich war weise.
weise war mächtig.
Männlichkeit war Macht!
Es dauerte nicht lange, bis die universitären Kreuzgewölbe, die museal riechenden Flure, die knarrenden Dielen, die übermanns hohen Skulpturen, die breiten Treppen zum Hauptportal, die große Bibliothek und natürlich faszinierende Professoren mich völlig in ihren Bann zogen. Es war ein anheimelnder Wettstreit um logische Argumente. Wie die Welt real auch aussah – Ich hatte eine bessere Version von ihr schon im Kopf!
Wohl kaum einer von heute würde sich öffentlich wie ich jetzt dazu bekennen, dass ich es als stolze Herausforderung empfand, an einem universitätsweiten Argumentationswettstreit teilzunehmen. Dem Sieger winkte eine einwöchige Reise nach Russland. 10 Repräsentanten der verschiedenen Fakultäten traten gegeneinander an. Ich vertrat die Philosophen.
Ich gebe zu: Ich inszenierte meinen Auftritt. Irgendwo in meiner Schublade entdeckte ich eine weiße Ordonanzjacke aus meiner Armeezeit, die ich mitgehen lies. Ich färbte sie schwarz und übte vor dem Spiegel.
Die Aula war brechend voll. Ich wartete, bis totale Stille einkehrte, ging langsam in meiner Ordonanzjacke zum Pult, zog meine Frage, wartete einen Moment und ...
... brachte eine Woche später aus Russland eine Tischlampe und einen Heizlüfter mit.
*
Wie die Jungfrau zum Kind kam ich zu meinem Job in der Bank. Ich bin inzwischen 31 Jahre, der Sozialismus hat sich bis auf Weiteres von diesem Territorium verabschiedet und ich lerne den Angestellten-Status kennen. Die bisher längste Beschäftigungszeit liegt weit zurück. Das Kraftwerk. Woran ich mich gern erinnere ist die Berechenbarkeit der Arbeiter. Derb und ehrlich. Eine nachvollziehbare Mischung. Man sagt was man denkt und tut dies auch.
Heute nennen wir es Authentizität.
Angestellten-Strukturen funktionieren nach einem anderen Muster. Man muss das Gesagte interpretieren lernen, um die erwünschte Handlung zu liefern. Das „Wörtlich-nehmen“ tut dem Gesprächsteilnehmer weh. Während der Arbeiter Kritik auch mal gleich mit der Faust übt und der Kritisierte weiß, dass er dies oder das beim nächsten Mal lieber lassen sollte, sagt der Vorgesetzte zum Angestellten: „Ich würde Ihnen gern eine Weiterbildung angedeihen lassen – allein das Thema ist so einfach, dass sich kein Bildungsträger finden lässt!“
Die Existenz von Wissen ist an diesen Orten nicht automatisch Macht. Macht erlangt Wissen in diesen Strukturen nur durch Vorenthaltung, durch Portionierung, durch scheibchenweise Anteilnahme an Wissen. Man braucht ihre Erlaubnis, Wissen anwenden zu dürfen! Diese Strukturen gebieren konkurrierende Hierarchien. Deshalb hält sich das Mittelmaß so stur. So sah ich mein bisheriges Konzept hier nicht in vollem Umfang anwendbar.
Es muss eine Mischung aus all dem sein,
was ich bisher einzeln als tauglich erfuhr.
So weit bin ich mir sicher!
Auch wenn die Dinge im Fluss sind und ich heute nicht sagen kann, was mich übermorgen erwarten wird: Ich bin auf dem Weg. Und ...
... Geblieben ist die Gewissheit,
Ich habe 2 Grundprinzipien:
Erstens: Ich trage keine Damenhandtaschen!
(Auch-nicht-nur-mal-kurz)
Zweitens: Ich kaufe keine Damenbinden!