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Ich habe Angst
Ich habe Angst
(überarbeitete Version)
„Der Nächste!“ ,rief ich der Kleinen, die meine Arzthelferin spielte, durch die alte Eichentür zu.
Kurz darauf stand auch schon der Patient im Türrahmen. Sein Blick huschte von meinem Schreibtisch auf das alte aber edle Sofa, das mit dunklem Leder überzogen war. Dann floh sein Blick zum Fenster, um gleich darauf wieder die Couch zu fixieren. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn und sein Blick verfinsterte sich.
Diese Begrüßung bekam ich fast täglich von einem der Verrückten. Sie schätzten den Weg vom Sofa zum Fenster und überlegten sich einen Fluchtweg, den es aus dem zwanzigsten Stock aber leider nicht gab.
„Na, kommen Sie ersteinmal rein.“ Er betrachtete mich kurz, wie einen hässlichen Fleck auf einer weißen Wand, entschied sich offenbar aber dann doch mir die Ehre seiner Gesellschaft zu erweisen. Denn mit zitternden Hand griff er, ohne mich aus den Augen zu lassen, hinter sich an die Türklinke und zog seinen eigenen Käfig zu.
„Wollen sie sich nicht setzen?“säuselte ich ihn an. Ohne den Blickkontakt abzubrechen setzte er sich auf das Sofa, das die Arbeit scheinbar genau so leid war wie ich, denn das Leder knarrte noch lauter als sonst.
Ich wartete noch kurz ,ob er was sagen würde, aber es kam natürlich nichts. Nur seine Augen untersuchten jeder einzelne meiner Poren.
Also fragte ich: „Warum sind sie denn hier?“ Anfangs schenkte er mir noch nicht einmal ein Lidschlag. Doch plötzlich, ich hatte schon den Mund offen um meine Frage zu wiederholen, da ließ er seinen Blick endlich von mir ab und durchstöberte wieder den Raum. Aber nicht wie bei seinem Eintreten, sondern viel schneller, als suche er etwas, oder jemanden, der aber nicht zu finden war. Dann beugte er sich langsam vor und flüsterte:“ Ich habe Angst.“
Ich notierte also gleich ganz professionell: „Psychopath hat Angst und spendiert mir gerade mein Abendessen.“ Dann kramte ich all mein Mitgefühl zusammen und fragte: „Vor was haben sie denn Angst?“. Er schaute sich noch einmal im Raum um, nur um sicher zu gehen, dass auch wirklich alles in Ordnung war und flüsterte dann noch leiser als zuvor: „Vor den Menschen.“
Ich wiederholte den Satz mit lauter kräftiger Stimme, was ihn natürlich zusammenfahren ließ und er musste mein Büro ein weiteres Mal inspizieren.
„Haben sie vor allen Menschen Angst?“ Es dauerte etwas bis er wieder zu Ruhe kam und die Höflichkeit aufbrachte mit einem knappen „Ja“ zu antworten.
„Auch vor netten und liebenswürdigen Menschen?“ stocherte ich spöttisch nach.
Die Frage bedeutete ihm mehr als ich erwartet hatte, denn sofort veränderte sich sein Ausdruck. Seine Blick wurden strahlender und verloren jeglichen Argwohn, was in plötzlich lebendiger wirken ließ „Gibt es so jemanden?“ ,stellte er mir ganz aufgeregt die Gegenfrage.
Ich konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken.
Sofort wurden seine Augen wieder von einem Nebel der Hoffnungslosigkeit verhangen. Auch sein Gesicht verlor nun jegliche Farbe, was mich ernsthaft darüber nachdenken ließ, ob ich den Mann gerade umgebracht hatte.
Ich hatte genug und schaute demonstrativ auf meine Rolex.
Doch meine Geste war anscheinend nicht deutlich genug, denn er blieb einfach sitzen und starrte durch mich hindurch.
Ich griff also in meine Schreibtischschublade und holte meinen Rezeptblock hervor.
Ich schrieb das stärkste Antidepressivum auf, das ich kannte und hielt ihm das Stück Papier entgegen:
„Hier das wird helfen. “Der Mann stand auf und schwebte mit starrem Blick, ohne das Rezept überhaupt wahrzunehmen, zum Fenster. Er öffnete es und hielt dann noch einmal kurz inne.
Das Letzte was ich von ihm hörte was ein leises, unglaublich trauriges und hoffnungsloses „Hilfe.“